Ann-Kathrin Büüsker: Ein Clanmitglied aus Bremen hat jetzt eine innenpolitische Debatte angestoßen, die dazu führt, dass manch politischer Akteur gar das Grundrecht auf Asyl in Frage stellt. Es geht um den Fall von Ibrahim Miri aus Bremen. Er ist im Juli abgeschoben worden, bekam ein Einreiseverbot und letzte Woche, da stand er dann plötzlich wieder in Bremen, wollte Asyl, illegal wieder eingereist. Derzeit sitzt er in Haft, versucht, per Eilantrag seiner Abschiebung zuvorzukommen. Und Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht sich mit der Frage konfrontiert, wie konnte das eigentlich passieren. Er hat daraufhin eine Verschärfung der Grenzkontrollen angekündigt. Seit gestern Abend sind Teile davon umgesetzt. Heute beschäftigt der Fall auch den Bundestag.
Über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen, Stichwort Grenzkontrollen und ihre Umsetzbarkeit, kann ich jetzt mit Sebastian Fiedler sprechen, Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter. Schönen guten Morgen!
Sebastian Fiedler: Schönen guten Morgen!
Büüsker: Herr Fiedler, im ungünstigsten Fall könnte ein Mann, der das Land eigentlich gar nicht hätte betreten dürfen, in Kürze wieder auf freiem Fuß sein. Hat unser Rechtssystem Lücken?
Fiedler: Offen gestanden, ich weiß auch nach Ihrem Beitrag nicht so recht, wo ich anfangen soll mit der Kommentierung dieser relativ hysterisch aufgeladenen Debatte jetzt im Moment. Ich kann das vom Ende her nicht kommentieren, weil die Justiz jetzt letztlich am Zug ist, und ich hoffe, dass es zu diesem ungünstigsten Fall nicht kommt, aber will durchaus das Augenmerk einmal darauf legen, dass Ihr Beitrag richtigerweise gesagt hat, dass er 2014 zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und auf Bewährung wieder draußen gewesen ist. Da fängt aus meiner Sicht ganz vorne die Debatte an. Da würde ich das erste Fragezeichen in Richtung Justiz einmal schieben wollen. Er säße ja sonst bis 2020 noch in Strafhaft.
Auf der anderen Seite will ich deutlich machen, dass wir im Gesamtkontext der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, der Clankriminalität wirklich aufpassen müssen, dass wir uns nicht an einem solchen Typen alleine jetzt abarbeiten bei der Betrachtung grundsätzlicher Problemstellungen, die wir nun wirklich haben.
"Wir haben strukturelle Personalprobleme"
Büüsker: Ziemlich viele Ebenen, auf die wir blicken können. Vielleicht wenden wir dann den Blick einmal tatsächlich auf die Grenzkontrollen, weil das sind jetzt die unmittelbaren Auswirkungen, die wir sehen. Für wie wirksam halten Sie die Maßnahmen, die Horst Seehofer jetzt durchgesetzt haben möchte?
Fiedler: Mein Kollege Radeck hat da schon einige richtige Kommentare zu gebracht. Ich hätte sie in der Prioritätensetzung genau anders herum formuliert. Ich würde zunächst einmal fragen, was machen denn eigentlich die Beamten, die jetzt eine verstärkte Grenzkontrolle vornehmen sollen, normalerweise. Sie sorgen doch an anderen Stellen derzeit für Sicherheit. Sie fehlen uns derzeit ohnehin schon auf den Bahnhöfen, an den Flughäfen, an allen möglichen Stellen. Das heißt, wir reißen jetzt sehr große Lücken, um der Bevölkerung temporär zu suggerieren, wir könnten jetzt hier die Grenzen besonders dicht halten. Das ist aus meiner Sicht etwas Augenwischerei.
Nichts desto trotz sind solche Maßnahmen immer richtig, aber Herr Seehofer muss schon deutlich sagen, wo die Probleme grundsätzlich liegen, und wir haben strukturelle Personalprobleme. Deswegen ist die Aussage völlig richtig: Wir werden mit einer solchen Maßnahme nicht den allerletzten ausgebufften Straftäter daran hindern, hier wieder aufzutauchen. Wichtig ist, dass wir uns insgesamt in der Sicherheitsarchitektur dann so aufstellen, dass wir in der Lage sind, solche Phänomene tatsächlich nachhaltig zu bekämpfen. Das ist aus meiner Sicht der entscheidende Punkt.
"Die Prioritäten liegen echt an anderer Stelle"
Büüsker: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann gehen Sie davon aus, dass diese Maßnahme, die Horst Seehofer jetzt angeordnet hat, im Prinzip ein bisschen Symbolpolitik ist. Aber ist nicht genau das auch politisch wichtig, um den Bürgerinnen und Bürgern zumindest ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln?
Fiedler: Ich halte von dieser Debatte gar nichts. Ich halte insbesondere von dem Zusammenhang zwischen polizeilichen Maßnahmen und dem Gefühl der Bevölkerung überhaupt gar nichts. Weil noch so gute polizeiliche Maßnahmen werden es nicht verhindern, dass bestimmte Parteien im Bundestag die Hetze weiter betreiben, und das beeinträchtigt das Gefühl der Bevölkerung. Das zunächst einmal zu dieser grundsätzlichen Frage.
Auf der anderen Seite muss der Bundesinnenminister deutlich machen, welche Maßnahmen wirklich wirken und welche Konsequenzen sie nach sich ziehen. Hier und da eine Stellschraube anhand eines Einzelfalles zu ziehen, kann man machen.
Aber noch mal: Mir ist es erheblich und bedeutsam wichtiger, deutlich zu machen, dass wir hier über ein Personenpotenzial sprechen an Straftätern, das sich im fünfstelligen Bereich bewegen dürfte. Das ist vom Personenpotenzial – noch mal: ich möchte nicht die Phänomene miteinander vergleichen – aber so groß wie der ganze gewaltbereite Rechtsextremismus. Das eine Phänomen hat mit dem anderen zunächst mal nichts zu tun. Ich will die Herausforderung nur schildern. Es kann doch nicht sein, dass wir in der gesamten öffentlichen Debatte uns an einer so fragwürdigen Figur, an einem Schwerverbrecher, wohl gemerkt natürlich, abarbeiten, und dann vernachlässigen, wo denn wirklich die größeren Prioritäten zu leisten sind, und die liegen echt an anderer Stelle. Wir haben vorgestern im Bundestag im Finanzausschuss über die Geldwäsche-Bekämpfung diskutiert. Das wäre ein wichtiger Schlüssel, wenn hier wirklich Herr Seehofer einmal seinem Finanzminister sagen würde, was denn da zu tun wäre. Das würde den Clans erheblich mehr weh tun.
Büüsker: Trotzdem sehen wir ja im Moment, dass doch eine ziemlich große Debatte über diesen Fall Miri in Gang gesetzt wurde. Wie erklären Sie sich das?
Fiedler: Ja, das ist auch ganz leicht zu erklären. Die Debatte bestimmt einerseits die mediale Darstellung. Es gibt insbesondere eine Zeitung mit wenigen Buchstaben, die immer weit vorausprescht. Dann preschen andere Parteien im Bundestag hinterher und der Innenminister will zeigen, dass er das Heft des Handelns noch in der Hand hat. Deswegen muss man ja nicht einzelne Maßnahmen, die durchaus für sich genommen richtig sind, kleinreden, aber es wird doch noch erlaubt sein zu sagen, wo die größeren Hausaufgaben an der Stelle zu leisten sind, um die Debatte einmal wirklich in eine wirksamere Richtung zu lenken.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir der Bevölkerung sehr gut erklären können, an welchen Stellen wir noch etwas zu tun haben, und das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden dadurch zu stärken, dass wir wirklich der Bevölkerung erklären, welche Maßnahmen wirklich die wirksamen und wichtigen und bedeutsamen sind, um solche Phänomene insgesamt auszutrocknen.
Da darf man eben nicht eine grundsätzliche Asyldebatte vermischen mit einem einzigen Schwerverbrecher, der versucht, dem Staat auf der Nase herumzutanzen. Das dürfen wir uns natürlich nicht bieten lassen und der Rechtsstaat muss hier wirklich Zähne zeigen. Aber noch mal: Wir müssen das schon differenzierter betrachten und ein bisschen länger über die Gesamtzusammenhänge diskutieren, wie wir das heute Morgen ja Gott sei Dank tun können.
"Es reicht nicht, monokausale Zusammenhänge zu suggerieren"
Büüsker: Heißt also: Wenn man das Grundrecht auf Asyl auch so erhalten möchte, wie wir es in Deutschland haben, dann muss man damit leben, und auch, wenn man offene Grenzen halten will, dann muss man damit leben, dass man unter Umständen solche Einzelfälle hat, die das System ausnutzen?
Fiedler: Nein! Man muss Kriminalität bekämpfen. Deswegen habe ich zu Beginn unseres Gespräches darauf hingewiesen, dass es durchaus justiziell möglich gewesen wäre, diesen Typen noch bis 2020 in Strafhaft zu halten. Dann würden wir uns heute nicht darüber unterhalten, über dieses grundsätzliche Problem. Das heißt, es ist doch nicht immer nur diese eine Stellschraube, die dafür verantwortlich ist, dass es zu einem solchen Fall kommt, sondern es sind durchaus mehr.
Und alles ist mit der Überschrift verbunden, dass wir natürlich eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung auf die Beine stellen müssen, und da müssen wir offen und ehrlich drüber diskutieren. Und da reicht es nicht, wenn man so monokausale Zusammenhänge immer versucht zu suggerieren. Es ist eben nicht alles schwarz und weiß in der Kriminalitätsbekämpfung. Deswegen habe ich manchmal ein bisschen Bauchschmerzen damit, wenn gleich eine Grundsatzdebatte übers Asylrecht oder anderes vom Zaun gebrochen wird, obgleich wir eigentlich bedeutendere Probleme haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.