Laut Bundeskriminalamt nimmt die Polizei täglich 200 bis 300 Vermisstenfahndungen auf – und löscht jeden Tag ungefähr genauso viele Fahndungen wieder, weil sie sich erledigt haben. Übrig bleiben am Ende wenige Vermisste, sie gehen in die so genannte Inpol-Statistik ein – das heißt, sie sind bei allen deutschen Polizeidienststellen zur Fahndung ausgeschrieben.
Serie "Statistik & Story" – Statistiken und die Geschichten dahinter
- 7073 Menschen sind 2020 durch Tretminen gestorben: Wer stellt die heimtückischen Waffen noch her?
- 90 Milliarden Bäume: Wem gehört der deutsche Wald?
- 188 Milliarden Kubikmeter Wasser: Der Verteilungskampf hat begonnen
- 50.000 Menschen arbeiten als Sterbebegleiter: Sterben als Teil des Lebens
- 160.000 ziviele Passagierdrohnen im Jahr 2050? Milliarden-Investitionen in Flugtaxis
Manuskript
Martin Cornils, Sachgebietsleiter Personenfahndung des Landeskriminalamts Bayern: „Also wir hatten 2020 in Bayern insgesamt 8.952 geklärte Vermissungen. Und das sind 96,4 Prozent aller Vermissungen.“ Bundesweit blieben rund drei Prozent der Fälle länger als ein Jahr unaufgeklärt, so das Bundeskriminalamt. Das bedeutet auch, dass die meisten Fälle aufgeklärt werden, viele schon nach wenigen Tagen, sagt Martin Cornils für das Landeskriminalamt Bayern.
„Wir haben es tatsächlich mal aufgeschlüsselt nach Vermissungsdauer. Und da ist es so: Von insgesamt 9.290 Fällen sind 7.040 bereits von einer Dauer bis zu drei Tagen aufgeklärt worden. Das heißt, wenn ich das jetzt ins Verhältnis setze, dann sind das zwei Drittel, die innerhalb der ersten drei Tage geklärt werden. Geklärt heißt: Die Person ist entweder da oder wird tot aufgefunden.“
Banale Gründe, tragische Schicksale und schwere Kriminalfälle
Auch für das gesamte Bundesgebiet gilt diese Quote: Zwei Drittel der Fälle lassen sich innerhalb der ersten drei Tage klären. Wenn eine Person in Deutschland vermisst wird, dann kann das ganz banale Gründe haben – aber es können auch tragische Schicksale und manchmal auch schwere Kriminalfälle dahinterstecken.
Hinter den Zahlen der Vermissten in Deutschland verbergen sich demente Senioren und Seniorinnen genauso wie minderjährige Geflüchtete auf der Suche nach Familienangehörigen, manchmal noch Schlimmeres. Axel Petermann leitete bis zu seiner Pensionierung die Mordkommission in Bremen.
„Ich stehe als Ermittler vor der Frage: Warum ist dieser Mensch weg? Ist es freiwillig gewesen? Ist es möglicherweise ein Unfall, der das Wiederauftauchen verhindert? Kann es ein Suizid gewesen sein oder ist möglicherweise ein Verbrechen geschehen?“
Wann gilt ein Mensch als vermisst?
Wann ein Mensch als vermisst gilt, hängt ganz von seinem Alter und seiner Konstitution ab, sagt Martin Cornils vom LKA Bayern.
„Polizeilich gesehen ist es so, dass der Erwachsene erst dann als vermisst gilt, wenn er seinen gewohnten Lebenskreis verlassen hat – und eine Gefahr anzunehmen ist, das heißt beispielsweise, er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, oder beispielsweise, er ist krank, er hat eine Erkrankung, die eine dauernde Medikation erfordert, und wenn er nicht innerhalb von zwölf Stunden seine nächste Medikation bekommt, dann besteht Lebensgefahr.“
Der Anteil der dementen Menschen an der Vermissten-Statistik, die nicht mehr nach Hause oder ins Altenheim zurückfinden, wird von Ermittlern als hoch eingeschätzt. Auch bei diesen Fällen besteht Lebensgefahr für die vermisste Person, auch hier leitet die Polizei die Fahndung ein.
Im Normalfall aber ist das Verschwinden aus der angestammten Umgebung nicht gesetzlich geregelt, eine Fahndung nicht die Regel.
Verschwinden ist keine Straftat
„Es gibt diesen Typen, der sagt, ich gehe zum Zigarettenholen, und kommt nie wieder zurück. Den gibt’s, und der wird natürlich auch als vermisst gemeldet. Und wenn einer nicht gefunden werden will, dann denke ich, wenn er auch noch die nötige Intelligenz besitzt, wird er sich auch nicht finden lassen.“
Und grundsätzlich ist das bei Volljährigen auch kein Vergehen. Nach dem Grundgesetz-Artikel elf genießen alle Deutschen Freizügigkeit im Bundesgebiet. Und deshalb ist „das Abhauen“ an sich kein Fall für die Polizei. Treffe eine Streife einen vermissten Erwachsenen etwa bei einer Polizeikontrolle gesund und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte an, so lösche sie die Vermisstenfahndung – und zwar ohne Angehörige darüber zu informieren, wo sie die Person gefunden habe.
Schließlich gilt für Erwachsene das freie Aufenthaltsbestimmungsrecht, sagt der LKA-Experte: „Aber die Kollegen, die draußen kontrollieren. Die werden natürlich dem Vermissten sagen: ‚Es gibt jemanden, der macht sich Sorgen um Sie. Und es wäre ganz schön, wenn Sie sich mal bei dem melden würden.‘“
Es klingt paradox: Im öffentlichen Raum gibt es immer mehr Überwachungskameras. Und dennoch können auch heute Menschen verschwinden. „In der Regel ist es ja so, wir sind krankenversichert, wir haben einen Job, wir haben eine Familie. Also ich glaube, das ist das größere Regulativ – und nicht die Kameras, die herumhängen.“
Sonderfall – Vermisste Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche dürfen ohne Erlaubnis eines Erziehungsberechtigten nicht über ihren Aufenthaltsort bestimmen, erklären die Behörden. Bei ihnen geht die Polizei vorsorglich von einer Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit aus. Minderjährige machen laut Bundeskriminalamt rund die Hälfte aller Vermisstenfälle aus. Vor allem Jugendliche rissen öfter von zu Hause aus – Gründe seien oftmals Probleme mit Eltern, Probleme in der Schule oder Liebeskummer. Darüber hinaus nennt die Polizei noch eine andere Gruppe. Die der so genannten Dauerstreuner.
„Es gibt ja Heime für Schwererziehbare und da gibt es tatsächlich welche, die abends nicht nach Hause kommen, und zwar regelmäßig. Und in diesen Einrichtungen ist es Usus, wenn um 22 Uhr der Jugendliche nicht wieder da ist, dann wird Vermisstenanzeige erstattet. Und die sind dann aber meistens am nächsten Tag wieder da.“
Unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge
Auch die gelernte Sozialpädagogin Helen Sundermeyer kennt die Situation von Jugendlichen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe leben. Sie arbeitet für den Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Diese Gruppe, kurz UMF, sticht in den Statistiken über vermisste Jugendliche besonders hervor. Vor allem in den Jahren 2015 und -16 wurden viele von ihnen in deutschen Einrichtungen aufgenommen. Zahlreiche verschwanden bald wieder.
Helen Sundermeyer: „In einigen Fällen kann man mutmaßen, dass sie weitergereist sind in ein anderes europäisches Land zu Familienangehörigen. Und wenn die dort wieder auftauchen und registriert werden, dann gibt es da keinen Datenbankabgleich. Es gibt dann keine Möglichkeit, dass meinetwegen die schwedischen Behörden sagen: Hier, der Jugendliche ist bei uns, und dann kommt der aus der Vermisstendatenbank raus. Also da gibt es viele, die sicherlich auch irgendwo anders wieder auftauchen, ohne dass es hier registriert ist. Und das kann dann auch innerhalb Deutschlands der Fall sein: Die reisen dann zu Familienangehörigen, werden da vom Jugendamt zwar irgendwie registriert aber nicht aus der Vermisstengeschichte rausgenommen.“
Ein zusätzliches Problem für Behörden – unterschiedliche Schreibweisen für ein und denselben Namen. Das BKA kann die Zahlen daher nur annähernd schätzen. 2016 gab es knapp 10.000 Vermisstenfälle – was gut jedem sechsten unbegleiteten Minderjährigen in Deutschland entspricht, hier ließen sich etwa neun von zehn Fällen aufklären. Doch landen die restlichen, jungen Vermissten alle bei Verwandten? Helen Sundermeyer hat ihre Zweifel. Sie ist überzeugt, einige landeten auch in den Fängen von Menschenhändlern.
„Überall wo Druck im Spiel ist, wo Jugendliche unter Druck gesetzt werden – egal, ob zu sexuellen Dienstleistungen, zum Verkauf von irgendwas angestiftet, zum Klauen oder so – ist eigentlich alles schon Menschenhandel. Dann gibt es diese ganz krassen Fälle, wo Jugendliche an andere Orte gebracht werden, was sicherlich auch manchmal der Fall ist. Die Aufklärungsrate ist total klein. Dass Jugendliche sich tatsächlich trauen zu sagen: Ich werde unter Druck gesetzt von jemandem, ist wirklich sehr selten.“
Inzwischen sind die Zahlen der ankommenden Geflüchteten stark gesunken. Und somit auch die Zahl unbegleiteter Minderjähriger. Während in den Jahren 2015 und 2016 Behörden und auch die Vormunde stark überlastet gewesen seien und sich daher nur wenig um die Langzeitvermissten hätten kümmern können, würde das Problem nun ernster genommen.
„Da hat sich Jugendhilfe sehr stark gemacht und gesagt: Nein. Jugendhilfe bedeutet Orientierung – und Orientierung ist genau das, was Jugendliche brauchen. Denn sie kennen hier keinen, und sie kennen das System nicht, sie kennen die Kultur nicht. Ich glaube diese Wahrnehmung: Naja, die verschwinden mal und kommen dann wieder – die ist gefährlich tatsächlich.“
Vermisste Kinder: Seltene aber viel beachtete Fälle
Wenn Kinder verschwinden, dann schlagen die Emotionen hoch – und zwar nicht nur bei Angehörigen und im unmittelbaren Umfeld der betroffenen Familien, sondern oft auch in der gesamten Öffentlichkeit. Fast täglich kursieren Meldungen in Zeitungen und Boulevardmagazinen über vermisste Kinder. So wie etwa der Fall der acht Jahre alten Julia, die im Oktober während einer Wanderung mit ihrer Familie im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet abhandenkam.
„Meine Damen und Herren, so wie es aussieht, haben wir Julia. Uns hat vor wenigen Minuten eine Nachricht aus Tschechien erreicht, dass wohl Waldarbeiter oder Förster ein stark unterkühltes aber unverletztes Mädchen gefunden hätten.“
So ein Polizeisprecher bei einer Pressekonferenz. Tagelang hatten mehrere Hundert Polizeibeamte das Waldgebiet durchforstet. Medien wie das Nachrichtenportal BR24 berichteten regelmäßig darüber in teils emotionalen Live-Schalten, so auch nach dem Auffinden.
„Das war ein Gänsehautmoment hier, wirklich nicht nur für die Rettungskräfte, die hier seit Sonntag im Einsatz waren, sondern auch für uns Berichterstatter. Man war hier wirklich den Tränen nahe.“
„Natürlich denke ich, bei den Medien hat es viel mehr Aufmerksamkeitswert, wenn ein Kind vermisst wird, als wenn ein Erwachsener vermisst wird. Kinder sind halt unsere Zukunft“, sagt Martin Cornils vom LKA Bayern. Die hohe Präsenz des Themas in der Berichterstattung, so das Bundeskriminalamt, suggeriere der Öffentlichkeit, dass Kinder häufig spurlos verschwänden, mitunter würden den Geschichten auch Theorien von Kinderpornografie beigemischt. Die Polizei unternehme nicht genug, so der Eindruck bei vielen Menschen.
Doch die Fakten machen klar, dass ein längeres Verschwinden eines Kindes relativ selten vorkommt: Zu 97,2 Prozent hätten sich Vermisstenfälle bei Minderjährigen des Jahres 2019 aufklären lassen, schreibt das BKA über die Bearbeitung von Vermisstenfällen. Aufgeklärt, so wie am Ende der Fall Julia.
Wie arbeiten die Behörden?
Wie alle Vermisstenfälle, die sich nicht in den ersten Stunden erledigen, wurde die Suchmeldung hier ans Landeskriminalamt weitergegeben, dann bundesweit verteilt und auch an das Nachbarland Tschechien.
„Es waren mehrere Hundertschaften der bayerischen Bereitschaftspolizei mit der Absuche befasst, Feuerwehr, THW, soweit ich weiß. Da wird dann natürlich bei Kindern, wo auch davon auszugehen ist, es ist kalt im Wald und man weiß nicht, wie lange das Kind da wirklich ohne fremde Hilfe überleben kann. Deswegen zählt da jede Minute, und wird natürlich an Manpower reingetan, was möglich ist.“
Das bestätigt auch der pensionierte Mordermittler Axel Petermann. „Die Suche nach dem Kind, das Wohl des Kindes – das steht ganz vorne an. Also ich denke mal, der Aufwand, der hier von der Polizei getroffen wird, ist immens und nicht vergleichbar mit anderen Suchmaßnahmen.“
Zur Aufklärung in die Situation der Vermissten versetzen
Bis heute geht Axel Petermann ungelösten Vermisstenfällen nach. Und beginnt damit, indem er sich ein Bild von der vermissten Person macht.
„Das ist jetzt nicht einfach die Frage an die Eltern: Wie verhält sich eure Tochter, euer Sohn in bestimmten Situationen? Es wären auch Gespräche mit Freunden, mit der Lehrerin, mit der Kindergärtnerin. Also möglichst breitgefächert, um eine Einschätzung vornehmen zu können, wie ein Kind sich in bestimmten Situationen verhalten würde, oder ob es Hinweise darauf gibt, dass zu Hause Stress drohte oder Stress schon gewesen ist, ob möglicherweise ein Missbrauch oder andere Übergriffe doch häufiger geschehen sind.“
Und gerade in den letzteren Fällen sei es wichtig zu unterscheiden. Auch wer eine Vermisstenanzeige aufgibt, könne mehr wissen als er oder sie zugebe.
„Alle drei Tage stirbt eine Frau aufgrund der Gewalt, die sie von einem Mann erfahren hat. Also, ich muss auch diese Möglichkeit, dass zwar eine Vermisstenanzeige erstattet wurde – da muss ich trotzdem mit der Möglichkeit rechnen, dass auch innerfamiliär etwas gewesen sein könnte und dass die Anzeige letztendlich nur eine Inszenierung darstellt, um von sich als logischem Täter abzulenken.“
So wurde etwa der in München lebende Roman H. Anfang des Jahres wegen Totschlags zu 14 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht ist überzeugt, dass er für das Verschwinden seiner Frau und seiner Stieftochter verantwortlich war. Er hatte 2019 eine Vermisstenanzeige gestellt. Die mutmaßlichen Leichname der Frau und des Mädchens sind bis heute nicht aufgetaucht.
Vernetzung in Europa und unaufgeklärte Fälle
Schon längst ist die Suche nach Vermissten nicht mehr auf die Landesgrenzen beschränkt. In einem Europa der offenen Grenzen sei auch die Suche international, sagt Martin Cornils vom LKA Bayern.
„Bei den Vermissten ist es Pflicht, dass man sie nicht nur national zur Fahndung ausschreibt, sondern im gesamten Schengen-Bereich. Das heißt, jede bei uns als vermisst gemeldete wird Schengenweit ausgeschrieben. Das heißt, bei einer Kontrolle wird er dann auch festgestellt. Und an den Schengen-Außengrenzen gibt es ja Kontrollstellen. Spätestens dann, wenn er den Schengen-Bereich verlassen will und wird kontrolliert, wird er auffallen.“
Auch wenn kein Verbrechen dahintersteckt: Vermisstenanzeigen können sich über Jahre hinziehen – und zu so genannten Cold Cases werden.
„Manchmal findet sich eben keine Lösung, manchmal kann nicht gesagt werden: Dein Mann, deine Frau, dein Kind ist getötet worden, weil folgendes Motiv vorgelegen hat. Manchmal hat man die Opfer auch gar nicht gefunden. Manchmal kann man den Angehörigen keine Erklärung auf bange Fragen, die sie haben, geben.“
Dann stehen die Angehörigen oft vor einer komplizierten Situation. Marion Waade vom Verein ANUAS e.V. betreut diese Menschen im akuten Ernstfall.
„Also ich sage mal: Ausnahmesituation hoch zehn, mit Sicherheit bei allen. Der Umgang danach, wie die Angehörigen mit dieser Situation umgehen, ist sehr unterschiedlich und individuell gestrickt, je nach der Persönlichkeit: Es gibt Menschen, die sich in irgendwelche Vermutungen verrennen und irgendwelche Thesen aufstellen, was gewesen sein könnte. Es gibt aber auch Menschen, die sagen: Also, wenn jetzt hier nichts passiert, dann mach ich es selber, die also eher teilweise in die Aggression schon reingehen.“
Die Probleme der Angehörigen seien vielschichtig: Die Sorge um die vermisste Person, die Sorge um den guten Ruf in der Nachbarschaft – und natürlich die Sorge, dass die Polizei nicht genügend suche.
„Wir versuchen jetzt hier erstmal zu entlasten und zu stabilisieren. Wir zeigen auf, welche Tätigkeiten die Polizei macht. Wir hören uns an, was haben sie gemacht, und würden dann versuchen, gemeinsam mit der Polizei nochmal ein Gespräch zu führen, wo man konkretisiert und sagt, also das ist uns möglich, das hier geht über unsere Grenzen.“
Der Verein ANUAS e.V. vernetzt Angehörige mit ehemaligen Betroffenen, die sich der vielen Sorgen in Gesprächen annähmen – und vor allem der Sinnsuche: Oft würden durchaus denkbare Theorien für das Verschwinden nicht akzeptiert, zum Beispiel, dass Personen einfach weglaufen – oder, dass sie Suizid begangen haben.
„Das Urvertrauen bei diesen Menschen ist komplett weg, ist komplett zerstört. Egal, ob wir jetzt beim Mordfall, beim Vermisstenfall oder sonst irgendwo sind. Ich weiß, dass sehr viel möglich ist. Das habe ich gelernt in den letzten 14 Jahren. Ich würde jetzt nicht unbedingt alle in die Verschwörungstheorien schieben. Wenn ich merke, dass es in die Richtung geht, dann müssen gesonderte Gespräche geführt werden, solange die Angehörigen das zulassen. Wenn die Angehörigen das nicht zulassen, dann müssen wir uns von ihnen trennen, weil wir dann nicht helfen können.“fMit einem Vermisstenfall abzuschließen, über den Verlust des geliebten Menschen zu trauern – das gelinge erst einmal nicht. Schließlich wolle man nichts unversucht lassen.
„Ich hatte neulich eine betroffene Mutter, deren Kind vermisst ist, und die hat gesagt: Also, Frau Waade, jeder erzählt mir, ich soll trauern, mein Kind ist bestimmt schon tot – finde ich ganz entsetzlich die Aussage, nicht nur die Mutter, sondern auch ich – sie sagte: Ich habe gar keine Zeit für die Trauer, weil ich so viele Behördengänge habe, so viele Sorgen und Nöte. Ich versuche alle möglichen Stellen, die mir angeboten werden, abzuklappern.“
Der Ermittler Axel Petermann, der auch Schirmherr für den Verein ANUAS e.V. ist, spricht eine Tatsache aus, die hart ist, aber die auch Marion Waade so unterstreichen würde.
„Ich weiß auch, dass manchmal die Klarheit: Er kommt nicht mehr zurück, er oder sie ist tot – und ich weiß, wo die Leiche liegt, eben auch sehr dazu beitragen kann, abzuschließen mit dem Thema und auch einen Ort der Trauer zu haben und da müssten wir eigentlich alles für tun, dass das diesen Angehörigen auch ermöglicht wird.“
Für eine weiterführende Betreuung von Angehörigen bedürfe es regelmäßiger Seminare und mehr Unterstützung vom Staat.