Diese Sorglosigkeit um das eigene Werk, mehr noch: die Gleichgültigkeit gegenüber Ruhm und Ehre, erklärt auch die Editionsgeschichte der Verlassenen Stimmen. Noch zu Lebzeiten des Autors trug die Lyrikerin und Literaturwissenschaftlerin Laura Cerrato im Verlauf von langjährigen Recherchen mehr als 500 ‚Stimmen' zusammen, die Porchia entweder ausgesondert und nicht veröffentlicht hatte oder die als verschollen gelten mußten, da sich die Manuskripte in Privatbesitz befanden. Mit den "verlassenen" - aufgegebenen, der Selbstkritik geopferten, weggeschenkten - Stimmen und dem 1. Band der Stimmen liegt nun das etwas mehr als 1000 Aphorismen umfassende Gesamtwerk Porchias auf deutsch vor.
Das äußerlich so wenig ereignisreiche, fast asketisch zu nennende Leben des Denkers wirkt auf den ersten Blick nicht gerade als ein Ferment, zu tiefsten Wahrheiten zu gelangen, die der Italiener häufig in einem Satz zusammenfaßt. Gewiß, da gibt es das argentinische Dauerexil des Jugendlichen ab der Jahrhundertwende, den Sprachenwechsel zum Spanischen, die gescheiterte Liebe zu einer Prostituierten, dann die Arbeit in der Druckerei seiner Brüder. Die zeitweilige Sympathie für die Anarchisten, schließlich seine Künstlerfreundschaften. Doch Porchias Denken scheint die Frucht innerer, meditativer Erfahrungen zu sein, bei welchen Ort, Zeit und äußere Umstände unwesentlich sind.
Vom Rang her halten Porchias Weisheits-Destillate jedem Vergleich stand. Seien es die Aphorismen des Kolumbianers Nicólas Gómez Dávila, des Rumänen E.M.Cioran, des Franzosen Georges Perros oder des Italieners Guido Ceronetti. Als ausgewiesene Pessimisten und Kulturkritiker sind sie der negativen Anthropologie zuzurechnen. Im Gegensatz jedoch zu diesen zweifellos brillanten Skeptikern beklagt sich Porchia nicht, noch klagt er an. Weder die Welt noch die Gesellschaft, auch nicht den Menschen als solchen.
"Mein Erwachen zwischen Traum und Traum unterbricht meinen Traum nicht", lautet seine Absage an die Hoffnung, den Illusionismus jemals zu überwinden. In seinem Vorwort von 1978 zur französischen Ausgabe der Stimmen vergleicht Jorge Luis Borges die Maximen Porchias mit den Aphorismen Novalis' und La Rochefoucaulds: "Bei der Lektüre jedes einzelnen spürt man die augenblickliche Anwesenheit eines Menschen und seines Schicksals. (...) Wir können vermuten, daß der Autor sie für sich schrieb und nicht wußte, daß er für andere das Bild eines einsamen, hellwachen Menschen entwarf, der sich des einzigartigen Geheimnisses eines jeden Augenblicks bewußt war." Vielleicht aber reichen die geistigen Verwandtschaften bis ins 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurück, wo der Zen-Meister Schen-Hui ausrief: "Nicht denken! Das ist die wahre Lehre./ Nicht tun! Das ist der tiefste Grund.(...)/ Wahres So-Sein kennt kein Denken:/ Begriff und Gedanke erkennen es nie."
Das ja zum Hier und Jetzt, zum Nicht-Handeln findet bei Porchia ein vielfaches Echo. Wenn es beispielsweise heißt: "Alles Tun ist Trug, weil alles getan ist." Oder: "Was mir alles fehlt, gibt es wahrscheinlich nicht, und ich lebe es vergebens."
Wo wir erwarten, daß auf "...gibt es wahrscheinlich nicht" ein "und ich suche es vergebens" folgt, konfrontiert uns der Autor anscheinend mit einem Paradox, weil ihm einerseits etwas fehlt, von dem ihm bewußt ist, daß es vermutlich inexistent ist: so lebte er in der Sehnsucht nach dem Unmöglichen. Sagt aber Porchia nicht zu sich selbst, daß unsere Art des Fragens, Wünschens und Begehrens erst den Mangel konstruiert, d.h. die Quelle von Schmerz und Leid ist? Im zen-buddhistischen, im taoistischen Universum des Nicht-Widerspruchs versagt das logisch-dialektisch trainierte, das analytische Denken.
"Außerhalb meiner engen Zelle finde ich keine Weite", schreibt Porchia den Befreiungsideologen ins Stammbuch. Wahre Integrität heißt für ihn: "Wo du nichts bist, bleibe bei dir, und du bist alles." Porchia bekannte sich durchaus zu den erwähnten fernöstlichen Einflüssen. Schwer zu sagen, in welchem Maße ihm die Loslösung, der Sieg über das Ego gelang. Kann man ihn sich als Erlösten vorstellen? Immerhin war sein Narzissmus so minimal, daß er sich selbst nicht kritiklos bejahen konnte. In einer seiner brillanten Miniaturen über die Liebe heißt es deshalb: "Wenn du so wärst, wie ich dich wünschte, wärst du wie ich selbst; und so, wie ich selbst, liebte ich dich nicht."
Gleichwohl spielte der Weise, der konsequent die souveräne Nicht-Verwirklichung lebte, eine Platte mit seinen Stimmen ein. So konnte man in den 60er Jahren zweimal täglich, gegen Mitternacht und bei Sendebeginn, auf Radio Nacional Buenos Aires je eines von Porchias Kleinodien hören. Die Initiative verdankte sich einem in Zen-Buddhismus belesenen Redakteur. Nach seinem Tod 1968, im Alter von 82 Jahren, erschienen nicht allein größere Auflagen seines Aphorismenbuchs: seine Stimmen waren darüber hinaus anonym geworden. Laura Cerrato berichtet, wie sie eines Tages regelmäßig einen neuen Aphorismus Porchias auf der Tafel der Klasse vorfand, die sie damals unterrichtete - ohne daß die Schüler den Autor benannten.
Im Land der Novalis, Lichtenberg, Schlegel, Nietzsche und Jürgen von der Wense finden Aphorismen allenfalls noch einen kleinen Verlag. Um so mehr ist diese späte Entdeckung zu begrüßen. Denn in der Selbsterkenntnis ist kaum jemand weiter gegangen als Antonio Porchia.
Das äußerlich so wenig ereignisreiche, fast asketisch zu nennende Leben des Denkers wirkt auf den ersten Blick nicht gerade als ein Ferment, zu tiefsten Wahrheiten zu gelangen, die der Italiener häufig in einem Satz zusammenfaßt. Gewiß, da gibt es das argentinische Dauerexil des Jugendlichen ab der Jahrhundertwende, den Sprachenwechsel zum Spanischen, die gescheiterte Liebe zu einer Prostituierten, dann die Arbeit in der Druckerei seiner Brüder. Die zeitweilige Sympathie für die Anarchisten, schließlich seine Künstlerfreundschaften. Doch Porchias Denken scheint die Frucht innerer, meditativer Erfahrungen zu sein, bei welchen Ort, Zeit und äußere Umstände unwesentlich sind.
Vom Rang her halten Porchias Weisheits-Destillate jedem Vergleich stand. Seien es die Aphorismen des Kolumbianers Nicólas Gómez Dávila, des Rumänen E.M.Cioran, des Franzosen Georges Perros oder des Italieners Guido Ceronetti. Als ausgewiesene Pessimisten und Kulturkritiker sind sie der negativen Anthropologie zuzurechnen. Im Gegensatz jedoch zu diesen zweifellos brillanten Skeptikern beklagt sich Porchia nicht, noch klagt er an. Weder die Welt noch die Gesellschaft, auch nicht den Menschen als solchen.
"Mein Erwachen zwischen Traum und Traum unterbricht meinen Traum nicht", lautet seine Absage an die Hoffnung, den Illusionismus jemals zu überwinden. In seinem Vorwort von 1978 zur französischen Ausgabe der Stimmen vergleicht Jorge Luis Borges die Maximen Porchias mit den Aphorismen Novalis' und La Rochefoucaulds: "Bei der Lektüre jedes einzelnen spürt man die augenblickliche Anwesenheit eines Menschen und seines Schicksals. (...) Wir können vermuten, daß der Autor sie für sich schrieb und nicht wußte, daß er für andere das Bild eines einsamen, hellwachen Menschen entwarf, der sich des einzigartigen Geheimnisses eines jeden Augenblicks bewußt war." Vielleicht aber reichen die geistigen Verwandtschaften bis ins 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurück, wo der Zen-Meister Schen-Hui ausrief: "Nicht denken! Das ist die wahre Lehre./ Nicht tun! Das ist der tiefste Grund.(...)/ Wahres So-Sein kennt kein Denken:/ Begriff und Gedanke erkennen es nie."
Das ja zum Hier und Jetzt, zum Nicht-Handeln findet bei Porchia ein vielfaches Echo. Wenn es beispielsweise heißt: "Alles Tun ist Trug, weil alles getan ist." Oder: "Was mir alles fehlt, gibt es wahrscheinlich nicht, und ich lebe es vergebens."
Wo wir erwarten, daß auf "...gibt es wahrscheinlich nicht" ein "und ich suche es vergebens" folgt, konfrontiert uns der Autor anscheinend mit einem Paradox, weil ihm einerseits etwas fehlt, von dem ihm bewußt ist, daß es vermutlich inexistent ist: so lebte er in der Sehnsucht nach dem Unmöglichen. Sagt aber Porchia nicht zu sich selbst, daß unsere Art des Fragens, Wünschens und Begehrens erst den Mangel konstruiert, d.h. die Quelle von Schmerz und Leid ist? Im zen-buddhistischen, im taoistischen Universum des Nicht-Widerspruchs versagt das logisch-dialektisch trainierte, das analytische Denken.
"Außerhalb meiner engen Zelle finde ich keine Weite", schreibt Porchia den Befreiungsideologen ins Stammbuch. Wahre Integrität heißt für ihn: "Wo du nichts bist, bleibe bei dir, und du bist alles." Porchia bekannte sich durchaus zu den erwähnten fernöstlichen Einflüssen. Schwer zu sagen, in welchem Maße ihm die Loslösung, der Sieg über das Ego gelang. Kann man ihn sich als Erlösten vorstellen? Immerhin war sein Narzissmus so minimal, daß er sich selbst nicht kritiklos bejahen konnte. In einer seiner brillanten Miniaturen über die Liebe heißt es deshalb: "Wenn du so wärst, wie ich dich wünschte, wärst du wie ich selbst; und so, wie ich selbst, liebte ich dich nicht."
Gleichwohl spielte der Weise, der konsequent die souveräne Nicht-Verwirklichung lebte, eine Platte mit seinen Stimmen ein. So konnte man in den 60er Jahren zweimal täglich, gegen Mitternacht und bei Sendebeginn, auf Radio Nacional Buenos Aires je eines von Porchias Kleinodien hören. Die Initiative verdankte sich einem in Zen-Buddhismus belesenen Redakteur. Nach seinem Tod 1968, im Alter von 82 Jahren, erschienen nicht allein größere Auflagen seines Aphorismenbuchs: seine Stimmen waren darüber hinaus anonym geworden. Laura Cerrato berichtet, wie sie eines Tages regelmäßig einen neuen Aphorismus Porchias auf der Tafel der Klasse vorfand, die sie damals unterrichtete - ohne daß die Schüler den Autor benannten.
Im Land der Novalis, Lichtenberg, Schlegel, Nietzsche und Jürgen von der Wense finden Aphorismen allenfalls noch einen kleinen Verlag. Um so mehr ist diese späte Entdeckung zu begrüßen. Denn in der Selbsterkenntnis ist kaum jemand weiter gegangen als Antonio Porchia.