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Verschwundenes Flugzeug
"Für Ägypten ist es eine Katastrophe"

Das Verschwinden einer EgyptAir-Maschine über dem Mittelmeer wird aus Sicht des Nahost-Experten Michael Lüders für Ägyptens Tourismus erhebliche Folgen haben. Die Einnahmen in diesem Bereich brächen jetzt weiter ein, sagte er im DLF. Noch viel besorgniserregender sei aber, dass die Unterdrückung in Ägypten durch die Regierung mehr und mehr zunehme.

Michael Lüders im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Lüders blickt freundlich in die Kamera, er trägt eine Brille. Hinter ihm sieht man ein Bücherregal.
    Der Nahost-Experte Michael Lüders (dpa / Arno Burgi)
    Das Klima der Unterdrückung, das Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten erschaffen habe, treibe mehr und mehr Menschen in die Radikalität, warnte Lüders. Die Repressionsmaßnahmen der Behörden seien enorm. Selbst wegen kleinster Kritik an der Staatsführung in sozialen Netzwerken oder per SMS drohe Menschen Gefängnis, Verschleppung oder die Ermordung. Der Terror nehme dadurch in Ägypten zu. "In Kairo spürt man, dass sich die Schlinge langsam zuzieht", sagte der Nahost-Experte.
    Die Lage sei sehr instabil. Durch korrupte Sicherheitsbeamte in Ägypten sei es vergleichsweise leicht, Bomben an Bord zu schmuggeln. Dass dies auch genauso bei der in Paris gestarteten und mittlerweile vermissten EgyptAir-Maschine passiert sein könnte, bezweifelte Lüders allerdings. Eine Bombe an Bord zu schmuggeln, sei in Paris nicht in der Form möglich wie in Ägypten. Man müsse die Untersuchungsergebnisse abwarten. Aber "nichts ist unmöglich", sagte der Nahost-Experte zum Verschwinden des Flugzeugs über dem Mittelmeer.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Es ist ein Satz, der immer noch tausend Möglichkeiten offen lässt. Ein Anschlag sei wahrscheinlicher als ein technischer Defekt, hat gestern der ägyptische Luftfahrtminister Scherif Fathi gesagt, aber sehr defensiv mit sehr vielen Relativierungen. Ein ägyptisches Flugzeug mit 66 Menschen an Bord ist gestern über dem Mittelmeer aus ungeklärter Ursache abgestürzt. Die EgyptAir-Maschine kommt aus Paris, auf dem Weg nach Kairo verschwand sie einfach vom Radar, kurz nachdem sie den ägyptischen Luftraum erreicht hatte. Die Meldung, Wrackteile seien gefunden worden, ist inzwischen dementiert. Zugeschaltet ist uns jetzt der Publizist und Nahost-Experte Michael Lüders. Guten Morgen!
    Michael Lüders: Schönen guten Morgen, Frau Schulz. Hallo!
    Schulz: Die Informationen sind natürlich immer noch sehr vage. Aber nach allem, was wir bisher wissen, von welchem Szenario gehen Sie aus?
    Lüders: Man muss erst mal die Untersuchungsergebnisse abwarten. Nichts ist unmöglich. Natürlich ist auch ein Terroranschlag denkbar. Aber ein solcher hätte natürlich auch früher stattfinden können. Man hätte ja nach dem Start in Paris die Maschine schon zum Absturz bringen können, dann wäre der Schaden noch viel größer gewesen. Also man muss abwarten mit den Untersuchungsergebnissen. Nichts ist unmöglich. Möglicherweise ist ja auch ein Szenario denkbar wie im Falle des Absturzes einer Germanwings-Maschine, die von Barcelona nach Deutschland geflogen war, wo der Pilot Selbstmord begangen hat und die gesamte Crew und die Passagiere mitgenommen hat. Auch ein solches Szenario wäre für EgyptAir nicht neu, das hat es vor einigen Jahren schon einmal gegeben auf dem Flug einer EgyptAir-Maschine von den USA nach Kairo. Die ist dann über dem Atlantik abgestürzt.
    "Die Sicherheitslage in Ägypten ist sehr schwierig"
    Schulz: Es gibt eigentlich kaum ein Szenario, das man im Moment ausschließen oder sich nicht vorstellen könnte. Es ist aber, unabhängig von der Ursache, Fakt, dass es der dritte schwere Vorfall ist in der ägyptischen Luftfahrt innerhalb von kurzer Zeit. Es hat im März ja die Entführung einer EgyptAir-Maschine gegeben und im vergangenen Herbst auch einen Absturz einer russischen Maschine zwar, aber über der Sinai-Halbinsel, und da gehen Experten von einer Explosion an Bord als Ursache aus und von einem Anschlag. Jetzt dieses verschwundene, sehr wahrscheinlich abgestürzte Flugzeug. Was bedeutet diese Häufung von Vorfällen für das Land, für Ägypten?
    Lüders: Zunächst ist es natürlich für Ägypten eine Katastrophe, insoweit, als der Tourismus, eine der wichtigsten Devisenquellen, weiterhin einbrechen wird. Der Tourismus liegt schon weitgehend bracht, ist zu mehr als 60 Prozent eingebrochen. Und dieser Absturz wird natürlich weiterhin die Sorge der Besucher nähren, dass man nicht ohne Weiteres nach Ägypten fahren könne. In der Tat ist die Sicherheitslage in Ägypten sehr schwierig, vor allem als Ergebnis der sehr repressiven Maßnahmen der Regierung Sisi, die jede Form des politischen Islam zu Terrorismus erklärt hat und wenig Bereitschaft erkennen lässt, mit den mittlerweile verbotenen Muslimbrüdern ins Gespräch zu kommen, die aber immerhin von der Hälfte der Bevölkerung gewählt worden waren. Das Ergebnis ist eine sehr große Instabilität vor allem im Sinai, wo es schon seit Langem große Unzufriedenheit mit der Zentralregierung in Kairo gibt, die den Sinai immer vernachlässigt hat. Und der Terror nimmt immer mehr zu in Ägypten, auch gefördert durch die instabile Lage in Libyen, und insoweit spürt man natürlich in Kairo, dass sich die Schlinge allmählich zuzieht. Aber zu politischen Reformen oder zu einer Wirtschaftspolitik, die der breiten Bevölkerung zugutekommen würde, kann man sich im Sisi-Regime nicht durchringen. Insoweit bleibt die Lage in Ägypten prekär.
    "Es ist also ein äußerst repressives Klima"
    Schulz: Das heißt, nach seiner Logik muss al-Sisi jetzt erst recht Stärke zeigen?
    Lüders: Das ist genau die Sache. Er reagiert mit äußerster Härte gegen jede Form der Kritik. Dies wird bei uns allerdings weniger wahrgenommen als etwa in Sachen Erdogan. Mehr als 40.000 Ägypter sind in den Gefängnissen Ägyptens mittlerweile verschwunden. Es reicht bereits, per SMS oder auf irgendeinem sozialen Netzwerk eine leise Kritik an Sisi oder an seiner Regierungsführung zu üben, und schon riskiert der Absender einer solchen Mitteilung Inhaftierung, Verschleppung, Ermordung. Studenten werden zwangsexmatrikuliert, wenn sie sich kritisch äußern über die gegebenen Verhältnisse. Es ist also ein äußerst repressives Klima und es ist eben der große Irrtum des Regimes Sisi, anzunehmen, dass man mit unglaublicher Repression den Terror besiegen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt immer mehr Menschen, die sich zu radikalen Bewegungen hingezogen fühlen aufgrund der Ausweglosigkeit der Lage.
    "Die Sicherheitsbehörden in Ägypten sind vielfach korrupt"
    Schulz: Das heißt, diese Probleme bei der Luftsicherheit, die es ja ganz offenkundig gibt, sind die dann eine Konsequenz, oder sind die einfach ein zusätzliches Problem?
    Lüders: Sie sind ein zusätzliches Problem, vor allem sicher auch eine Konsequenz, denn im Falle der russischen Maschine, die über dem Sinai zum Absturz gebracht worden war, handelt es sich ganz offenkundig um einen Terroranschlag des Islamischen Staates, gewissermaßen eine Rache dafür, dass Russland in Syrien aktiv ist, und die Sicherheitsbehörden in Ägypten sind vielfach korrupt. Es ist also nicht schwierig, eine Bombe an Bord zu schmuggeln in Ägypten. In Paris wäre dies sicherlich so in dieser Form nicht denkbar.
    Schulz: Einschätzungen des Publizisten und Nahost-Experten Michael Lüders heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.