Michael Böddeker: In China wurden also Zwillinge geboren mit dem Namen Lulu und Nana und was wir gerade gehört haben, war Forschungsleiter He Jiankui von der Universität in Shenzhen. In einem Internet-Video berichtet er über Lulu und Nana, denn die beiden sind angeblich vor ein paar Wochen genetisch verändert zur Welt gekommen. Und wenn das stimmt, dann sei das ein Super-Gau für die Wissenschaft, so sieht es zumindest der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, der Theologe Peter Darbrock. Für uns hat Michael Lange nach Informationen zum Thema gesucht. Michael Lange, was genau behauptet denn dieser chinesische Forscher, gemacht zu haben?
Michael Lange: Dieser Wissenschaftler hat die Genschere CRISPR/Cas 9 verwendet, die in den letzten Jahren ja für sehr viel Aufsehen gesorgt hat und mit der man viele Dinge machen kann, die bisher in der Gentechnik nicht möglich waren – vor allem viel einfacher.
Man hat ein Gen kaputtgeschnitten im Grunde genommen, bei embryonalen Zellen, das Gen CCR 5 und das codiert für ein Eiweiß, das gewissermaßen als Einfallspforte für den Aidserreger HIV 1 gilt. Und deshalb wurde dieses Gen auch zerstört bei Embryonen deren Vater HIV positiv ist.
So wollte der Wissenschaftler dann das Risiko einer HIV-Infektion für die Kinder ausschließen. Allerdings sagen andere Wissenschaftler, dass dieses Risiko der Infektion auch eigentlich sehr gering ist und dass man auch anders vorbeugen kann.
"Es gibt keine nachprüfbaren Daten"
Böddeker: Und all das ist auch nur angeblich passiert, das müssen wir immer dazu sagen. Woher stammt denn jetzt diese Nachricht von den genmanipulierten Babys? Und wie sicher ist die Information?
Lange: Das ist in der Tat sehr ungewöhnlich für ein Wissenschaftsergebnis. Es gibt überhaupt keine wissenschaftliche Publikation, es gibt keine nachprüfbaren Daten. Kein unabhängiger Wissenschaftler hat sich mit den Experimenten, nicht einmal mit den Labortagebüchern beschäftigt, das heißt wir sind hier wirklich allein auf die Informationen dieses Wissenschaftlers angewiesen. Der hat ein Video gedreht.
Seine eigene Universität – die Universität Shenzhen – distanziert sich übrigens inzwischen davon – zumindest von dem Vorgehen des Wissenschaftlers. Und dieses Video und die Nachricht von den genmanipulierten Kindern wurden dann über die Nachrichtenagentur AP verbreitet. Also das ist für Wissenschaftler immer noch recht unglaubwürdig, aber der Wissenschaftler ist renommiert.
Man wusste, dass er in diesem Feld arbeitet und deshalb wird jetzt doch ernsthaft darüber diskutiert, es könnte wirklich passiert sein.
Fraglich, ob der Eingriff als Therapie zu werten ist
Böddeker: Wenn sich die Informationen bestätigen, handelt es sich dann um die erste Keimbahntherapie am Menschen?
Lange: Ja, es handelt sich um einen Eingriff in die Keimbahn, das heißt die Kinder, zumindest eines der beiden Kinder ist in sämtlichen Körperzellen genetisch verändert und gibt diese Erbinformation auch an die nächste Generation weiter. Das ist ja die Grundbedingung für eine Keimbahntherapie.
Die Frage ist allerdings, ob man hier wirklich von einer Therapie sprechen kann, denn es ist ja gewissermaßen ein Vorbeugen. Die Kinder sind ja nicht krank. Und im Vorfeld wurde immer diskutiert, dass man diese Technik nur bei schwer kranken Kindern oder erst wenn eine sehr schwere Krankheit droht anwenden sollte. Das ist hier möglicherweise nicht der Fall.
Die gleiche Forschung wird übrigens auch in der somatischen Gentherapie gemacht, d.h. da werden Zellen im Labor verändert, die dann in infizierte Patienten gegeben werden sollen. Diese Forschung findet auch in Deutschland statt, ist aber längst noch nicht soweit und dabei wird ja nicht die Keimbahn verändert und nicht in die Evolution eingegriffen.
Krebsrisiko aufgrund des gentechnischen Verfahrens
Böddeker: Wie sicher ist jetzt dieser Eingriff in die Keimbahn? Sprich: Sind diese beiden Babys sicher vor Nebenwirkungen?
Lange: Nein. Es hat in den letzten Monaten immer wieder Ergebnisse gegeben, dass die Genschere Crispr/Cas nicht so genau ist, wie anfangs besprochen. Es gibt so genannte Off Target Effects, d.h. die Genschere schneidet an der falschen Stelle, das kommt immer wieder vor.
Lange: Nein. Es hat in den letzten Monaten immer wieder Ergebnisse gegeben, dass die Genschere Crispr/Cas nicht so genau ist, wie anfangs besprochen. Es gibt so genannte Off Target Effects, d.h. die Genschere schneidet an der falschen Stelle, das kommt immer wieder vor.
Man hat auch Umordnungen des gesamten Erbgutes gefunden, die ein Krebsrisiko darstellen. Und diese Fehler hat man anscheinend nicht gefunden. Es ist aber unklar wie genau das überhaupt untersucht wurde. Ich sehe da auf jeden Fall auch ein Risiko, das noch abgeklärt werden muss.
Böddeker: Was heißt das jetzt alles für die internationale Regulierung und die Diskussion innerhalb der Wissenschaft?
Lange: Die Wissenschaft ist wirklich schockiert, ganz einfach, weil die eigenen Regeln der Wissenschaft hier nicht eingehalten wurden. Es soll ab morgen in Hongkong diskutiert werden, was man denn machen soll. Man bräuchte jetzt einen Fahrplan. Was muss man erst klären, bevor man solche Experimente auch nur ansatzweise gewagt werden können.
Lange: Die Wissenschaft ist wirklich schockiert, ganz einfach, weil die eigenen Regeln der Wissenschaft hier nicht eingehalten wurden. Es soll ab morgen in Hongkong diskutiert werden, was man denn machen soll. Man bräuchte jetzt einen Fahrplan. Was muss man erst klären, bevor man solche Experimente auch nur ansatzweise gewagt werden können.
Und hier prescht nun ein einzelner Wissenschaftler vor und stellt sozusagen die Welt und auch die Wissenschaft vor vollendete Tatsachen. Und zum Beispiel Christiane Woopen sagt: "Das verstößt gegen internationale Menschenrechtsdokumente. Das sollte die internationale Gemeinschaft nicht dulden." Also, Ethiker aber auch Wissenschaftler fordern jetzt wirklich Gegenmaßnahmen und sind wirklich geschockt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.