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Versorgung in Pflegeheimen
"Zahnpflege ist entscheidend"

Der Pflegereport 2014 der Barmer GEK zeigt, dass die zahnärztliche Versorgung in Pflegeheimen alarmierend ist. Die Hälfte der Heimbewohner hätten demnach zwei Jahre keinen Zahnarzt gesehen. Das sei eine Missachtung der Menschenwürde, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, im DLF. Die Grundpflege sollte jedem Menschen in Deutschland zuteilwerden.

Eugen Brysch im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Sarah Zerback: Wer im Pflegeheim wohnt, ist meist sehr abhängig von der Versorgung durch Dritte, und dass die in vielen Fällen unzureichend ist, das belegen kritische Studien und Berichte seit Jahren immer wieder. Jetzt zeigt eine aktuelle Erhebung, dass auch die zahnärztliche Versorgung alarmierend ist. Rund die Hälfte aller Pflegebedürftigen hat demnach zwei Jahre keinen Zahnarzt mehr gesehen. Bei einigen liegt der letzte Zahnarztbesuch sogar schon Jahrzehnte zurück. Das sind Ergebnisse des jährlichen Pflegereports der Barmer GEK, der zweitgrößten Krankenkasse Deutschlands, der heute in Berlin vorgestellt wurde, und es sind Ergebnisse, die vielen Patienten Sorge bereiten. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Guten Tag, Herr Brysch.
    Eugen Brysch: Guten Tag, Frau Zerback.
    Zerback: Haben Sie denn die heutigen Ergebnisse überrascht?
    Brysch: Nein, die haben uns nicht überrascht, weil aus unseren praktischen Erfahrungen wissen wir, dass, wenn Sie so wollen, es zu Zahnlosigkeit immer wieder kommt, und das bedauern wir sehr, weil wenn Sie so wollen: Das ist eine Missachtung auch der Menschenwürde. Die Grundpflege gehört dazu und die sollten wir jedem Menschen in Deutschland zuteilwerden lassen.
    Zerback: Dabei ist es ja auch so, dass fast alle Pflegebedürftige in Heimen quartalsmäßig Besuch bekommen vom Zahnarzt. Auch das sagt der Pflegereport. Wie kann es denn dann trotzdem zu so niedrigen Behandlungsraten kommen?
    Brysch: Tatsächlich bekommt er zwar quartalsmäßig Besuch, aber es ist nicht der Facharzt, der Zahnarzt, der kommt, sondern der Hausarzt. Und wir fragen uns natürlich: Wo gibt es in Deutschland schon 750.000 Menschen, die, wenn Sie so wollen, einmal im Quartal ihren Hausarzt sehen, aber der Hausarzt nichts unternimmt, wenn er feststellt, hier läuft was in der Zahnmedizin, in der Zahnpflege falsch.
    Brysch: Hausärzte mit der Verantwortung für die Facharztversorgung überfordert
    Zerback: Was fordern Sie also? Was müsste anders sein, damit diese Lücke geschlossen wird?
    Brysch: Die Verantwortung für die Facharztversorgung, da scheint es wohl, da sind die Hausärzte mit überfordert, und es wird dringend notwendig sein, die Pflegeheime hier in die Verantwortung zu nehmen, denn die Pflegeheime sind letztendlich auch diejenigen, die die Hausärzte holen, und deswegen müssen die Pflegeheime auch in Zukunft Verantwortung dafür tragen, hier Zahnmediziner ins Haus zu holen. Das ist eine dringende Forderung.
    Übrigens darüber hinaus bedarf es auch einer Transparenz. Der Pflege-TÜV, den Herr Laumann ja jetzt aussetzen will - ich warne davor, wenn das der Pflegebeauftragte der Bundesregierung fordert -, der Pflege-TÜV muss endlich verändert werden. Wir brauchen das, wenn Sie so wollen, als Schlüsselstellung. Zahnpflege ist entscheidend.
    Zerback: Vielleicht erklären Sie das noch mal kurz. Der Pflege-TÜV, das ist ja ein Bewertungssystem zur Benotung von Pflegeeinrichtungen. Inwieweit könnte das weiterhelfen?
    Brysch: Tatsächlich können Sie ja heute mit den unterschiedlichen Merkmalen einen wunderschönen Pflege-TÜV und eine Nummer und eine Ziffer basteln, die letztendlich nichts mit der Realität zu tun hat. Das liegt daran, dass Sie so mehr als 50 Auswahlkriterien haben, und die sind gegeneinander ausgleichbar. Wir fordern wie in der Schule: Es muss Hauptfächer geben, und dazu gehört auch die Facharztversorgung, dazu gehört auch die Cubitus, also Wundgeschwüre, dazu gehört auch die Versorgung mit Medizin, und eine Note in diesem Bereich von fünf bedeutet, dass letztendlich der Pflege-TÜV auch durchgefallen ist.
    "Kassenzahnärztlichen Vereinigungen haben eine vertragliche Pflicht"
    Zerback: Nun ist es ja gleichzeitig so: Seit 2013 bekommen Zahnärzte mehr Geld, wenn sie Pflegebedürftige behandeln. Hat sich denn jetzt die Situation seitdem verbessert, beziehungsweise war sie vorher noch schlechter?
    Brysch: Frau Zerback, man muss wissen, dass das von Jahr zu Jahr zunehmend ist. Dieser Bericht macht ja auch deutlich: Je schwerer Sie pflegebedürftig sind, wenn Sie noch zusätzlich dement sind, je schlechter ist die Versorgung. Die Menschen, die eine ganze Aufmerksamkeit brauchen, wo kaum ein Angehöriger die Zeit hat, wo letztendlich ganz viel Fürsorge notwendig ist, die werden von diesem System am schlechtesten behandelt, und das kann nicht sein. Und ich frage natürlich, was machen die kassenzahnärztlichen Vereinigungen. Die haben einen Sicherstellungsauftrag und das bedeutet keine Gnade, sondern sie haben eine vertragliche Pflicht, dass Zahnärzte wirklich tatsächlich erstens den Pflegebedürftigen sehen und zweitens ihn so versorgen, dass er am Ende nicht zahnlos wird.
    Zerback: Die Zahnarztversorgung in Pflegeheimen in Deutschland ist menschenunwürdig - das sagt Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz. Vielen Dank für das Gespräch.
    Brysch: Vielen Dank, Frau Zerback. Einen schönen Abend!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.