Der 4. August 1964 ist Daniel Ellsbergs erster Arbeitstag im Pentagon. Der 33-jährige Analyst und Politikberater hat morgens an seinem neuen Schreibtisch noch nicht Platz genommen, da reicht ihm ein Kurier ein Blitztelegramm:
"Amerikanische Kriegsschiffe im Golf von Tonkin vor der nordvietnamesischen Küste beschossen."
Im Minutentakt treffen weitere Kabel ein, von immer neuen Angriffen wird berichtet. Lyndon B. Johnson reagiert schnell. Vom Kongress erbittet er grünes Licht, militärische Gegenschläge anordnen zu dürfen, auch ohne offizielle Kriegserklärung. Außerdem fordert er Geld, viel Geld, für Operationen im Kampf gegen die Kommunisten in Nordvietnam.
Tonkin-Resolution - Irrtum der US-Kriegsführung
Mit der so genannten Tonkin-Resolution bekommt der Präsident beides. Innenpolitisch ein Riesenerfolg. Johnson will im Herbst wiedergewählt werden, und kann sich nun als Mann der Tat inszenieren:
"Unsere Regierung ist fest entschlossen, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Freiheit und Frieden in Südostasien zu verteidigen."
Die Tonkin-Resolution wurde zum Fundament eines elf Jahre wütenden Krieges, in dem 58.000 GIs ihr Leben verloren – und Millionen Vietnamesen. Was die Bürger der USA und auch Daniel Ellsberg damals nicht ahnten: Der Zwischenfall im Golf von Tonkin war keine nordvietnamesische Provokation. Die Amerikaner hatten das Feuer eröffnet. Ein übereifriger Admiral hatte Wind- und Wellengeräusche in der elektronischen Ortung für Torpedos gehalten.
Daniel Ellsberg - Whistleblower aus dem Pentagon
Dass man das heute weiß, ist eben Daniel Ellsberg zu verdanken. Jahrelang befürwortet er das amerikanische Engagement in Vietnam und schweigt - obwohl er Zeuge einer Lügen- und Vertuschungskampagne wird, mit der die höchste politische Ebene den Krieg in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen sucht. Dann kann er nicht mehr.
Am Abend des 1. Oktober 1969 schmuggelt Ellsberg zum ersten Mal Papiere, einige hundert Seiten, aus dem Safe der Rand Cooperation, dem Think Tank, wo er mittlerweile angestellt ist. Sie sind Teil einer internen Militärstudie, die der damalige Verteidigungsminister und Architekt des Vietnamkriegs Robert McNamara 1967 in Auftrag gab.
7.000 Seiten Enthüllungen über Vietnam
Auf insgesamt 7000 Seiten zeichnen die sogenannten "Pentagon Papers" nach, wie sich die USA tiefer und tiefer in einen Krieg verstrickten, den sie nicht gewinnen konnten, weil sie versuchten, einen bürgerkriegsähnlichen Konflikt in Südostasien mit Mitteln zu lösen, die sich im zweiten Weltkrieg bewährt hatten, wie der Historiker Bernd Greiner erklärt:
"Warum soll man nicht mit überlegener Militärmacht ein totalitäres System am Ende in die Knie zwingen können? Das war die gedankliche Falle, in der sich eine ganze Generation verheddert hatte."
Monatelang vervielfältigt Ellsberg Seite für Seite der brisanten Dokumente, nachts, heimlich. Ellsbergs 12-jähriger Sohn steht an der Tür Schmiere, seine Tochter entfernt von jedem Blatt den Hinweis "streng geheim". Dann geht Ellsberg zur New York Times. Am 13. Juni 1971 veröffentlicht die Zeitung erste Teile der "Pentagon Papers".
Anfang vom Ende von Nixons Präsidentschaft
Präsident Nixon ist außer sich, der New York Times wird gerichtlich untersagt, weitere Teile der Studie zu drucken. Die Washington Post übernimmt. So erfährt die amerikanische Öffentlichkeit, dass die Genfer Konvention verletzt worden ist. Dass gezielt militärische Erfolge verkündet wurden, als die Sache in Vietnam längst ausweglos war. Dass wissentlich amerikanische "Jungs" in den Tod geschickt wurden. Die Menschen gehen auf die Straße.
"We want peace in Vietnam."
Als Gerichte Daniel Ellsberg vom Vorwurf des Vaterlandsverrats freisprechen, setzt Präsident Nixon Geheimdienstler ein, um ihn auszuspionieren und zu Fall zu bringen. Dieselben Männer, die später den Einbruch ins Hauptquartier der Demokraten begehen: Watergate. Nixons Ende, 1974.
"I shall resign the presidency at noon tomorrow."
Daniel Ellsberg ist heute 90 Jahre alt. Zivilen Ungehorsam übt der Mann, der die Pentagon-Papiere leakte, noch immer. So wurde er 2011 verhaftet, als er mit einigen hundert Aktivisten vor dem Weißen Haus protestierte, gegen den Krieg im Irak.