"Es war, als wenn man in einen Fluss steigt. Als wir merkten, wie ernst das Ganze war, hatten wir schon einige Monate in die Geschichte investiert und das Wasser stand uns bis zur Taille. Es gab keinen Weg mehr zurück. Wir mussten weiter gehen und ich musste damit fertig werden. Nachts lag ich wach und machte mir Sorgen. Aber ich dachte auch: wir haben keine andere Wahl als weiterzumachen und unsere Redakteure und Reporter, an die ich glaubte, zu unterstützen."
Zwei noch unbekannte Nachwuchsjournalisten namens Carl Bernstein und Bob Woodward hatten über einen Einbruch im Watergate-Building recherchiert und entdeckten nach und nach den bislang größten Politskandal der USA: den systematischen Machtmissbrauch des Präsidentenamtes durch Richard Nixon und seine Berater.
Als die "Post" die ersten Artikel zum Thema veröffentlichte, blieb sie allein auf publizistischer Flur. Die Hauptstadtkorrespondenten Washingtons glaubten die Geschichte nicht, die die Kollegen exklusiv ausgegraben hatten. Die Regierung bot unterdessen alle Druckmittel auf, die ihr zur Verfügung standen: juristischer, politischer und gesellschaftlicher Art, um die Zeitung und ihre Herausgeberin Katherine Graham zu isolieren.
"Das nahm einige dumme, aber auch gefährliche Formen an: unsere Vertrauenswürdigkeit wurde infrage gestellt und alle Mitarbeiter wurden angewiesen, keine Telefonate von der Washington Post anzunehmen oder mit unseren Reportern zu sprechen. Besonders lächerlich war, dass auch niemand mehr zu meinen Abendessen kommen sollte. Leute wie George Schultz und Henry Kissinger kamen trotzdem."
Entwicklung zur wichtigen Hauptstadtzeitung
Anzeigenkunden entzogen der "Washington Post" Aufträge und die Weiterführung der hauseigenen Fernsehlizenzen hing urplötzlich am seidenen Faden. Doch Katherine Graham und Ben Bradlee, kongenialer Chefredakteur der "Washington Post", vertrauten ihren Reportern und dem eigenen Instinkt. Das hatten sie auch wenige Monate zuvor getan, nachdem der Zeitung Teile der so genannten Pentagon Papiere zugespielt worden waren. Die Papiere bewiesen, wie die US-Regierung ihre eigene Bevölkerung über den Beginn des Vietnam-Krieges belogen hatte.
Politischer Druck und publizistischer Gegendruck machten aus der bislang eher unbedeutenden "Washington Post" erst die Hauptstadtzeitung als die wir sie heute noch kennen - und aus Katherine Graham die bedeutendste Verlegerin der Vereinigten Staaten. Eine Rolle, die ihr Vater nicht für sie vorgesehen hatte.
Eugene Meyer, durch Spekulationen an der Wall Street reich geworden und zwischenzeitlich Präsident der Weltbank, hatte das Blatt 1933 ersteigert. Und obwohl sich die junge Katherine früh für Journalismus interessierte, setzte Meyer ihren Mann Philip Graham nach dem Zweiten Weltkrieg an die Spitze der "Post". Erst nach dem Selbstmord ihres manisch-depressiven Gatten übernahm Katherine 1963 das Unternehmenssteuer - mit all den Selbstzweifeln, die eine Frau, die eigentlich zur Hausfrau und Mutter erzogen worden war, damals nur haben konnte. Es war ihr Glück, so erzählte es Graham später, dass sie immerhin auf dem gesellschaftlichen Parkett Washingtons Erfahrung hatte.
Publizistisches Fundament gelegt
"Ich war bei meinem Freund Joe Alsop zum Dinner eingeladen und war es gewohnt, dass nach dem Essen Frauen und Männer in getrennte Räume gingen. Die Männer besprachen dann die wichtigen Dinge und die Frauen puderten sich die Nase und diskutierten den Haushalt. Auf einmal dachte ich: da habe ich nun den ganzen Tag gearbeitet, habe mit einem wichtigen Menschen zu Mittag gegessen und nun soll ich in das andere Zimmer zu den Ehefrauen gehen? Da sagte ich zu Joe, ich gehe jetzt, ich kann meine Zeit besser nutzen. Er sagte: aber Darling, das kannst Du doch nicht tun? Und ich sagte: doch. Er war so aufgebracht, dass er mit dieser Aufteilung Schluss machte. Und ganz Washington folgte schließlich seinem Beispiel."
Schnell galt Graham als knallharte Geschäftsfrau und einflussreiche Washingtoner Gesellschaftsgröße, letztere Rolle spielte sie bis zu ihrem Tode 2001. Bei der Beerdigung erwiesen ihr tausende Menschen, unter ihnen Politiker, Unternehmer und Künstler von Bill Clinton bis Bill Gates, von Warren Buffet bis Yo-Yo Ma die Ehre.
Wenn sich heute die "Washington Post" und die "New York Times" ein Rennen um die kritischste und beste amerikanische Tageszeitung liefern, so liegt das auch an dem publizistischen Fundament, das Katherine Graham gelegt hat – auch wenn die "Post" heute nicht mehr im Besitz der Familie Graham ist, sondern Amazon-Gründer Jeff Bezos gehört.