Eine kleine Konditorei im Plattenbauviertel hat sie als Treffpunkt vorgeschlagen, vor der Tür ein trostloser Supermarkt-Parkplatz, in der Vitrine bunte Sahnetorten. Ich werde hinten im Eck sitzen, sagte sie am Telefon. "Sie erkennen mich am langen Kleid."
Sie spricht leise gegen die Musik an, sagt: "Nennen Sie mich einfach so, wie mein Vater mich immer gerufen hatte, Nellina." Dass ihr richtiger Name nicht genannt wird, das ist von vornherein ihre Bedingung. Nellina ist um die 60 Jahre alt, hat lange dunkle Haare. Sie wohnt hier ein paar Häuserblöcke weiter in einem der Plattenbauten zur Untermiete, erzählt sie. Zu ihrer Arbeit als Krankenschwester in einem der Prager Krankenhäuser dauert es eine Stunde mit der U-Bahn.
Sie spricht leise gegen die Musik an, sagt: "Nennen Sie mich einfach so, wie mein Vater mich immer gerufen hatte, Nellina." Dass ihr richtiger Name nicht genannt wird, das ist von vornherein ihre Bedingung. Nellina ist um die 60 Jahre alt, hat lange dunkle Haare. Sie wohnt hier ein paar Häuserblöcke weiter in einem der Plattenbauten zur Untermiete, erzählt sie. Zu ihrer Arbeit als Krankenschwester in einem der Prager Krankenhäuser dauert es eine Stunde mit der U-Bahn.
"Ich habe das Kleingedruckte nicht einmal gelesen"
"Es hat angefangen mit meinem Mann und dem Alkohol. Es blieb kein Geld übrig für die Schule der Kinder, für Klamotten, für Geschenke. Also habe ich mir das erste Mal Geld geliehen."
Nellina redet offen, so als falle ihr schon durch das Erzählen eine Last vom Herzen. Hier im hintersten Winkel des Cafés fühlt sie sich sicher; sie achtet darauf, dass ihre Stimme nicht lauter gegen die Musik anklingt als unbedingt nötig, damit an den Nachbartischen niemand etwas mitbekommt von ihrer Geschichte.
"Dann habe ich meinen Job verloren, das muss so 2008 oder 2009 gewesen sein, und ich konnte das Geld nicht zurückzahlen. Statt der vereinbarten 10.000 Kronen im Monat, also etwa 400 Euro, habe ich nur noch 7.000 zurückgezahlt, und so wuchsen die Schulden und die Zinsen. Also habe ich mir wieder Geld geliehen – wie wir auf Tschechisch sagen: Ich habe den Keil mit dem Keil herausgeschlagen, damit ich überhaupt irgendwie über die Runden kam."
"Dann habe ich meinen Job verloren, das muss so 2008 oder 2009 gewesen sein, und ich konnte das Geld nicht zurückzahlen. Statt der vereinbarten 10.000 Kronen im Monat, also etwa 400 Euro, habe ich nur noch 7.000 zurückgezahlt, und so wuchsen die Schulden und die Zinsen. Also habe ich mir wieder Geld geliehen – wie wir auf Tschechisch sagen: Ich habe den Keil mit dem Keil herausgeschlagen, damit ich überhaupt irgendwie über die Runden kam."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Tschechen in der Schuldenfalle.
Schließlich trennte sich Nellina von ihrem Mann.
"Am Anfang kamen keine Briefe, die kamen erst ungefähr nach einem Jahr. Da stand nicht: Ihre Schulden sind so und so hoch. Sondern: Der Fall wurde dem Gerichtsvollzieher übergeben. Und plötzlich, das war im Dezember 2010, war das Konto gepfändet. Weihnachten stand vor der Tür, ich war allein mit den Kindern und hatte keine einzige Krone mehr. Also habe ich mir ein weiteres Mal Geld geliehen, bei einer privaten Firma, Profi Credit oder so ähnlich heißt sie. Ich hatte 50.000 Kronen beantragt, umgerechnet etwa 2.000 Euro, und sie haben mir schließlich 36.000 Kronen bewilligt zu einem Zinssatz von 156 Prozent. Aber das wusste ich damals nicht - wichtig war: Sie haben mir das Geld gegeben, als ich schon in der Zwangsvollstreckung war, ich habe das Kleingedruckte nicht einmal gelesen. Ich war froh, dass ich Kohle für die Heizung bestellen konnte, denn es war ja Winter."
"Am Anfang kamen keine Briefe, die kamen erst ungefähr nach einem Jahr. Da stand nicht: Ihre Schulden sind so und so hoch. Sondern: Der Fall wurde dem Gerichtsvollzieher übergeben. Und plötzlich, das war im Dezember 2010, war das Konto gepfändet. Weihnachten stand vor der Tür, ich war allein mit den Kindern und hatte keine einzige Krone mehr. Also habe ich mir ein weiteres Mal Geld geliehen, bei einer privaten Firma, Profi Credit oder so ähnlich heißt sie. Ich hatte 50.000 Kronen beantragt, umgerechnet etwa 2.000 Euro, und sie haben mir schließlich 36.000 Kronen bewilligt zu einem Zinssatz von 156 Prozent. Aber das wusste ich damals nicht - wichtig war: Sie haben mir das Geld gegeben, als ich schon in der Zwangsvollstreckung war, ich habe das Kleingedruckte nicht einmal gelesen. Ich war froh, dass ich Kohle für die Heizung bestellen konnte, denn es war ja Winter."
Zu spät zur Schuldnerberatung
Zu dem Zeitpunkt, sagt Nellina, habe sie längst den Überblick verloren, wo sie wann wieviel Geld geliehen hatte. Bei den Banken bekam sie längst kein Geld mehr, nach und nach klapperte sie die privaten Verleiher ab – die, die man so aus der Zeitung oder dem Internet kenne, wie sie achselzuckend sagt. Nachprüfen lässt sich ihre Geschichte nur eingeschränkt, viele Briefe und Unterlagen hat sie einfach weggeworfen. Nur eins steht fest: Sie hat vor wenigen Wochen eine Klage gewonnen, mit der sie eine ungerechtfertigte Zwangsvollstreckung stoppen konnte – zumindest zu diesem einen Fall liegen Unterlagen vor. Fast zehn Jahre brauchte sie, das wird an ihrer Geschichte deutlich, bis sie sich professionelle Unterstützung holte.
"Ich wollte mich nie an die wenden, weil ich mir dachte: Es gibt so viele Leute, die da um Hilfe bitten, und da sollen die gerade auf mich gewartet haben und sich Zeit für mich nehmen? Aber schließlich habe ich doch eine Mail geschrieben."
In ihrem Fall kommt vieles zusammen, was zahlreiche überschuldete Tschechen gemeinsam haben: Aus Verzweiflung nehmen sie immer neue Schulden auf bei immer neuen Firmen, bis schließlich nur noch dubiose Anbieter übrig bleiben, die immense Zinsen und Strafzahlungen in ihre Verträge schreiben. Und: Die Betroffenen ahnen früh, dass sie in einer Falle sitzen, aber viele gehen erst den Schritt zu einer der Beratungsstellen, wenn es schon zu spät ist.
"Ich wollte mich nie an die wenden, weil ich mir dachte: Es gibt so viele Leute, die da um Hilfe bitten, und da sollen die gerade auf mich gewartet haben und sich Zeit für mich nehmen? Aber schließlich habe ich doch eine Mail geschrieben."
In ihrem Fall kommt vieles zusammen, was zahlreiche überschuldete Tschechen gemeinsam haben: Aus Verzweiflung nehmen sie immer neue Schulden auf bei immer neuen Firmen, bis schließlich nur noch dubiose Anbieter übrig bleiben, die immense Zinsen und Strafzahlungen in ihre Verträge schreiben. Und: Die Betroffenen ahnen früh, dass sie in einer Falle sitzen, aber viele gehen erst den Schritt zu einer der Beratungsstellen, wenn es schon zu spät ist.
Kein Geld, keine Teilhabe
Auch bei Nellina ist noch nicht klar, wie es weitergeht: Eine Zwangsvollstreckung ist zwar gestoppt, aber wie viele Forderungen gegen sie noch offen sind – das hat sie bis heute nicht herausgefunden. Aber jetzt, nach dem ersten Erfolg, kehre immerhin ihr Lebensmut wieder zurück, zumindest ganz langsam:
"Ich bin nirgendwo mehr hingegangen. Früher war ich viel unter Leuten, ich bin ins Kino gegangen. Aber seit diesen Problemen gehe ich nicht mal mehr auf kleinere Treffen nach der Arbeit oder Geburtstagsfeiern. Wenn, dann kümmere ich mich um die Familie: Ich will mich meinen Enkeln widmen."
Neue Schulden, das habe sie sich geschworen, werde sie jedenfalls nicht mehr aufnehmen. Wie denkt sie heute über ihre ersten Schritte hinein in die Schulden-Spirale? Nellina denkt kurz nach:
"Ich bin höchstens auf mich selbst wütend, dass ich so doof war – aber es ist nicht richtig, was diese Firmen machen. Viele Leute sind ihretwegen auf der Straße gelandet, haben ihre Familie verloren. Andere haben Selbstmord begangen, weil sie nicht mehr weiterwussten. Jeder sollte sich gleich überlegen, ob er auch das Geld hat, um die Kredite zurückzuzahlen. Denn diese Firmen – die können einen in den Wahnsinn treiben."
"Ich bin nirgendwo mehr hingegangen. Früher war ich viel unter Leuten, ich bin ins Kino gegangen. Aber seit diesen Problemen gehe ich nicht mal mehr auf kleinere Treffen nach der Arbeit oder Geburtstagsfeiern. Wenn, dann kümmere ich mich um die Familie: Ich will mich meinen Enkeln widmen."
Neue Schulden, das habe sie sich geschworen, werde sie jedenfalls nicht mehr aufnehmen. Wie denkt sie heute über ihre ersten Schritte hinein in die Schulden-Spirale? Nellina denkt kurz nach:
"Ich bin höchstens auf mich selbst wütend, dass ich so doof war – aber es ist nicht richtig, was diese Firmen machen. Viele Leute sind ihretwegen auf der Straße gelandet, haben ihre Familie verloren. Andere haben Selbstmord begangen, weil sie nicht mehr weiterwussten. Jeder sollte sich gleich überlegen, ob er auch das Geld hat, um die Kredite zurückzuzahlen. Denn diese Firmen – die können einen in den Wahnsinn treiben."