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Verschollen im Gletscher
Paar steigert sich in Liebestod hinein

Die Wiesbadener Maifestspiele eröffnen mit Hans Werner Henzes "Elegie für junge Liebende". Dietrich Hilsdorfs Inszenierung ermöglicht eine minutiöse, mitunter überpointierte Erkundung der Interessens- und Gefühls-Lagen der sieben handelnden Personen.

Von Frieder Reininghaus | 03.05.2014
    Der deutsche Regisseur und Komponist Hans Werner Henze (l, sitzend) gibt am 18.05.1961 auf der Bühne des Rokoko-Theaters in Schwetzingen während einer Probe für das Stück "Elegie für junge Liebende" Regieanweisungen an seine Schauspieler.
    Der deutsche Regisseur und Komponist Hans Werner Henze (l, sitzend) gibt am 18.05.1961 auf der Bühne des Rokoko-Theaters in Schwetzingen während einer Probe für das Stück "Elegie für junge Liebende" Regieanweisungen an seine Schauspieler. (picture alliance / dpa / Heinz-Jürgen Goettert)
    Die "Elegie für junge Liebende" ist ein Konversationsstück. Es geht um die Hofhaltung des von den Zeitgenossen als Größe gefeierten Dichters Gregor Mittenhofer - im symbolträchtig benannten Berggasthof "Schwarzer Adler" am Fuße des noch viel symbolträchtigeren Hammerhorns. Es handelt sich um eine Arbeit aus jener Ära, in der Hans Werner Henze allen Ernstes als "Wirtschaftswunderkomponist" gefeiert wurde: Ein Werk, das den vom Ausgang des Kriegs und dem vorübergehenden Erlöschen der "Größe" enttäuschten, etwas abgemagerten, dann willig umerzogenen und ökonomisch wieder geschwollenen Deutschen eine richtig schön kaputte Geschichte kredenzte. Im Libretto jagt (nach dem Muster der britischen Boulevard-Komödie jener Zeit) ein Klischee das nächste. Doch immerhin (und dies wurde später von und für Henze als Zeichen des ‚Widerständigen' reklamiert) wird die (Sehn-)Sucht des Protagonisten Mitterhofer nach Kunst- und Kulturgröße als bedenklich, wenn nicht verwerflich vorgeführt.
    Die leicht geschürzte Ware zu einem tiefsinnigen Thema (nämlich dem der Unvereinbarkeit von wahrer Kunst und richtigem Leben) kompilierte aus mancherlei Quellen - wie dem "Zauberberg" von Thomas Mann. Sie kolportiert auch ältere literarische Kommentare Johann Peter Hebbels und E.Th.A. Hoffmanns zu einem Unfall in den Bergwerken von Falun, der einem jungen Bräutigam am Hochzeitstag widerfuhr, als er für die Braut einen besonders schönen Stein aus der Tiefe holen wollte, von herabstürzendem Gestein für vier Jahrzehnte eingeschlossen, und, als die in treuer Liebe Wartende schon eine alte Frau war, wieder freigegeben wurde.
    Stimmkompetenz und komödiantisches Talent
    Emma Pearson bestreitet in Wiesbaden die Partie der Witwe Hilda Mack, die seit vierzig Jahren auf den am Morgen vor der Trauung beim Aufstieg zum Berggipfel abhandengekommenen Liebsten wartet - und verwandelt sich, als bei heftigem Föhnwetter der Hammerhorngletscher abtaut und den tiefgefrorenen Körper ihres Kurzzeit-Manns freisetzt, für eine Erinnerungsszene in die schöne Braut von einst. Bei dieser Einlage kommen Stimmkompetenz und komödiantisches Talent in glücklicher Weise zusammen. Auch bei Sébastian Soules. Er ist der hochalpine Dichter und österreichische Charmeur Gregor Mittenhofer, der die Weiber um die Finger zu wickeln versteht und sich dienstbar macht. Nicht nur die 23jährige Elisabeth, die derzeit als Muse des Meisters dient, sondern auch die mittelalte Gräfin von Kirchstetten, die all ihr Geld und ihre Zeit in das "Projekt Mittenhofer" investierte. Ute Döring singt die Selbstaufopferung der Gräfin mit Verve. Grob und fein zugleich zeichnet der souveräne Bariton das Desaster des alternden Mannes. Das junge Paar, dessen Verbindung er nicht mehr aufhalten kann, lässt er um seinetwillen in den Berg und in den sicheren Tod steigen. Die verliebten Jungen steigern sich anspielungsreich in den Liebestod hinein.
    Schöner und versöhnlicher Abend
    Dietrich Hilsdorfs Inszenierung ermöglicht eine minutiöse, mitunter überpointierte Erkundung der Interessens- und Gefühls-Lagen der sieben handelnden Personen. Der soziale Realismus der Figurengestaltung entfaltet sich in der Ausstattung von Dieter Richter: Der ließ das Hammerhorn mit all seinen Geröllhalten und Schneefeldern auf den Vorhang malen und ganz im Hintergrund nochmals aufscheinen - dazwischen eine Küchenthekenecke, ein Sofa, ein nussbaumbrauner Flügel sowie steile Metalltreppen hinauf zu den Appartements. Zsolt Hamar sorgte für eine luzide, technisch vorzügliche Wiedergabe der Partitur, die mit den Stimmen aller Beteiligten wie mit einem kurzen Requiem endet. Das gerät so schön und versöhnlich wie der Abend insgesamt.