Seit knapp zehn Jahren breitet sich in den Südstaaten der USA eine Ameisenart aus, die ursprünglich aus Südamerika stammt. Ihr wissenschaftlicher Name ist Nylanderia fulva. Doch auch Biologen wie Edward LeBrun von der Universität von Texas in Austin nennen sie einfach nur Crazy Ants – die verrückten Ameisen.
"Der Name kommt daher, wie sich die Tiere bei der Futtersuche bewegen. Das wirkt sehr wirr. Sie gehen in eine Richtung, bleiben stehen, drehen sich, gehen in eine andere Richtung, bleiben wieder stehen, drehen sich. Und immer so weiter. Wenn man jetzt einen ganzen Haufen Ameisen vor sich hat, wirkt das so, als würden alle nur im Kreis rennen."
Crazy Ants haben allerdings noch eine weitere, auf den ersten Blick auch verrückt erscheinende Eigenschaft: An den Orten, an denen sie in den USA auftauchen, verdrängen sie häufig die bisher dort vorherrschenden Feuerameisen. Und das, obwohl gerade die Feuerameisen als allgemein sehr aggressiv und wehrhaft gelten.
"Die Feuerameisen besitzen eine sehr wirksame chemische Abwehr. Wenn sie gegen andere Ameisenarten kämpfen, scheiden sie an der Spitze ihres Stachels am Hinterleib tröpfchenweise Gift aus und schmieren es an die Flanken ihrer Gegner. Dieses Gift ist ein Insektizid und führt in relativ kurzer Zeit zum Tod. Deshalb vermeiden andere Ameisenarten es in der Regel, sich mit großen Gruppen von Feuerameisen anzulegen."
Die Crazy Ants halten sich nicht an diese Regel. Sie stürzen sich mutig in den Kampf. Edward LeBrun fragte sich, was die Crazy Ants anstellen, damit sie die Giftattacken der Feuerameisen überleben können. Er machte Versuche im Labor, wo er die Ameisen wie in einer kleinen Arena gegeneinander antreten ließ. Dabei konnte er ein eigenartiges Verhalten der Crazy Ants beobachten.
"Wenn die Crazy Ants in Kontakt mit dem Feuerameisengift gekommen sind, ziehen sie sich zurück. Sie stellen sich auf die Hinterbeine, schwingen ihren Hinterleib vor und führen dessen Spitze zu ihren Beißzangen am Mund. Dort geben sie dann einen Tropfen Ameisensäure ab. Anschließend ziehen sie ihre Beinchen durch diese Flüssigkeit und verteilen die Säure über ihren ganzen Körper. Nach dieser Behandlung rennen sie sofort wieder zu den Feuerameisen zurück und kämpfen weiter."
Offenbar wirkt die oberflächlich aufgebrachte Ameisensäure wie eine Entgiftungskur. Denn in den Versuchen überlebten alle Crazy Ants, die sich so behandelten, den Giftangriff der Feuerameisen. Andere Crazy Ants hingegen, denen Edward LeBrun vor den Testkämpfen ihre Säuredrüsen am Hinterleib mit Nagellack versiegelt hatte, starben. Auf welche Weise die Säure das Feuerameisengift entkräftet, ist noch ungeklärt. Der Ameisenforscher hat aber eine Hypothese:
"Das Gift der Feuerameisen ist eine Mischung aus fünf Piperidin-Alkaloiden, die ziemlich resistent gegen die Ameisensäure sein dürften. Aber das Gift der Feuerameisen enthält auch noch zwei Enzyme, die dazu dienen, Zellmembranen aufzubrechen. Sie sorgen dafür, dass die giftigen Alkaloide in die gegnerischen Ameisen hinein gelangen. Die Ameisensäure verändert wahrscheinlich diese Enzyme derart, dass das Gift die Außenhaut der Ameisen nicht mehr durchdringen kann."
Die Feuerameisen stammen ursprünglich auch aus Südamerika. Edward LeBrun vermutet, dass die Crazy Ants es im Zuge der Evolution dort gelernt haben, sich gegen die Feuerameisen durchzusetzen. Als eingeschleppte, invasive Art in den USA kommt ihnen nun diese Fähigkeit wieder zugute, wenn es darum geht, sich neue Lebensräume von den konkurrierenden Feuerameisen zu erobern.