Die palästinensische Regierung lehne alle Maßnahmen ab, die sich gegen Zivilisten richten, sagte der Diplomat Saleh Abdel Shafi . Doch sei der Ursprung des Problems der israelische Siedlungsbau in den Palästinensergebieten. Die Frage, ob die palästinensische Einheitsregierung von Hamas und Fatah auseinander brechen würde, sollte sich die Hamas als verantwortlich für die Entführung der Jugendlichen erweisen, wies Shafi als spekulativ zurück.
Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern: Ein ganzes Land zeigt seine Sorge. "Bring our Boys back home" – hinter diesem Hashtag vereinen sich derzeit die Israelis. Die Boys, das sind Naftali, Gilad und Eyal, drei Teenager, die in der vergangenen Woche im Westjordanland, in den besetzten Gebieten also, entführt wurden. Die israelische Regierung hat Tausende Sicherheitskräfte in Marsch gesetzt, um die Jungs zu suchen. Mehrere hundert Palästinenser sind mittlerweile verhaftet worden. Ob sie aber etwas mit der Entführung zu tun haben, das ist fraglich. Israels Regierungschef Netanjahu vermutet die Hamas hinter dem Kidnapping. Die israelische Luftwaffe hat in der vergangenen Nacht Stützpunkte der Islamisten-Organisation im Gazastreifen beschossen. Bahnt sich da also ein weiterer Großkonflikt an?
Bei uns am Telefon ist Saleh Abdel Shafi, der Botschafter Palästinas in Österreich. Guten Tag, Herr Botschafter.
Saleh Abdel Shafi: Guten Tag.
Kapern: Herr Abdel Shafi, wer steckt hinter der Entführung der drei israelischen Jugendlichen?
Abdel Shafi: Das wissen wir noch nicht. Schließlich wurden die drei entführt, oder sie sind verschwunden in einem Gebiet, was total unter israelischer Kontrolle steht, und deswegen muss Israel die Antwort darauf geben, aber basierend auf Fakten und keine Spekulationen.
Kapern: Aber Israel gibt ja schon die Antwort und sagt, es sei die Hamas gewesen.
Abdel Shafi: Das sind Spekulationen. Ich glaube, das ist politisch motiviert. Noch mal müssen wir betonen, dass die drei verschwunden sind in einem Gebiet, was total unter israelischer Sicherheitskontrolle steht. Unsere Sicherheitskräfte dürfen in diesem Gebiet überhaupt nicht operieren. Und übrigens: Ein hochrangiger Offizier der israelischen Polizei hat heute nicht ausgeschlossen, dass die drei von organisierten Kriminellen entführt wurden. Das ist, was die israelischen Medien heute berichtet haben.
Kapern: Nun hat die Hamas ja schon manches Mal in Gebieten, die unter israelischer Kontrolle stehen, Dinge angestellt, die den Israelis nicht passen, und der israelische Geheimdienst ist normalerweise ziemlich gut informiert über das, was in der Hamas vorgeht. Ist das also tatsächlich nur Spekulation?
Hamas weise Schuld von sich
Abdel Shafi: Ja, das sind noch Spekulationen. Israel hat noch keine Fakten vorgelegt, die zeigen, dass Hamas wirklich dahinter steckt. Hamas hat sich davon distanziert übrigens, hat gesagt, wir sind dafür nicht verantwortlich. Noch mal: Wenn diese Gebiete unter israelischer Kontrolle stehen, dann haben wir als Behörden damit nichts zu tun.
Kapern: Mahmud Abbas, der Palästinenserpräsident, hat die Entführung verurteilt. Die israelische Regierung beklagt sich aber dennoch, dass die Palästinenser nicht ausreichend helfen, um die Jugendlichen zu finden und zu befreien. Was ist da dran?
Abdel Shafi: Die Frage ist, wie können wir helfen, wenn wir nicht mal in den Gebieten, wo wir unter Kontrolle sind, unsere Sicherheitskräfte nicht operieren dürfen. Wie Sie ja wissen und wie in Ihrem Bericht gesagt wurde, dass die Israelis auch in Gebiete eingedrungen sind, die unter totaler palästinensischer Kontrolle stehen, und dabei dürfen die palästinensischen Sicherheitskräfte nicht operieren, auch in diesen Gebieten übrigens. Und deswegen die Frage ist: Wie sollen wir helfen, wenn uns die Hände gebunden werden von den Israelis?
Kapern: Mal angenommen, Herr Abdel Shafi, es würde sich herausstellen, dass tatsächlich die Hamas hinter der Entführung steckt, was bedeutet das dann für die Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas und für die Bildung der gemeinsamen Regierung? Erweist sich das dann als Fehlweg?
Abdel Shafi: Nein. Wissen Sie, die Regierung der Einheit wurde zwar als Ergebnis einer Vereinbarung zwischen Hamas und Fatah gewertet. Allerdings die Mitglieder dieser Regierung gehören weder Fatah, noch Hamas an. Das ist eine Regierung von Technokraten und keine politische Regierung. Zweitens: Das ist eine spekulative Frage. Wie gesagt: Es muss erst nachgewiesen werden, dass tatsächlich Hamas dahinter steckt.
Kapern: Sind Entführungen von Kindern Ihrer Ansicht nach ein legitimes Mittel im Kampf gegen die israelische Besatzung?
Shafi verurteilt Maßnahmen, die sich gegen Zivilisten richten
Abdel Shafi: Nein, selbstverständlich nicht. Alle Maßnahmen, die sich gegen Zivilisten richten, werden von uns abgelehnt. Allerdings müssen wir hier auch betonen, alle israelischen Siedler, die sich auf unserem Territorium befinden, sind illegal da nach Recht des internationalen Rechts. Siedlungen sind illegal und demzufolge auch Siedler sind illegal auf palästinensischem Territorium. Das sagen nicht nur wir, das sagt die Europäische Union, das sagt die amerikanische Administration und das sagt die vierte Genfer Konvention, die Besatzungsmacht darf nicht ihre eigene Bevölkerung in das besetzte Gebiet umsiedeln.
Kapern: Aber um das klarzustellen, Herr Abdel Shafi: Obwohl diese Siedler illegal dort sind im Westjordanland, dürfen sie Ihrer Ansicht nach nicht Ziel von Angriffen werden?
Abdel Shafi: Ich habe gesagt, wir sind prinzipiell gegen Angriffe auf Zivilisten, egal welche Nationalität diese Zivilisten haben. Aber der Ursprung dieses Problems liegt darin, dass da illegal Siedler sich auf palästinensischem Territorium befinden, und deswegen die Lösung dieses Problems ist, dass die israelische Besatzung beendet werden muss, dass die Siedlungspolitik beendet werden muss. Dadurch nur kann man dieses Problem lösen.
Kapern: Nun haben wir erlebt, Herr Abdel Shafi, dass Israel Tausende von Soldaten in die Westbank geschickt hat, um die drei Jugendlichen zu suchen. Wir haben gesehen, dass es einen Raketenabschuss aus dem Gazastreifen Richtung Aschkelon gegeben hat. Der ist beantwortet worden mit Luftangriffen der israelischen Luftwaffe. Wohin führt diese Eskalation?
Abdel Shafi: Die Eskalation wird zu weiteren Eskalationen führen, zum Ausbruch von Gewalt, und deswegen sagen wir, es gibt nur eine politische Lösung und diese politische Lösung ist bekannt in der ganzen Welt, und zwar die Errichtung eines souveränen palästinensischen Staates neben dem Staat Israel. Es wird niemals Frieden für Israel geben, solange die Palästinenser unter Besatzung leben, und deswegen: Gewalt führt zu Gegengewalt. Diese Spirale der Gewalt und der Eskalation kann nur politisch beendet werden. Das kennen wir seit den letzten 60 Jahren. Das ist eine Geschichte, die sich ständig wiederholt, und deswegen müssen die Parteien, muss Israel endlich begreifen, Sicherheit für Israel wird es nur geben, wenn es auch Sicherheit und Souveränität für die Palästinenser geben wird.
Kapern: Sie haben ja eben den Beitrag mitgehört, Herr Abdel Shafi. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Verwaltungshaft, die gegen palästinensische Häftlinge verhängt wird, einen Zusammenhang zwischen dem Hungerstreik dieser Häftlinge und den Entführungen? Was denken Sie?
Abdel Shafi: Nein! Ich glaube nicht, dass da ein Zusammenhang besteht. Das Problem der palästinensischen Häftlinge, die unter administrativer Haft übrigens leiden, ist ein altes Problem. Das ist nicht ein Problem von heute, dieses Problem hat schon angefangen mit der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete 1967. Ich sehe da deswegen keinen Zusammenhang. Und zweitens: Es ist wie gesagt noch nicht bewiesen, dass Palästinenser hinter dem Verschwinden der drei israelischen oder der drei Siedler sind.
Kapern: Der Botschafter Palästinas in Österreich, Saleh Abdel Shafi, heute mittag im Deutschlandfunk. Herr Abdel Shafi, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch. Vielen Dank und einen schönen Tag noch.
Abdel Shafi: Bitte schön! Gerne! – Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.