Arndt Reuning: Der Vogel des Jahres 2019 ist die Feldlerche. Ein eher unscheinbarer Bodenbrüter mit bräunlichem Federkleid. Manchmal sieht man die Feldlerche, wie sie singend über einer Wiese empor steigt, dann scheinbar regungslos in der Luft verharrt, aber dabei doch wild mit den Flügeln schlägt, bis sie sich schließlich wieder schlagartig nach unten sinken lässt. Doch dieser Anblick wird immer seltener. Denn ihre Bestände sind zwischen 1998 und 2009 um fast 40 Prozent zurückgegangen. Die Vögel finden kaum noch Platz zum Brüten.
So wie der Feldlerche ergeht es vielen Tier- und Pflanzenarten in der modernen Agrarlandschaft. Eine Arbeitsgruppe der deutschen Wissenschaftsakademien hat nun eine Stellungnahme veröffentlicht, eine Bestandsaufnahme der Biodiversität auf landwirtschaftlichen Flächen. Eine der Sprecherinnen der Gruppe ist Katrin Böhning-Gaese, Professorin am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Ich wollte von ihr wissen: Wie ist es denn bestellt um die Artenvielfalt auf deutschen Äckern, Feldern und Wiesen?
Katrin Böhning-Gaese: Die Artenvielfalt geht in der Tat dramatisch zurück. Sie hatten gerade das Beispiel mit der Feldlerche. Es betrifft Vögel wie die Feldlerche, wie das Rebhuhn und wie den Kiebitz. Aber es betrifft auch in ganz großem Maßstab Insekten.
Reuning: Ja, wie sieht es aus mit den Pflanzen?
Böhning-Gaese: Auch bei den Pflanzen sieht man das. Wenn man im Grünland guckt, also auf Wiesen und auf Weiden, welche Artenvielfalt wir da an Pflanzen haben, und schauen, wie sich das über die Jahrzehnte verändert hat, dann ist die Abnahme der Vielfalt fast noch dramatischer als bei den Tieren. Das heutige Grünland ist oft intensiv bewirtschaftet und eine Monokultur von wenigen Grasarten.
Hauptursache des Artensterbens: landwirtschaftliche Nutzung
Reuning: Was weiß man denn über die Ursachen hinter diesem Artenschwund?
Böhning-Gaese: Der direkte Faktor ist ganz offensichtlich die landwirtschaftliche Nutzung. Die Nutzung wird immer intensiver, solche Wiesen werden umgebrochen. Dafür entstehen Äcker. Wir haben einen intensiven Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Wir haben die Düngung von Wiesen oder auch von Äckern. Die bewirtschafteten Flächen vergrößern sich, werden immer größer, damit man sie mit größeren Maschinen bewirtschaften kann. Und die Folge davon ist, dass die Strukturvielfalt der Landschaft verschwindet und kleiner wird. Die Hecken verschwinden, die Randstreifen verschwinden, und die Brachflächen verschwinden.
Die bisherigen Schutzmaßnahmen reichen nicht
Reuning: Nun gibt es ja aber auch Schutzmaßnahmen, Schutzgebiete in Deutschland, teilweise auch eher kleinteilige Maßnahmen, wie etwa eben die Ackerrandstreifen, die nicht bewirtschaftet werden. Oder auch für die Feldlerche, die wir schon erwähnt hatten, die sogenannten Lerchenfenster, also Aussparungen in einer Getreidekultur, wo diese Bodenbrüter dann ihre Nester bauen können. Wie schätzen Sie die Wirksamkeit solcher Schutzmaßnahmen ein?
Böhning-Gaese: Grundsätzlich sind solche Schutzmaßnahmen prima und fördern die Artenvielfalt. Aber im Umfang und in der Flächendeckung ist das viel zu wenig, um den Rückgang der Artenvielfalt aufzuhalten. Wenn Sie da riesige, bewirtschaftete Äcker mit Mais oder mit Raps oder mit Wintergetreide haben, wo es weit und breit dann keinen Strauch und keine Hecke mehr gibt, da helfen dann auch Ackerrandstreifen im Zweifelsfall nicht mehr sehr, um die Artenvielfalt zu erhalten.
Reuning: Welche Folgen hat denn umgekehrt der Verlust von Tier- und Pflanzenarten für die Landwirtschaft?
Böhning-Gaese: Die Artenvielfalt trägt durchaus dazu bei, dass die Ökosysteme besser funktionieren. Zum Beispiel brauche ich bei vielen Kulturen Bestäuber. Wenn ich da so eine artenarme Landschaft habe, da fehlen die Wildbienen für die Bestäubung. Oder auch beim Boden. Da brauche ich auch eine große Vielfalt an Bodenorganismen, von denen ich zum Teil noch gar nicht weiß, welche es da alle gibt, die dazu führen, dass die organischen Stoffe im Boden abgebaut werden und dass der Boden fruchtbar bleibt. Das heißt, die Landwirtin kann hier auf die Hilfe der Tiere und Pflanzen durchaus zählen für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Flächen.
"Wir brauchen vielfältige Lösungen, die nicht nur den Landwirt in die Pflicht nehmen"
Reuning: Das Problem ist also durchaus erkannt. Gibt es denn so etwas wie eine Universallösung für dieses Problem des Artenschwunds in der Agrarlandschaft?
Böhning-Gaese: Das Problem ist ganz klar, dass die Landwirtin, der Landwirt diese Bewirtschaftung ja nicht zum Spaß in dieser Art über die letzten Jahrzehnte verändert hat. Dahinter liegt, dass sich unsere ganze Gesellschaft verändert hat und dass sich auch unser Konsumverhalten verändert hat. Die Landwirte versuchen, auf den Flächen hohe Produktionszahlen zu erreichen unter geringen Kosten – auch weil wir Konsumenten letztlich günstige Lebensmittel im Supermarkt kaufen wollen oder auch zum Teil kaufen müssen. Das heißt, der Landwirt, die Landwirtin ist eingebettet in ein gesellschaftliches Umfeld und ist fast gezwungen, in dieser Art und Weise zu wirtschaften. Das heißt, wenn ich hier etwas verändern möchte, dann brauchen wir vielfältige Lösungen, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen und nicht nur den Landwirt in die Pflicht nehmen.
Die EU sollte andere Anreize setzen
Reuning: Wie könnte das denn ganz konkret aussehen?
Böhning-Gaese: Ein ganz wichtiger Faktor ist die Umweltpolitik der EU. Hier werden derzeit im erheblichen Umfang Transferzahlungen für die Landwirte zur Verfügung gestellt, Direktzahlungen, die an die Fläche gekoppelt sind. Also jeder Landwirt kriegt aufgrund der bewirtschafteten Fläche, die er hat, eine bestimmte Zahlung. Aber diese Zahlung ist nicht daran gekoppelt, welche Bewirtschaftung der Landwirt für das Gemeinwohl leistet, also zum Beispiel für die Artenvielfalt leistet. Und wir empfehlen in unserer Stellungnahme, die Förderung der EU viel stärker an diesen Gemeinwohlleistungen auszurichten und vor allen Dingen die Stärkung der Agrar-, Umwelt- und Klimaprogramme vorzunehmen mit dem spezifischen Schutzziel dann auch, Arten und Biotope zu schützen.
Reuning: Wie sieht es denn aus auf Ebenen unterhalb der EU?
Böhning-Gaese: Letztlich müssen wir auf ganz verschiedenen Ebenen ansetzen. Da sind auch die Kommunen gefordert, die in ihrem Verantwortungsbereich auf ihren Flächen dafür sorgen sollten, dass die Artenvielfalt erhalten und gefördert bleibt. Da sind aber auch der Handel und die Märkte gefordert, dass biodiversitätsfreundliche Produkte ausgewiesen sind, dass es lokale Verwertungsketten in der Landwirtschaft gibt, dass ich überhaupt in meinem Supermarkt regionale Produkte kaufen kann. Und da sind dann auch vor allem wir Konsumenten gefordert, dass wir bereit sind, für Produkte, die in einer biodiversitätsfreundlichen Landwirtschaft entstanden sind, auch mehr zu bezahlen und diesen besseren, diesen wertigen Lebensmitteln, gesünderen Lebensmitteln auch einen höheren Wert zu geben und da auch bereit zu sein, mehr dafür auszugeben.