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Verlust der Nacht

Nachts erhellen Abermillionen von Deckenlampen, Straßenlaternen, Autoscheinwerfern und Leuchtreklamen den eigentlich dunklen Himmel. So kann das Leben weiter gehen - ohne Kunstlicht dagegen wären wir dem Wechsel von Tag und Nacht vollständig unterworfen. Die negative Seite dieser Entwicklung - die so genannte Lichtverschmutzung - wollen Forscher nun in den Griff bekommen.

Von Thomas Gith |
    Berlin, Potsdamer Platz. Autoscheinwerfer bestrahlen Fußgänger, die über die Straße wechseln. Laternen beleuchten die Gehwege, elektronische Werbetafeln funkeln. In den umstehenden Hochhäusern schimmern unzählige helle Fenster. Über dem Potsdamer Platz ist der Nachthimmel milchiggrau - und das, obwohl keinen Wolken vorüberziehen. Dämmerungshimmel nennen Wissenschaftler dieses Phänomen. Der Grund dafür ist die so genannte Lichtverschmutzung, sagt Klement Tockner, der das Forschungsprojekts Verlust der Nacht leitet.

    "Das Problem der Lichtverschmutzung wurde vor ungefähr dreißig Jahren erkannt. Man muss sich vorstellen, die Lichtverschmutzung nimmt derzeit etwa sechs Prozent pro Jahr zu. Es gibt in Deutschland kaum noch ein Gebiet oder ein Areal, das nicht durch künstliches Licht beeinflusst ist."

    Die Folgen sind vor allem im Kleinen zu beobachten und im Alltag erst nach und nach zu spüren. Denn die künstliche Aufhellung der Nacht vollzieht sich schleichend, sagt Professor Klement Tockner.

    "Es gibt mehrere Gründe für die Zunahme der Lichtverschmutzung. Ein Grund ist, es gibt verschiedene neue Lichtquellen, die eingesetzt werden. Zweitens: Es gibt ein vermeintlich höheres Sicherheitsbedürfnis, das man durch erhöhte Beleuchtung abdecken möchte. Und drittens ist Licht natürlich auch ein Zeichen von Wohlstand. Das heißt, je höher der Wohlstand ist, desto höher ist auch die Belastung oder Beleuchtung der Umgebung."

    So werden prominente Gebäude nachts durch Scheinwerfer in Szene gesetzt und Lichtkegel mittels Skybeamern in den Himmel projiziert. Doch der zunehmende Lichteinsatz hat Folgen: Die Sicht auf die Sterne beispielsweise ist deutlich eingeschränkt. In Städten sieht man mittlerweile höchstens noch einige hundert von ihnen - in wirklich dunklen Regionen ertrinkt der Nachthimmel hingegen in einem Meer aus abertausenden Sternen. Die Astronomen haben darauf bereits reagiert, sagt Axel Schwope vom Astrophysikalischen Institut Potsdam:

    "Für uns ist der Verlust hier konkret nicht groß. Wir sind schon längst geflüchtet, wir benutzen Satelliten, um den Himmel zu beobachten, wir gehen in die Wüsten, und können dort unsere Forschung durchführen. Aber ganz allgemein empfinde ich die eingeschränkte Sicht auf den Sternhimmel als einen großen kulturhistorischen Verlust. Wer weiß schon noch, was ist ein Planet, was ist die Milchstraße eigentlich? Das lässt sich im Prinzip viel unmittelbarer erleben, als wir es heute tun können."

    Natürlich wollen weder die Astronomen noch die anderen am Projekt beteiligten Wissenschaftler das Kunstlicht ausdrehen: Ihnen geht es vor allem darum, über unseren gesellschaftlichen Umgang mit Licht zu reflektieren - und sogenanntes Streulicht möglichst zu vermeiden. Denn ein Großteil des Lichts entweicht in Regionen, in denen es nicht benötigt wird. Lichtingenieur Stephan Völker von der TU Berlin erklärt das am Beispiel der Straßenlaterne:
    "Also in dem Augenblick, wenn ich jetzt Licht sozusagen produziere, dann wird Licht ja an allen möglichen Stellen gestreut, an Hauswänden gestreut, von der Straße in den Himmel gestreut etc. Das heißt also, das Licht wird nicht nur sozusagen auf die Straße gebracht, sondern ein Teil des Lichtes wird wieder nach oben gestreut. Und dieses führt dazu, dass sich letztlich eine Art Lichtglocke über den Städten ausbreitet."

    Dabei ließen sich genau diese Lichtglocken über unseren Städten abdimmen. Für das Land Berlin untersucht das Institut von Stephan Völker gerade, wie sich die öffentliche Straßenbeleuchtung ökonomisch und ökologisch sinnvoll umstellen lässt. Dadurch ließe sich nicht nur Energiesparen - auch der Nachthimmel könnte profitieren:

    "Also in dem Augenblick, wenn sie die Lampen so konstruieren, beispielsweise Mikroprismen nutzen, dann können sie die Lichtverschmutzung deutlich reduzieren. Wenn ich zum Beispiel alte Technologien vergleiche mit neuer Technologie, dann ist es einfach so, vor 30 Jahren hatten sie üblicherweise nur einfache Wannen, sie haben sehr viel Licht in Richtungen gebracht, dort wo es eigentlich nicht benötigt wird. Und wenn sie das also heute mit Technologien vergleichen, mit Mikroprismen, dann können sie sicherlich 50 Prozent dort reduzieren."

    Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten in dem Forschungsverbund unter anderem Ökologen, Ingenieure und Astronomen zusammen. Sie wollen die Folgen der Lichtverschmutzung noch genauer erfassen. Und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass sich die Lichtverschmutzung reduzieren lässt - auch ohne an Komfort einzubüßen. Damit die Nacht künftig nicht unnötig aufgehellt wird, wenn Straßenlaternen, Schreibtischlampen und Werbetafeln erleuchten.