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Versagen über Versagen

Technik. - Menschliches Versagen hat den Unfall der Bohrplattform Deepwater Horizon ausgelöst. Das berichtet ein Untersuchungskomitee der Nationalen Akademien der USA in seinem Zwischenbericht. Die Experten kommen zu dem Schluss, dass die Besatzung der Bohrplattform viele Fehlentscheidungen getroffen und Risiken falsch eingeschätzt hat.

Von Dagmar Röhrlich |
    Unverständnis herrscht bei der Expertengruppe, die untersucht hat, wie es zu dem Unglück der Deepwater Horizon am 20. April kommen konnte: Unverständnis über die vielen betrieblichen Fehler im Vorfeld des Unfalls:

    "Im Lauf der Untersuchung ist klar geworden, dass das Personal sowohl auf der Plattform, als auch an Land Entscheidungen getroffen hat, die erst die Voraussetzungen für den Blow-out schufen."

    Dabei seien manche Gedankengänge der Beteiligten einfach nicht nachvollziehbar, erklärt Donald Winter, Professor für Ingenieurwesen an der University of Michigan und Vorsitzender des Komitees. Die Probleme begannen, als das Probebohrloch, das die Deepwater Horizon gebohrt hatte, routinemäßig verschlossen werden sollte. Winter:

    "Unverständlich ist für uns, warum die Beteiligten versucht haben, das Bohrloch weiter zu verschließen, obwohl drei Versuche gezeigt hatten, dass der eingesetzte Betonpfropfen, der das Bohrloch sicher verschließen sollte, nicht dicht halten würde. Jeder einzelne dieser Tests hatte gezeigt, dass der Druck im Bohrloch zu hoch war. Ehrlich gesagt, konnte uns keiner der Beteiligten erklären, was er sich dabei gedacht hat."

    Die Beteiligten auf der Plattform hätten einfach entschieden weiterzumachen und sich noch nicht einmal mit den Ingenieuren an Land in Verbindung gesetzt, betont Donald Winter. Weder habe die gegenseitige Kontrolle funktioniert, noch seien die Risiken gesehen worden. Vielmehr ging es ihnen vor allem darum, Zeit und Geld zu sparen. Laut Zwischenbericht kam es dadurch zu acht zentralen Fehlentscheidungen. Nicht nur der Betonpfropfen war fehlerhaft, man hatte es sich außerdem beim Verschließen des Bohrlochs zu einfach gemacht:

    "Eines der Probleme war, den Druck im Bohrloch genau auszubalancieren. Dafür wird schwerer Bohrschlamm eingesetzt, der so eingestellt werden muss, dass sein Druck nicht zu niedrig ist. Sonst kann das Öl ausbrechen. Der Druck darf auch nicht zu hoch sein, weil er sonst das Gestein sprengen und alle möglichen anderen Probleme kreieren könnte. Aber bei diesem Bohrloch ist die geologische Situation komplex: Man hat es mit verschiedenen Schichten zu tun, die unterschiedliche Eigenschaften aufweisen - und damit gibt es nur ein schmales Fenster, in dem das Gewicht des Schlamms für alle Zonen gerade richtig ist. Trotzdem hat man die Entscheidung getroffen, alle Zonen sozusagen in einem Rutsch zu schließen, anstatt einen schrittweisen Ansatz zu wählen."

    Neben Fehlentscheidungen wie diesen sind auch Warnzeichen übersehen worden, so Donald Winter:

    "In den Aufzeichnungen sehen wir bereits eine Viertelstunde vor dem Blow-out Anzeichen dafür, dass Öl und Gas zu fließen begonnen haben. Das hat die Mannschaft übersehen, und als sie endlich bemerkte, dass etwas nicht stimmt, leitete sie viel zu zögerliche Gegenmaßnahmen ein. Das Problem wurde vollkommen unterschätzt. Die Mannschaft hat nicht aggressiv genug versucht, den Fluss unter Kontrolle zu halten oder wieder unter Kontrolle zu bringen."

    So hätte es vielleicht geholfen, an dem riesigen Absperrventil am Meeresboden, dem Blow-out-Preventer, die sogenannten blind shear rams einzusetzen: Die schneiden die verrohrte Bohrung einfach durch, pressen sie zusammen und versiegeln sie, noch bevor das Öl richtig zu strömen beginnt:

    "So etwas macht man nur in Notsituationen, weil es danach sehr viel schwieriger ist, das Bohrloch für die Produktion wieder zu nutzen. Aber zu Beginn der Havarie hätten die blind shear rams noch funktionieren können. Ich sage 'können', weil wir nicht sicher sind, ob sie wirklich geholfen hätten. Jedenfalls standen sie zunächst noch zur Verfügung."

    Geologische Gründe, warum dieses Bohrloch nicht sicher zu verschließen gewesen wäre, seien bislang in der Untersuchung noch nicht aufgetaucht, erklärt Donald Winter. Es sieht vielmehr so aus, als hätte die Mannschaft einfach die Risiko missachtet. Warum, das ist offen - wie noch vieles bei dieser Havarie, beispielsweise auch, warum der blow-out-preventer versagt hat. Die Untersuchungen laufen noch. Erst im Juni 2011 soll der Abschlussbericht vorliegen.