Archiv


Verlagerung der Produktion ins Ausland rechnet sich nicht immer

Peter Lange: Wenn die Lohnkosten nicht gesenkt werden, sind wir gezwungen, die Produktion ins billigere Ausland zu verlegen. Das ist der Hebel, den die Konzerne in den Zeiten der Globalisierung ansetzen und den die Gewerkschaften fürchten, denn, vor die Wahl gestellt, unbezahlte Mehrarbeit oder arbeitslos, wissen die Beschäftigten, wie sie sich entscheiden. So gesehen zuletzt bei Siemens. Dabei ist die Drohung mit der Abwanderung der Produktion vielleicht nicht gar so stichhaltig, denn, so hat das Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe herausgefunden, jedes dritte Unternehmen, das die Verlagerung ins Ausland probiert hat, ist wieder zurückgekehrt. Am Telefon ist nun der Autor dieser Studie, Steffen Kinkel. Herr Kinkel, hätten Sie Siemens im Zweifel von der Verlagerung der Handyproduktion nach Ungarn abgeraten?

Moderation: Peter Lange |
    Steffen Kinkel: Das ist schwierig zu sagen. Wir haben herausgefunden, dass Strategien und Faktoren, die man einbezieht, eine ganz große Rolle dabei spielen, ob Verlagerungsaktivitäten gut gehen oder scheitern. So tief bin ich im Prozess nicht drin. Da müsste man viel genau draufgucken. Aus der Entfernung ist es nicht zu beurteilen.

    Lange: Können Sie uns einen Begriff von dem Umfang dieser Rückwanderungen geben, wie viele Unternehmen mit wie viel Arbeitsplätzen in einem bestimmten Zeitraum?

    Kinkel: Der letzte Untersuchungszeitpunkt, zu dem wir Aussagen machen können, ist zwischen 1999 und 2001. Aktuelle Daten liegen demnächst vor. In diesem Zeitraum sind 7 Prozent aller Unternehmen zurückgekommen. Das heißt, wenn man es in Beziehung setzt zu den 21 Prozent Unternehmen, die im gleichen Zeitraum ihre Produktion ins Ausland verlagert haben, kann man feststellen, auf jeden dritten Verlagerer kommt inzwischen schon ein Rückverlagerer der Produktion. Diese Ratio Eins zu Drei lag Mitte der Neunziger in den Hochzeiten der Verlagerung schon mal bei Eins zu Sieben.

    Lange: Warum kommen Unternehmen aus Billiglohnländern zurück?

    Kinkel: Es gibt drei Hauptgründe, die diesen Schritt bewirken. Zum einen sind es Einbußen bei der Flexibilität. Zu nennen sind hier insbesondere auch Lieferzeiten, Lieferfristen, wenn man Schnittstellen doppelt, hin und zurück, bei ausgelagerten Unternehmen ins Ausland aufbaut. Zum zweiten Einbußen bei der Produktionsqualität. Es dauert doch, bis die entsprechende Qualität im Ausland hergestellt werden kann, auch wenn zunehmend das möglich erscheint - so wird es zumindest kolportiert. Der dritte Punkt sind die hohen Koordinationskosten, die entstehen für Betreuung, Kontrolle, Coaching des ausländischen Standortes. Da unterschätzen Unternehmen die Realität in ihren Planungen oftmals deutlich.

    Lange: Gibt es irgendeinen Fall, von dem Sie sagen würden, da ist es geradezu idealtypisch gescheitert?

    Kinkel: Es gibt einen Fall eines Maschinenteileherstellers - den Namen möchte ich nicht nennen -, der ins russische Kaliningrad verlagert hat, ohne einbezogen zu haben, wie entwickeln sich dort beispielsweise bestimmte Preise auf der Vorleistungsseite. Materialpreise, Lohnkosten etc. haben sich relativ schnell angepasst. Zudem kamen Probleme beim Prozessaufbau. Es hat lange gedauert, bis mit der entsprechenden Produktivität und Qualität produziert werden konnte. Das alles hat den Ausschlag gegeben, dass nach Rechnungen nach zwei Jahren der deutsche Standort mindestens genauso gut da stand und man die Produktion wieder zurückholen musste.

    Lange: Gilt das alles für mittelständische Unternehmen oder für Konzerne oder für beide Größenordnungen gleichermaßen?

    Kinkel: Unsere Befragung richtet sich an das verarbeitende Gewerbe allgemein und deckt damit die Gesamtheit relativ gut ab. Das heißt, das gilt sowohl für kleine und mittlere Unternehmen als auch für große Unternehmen, wobei es im Augenblick verstärkt auf größere zutrifft, die schon stark im Ausland präsent sind und eher etwas zum Rückverlagern haben, sage ich mal.

    Lange: Welche Faktoren müssten denn vor der Entscheidung zur Verlagerung der Produktion stärker berücksichtigt werden, die bisher nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden sind?

    Kinkel: Also zwei der Dinge, die auch rückverlagerungsrelevant sind. Die Overheadkosten müssen früher berücksichtigt werden.

    Lange: Overheadkosten heißt was?

    Kinkel: Overheadkosten heißt Gemeinkosten für Betreuung, Koordination, Kontrolle, die im Managementbereich anfallen, oftmals vom Deutschlandstandort erbracht werden. Einer der guten, vielleicht der beste Manager muss das machen, wird aber weiterhin vom deutschen Standort bezahlt, obwohl man ihn fairerweise im ausländischen Standort in Rechnung stellen müsste. Anlaufzeiten, bis die Produktion steht mit der entsprechenden Produktivität und Qualität, konnten wir feststellen, dass man den Faktor 2,5 anlegen kann von den ursprünglichen Planzahlen, dann ist man bei der Realität. Dynamische Entwicklungen sollten mit einbezogen werden und nicht nur staatliche Vergleiche gemacht werden, und vor allem soll auch die Verbesserungsfähigkeit des deutschen Standortes mit einbezogen werden. Man macht oftmals Ist-Vergleiche, gewachsene Ist-Struktur hier, geplantes Optimum im Ausland. Da sollte man dem deutschen Standort eine Chance geben, insbesondere wenn man an Netzwerke, Kooperationen im deutschen Standort denkt, die ganz selten optimal ausgenutzt sind.

    Lange: Was ergeben sich denn aus Ihren Untersuchungen für Ansatzpunkte für die Gewerkschaften, um nun so einen Hochlohnstandort attraktiver zu machen?

    Kinkel: Vor allem der letzte Punkt mit dem starken Fokus auf Netzwerke gibt Ansatzpunkte. Also es geht darum, klarzumachen, dass richtig gerechnet wird, dass die richtigen Kostengrößen einbezogen sind in die Gesamtkostenrechnung. Da ist man bei den ersten beiden Punkten, Betreuungskosten und Anlaufkosten einbeziehen. Aber dann auch die Frage, was kann man hier tun, um die Ziele, die man mit der Produktion im Ausland erreichen will, eventuell auch vom deutschen Standort aus besser zu erreichen? Die Erfahrungen zeigen, dass nahezu alle Unternehmen noch interne Verbesserungs- und Optimierungspotentiale haben, und die Frage ist dann schlichtweg, welche Aufwand steckt dahinter, mit was erreicht man das einfacher? Das muss man aber systematisch checken und auch die Kooperations- und Netzwerkmöglichkeiten checken. Oftmals kann man durchaus dann herausfinden, dass die Alternative Deutschland mit Verbesserungsmöglichkeiten gar nicht so schlecht ist im Vergleich zum scheinbar günstigen Auslandsstandort.

    Lange: Vielen Dank für das Gespräch.