Ein Metzger aus dem Umland preist britisches Rinderfilet an für 20 Pfund das Kilo. Lammkoteletts, eingelegt in Minze, gibt es für nur zehn Pfund für drei Stück. Es ist Markttag in Staines-upon-Thames, das Wetter nasskalt. Ein Senioren-Ehepaar verweilt für einen Moment vor dem Backstand mit frischen Scones, dem englischen Gebäck, das man zum Nachmittagstee mit clotted cream, also Rahmbutter, und Marmelade zu sich nimmt.
"Theresa May ist zu nachgiebig", meint die ältere Dame auf die Frage, wie zufrieden sie ihrer Premierministerin ist. "Sie hätte uns längst aus der EU herausführen sollen, keine Frage."
Ihr Ehemann sieht es genauso. "Wir hätten gar nicht verhandeln sollen. Sie hätte einfach der EU sagen sollen, wir gehen. Ich gebe gar nicht einmal so sehr Deutschland die Schuld. Das ist ein großartiges Land. Aber die Franzosen sind immer ein Volk von Abstaubern gewesen."
Streit um Jakobsmuscheln im Ärmelkanal
Französische und britische Fischer haben sich vor kurzen im Ärmelkanal eine heftige Auseinandersetzung auf hoher See um Jakobsmuscheln geliefert. Für das ältere Ehepaar ist die Sache eindeutig. "Wir brauchen für den Brexit keinen Vertrag. Wenn ihr fies zu uns seid, können wir das auch."
Am Gemüsestand auf dem Markt in Staines kann man ähnliche Ansichten hören und passenderweise dazu Brüsseler Kohl kaufen, Brussel Sprouts, so heißt in England der Rosenkohl. Die EU macht, was sie will und May setzt ihr viel zu wenig entgegen. "Der Vertrag, der auf dem Tisch liegt, ist nicht akzeptabel. Wir haben zu viele Zugeständnisse gemacht. Wir zahlen so viel in die EU ein. Ich bin überrascht, dass die EU nicht etwas konzilianter war. May war schwach."
"Wir wurden erpresst und herumkommandiert. May versucht das Beste aus einer schlechten Lage zu machen. Aber es gibt jemanden, der das besser gemacht hätte: Nigel Farage. Der hätte das hingekriegt."
"Wir sind einfache Leute, aber das ist so kompliziert"
Staines ist eine Kleinstadt westlich von London, nur zehn Kilometer entfernt vom wohlhabenden Windsor. Aber Staines hat keinen guten Ruf. Es grenzt nah an den Flughafen Heathrow. In der Stadt wohnen viele Einwanderer aus Indien, Pakistan oder der Karibik. Ein Ehepaar erzählt, sie hätten früher in Richmond gewohnt, das könnten sie sich nicht mehr leisten. In Richmond 20 km weiter Richtung London wohnen viele EU-Bürger, die als Banker in der City ihr Geld verdienen.
"Wir schauen uns schon jeden Abend die Nachrichten an. Damit wir wissen, was in der Welt passiert. Es ist so kompliziert. Wir sind einfache Leute, aber das ist so kompliziert."
Viele in Staines und andernorts, die für den Brexit gestimmt haben, haben sich das alles viel einfacher vorgestellt. Vor allem ist es ermüdend, wie ewig lange alles dauert. Der Handels-Minister Liam Fox hatte einmal versprochen, die Verhandlungen mit der EU würden "die einfachsten in der Weltgeschichte" werden.
Eine zweite Volksabstimmung findet immer mehr Zuspruch
An einem Imbissstand gibt es Hot Dogs und Pommes frites. Zwei junge Männer machen gerade Pause. Sie haben beide für Remain gestimmt, also für den Verbleib in der EU. Wenn man Engländer auf den Brexit anspricht, kann man fast sicher sein: Leute über 70 Jahre sind absolut für den Brexit, bei den Jungen verhält es sich praktisch genau umgekehrt.
"Sie erschrecken jetzt angesichts der Konsequenzen, die das hat. Die EU bezahlt doch Straßen, Gebäude oder sponsert die Unis hier. Daran haben die Leute nicht gedacht." Wir reden über eine zweite Volksabstimmung, die vor kurzem noch undenkbar war. Jetzt findet die Idee immer mehr Zuspruch. Nicht hier in Staines, auch wenn man für die EU ist. "Ich hielte ein neues Referendum nicht für fair. Dann wird so lange abgestimmt, bis man das Ergebnis hat, das man will. Es sollte bei einer Volksabstimmung bleiben."
Das ältere Ehepaar von eben hat da sowieso eine klare Meinung. Ein neues Referendum, das wäre Betrug. "Ich bin definitiv dagegen. Die Leute haben sich entschieden und darum geht es doch in der Demokratie. Die Politiker wollen das für sich entscheiden und denken nicht an den Willen des Volkes."
"Ich verstehe das jetzt etwas besser als beim letzten Mal"
Jetzt bestellt sich auch das ältere Ehepaar einen Hot Dog, er wird von einem Zuwanderer gegrillt. Der Mann im Imbiss kommt aus Griechenland, lebt aber schon seit 27 Jahren in Großbritannien. Seine Kinder hätten längst den britischen Pass. "Die älteren hier haben hundertprozentig Angst vor den Einwanderern. Okay. Sie sehen aber nicht, dass doch Firmen aus anderen Ländern der EU sich in London ansiedeln und Jobs bringen."
Fremdenfeindlichkeit spüre er nicht, er versteht die Ängste der Älteren. Letzte Umfragen zeigen, dass Zuwanderung nicht mehr die ganz große Sorge der Briten ist. Die Zahlen gehen zurück, vor allem bei Zuwanderern aus den EU-Staaten. Auch einst glühende Brexiteers sind ein wenig skeptisch geworden. Sie wollen immer noch raus aus der EU, aber ob es wirklich so viele Vorteile bringt?
"Noch einmal abzustimmen, wäre Zeitverschwendung. Wir haben schon abgestimmt. Aber ich glaube, einige würden jetzt etwas anders abstimmen. Ich verstehe das jetzt etwas besser als beim letzten Mal. Es ist einfach so, dass sie das alles nicht genug verstehen."