Mario Dobovisek: Die Bundeswehr zieht aus der Türkei ab, verlegt nach Jordanien. Am Telefon begrüße ich Egon Ramms, Bundeswehrgeneral außer Diensten. Einst war er der ranghöchste deutsche Offizier bei der NATO. Guten Abend, Herr Ramms!
Egon Ramms: Guten Abend, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Die Bundesregierung zieht für die Stationierung der Bundeswehr das Nicht-NATO-Mitglied Jordanien dem NATO-Verbündeten Türkei vor. Was sagt uns das über den Zustand des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses?
Ramms: Zunächst noch mal nicht allzu viel. Noch sind die Türken feste Mitglieder der NATO und es gibt viele NATO-Partner, die sich auch auf die Türkei weiter abstützen. Vielleicht ist hier eine Sache ein bisschen künstlich hochgekocht worden, was man möglicherweise hätte vermeiden können.
Dobovisek: Sie sagen "noch". Was bedeutet das?
Ramms: Die anderen NATO-Staaten kriegen ebenfalls die Entwicklung mit, die zurzeit läuft. Sie wissen, dass auf dem Gipfel vor wenigen Tagen die Kanzlerin auch mit Präsident Erdogan über dieses Thema gesprochen hat, sie sich nicht einigen konnten. Aus dem Grunde wurde Minister Gabriel beauftragt, bei der Türkei einen letzten Versuch zu machen. Für uns keine schöne Situation, die aber vor historischem Hintergrund in dieser Form entstanden ist. Darüber muss man sich im Klaren sein.
"Türkei noch ein verlässlicher NATO-Partner"
Dobovisek: Die Türkei hat sich ja nicht nur mit Deutschland verkracht, auch mit den Niederlanden, den USA, jüngst auch mit Norwegen. Ist die Türkei noch ein verlässlicher NATO-Partner?
Ramms: Die Türkei ist zurzeit noch ein verlässlicher NATO-Partner. Da gibt es keine Frage. Es wäre auch strategisch schlecht, wenn die Türkei sich aus der NATO verabschieden würde oder andere NATO-Staaten darauf drängen würden, dass die Türkei die NATO verlässt, weil diese Ecke im Südosten Europas und Teilen von Vorderasien natürlich mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten, aber auch auf den Teil in Europa selber eine entsprechend wichtige Rolle spielt. Das heißt, die Türkei sollte an Bord bleiben und man sollte da auch entsprechend dran arbeiten, wobei diese Arbeit mit Blick auf die Verfassungsänderungen, die durch den heutigen türkischen Präsidenten in den letzten zehn Jahren durchgeführt worden sind, sicherlich nicht einfach sind.
"Möglicherweise ein Sicherheitsrisiko"
Dobovisek: Nicht einfach sind die Beziehungen insgesamt zur Türkei, was die NATO angeht. Schauen wir auch auf die Türkei und Russland. Da liebäugelt die Türkei zum Beispiel mit dem Kauf eines Raketenabwehrsystems aus russischer Produktion, nicht kompatibel mit der NATO. Ein Affront für die NATO?
Ramms: Nicht nur ein Affront, sondern möglicherweise sogar ein Sicherheitsrisiko.
Dobovisek: Und damit das Ende der Mitgliedschaft.
Ramms: Das ist ein Fall, der dann mit aller Sorgfalt untersucht werden müsste, einfach aus dem Grunde, weil dann die NATO-Luftverteidigung in diesem Teil des NATO-Gebietes nicht mehr so funktionieren könnte, wie sie in allen anderen Teilen funktioniert, weil einfach die Gefahr besteht, dass möglicherweise Daten dann transferiert werden.
"Vieles wird in Azraq deutlich aufwendiger"
Dobovisek: Morgen soll das Kabinett also den Umzug der Bundeswehr von der Türkei nach Jordanien anstoßen. Seit vergangenem Jahr bereits laufen dazu hinter den Kulissen die Vorbereitungen. Die USA, hören wir, sollen mit großen Transportflugzeugen unterstützen. Trotzdem soll der Umzug von jetzt an gut zwei bis drei Monate lang dauern. So lange können dann die deutschen Aufklärtornados und auch das Tankflugzeug nicht eingesetzt werden. Warum dauert das so lange?
Ramms: Es dauert aus dem Grunde diesen Zeitraum von bis zu zwölf Wochen, weil nicht nur die 260 deutschen Soldaten aus Incirlik auf die Basis Al Azraq verlegt werden müssen, sondern es muss entsprechendes Bodenmaterial mitgebracht werden. Wir haben beispielsweise für die Tornados Luftbildauswerter, eine Staffel in Incirlik stationiert, die komplett verlegt werden muss. Das Material ist leider nicht zweimal da, so reich ist die Bundeswehr nicht mehr. Von daher sind dies alles Aufwände, die betrieben werden müssen. Dazu kommt, dass wir in Incirlik die Möglichkeit gehabt hatten, uns sehr stark auf die dort befindlichen Amerikaner abzustützen. Die Amerikaner haben dort ein gesamtes, ich sage mal, Flughafenregiment für den Grundbetrieb. Ähnliches haben die Jordanier in Al Azraq nicht. Von daher wird die Sache dort in Al Azraq deutlich aufwendiger und es muss alles, was wir heute in Incirlik haben, dort hingebracht werden. Wobei ich einen Hinweis geben möchte: Mit Blick auf die Luftbetankung dürfte das so schwierig nicht werden. Die könnte nach meinem Dafürhalten nach drei bis vier Wochen wieder entsprechend funktionieren. Aber der andere Teil ist gerade mit Blick auf die vielen Details, die erledigt werden müssen, Grundversorgung, Logistik, Betankung für die Tornados, Wartung, das Personal selber, ich weiß nicht, wie die Infrastrukturlage in Al Azraq aussieht, dann deutlich aufwendiger.
Sicherungsaufwand noch unklar
Dobovisek: Das heißt, es wird aufwendiger, weil sich die Bundeswehr auf Deutsch gesagt selber schützen muss?
Ramms: Das wird möglicherweise ein weiterer Nebeneffekt sein, wobei ich davon ausgehe, dass der jordanische König, nachdem er uns ja quasi eingeladen hat, sehr viel Wert darauf legen wird, dass seine eigenen Streitkräfte die entsprechende Sicherung für den Flughafen übernehmen. Aber mir ist zurzeit nicht bekannt, inwieweit die deutschen Soldaten auf dem Flughafen selber untergebracht werden können, Unterkunft finden, und ob man dann möglicherweise in die Stadt Al Azraq oder Azraq ausweichen muss, um dort beispielsweise Hotels anzumieten. Dann würde sich dieser Sicherungsaufwand erheblich erhöhen.
Mandatsänderung erforderlich
Dobovisek: Dann werden aus 260 Soldaten ganz schnell 500 oder mehr.
Ramms: Sehen Sie, das bringt uns dann eigentlich zu der Frage. Sie wissen, dass das Mandat zurzeit ja diskutiert wird. Wenn dann die Zahlen tatsächlich in einem solchen Umfang ansteigen werden, und ich gehe davon aus, dass sie ansteigen, dann müsste dieses auch in einer entsprechenden Mandatsänderung beschlossen werden durch den Deutschen Bundestag.
Dobovisek: Das Mandat sieht ja bis zu 1.200 Soldaten vor.
Ramms: Wir haben aber noch mehr Soldaten eingesetzt, auch in anderen Zusammenhängen im Rahmen der Operation gegen den Islamischen Staat. Es geht nicht nur um die Luftwaffe, die sich in Incirlik befindet. Ich weise darauf hin, dass wir immer noch eine Fregatte im Einsatz haben, die gemeinsam mit den Franzosen operiert. Das Mandat mag die Zahl ermöglichen, eine höhere Zahl ermöglichen. Dennoch würde ich mich als Abgeordneter etwas merkwürdig fühlen, wenn ich letztendlich im letzten Jahr einer Mandatsverlängerung zugestimmt habe, bei der ich davon ausging, dass wir auf dem Boden eines NATO-Staates mit Unterstützung eines weiteren NATO-Partners, sprich den USA uns bewegen und jetzt plötzlich in ein Land reingehen, welches nicht der NATO angehört. Wenn man schon verlangt, dass eine solche Verlegung erfolgen soll, dann sollte man dem Parlament auch die entsprechende Zustimmung ermöglichen.
"Ein erstaunlicher Zwischenfall"
Dobovisek: Kommen wir zurück zum Thema Sicherheit. Jetzt kursiert seit einigen Tagen ein Video im Netz, auf dem zu sehen ist, wie jordanische Soldaten in Afghanistan Bundeswehrsoldaten mit der Waffe bedrohen und verprügeln, einen von ihnen sogar bewusstlos schlagen. Ist Jordanien ein zuverlässigerer Partner als die Türkei?
Ramms: Ich kann diesen Sachverhalt nicht beurteilen, weil ich ihn nicht kenne. Er war einem meiner Nachfolger passiert bei einem Dienstaufsichtsbesuch in Afghanistan beziehungsweise seinen Personenschützern. Mich wundert das etwas, weil ich die Jordanier anders kennengelernt habe, auch in Afghanistan anders kennengelernt habe und weil bei mir in der Zeit, wo ich verantwortlich war, solche Zwischenfälle nicht passiert sind. Die Hintergründe, die dazu geführt haben, sind mir nicht bekannt. Das soll ja in Kabul auf dem Flughafen passiert sein und der Kabuler Flughafen war lange Zeit eine NATO-Basis und die jordanischen Soldaten, die damals dort da gewesen sind, sind ebenfalls unter dem Mandat von ISAF dort eingesetzt gewesen. Von daher ist das schon ein erstaunlicher Zwischenfall. Aber man sollte vielleicht diesen Zwischenfall, der aus welchen Gründen auch immer entstanden ist, nicht als generellen Maßstab für die jordanischen Streitkräfte anlegen.
"Das kann funktionieren"
Dobovisek: Haben Sie generell Zweifel an einem Einsatz der Bundeswehr in Jordanien?
Ramms: Nein, grundsätzlich nicht. Das kann funktionieren. Es müssen die entsprechenden Vorbereitungen getroffen werden, die, wenn mein Kenntnisstand richtig ist, bereits angelaufen sind. Von daher bin ich auch persönlich einigermaßen zuversichtlich, dass tatsächlich der Wechsel mit allen Funktionen, die wir für die Anti-IS-Koalition zugesagt haben, tatsächlich in etwa zwölf Wochen funktionieren wird. Es gibt kritische Zeitwege dabei, insbesondere mit Blick auf Lufttransport. Da wollen uns die Amerikaner helfen. Wenn das so ist, kann ich nur sagen, dann kann das funktionieren, und ich mache das mal mit einem gewissen Schmunzeln. Ich verlasse mich auf die Leute, die im Ministerium und im Einsatzführungskommando in Potsdam diese Operation planen und die entsprechende Durchführung veranlassen, weil ich sie zum Teil persönlich kenne und sie aufgrund ihrer Zuverlässigkeit hoch schätze.
Dobovisek: Der frühere deutsche NATO-General Egon Ramms bei uns im Deutschlandfunk-Interview, das wir am Abend aufgezeichnet haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.