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Verpasste Chance

Für Thüringens SPD-Justizminister Holger Poppenhäger ist es höchste Zeit, EU-Bürgern ohne deutschen Pass die Möglichkeit zu geben, an Landtagswahlen teilnehmen zu dürfen. Aus Bremen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gibt es positive Signale. Im eigenen Bundesland dagegen stellt sich der Koalitionspartner CDU quer.

Von Blanka Weber | 22.11.2012
    "Wie kann man die Existenz hier aufbauen? Wie komme ich klar mit der deutschen Sprache' Aber auch diese neue Kultur? Was bedeutet Integration für mich?"

    Luzyna Festag, 46 Jahre, weiß, wovon sie spricht, wenn es um Ausländer geht. Sie unterrichtet heute Migranten. Vor fünf Jahren kam die gebürtige Polin nach Thüringen, ist verheiratet und hat beide Staatsbürgerschaften – neben der polnischen auch die deutsche ihres Mannes.

    ""Ich glaube, man bleibt ein Leben lang Pole oder Franzose im Herzen, identifiziert mit dem Pass in der Tasche. Viele sagen ok. Also ich habe eine Freundin, die lebt seit 1992 hier und ist immer noch nur polnische Staatsbürgerin. Weil das für sie wichtig ist."

    Damit gehört die polnische Freundin zu denen, die zwar den Bürgermeister ihres Wohnortes und Abgeordnete fürs Europäische Parlament wählen dürfen – nicht aber jene, die für sie Landespolitik machen und im Bundestag sitzen.

    "Und sie würde aber auch gerne an den Wahlen in Deutschland teilnehmen, wie die anderen Mitbürger. Ich denke, entscheidend sollte nicht sein, welchen Pass man hat, sondern wie lange man hier lebt in Deutschland und ob man hier bleiben möchte."

    Ginge es nach dem SPD-Justizminister wäre es höchste Zeit, das zu ändern und EU-Bürgern die Möglichkeit zu geben, zumindest auch an Landtagswahlen teilnehmen zu dürfen. Dafür will sich Holger Poppenhäger in Brüssel, im Ausschuss der Regionen, stark machen. Gerade aus Thüringen müsse die Initiative kommen – nach dem NSU-Skandal, findet der Minister.

    "Und ich glaube, dass es für Thüringen ein gutes Signal wäre in Europa, wenn wir einer der Vorreiter wären auf dem Gebiet. Manchmal sind Zeichen, wenn es auch kleine Zeichen sind, sehr wichtig."

    Doch bis dahin scheint es noch ein weiter Weg zu sein, trotz der guten Signale aus Ländern wie Bremen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Im eigenen Bundesland aber hat es der SPD-Minister deutlich schwerer. Seine Hürde heißt CDU und ist Koalitionspartner in Thüringen. Poppenhäger hat sich mit seiner Initiative bei den Christdemokraten äußerst unbeliebt gemacht. Diplomatisch klingt er so:

    "Ich habe alle Fraktionen mittlerweile besucht. Ich könnte mir vorstellen, dass das jetzt noch zu Diskussionen innerhalb der Fraktionen führt, und ich sage mal: das Ende ist offen. Ich bin optimistisch."

    Der Minister setzt auf Prinzip Hoffnung beim fraktionsinternen Diskussionsprozess bei der CDU. Wie Carsten Meyer, der für die Grünen im Landtag sitzt.

    "Also wir sind als Bündnis 90/Die Grünen eindeutig dafür, dass es ein Wahlrecht auch für EU-Ausländer auch zum Landtag geben sollte in Thüringen. Das ist unserer Ansicht nach ziemlich überfällig, weil das Zusammenwachsen in Europa daran einen ganz wunderbaren neuen Aspekt bekommen könnte, der auch sehr positiv in der jetzigen EU-Krise wirken könnte."

    Die CDU allerdings kann dem Vorschlag nichts Positives abgewinnen. Denn dafür müsste erstmal die Verfassung geändert werden, und das sei kompliziert, sagt Mike Mohring – CDU-Fraktionschef:

    "Nein, es gibt dafür keine verfassungsändernden Mehrheiten, weder in Thüringen noch in Deutschland für das Grundgesetz. Und es ist auch nicht notwendig, weil der EU-Bürger in seinem jeweiligen Land, aus dem er stammt, natürlich seine Staatsgewalt als Staatsbürger ausüben kann und dort ja wählen kann, und deswegen muss man auch regeln, dass man nur einmal wählen kann, und deswegen ist dieses Wahlrecht für staatliche Gewaltausübung auch an die Staatsbürgerschaft geknüpft. Und das aufzulösen ist, glaube ich, nicht im Sinne unseres Grundgesetzes."

    Punkt. Diskussion beendet. Jedenfalls für den CDU-Fraktionschef. Der Justizminister aber will nicht nachgeben, ihm geht es um 11.000 Personen in Thüringen, die mittlerweile aus einem EU-Land zugezogen sind – sich aber nicht an jeder Wahl beteiligen dürfen, wenn sie nicht auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben. In Zeiten von Zuwanderung und Fachkräftebedarf, von einer neuen Willkommenskultur derer, die Akademiker suchen, müsse auch das Wahlrecht angepasst werden – meint der Sozialdemokrat Poppenhäger:

    "Die Frage, ob jemand, der sich beteiligen will, gleichzeitig Staatsbürger werden muss, über diese Frage sind wir längst hinweg, denn auch zur Europawahl und zur Kommunalwahl sind europäische Bürger, also Bürger der Europäischen Union wahlberechtigt. Und jetzt geht es darum, ob wir dieses Zeichen auch für Thüringen setzen können, und ich meine ja – wir können es!"

    Der Koalitionspartner bleibt hart. Für Mike Mohring ist das Thema damit erledigt. Der CDU-Fraktionschef sieht keinen Bedarf:

    "Und wir sagen, dass es Teil und sozusagen Höhepunkt einer gelingenden Integration ist, wenn man am Ende eine Staatsbürgerschaft eines Landes verliehen bekommt und damit auch vollständige Rechte ausüben kann."

    Luzyna Festtag kann das, sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Andere aber nicht:

    "Ich kann von meinen Integrationskursen sprechen. Wir haben immer mehr Italiener, auch Rumänen ganz viele aus Südeuropa. Die Menschen wollen ihre Existenz hier aufbauen und hier bleiben auch."

    Die sympathische Lehrerin und mit ihr der SPD-Jusitzminister haben die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. 2013 soll das "Europäische Jahr der Bürger" sein. Die Europäische Kommission hat das vorgeschlagen, da im kommenden Jahr die Unionsbürgerschaft 20 Jahre alt wird. Vielleicht ein passendes Datum für ein neues EU-Wahlrecht.