"Wir sind Q", sagt dieser Mann vor einer Veranstaltung mit US-Präsident Donald Trump. Damit meint er: Wir sind die Q-Bewegung. Auf Trump-Veranstaltungen hört und liest man diese Aussage immer wieder: Wir sind Q! Also Q, der 17. Buchstabe des Alphabets.
"Wir wissen nicht genau, wer Q ist", sagt dieser Mann einem CNN-Reporter. Deswegen wird Q auch QAnon genannt: Anon, das steht für anonym. Der Mann meint, Q seien wohl mehrere Personen. Auf jeden Fall hätten sie Insider-Informationen und seien "die Guten".
Was verbirgt sich hinter QAnon?
Wo liegen die Ursprünge von QAnon?
Wer steckt hinter QAnon?
Wie wird die Verschwörungserzählung von QAnon verbreitet?
Adrenochrom und Antisemitismus
Prophezeiungen und Panik
Wo liegen die Ursprünge von QAnon?
Wer steckt hinter QAnon?
Wie wird die Verschwörungserzählung von QAnon verbreitet?
Adrenochrom und Antisemitismus
Prophezeiungen und Panik
Bei QAnon geht es um eine angebliche Verschwörung gigantischen Ausmaßes. Die Kurzfassung: Eine verdorbene Elite aus demokratischer Partei, Banken, Medien und so weiter herrsche heimlich über die USA. Und Donald Trump sei von ranghohen Militärs dazu auserwählt worden, diesen "Tiefen Staat" zu Fall zu bringen, meint auch diese Q-Anhängerin: "Donald Trump was picked by military leaders to run for president as a way to kind of bring down the deep state."
"Neue amerikanische Religion"
QAnon wird in den USA immer wieder als religiöse Bewegung bezeichnet. Die Parallelen liegen auf der Hand: Es gibt mit Q eine Art Propheten. Der schart Prediger und Anhängerinnen um sich. Tausende sollen es inzwischen sein. Sie verbreiten seine Heilsbotschaft und erwarten eine Art kosmischen Endkampf zwischen Gut und Böse.
Von einer "neuen amerikanischen Religion" schreibt das Magazin "The Atlantic", und erinnert an die Siebenten-Tags-Adventisten und die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Die seien im 19. Jahrhundert in den USA unter ganz ähnlichen Umständen entstanden: zwar ohne Internet, aber im christlichen Kontext und mit Prophezeiungen, die besagten, dass bald eine neue Zeit anbreche. Das hätte sich zwar nicht erfüllt, die Religionsgemeinschaften gibt es aber bis heute.
Können wir bei QAnon also gerade in Echtzeit beobachten, wie eine neue christliche Abspaltung entsteht?
"Ja, ich würde tatsächlich auch von einer Digitalsekte sprechen. Und tatsächlich im klassischen Wort 'secta', also als 'Abspaltung'", meint der Religionswissenschaftler Michael Blume: "Also ich sehe hier ganz klar digitale religiöse Formen."
"Neue Formen religiöser Verrücktheit"
"Ich glaube sehr wohl, dass das das Potenzial hat zu einer Religion, die bleiben wird. Ich meine, wir leben im Zeitalter dieses neuen Mediums, des Internets. Und so wie die Druckerpresse nach ihrer Erfindung dazu geführt hat, dass es tausendundeins protestantische Sekten gab, so führt das Internet und führen die neuen Sozialen Medien jetzt zu neuen Formen religiöser Verrücktheit", so der Autor Hannes Stein.
Stein lebt in New York und berichtet von dort unter anderem für die "Welt" und für die "Jüdische Allgemeine": "Es weiß natürlich kein Mensch, wie viele Leute wirklich QAnon-Anhänger sind. Aber es sind ganz bestimmt viele."
Angefangen hat es im Oktober 2017 – und zwar im Internet auf der Plattform "4chan". Jemand, der sich Q nannte, behauptete damals, über Informationen aus dem innersten Kreis der US-Regierung und von Geheimdiensten zu verfügen. Der Buchstabe Q soll auf seinen Status anspielen: Wer die staatliche Freigabe Q hat, hat Zugang zu den geheimsten Informationen.
Außerdem nutzte Q vom ersten Post an ein christlich-geprägtes endzeitliches Vokabular: Ein Sturm stehe bevor, und dann folge die "Große Erweckung". Das spricht vor allem weiße christliche Trump-Fans an.
"It's a movement, man. It's the shift. I can feel it coming. Some call it 'the great awakening'." / "I learned more since October 28th 2017 than I did in the previous 50 years."
Mit strahlenden Augen erzählt diese Frau, wie viel sie durch Q über die Welt gelernt habe. Um den Hals trägt sie eine Kette mit dem Buchstaben Q.
Hinter dem Pseudonym könnten eine oder mehrere Personen stecken. Wer genau, darüber wird viel spekuliert. Die Anhängerschaft glaubt und hofft, dass tatsächlich ein mächtiger Mensch darunter ist – vielleicht sogar Donald Trump persönlich.
Deshalb suchen sie in seinen Tweets und Reden nach versteckten Botschaften, erklärt Hannes Stein: "Trump hat ja diese merkwürdigen Handbewegungen, wo er so Os formt mit den Fingern und so. Und das sind natürlich alles keine Os, das sind Qs. Und es gibt dann immer Diskussionen, was er nun eigentlich mit dieser Handbewegung seinen heimlichen Anhängern signalisieren wollte."
Es gleicht der Auslegung religiöser Botschaften. Denn Donald Trump kommt bei QAnon eine ganz besondere Rolle zu: Er soll die Welt vom Bösen befreien. "Ich bin der Auserwählte", sagte auch Trump selbst. Zwar in einem anderen Kontext, aber das ist den Q-Gläubigen egal. Trump befeuerte das Ganze auch, indem er bei Twitter schon mehrfach Q-Botschaften verbreitete.
QAnon und das Coronavirus
So wächst die Gemeinde weiter, auch außerhalb der USA, beobachtet der Religionswissenschaftler Michael Blume: "Wir haben tatsächlich die erstaunliche Entwicklung, dass es dieses Mal sehr schnell übergegriffen hat aus den USA. Weltweit haben wir inzwischen QAnons."
In Deutschland haben auch mehr oder weniger prominente Männer dazu beigetragen, QAnon unkritisch bekannt zu machen. Darunter der Musiker Xavier Naidoo und der Kochbuchautor Attila Hildmann. Aber auch andere übersetzen Qs Botschaften ins Deutsche und verbreiten sie über die Sozialen Netzwerke.
"Der Deep State, die Massenmedien, die Demokraten, all die korrupten Politiker, sie sind mit dem Coronavirus-Theater gescheitert."
Das Coronavirus spielt in der großen Verschwörungserzählung von QAnon auch eine wichtige Rolle. Nur welche genau, da ist sich die Gemeinde noch nicht ganz sicher. Die einen sagen, das Virus gibt es gar nicht. Die anderen nennen es eine biologische Waffe, die absichtlich freigesetzt worden sei.
Was Regierungen und etablierte Medien über Corona sagen – und auch über alle anderen Themen, dem vertraut die Q-Gemeinde grundsätzlich nicht, so Michael Blume: "Die Leute gehen in die entsprechenden Foren und Gruppen. Sie werden aufgefordert, ihre Zeitungen abzubestellen, keine Tagesschau mehr zu gucken, sondern ihre Informationen exklusiv aus dem Bereich der QAnon-Bewegung rauszuholen."
Tausende Menschen verbreiten diese Informationen und Falschinformationen im Internet auch auf Deutsch.
"Da wissen wir nicht, wie viele von denen es ernst meinen, oder wie viele es einfach genial finden, da zum Spaß mitzumachen. Das Gefährliche ist aber natürlich, wenn sich die Leute auch bejubelt glauben. Wenn die glauben, sie haben eine große Anhängerschaft, steigern die sich da auch selber mit hinein. Und das kann dann - Stichwort Attila Hildmann, der mit Waffen posiert hat - durchaus auch ein Fall werden, wo man sagen muss, da wird es gefährlich. Und da sollte man nicht mehr drüber lachen, sondern da sollte man auch wachsam werden."
Für Michael Blume hängt der Erfolg einer Bewegung wie QAnon auch mit dem medialen Wandel zusammen, mit der Etablierung des Internets. Er sieht historische Parallelen: "Beispielsweise kam ein ganz ähnlicher apokalyptischer Endglaube auf nach der Einführung des Buchdrucks. Damals auch der Glaube an Hexenwahn und Hexensalbe. Und genau das haben wir mit Adrenochrom jetzt im Bereich QAnon wieder."
Adrenochrom – das ist ein Produkt des menschlichen Stoffwechsels. Bei QAnon behaupten sie, der Tiefe Staat würde Kinder in unterirdischen Gefängnissen halten, um ihnen Adrenochrom abzuzapfen.
"Und dieses Adrenochrom brauchen laut QAnon angeblich die bösen Eliten, der Deep State, um davon high zu werden." Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so ernst wäre und gefährlich: Denn hier nutzt QAnon altbekannte antisemitische Motive, so der Journalist Hannes Stein: "Das ist wirklich die mittelalterliche Ritualmordpropaganda. Es gibt ja diese Darstellungen auch, wo Juden das Blut von Kindern aussaugen. Also das ist ein ganz tiefes Bild, was da beschworen wird."
An anderen Stellen ist der Antisemitismus von QAnon noch offensichtlicher. So zählt die Bewegung auch "die Rothschilds" und den Investor George Soros zu den Kräften des Bösen: "Wenn man sagt, die Rothschilds und Soros, dann meint man ja im Grunde immer die Juden. Also eine antisemitische Komponente hat das Ganze auch", so Stein.
Wohl ein Grund für den Erfolg von QAnon: Es bedient alte Muster und Feindbilder.
Ein anderer Erfolgsfaktor seien die konkreten Prophezeiungen, so der Religionswissenschaftler Michael Blume: "Mit nahen Prophezeiungen erzeugen solche messianischen Bewegungen natürlich eine unglaubliche Gefolgschaft. Also zu wissen, es geschieht jetzt, es wird in der nächsten Zeit passieren - das versetzt die Leute in Erregung. Versetzt sie auch in Panik. Dadurch hören sie auf, nachzudenken und kritisch zu überprüfen. Ein Problem ist dann aber natürlich immer, wenn solche Prophezeiungen nicht eintreten. Also, dass zum Beispiel Hillary Clinton gar nicht verhaftet worden ist."
Das war die erste konkrete Prophezeiung von Q: Die demokratische Politikerin Hillary Clinton soll verhaftet werden. Die Clintons und auch die Obamas sind für QAnon Teil der bösen Elite. Diese und ähnliche Prophezeiungen erfüllten sich zwar nicht, doch das hat QAnon offenbar kaum geschadet.
Blume: "Wir kennen das aus der Forschung, dass ein Teil tatsächlich ins Nachdenken kommt und sich zurückzieht. Ein anderer Teil sucht sich neue mythologische Erklärungen und sagt zum Beispiel: 'Wir haben noch einen Aufschub bekommen, weil wir selber so fromm sind.' Und ein kleiner Teil radikalisiert sich aber auch, um den Endkampf selber herbeizuzwingen. Und das ist natürlich der Teil, der mir Sorgen macht. Das wird der kleinste Teil sein, aber bei vielen Tausend Anhängern ist natürlich schon die Gefahr dabei, dass das im Einzelfall auch in Gewalt übergeht."
Was, wenn Trump im November die Wahlen verliert?
Stein: "Was ich mich frage, ist: Was werden die QAnon-Leute tun, wenn Trump im November die Wahl verliert? Und ich sehe dann eigentlich zwei Szenarien. Szenario Nummer eins ist, dass die durchdrehen, dass sie verrückt werden, dass sie anfangen zu schießen. Und die andere Möglichkeit ist, dass es sich dann sozusagen institutionalisiert und dass Trump dann zu so etwas wird wie dem verborgenen Imam im schiitischen Islam. Also dass sie dann irgendwie hoffen, dass ihr Messias wiederkehrt."
Was der Journalist Hannes Stein hier beschreibt, wäre der Weg hin zu einer dauerhaften Religionsgemeinschaft: "Nun kann man sagen: Das ist verrückt. Und natürlich ist es verrückt. Aber es ist ja so, dass verrückte Bilder und Ideen in der Geschichte immer wieder sehr wirkmächtig geworden sind."
Eine Art Glaubensbekenntnis gibt es ja auch schon: "Wir sind Q!"