Constanze Kurz: Es gab ja im ganzen Jahr sehr viele neue Polizeigesetze in den Ländern, und eines davon wird wohl die Vorlage sein für ein sogenanntes Musterpolizeigesetz. Alle diese Änderungen der Polizeigesetze in den Ländern waren erhebliche Verschärfungen, die auch mit großen Protesten verbunden waren, und insofern ist natürlich die Frage, soll das jetzt nun auch in einem Musterpolizeigesetz mit sehr viel neuen polizeilichen Befugnissen einhergehen.
Sandra Schulz: Und was ist daran schlimm oder schlecht, dass es Verschärfungen gibt, wenn doch die Fälle NSU, Anis Amri, wenn die so deutliche Pannen und Lücken auch möglich gemacht und gezeigt haben?
Kurz: Die Frage ist, wie man auf diese deutlich gewordenen Pannen und diese Behördenversagen, ich will es mal so nennen wie es ist, reagiert. Ich glaube, da ist es die falsche Antwort, zu sagen, wir verschärfen die Polizeirechte, wir versuchen, die Befugnisse zu erweitern, denn wenn man auf die Realität blickt, dann sieht man ja in so gut wie allen Deliktfeldern, dass wir einen Rückgang der Kriminalität haben, und zwar sogar einen erheblichen.
Sorge vor Musterpolizeigesetz
Wir können sehr froh sein, dass wir in Deutschland so eine gute Aufklärungsquote und so wenig Verbrechen haben, aber wir haben auf der anderen Seite den Drang danach, vor allen Dingen technische Überwachung auszubauen, aber auch diese Frage der Ingewahrsamnahme. Mehrere Bundesländer, insbesondere Bayern, haben ja die Möglichkeiten, jemanden präventiv wegzusperren, enorm erweitert, und wenn das jetzt auch im Bund passiert, ist das natürlich auch verfassungsrechtlich sehr fragwürdig.
Schulz: Sagen Sie noch mal, welche von diesen technischen Möglichkeiten oder Kompetenzerweiterungen Sie für besonders gefährlich halten.
Kurz: Es gibt eigentlich insbesondere zwei technische Maßnahmen der Überwachung, die sehr fragwürdig sind, auch verfassungsrechtlich fragwürdig, aber vor allen Dingen auch technisch höchst umstritten, nämlich der Staatstrojaner, also die Möglichkeit, informationstechnische Geräte seitens des Staates zu hacken. Davon gibt es dann noch verschiedene Varianten.
Also einmal kann damit die Kommunikation abhören, ein anderes Mal kann man damit die gesamte Festplatte ausspionieren. Das ist der eine Bereich. Der zweite Bereich ist sicherlich die Frage der Biometrie. Also wird die Videoüberwachung schrittweise ausgebaut zu einer Personenüberwachung, wo man Körperdaten von den vorbeilaufenden Menschen aufnimmt. Auch das ist, glaube ich, sehr umstritten. Es gibt vielleicht sogar noch einen dritten Bereich, das ist die Frage der erweiterten DNA-Analyse, also Gendatenauswertung, aber es scheint ja nicht so zu sein, dass die in dem bundesweiten Musterpolizeigesetz auch drin sein wird. Da wissen wir natürlich noch nicht, wie sich der Innenminister positioniert.
Schulz: Ist das denn alles so umstritten? Wir wissen ja, dass Millionen von Nutzern völlig sorglos mit ihren Daten umgehen. Wenn Google und Facebook quasi alles über uns wissen, ist es dann nicht logisch, dass auch die Polizei mehr über uns weiß als früher?
Kurz: Das tut sie auch, seit vielen Jahren. Deutschland ist ja auch heute schon beim Abhören der Kommunikation oder bei der Internetüberwachung relativ weit vorn in ganz Europa. Sie hat heute sehr viel mehr Daten, aber wie wir aus dem Behördenversagen, der prominenten Fälle, auch Anis Amri, gesehen haben, ist, dass die gar nicht hinterherkommt mit dem Auswerten, dass es also erhebliche Defizite gibt in der Ausführung.
Offensive Angriffe
Schulz: Was ist daran dann gefährlich, wenn die Polizei da eh nicht hinterherkommt?
Kurz: Na ja, wenn sich die Behörden, die versuchen sollen, Gefahren entgegenzuarbeiten, nicht koordinieren, kann die Antwort schlecht sein, noch mehr Daten auf den Haufen zu werfen, zumal wir Grenzen haben. Diese Grenzen setzt unsere Verfassung und setzt das Bundesverfassungsgericht, und wenn man sich die Anhörungen in allen Bundesländern ansieht, so haben ja in diesen Erweiterungen alle juristischen und technischen Sachverständigen ganz erhebliche Kritik gehabt.
Schulz: Jetzt ist dieses Mahnen oder dieses Werben für Datenschutz natürlich so alt wie das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes von Anfang der 80er-Jahre. Ist die Zeit darüber nicht hinweggegangen, in Zeiten, in denen sich Menschen digitale Assistenten in ihre Wohnzimmer stellen, die ja auch jede Art von Kommunikation miterfassen?
Kurz: Ich glaube, es geht wesentlich weniger um Datenschutz als früher. Die neuen Bereiche, die hier mit der technischen Überwachung einhergehen, sind offensive Angriffe gegen Geräte, wo man sich neue Fragen stellen muss. Zum Beispiel, welche Sicherheitslücken nutzt der Staat aus, von welchen Firmen kauft er diese Hacking-Tools und Werkzeuge. Es geht nicht nur mehr um Datenschutz, sondern um einen Bereich, über den man dort anders debattieren muss, den sogenannten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, also die Intimsphäre eines Menschen.
Anmerkung der Redaktion: Das Transkript ist im Vergleich zu der Audioversion leicht gekürzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.