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Verseuchte Fukushima-Region
"Eine Rückkehr ist völlig indiskutabel"

Die japanische Regierung drängt die Bevölkerung, in die strahlenverseuchten Gebiete von Fukushima zurückzukehren. Dies sei indiskutabel, sagte der Physiker Sebastian Pflugbeil von der Gesellschaft für Strahlenschutz im DLF. Wenn die Politiker erklärten, eine Rückkehr sei sicher, sei das gelogen.

Sebastian Pflugbeil im Gespräch mit Doris Simon |
    Sebastian Pflugbeil war Mitbegründer des "Neuen Forums" in der DDR.
    Sebastian Pflugbeil (Deutschlandradio - Philipp Eins)
    Doris Simon: Am Telefon ist der Physiker Sebastian Pflugbeil, er ist Vorsitzender der Gesellschaft für Strahlenschutz. Guten Tag!
    Sebastian Pflugbeil: Guten Tag!
    Simon: Herr Pflugbeil, Fukushima beschäftigt sie seit der Katastrophe, Sie waren auch vor Ort. Die japanische Regierung drängt, wie wir gerade gehört haben, Menschen jetzt wieder zurückzukehren in die Region. Ist das aus Ihrer Sicht zu verantworten?
    Pflugbeil: Ja, phonetisch ist das gleiche Bestreben, wie das in der Tschernobyl-Region ist, die gesperrten Gebiete möglichst zusammenzuschieben und wieder nutzbar zu machen. Das gibt Orte, da kommt man bis auf Strahlenbelastungen von ungefähr 20 Millisievert pro Jahr, das ist das, was beruflich Strahlenexponierte maximal abkriegen dürfen, also das ist völlig indiskutabel, insbesondere für die Kinder, die da unter diesen Bedingungen leben sollen.
    "Das ist einfach ärgerlich und peinlich"
    Simon: Das heißt für Sie, wenn die japanische Regierung sagt, eine Rückkehr sei möglich und sicher, ist das gelogen?
    Pflugbeil: Das ist gelogen. Und dummerweise wird das eben auch von westlichen Fachleuten aus der oberen Etage durch teilweise definitiv falsche Angaben unterstützt. Also das ist einfach ärgerlich und peinlich.
    Simon: Woran, Herr Pflugbeil, würden Sie denn festmachen, wann wieder Menschen gefahrlos in die Region Fukushima zurückkehren können?
    Pflugbeil: Für normale Bürger gilt ein Grenzwert von 1 Millisievert pro Jahr, und wenn man das nicht garantieren kann, würde ich da keine Leute mit wirtschaftlichem Druck hin zurückschicken. Wer soll denn das verantworten?
    Simon: Sie waren vor Ort, wenn Sie das Bild so schwarzsehen, wie Sie es gerade hier zeichnen, wie schätzen Sie dann die langfristigen Folgen ein für Japan und für die Region dort?
    Pflugbeil: Das ist ganz schwer zu sagen, weil die Informationen, die zum Beispiel über die Gesundheitsschäden durchsickern, nur winzige Bruchstücke der Realität sind. Das ist auch kein Wunder. Wenn Sie sich angucken, wie bis heute über Tschernobyl desinformiert wird von UNO-Gremien, von Gesundheitsministerien, dann wird das zu erwarten sein, dass das in Japan ähnlich läuft.
    Aber man kann aus Tschernobyl so ein bisschen lernen, in welchen Größenordnungen solche Gesundheitsschäden sich über Jahrzehnte ausbreiten. Nehmen Sie ein Beispiel: Nach Tschernobyl ist in Bayern sehr sorgfältig der Fallout gemessen worden, und es sind auf Regierungsbeschluss die in Bayern neugeborenen Kinder mit Fehlbildungen erfasst worden – ein paar Jahre vor Tschernobyl und nach Tschernobyl. Am Ende konnte man aufgrund dieser Daten ziemlich genau sagen, dass in Bayern größenordnungsmäßig 3.000 Kinder mit Fehlbildungen geboren wurden aufgrund dieses Fallouts, mehr als tausend Kilometer von Tschernobyl weg, mit einer relativ moderaten Erhöhung der Strahlenbelastung.
    Und so eine moderat erhöhte Strahlenbelastung finden Sie in Japan bis in die Gegend von Tokio – bei einer sehr hohen Bevölkerungsdichte. Wenn man nur danach guckt, gucken würde, wie diese Situation dort ist, dann würde man Daten finden, aber man guckt nicht.
    "Die Ärzte haben Angst um ihre berufliche Existenz"
    Simon: Wie wäre denn aus Ihrer Sicht ein verantwortungsbewusster Umgang in Japan selber, was müsste da passieren?
    Pflugbeil: Man könnte zum Beispiel die Ärzte aufmuntern, ihre Beobachtungen in diesem Problemfeld zu machen und aufzuzeichnen und zu melden, und das Gegenteil ist der Fall. Das Gesundheitsministerium, das legt den Ärzten nahe, so zu denken, dass solche Untersuchungen doch die arme Bevölkerung noch zusätzlich belasten würden, und die Finger davon zu lassen.
    Darum kriegt man da so wenig belastbares Material, deshalb sind auch sogar die Ärzte ziemlich schmallippig, weil sie Angst haben um ihre berufliche Existenz, wenn sie aus der Schule plaudern. Das sind natürlich ganz schlechte Randbedingungen, um ein vernünftiges Bild der Situation zu bekommen.
    Simon: Herr Pflugbeil, Sie sind gleich unterwegs nach Hamburg, dort will ein japanischer Journalist berichten über seine Recherchen im Stil, ich sag mal, von Günter Wallraff. Er hat sich nämlich als Arbeiter zu Aufräumarbeiten in Fukushima einschleusen lassen. Was sind denn dessen Erfahrungen?
    Pflugbeil: Er beschreibt, wie die Yakuza, die japanische Mafia, dort Leute rekrutiert, unqualifizierte Leute rekrutiert, die die Drecksarbeit auf dem Gelände von Fukushima machen sollen. Das klingt sehr japanisch-schrecklich, aber wenn man weiß, dass auch in den westeuropäischen Kernkraftwerken Atomnomaden oder Leiharbeiter eingesetzt werden, um die Drecksarbeiten hier bei uns zu machen, ist das für mich ein Motiv, auch auf die Situation in Deutschland hinzuweisen.
    Das ist schlecht geregelt, diese Leute, die von außen in die Kernkraftwerke kommen, um dort sauber zu machen und eben diese Drecksarbeiten zu machen, die sind vom effektiven Strahlenschutz her, von den Möglichkeiten, eventuelle Gesundheitsschäden geltend zu machen, wirklich schlechter dran als die Stammbesatzung in den Kernkraftwerken und sind von der Zahl ein Vielfaches der festangestellten Besatzung in den Kernkraftwerken in Deutschland. Da müsste man ein dickes Fragezeichen an dieses Verfahren machen, und ich hoffe, dass das irgendwie noch mal in Gang kommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.