"Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen
Und schrien sich zu ihre Erfahrungen
Wie man schneller sägen könnte...,
Und schrien sich zu ihre Erfahrungen
Wie man schneller sägen könnte...,
Unser Leben ist meistens laut, schnell und voll. Voller Termine, voller Arbeit, voller Dinge. Doch Anfang des Jahres wurde es plötzlich leiser. Leerer. Langsamer.
Die Covid-19-Pandemie hat der Weltwirtschaft eine Zwangspause verordnet. Gleichzeitig hat sie viele Regierungen zur Auszahlung horrender Fördergelder veranlasst. Damit hat sie auch eine Debatte befördert, die fragt: Sollen wir so weitermachen wie vorher? Oder müssen wir jetzt nicht das Geld und die Gelegenheit nutzen, um umzusteuern? Zum Beispiel so, wie es die Bioökonomie verspricht:
"Deren Palette reicht von dem Bemühen, Bio-Kerosin für Flugzeuge wettbewerbsfähig herzustellen, bis zu künstlichem Leder aus Milchresten, Ananas und Brennnesseln. Manipulierte Bakterien sollen Gifte fressen oder CO2 in den Abgasschloten von Kohlekraftwerken in chemische Grundstoffe verwandeln – es gibt unendliche Vorschläge, wie man mit den neuen Technologien umrüsten will."
Weitermachen ohne schlechtes Gewissen?
Weiterhin Klamotten shoppen, um die Welt fliegen und Fleisch aus der Petrischale auf den Grill legen – ganz ohne schlechtes Gewissen. Damit könnten wir uns fast alle anfreunden. Nur: Erfüllt es auch seinen Zweck?
...und fuhren
Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen
Schüttelten die Köpfe beim Sägen und
Sägten weiter."
(Bertolt Brecht)
Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen
Schüttelten die Köpfe beim Sägen und
Sägten weiter."
(Bertolt Brecht)
Es ist schon lange da, das schlechte Gewissen. Es meldet sich, wenn die gelbe Tonne überquillt. Es meldet sich bei unnötigen Autofahrten, beim Blick auf das große, kaum gedämmte Haus.
Aber wann immer das schlechte Gewissen kommt, ist da auch eine zuversichtliche Stimme: War da nicht eine Meldung über Kunststoff fressende Bakterien? Und über Autoreifen aus Löwenzahn? Und gibt es nicht auch schon gentechnisch veränderte Pflanzen, die grünen Wasserstoff produzieren?
Große Hoffnung Bioökonomie
In den letzten Jahren wurden Hoffnungen wie diese immer häufiger mit einem Begriff verknüpft: der Bioökonomie.
"Die Bioökonomie soll also den Weg von einer fossilen Wirtschaft zu einer Produktion auf der Grundlage von Pflanzen, Mikroorganismen und biotechnologischen Verfahren weisen."
Erklärt die Zeit-Journalistin und Bioökonomie-Kennerin Christiane Grefe auf einer Podiumsdiskussion zum Thema. Die Bioökonomie will also vieles, was uns derzeit Sorgen bereitet, ersetzen: Kohle, Erdöl, Erdgas, aber auch erdölbasierte Produkte wie Plastikgüter, Kleidung oder Kosmetika. Und zwar durch Stoffe, die die Natur uns liefert.
"Auf diese Weise sollen Lösungen für die großen Herausforderungen der Menschheit entwickelt werden, eine wachsende Bevölkerung trotz der immer knapper werdenden natürlichen Ressourcen mit allem zu versorgen. Und das alles klimafreundlich, ohne Treibhausgasemissionen und nachhaltig, auch mit Blick auf den Schutz der Arten."
Das klingt gut. Heißt aber längst nicht, dass es funktioniert.
Die Wunder-Rechnung geht leider nicht auf
Um mir dieses Wunderwerkzeug "Bioökonomie" ein bisschen genauer erklären zu lassen, fahre ich ans Leipziger Umweltforschungszentrum zu Daniela Thrän. Die Ingenieurin ist Expertin für "Stoffströme". Das heißt, sie schaut von oben auf die Bioökonomie: Welche biologischen Rohstoffe gibt es, und wie können wir sie wofür sinnvoll und effizient nutzen? Obwohl ich schnell merke, dass es bei all den Stoffen, die in Deutschland und der Welt so hin und her strömen, schnell recht unübersichtlich werden kann, gibt es auf die wichtigste Frage eine einfache und deutliche Antwort: Geht das überhaupt, dass wir auf fossile Rohstoffe verzichten und stattdessen nur noch Pflanzen, Mikroben, Tiere, Pilze verwenden?
"Erstmal kann man sich natürlich angucken, wie viele fossile Rohstoffe nutzen wir heute und wie viel Biomasse wäre verfügbar, wenn man den Naturhaushalt nicht stört und außerdem der Ernährung umfassend den Vorrang gibt. Dann kommt man darauf, dass das ungefähr zehn Prozent der fossilen Ressourcen sind."
Es geht also nicht. Und trotzdem wäre es natürlich dumm, diese zehn Prozent nicht zu nutzen. Zumal die Bioökonomie mehr zu bieten hat als nur den Ersatz fossiler durch biologische Rohstoffe. Die großen Potentiale, sagt Thrän, liegen auch noch woanders:
"Erstens in einer ganz konsequenten Kreislaufwirtschaft, Nutzung von Rest- und Abfallstoffen, Wiederverwendung von Materialen, sich auch Gedanken zu machen, dass diese Materialen bioabbaubar und damit umweltverträglich sind. Zweitens in der Innovation: also wirklich neue Produkte zu entwickeln, die deutlich bessere Produkteigenschaften haben als zum Beispiel Kunststoffe und Chemikalien, die wir heute kennen. Und drittens, an den Stellen, wo wir wenig Alternativen haben, die fossilen Energieträger zu ersetzen."
Intelligente Nutzung von Reststoffen
Wie so eine intelligente Nutzung von Reststoffen aussehen kann, zeigt Daniela Thrän mir gemeinsam mit Harald Wedwitschka vom Deutschen Biomasseforschungszentrum in Leipzig. Wir gehen dafür in einen Keller mit Laborräumen.
"Das zum Beispiel, das ist ein Reststoff aus der Bio-Ethanol-Produktion."
Harald Wedwitschka zeigt ein Glas mit hellen runden Brocken darin: Getreideschlämpe. Wie einige andere Abfallprodukte, die hier erforscht werden, erfüllt sie noch einen guten Zweck: Die Brocken werden zerkleinert und dienen als Futtermittel für die Larven der Schwarzen Soldatenfliege. Die raupenartig aussehnenden Larven sind zu diesem Zeitpunkt bereits "geerntet", wie es hier heißt, und lagern – in Tüten verpackt – im Tiefkühlfach.
"Das ist jetzt die Larve, so wie die zum Schluss jetzt aussieht. Diese Larven werden dann getrocknet und entfettet."
Die Proteine könnten später als Futtermittel in der Aquakultur dienen und hier Tiermehl ersetzen, sagt Wedwitschka. Beim Fett ist es etwas schwieriger.
"Wir suchen jetzt in einem Folgeprojekt eine Anwendung für dieses Fett. Zum Beispiel in Bereichen wie Forst- oder Gewässermanagement oder im marinen Bereich, dort wo fossile Schmierstoffe Umweltprobleme verursachen könnten, versuchen wir das mit biobasierten Schmierstoffen besser zu machen."
Selbst die Futterreste werden nicht einfach weggeschmissen, sondern landen in verschiedenen kleinen Test-Kesseln.
"Diese Reststoffe aus der Insektenzucht haben wir teilweise als Biogas-Substrat untersucht. Daneben haben wir untersucht, ob die als Düngemittel geeignet wären, ob die als Pilzkultursubstrat in der Champignonzucht geeignet wären."
Insekten (-Larven) direkt essen wäre am effizientesten
Wenn all diese Prozesse am Ende optimiert sind und vielleicht die Larven durch Züchtung auch noch deutlich größer werden, dann könnten aus einem Reststoff sehr viele neue Produkte gewonnen werden: Energie, Schmierstoffe, Dünger, Tierfutter. Noch effizienter wäre es natürlich, wenn der Mensch mit diesen Proteinen nicht sein Nahrungsmittel, den Fisch oder das Schwein, füttern würde, sondern sich selbst.
"Haben Sie schon einmal probiert?" "Hm, ja, schmeckt so ein bisschen nussig. Ist jetzt nicht schlimm. Ja, wer weiß? Derzeit ist es ja eher ein Party-Gag. Aber ich glaube so richtig durchgesetzt hat sich das nur in Berlin, Frankfurt, in ein paar Szenerestaurants. Aber vielleicht kommt das noch."
Wer auf die Informationsseiten des Bildungs- und Forschungsministerium, biooekonomie.de, schaut, wird dort unzählige weitere Beispiele finden: Fahrräder aus Bambus, Schuhe aus biotechnologisch hergestellter Spinnenseide, Fleischersatz aus Pilzmyzelien. Es sind tolle Ideen, effizient, klima- und umweltfreundlich.
Und trotzdem bleibt die Frage: Selbst wenn es uns gelingt, andere Biomasse als die bereits bekannte zu erschließen, mehr aus dem Gleichen herauszuholen, Abfall- und Nebenprodukte zu nutzen: Reicht das am Ende? Nein, sagt Daniela Thrän. Deshalb sieht sie die Bioökonomie auch nicht nur als Wirtschaftszweig, sondern als Umdenkprozess:
"Die Biomasse, die Landfläche, die man hat, ist begrenzt. Das bedeutet, dass man diese Grenzen ernst nimmt - das ist das, was den Umdenkprozess ausmacht."
Greenwashing bei Luxus-Konsumgütern?
"Ladies and Gentlemen, the new Porsche Taycan!"
Weltpremiere des ersten elektrischen Porsche: Ein weißes, windschnittiges Auto fährt auf eine Bühne. Während sich der Wagen in der Mitte auf einer Scheibe dreht, geht der Bühnenraum hinten auf und gibt den Blick auf eine riesige grüne Wiese mit unzähligen Photovoltaikanlagen frei. Die Botschaft lautet: Man muss nicht auf Luxus und Beschleunigung verzichten, wenn man sich nachhaltig fortbewegen will. Für das Interieur wurden Fischernetze recycelt und nachhaltig gegerbtes Leder eingesetzt. Außerdem fährt der Bolide quasi CO2-neutral, weil gleichzeitig mit seiner Produktion Wind-, Photovoltaik-, und Wasserkraftanlagen ausgebaut wurden. Man könnte auch sagen: Porsche macht das Gleiche wie vorher – nur in Grün. Christiane Grefe:
"Das und vieles mehr sah der leider unter heutigen Bioökonomen selten erwähnte und zitierte Ökonom Nicholas Georgescu-Roegen, der den Begriff Anfang der 70er Jahre ursprünglich einmal geprägt hat, schon damals voraus. Noch bevor das Buch ‚Die Grenzen des Wachstums‘ erschien, betonte Georgescu-Roegen, dass selbst eine Ökonomie auf solarer und biologischer Grundlage nur in Verbindung mit mehr Bescheidenheit möglich sei. Ich zitiere: ‚Jeder heute neugebaute Cadillac verkürzt die Lebenschancen künftiger Generationen‘, schrieb er und forderte, auf Luxuskonsum und Autos zu verzichten, die von null auf hundert beschleunigen, noch ehe der Zigarettenanzünder glüht."
Nicholas Georgescu-Roegen, den die Journalistin Christiane Grefe in ihrem Vortrag zitiert, war einer der Ersten, der den Begriff "Bioökonomie" verwendete.
Die strengen Regeln von Nicholas Georgescu-Roegen
Wie eine richtige Bioökonomie seiner Meinung nach aussehen müsste, kann ich den 1994 verstorbenen Georgescu-Roegen – oder "GR" wie er oft genannt wird – nicht mehr fragen. Aber seinen wohl bekanntesten Schüler, Herman Daly. Auch Daly ist zwar schon lange im Ruhestand und kann nicht mehr in ein Aufnahmestudio kommen, wie er schreibt. Aber auf Fragen und Mails antwortet er prompt:
"Regel Nummer eins wäre, erneuerbare Ressourcen nachhaltig zu nutzen. Regel Nummer zwei wäre, nicht erneuerbare Ressourcen zu einem Preis zu nutzen, der gezahlt würde, wenn die gleiche Leistung durch erneuerbare Ressourcen erbracht würde. Und die dritte Regel ist, dass Sie weder erneuerbare noch nicht erneuerbare Ressourcen schneller nutzen, als das Ökosystem die Abfallprodukte absorbieren und sich regenerieren kann. Das sind drei extrem strenge Regeln. Und wir sind sehr, sehr weit von der Einhaltung dieser Regeln entfernt."
Heute wird die Bioökonomie eher als Weg gesehen, wie wir unsere Ökonomie ökologisieren. Das schließt grünes Wachstum und kaum veränderte Wirtschaftsstrukturen nicht aus. Der frühe Bioökonomie-Begriff von Georgescu-Roegen war ein anderer. "Bio" hieß hier: Nicht die Biosphäre ist ein Teil der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft ist ein Teil der Biosphäre und muss ihre Grenzen berücksichtigen, wenn sie dauerhaft funktionieren soll.
Bioökonomische Theorie auf Basis der Thermodynamik
Gestützt ist dieses Verständnis nicht nur auf biologische Zusammenhänge. "GR" gründet seine nicht ganz triviale, aber bis heute einflussreiche bioökonomische Theorie auf die Gesetze der Thermodynamik. Ein kleiner Exkurs:
"Erster Hauptsatz: In keinem geschlossenem System wird Energie erzeugt oder zerstört."
Das widerspricht unserer Alltagserfahrung. Tatsächlich aber erzeugen oder verbrauchen wir keine Energie, sondern wandeln sie nur um: Aus dem Energieträger Kohle wird zum Beispiel Wärmeenergie, aus dem Erdölprodukt Benzin wird Bewegungsenergie, aus Erdgas wird elektrische Energie und so weiter. Das Problem ist allerdings: Wir können diese Umwandlung der Energie nicht rückgängig machen. Wir können aus der Wärme keine Kohle, aus dem Strom nur mit großen Verlusten wieder Erdgas machen. Und damit sind wir beim zweiten Hauptsatz, dem sogenannten "Entropiegesetz":
"Energie wird tendenziell zu immer schlechteren Eigenschaften abgebaut."
Vorstellen kann man sich das folgendermaßen: Eine heiße Tasse Tee kühlt sich so lange ab, bis sie die Temperatur des Raumes erreicht hat. Dabei wird die Wärme an die Umgebung abgegeben. Dieser Prozess ist – ohne Energiezufuhr – nicht umkehrbar. Würde nur Energieerhaltung gelten, könnte der Tee auch noch heißer, der Raum noch kälter werden. Aber das passiert nicht. Abstrakt gesehen wird aus reinen, geordneten Energieformen verteilte, ungeordnete Wärme, die nicht mehr nutzbar ist.
Die Wirtschaft als "gieriges Tier"
Doch: Was hat all das nun mit der Bioökonomie zu tun, frage ich Herman Daly.
"Am besten, Sie stellen sich die Wirtschaft als Tier vor. Die neoklassische Ökonomie sieht in diesem Tier nur ein geschlossenes Kreislaufsystem – nichts tritt von außen ein, nichts tritt aus. G-R sagt, ein solches Tier kann nicht existieren, es wäre ein Perpetuum-Mobile. Denn ein Tier und auch die Wirtschaft ist ja an zwei Enden mit der Umwelt verbunden: es nimmt Futter auf, verbraucht also Energie, und scheidet am Ende die Abfallstoffe wieder aus. Beide leben also davon, niedrige Entropie, also Ordnung, aus der Umwelt zu saugen. Tiere können ihre eigenen Abfallprodukte nicht mehr wieder aufnehmen, genauso wie ein Auto nicht mit seinen eigenen Abgasen fahren kann."
Wir wären demgemäß besonders gierige Tiere, weil wir besonders viel Energie verbrauchen. Nicht nur für unsere Nahrung – das ist lediglich ein Bruchteil, sondern auch für unseren Wohlstand: für Mobilität, Unterkunft und Konsumgüter. Daly:
"Ökonomen lebten zunächst in einer Welt, die relativ menschenleer war, aber dafür voller Natur. Die natürlichen Ressourcen waren praktisch unendlich und wurden vom Markt mit dem Wert ‚Null‘ bepreist. Daher wurden sie in einem Modell abstrahiert, das sich auf Wert und Wertwachstum konzentrierte. Wertzuwachs hat jedoch physische Konsequenzen und führt zu einer vollen Welt, in der die Natur im Verhältnis zur Wirtschaft knapp ist. Das weitere Wachstum der Wirtschaft, ihr Verbrauch von Ressourcen und die gleichzeitige Verschmutzung in einer endlichen und entropischen Welt, die bereits voll ist, führt zu einem ökologischen Zusammenbruch."
Erfindungsreichtum als "unendliche Ressource"?
Da die Knappheit der Ressourcen mittlerweile aber kaum mehr von der Hand zu weisen sind und vor allem der Klimawandel immer rascher voranschreitet, ruhe jetzt die Hoffnung auf dem menschlichen Verstand als unendlicher Ressource, erklärt Daly:
"Neoklassische Ökonomen argumentieren, dass wir immer neue Technologien erfinden können. Und wenn uns eine Ressource ausgeht, entdecken wir andere, weil wir eine Technologie finden können, die diese auf ebenso effektive Weise nutzt. Und meine Güte, wissen Sie, irgendwann werden wir den Weltraum erobern! Und wir werden den Mars kolonisieren! Und so weiter und so fort. Manchmal freue ich mich, dass ich sie immerhin schon von der Erde weg in den Weltraum getrieben habe."
Dass der Platz auf diesem Planeten eng wird, ist in den Debatten um die Bioökonomie immer wieder Thema. Drei Viertel der weltweiten Flächen werden bereits vom Menschen genutzt. Um fossile Energie zu ersetzen, werden weitere Flächen benötigt – für Windräder, Photovoltaikanlagen oder Energiepflanzen. Daneben braucht es auch Äcker für eine wachsende Weltbevölkerung. Es braucht Flächen für den Artenschutz und auch für den Klimaschutz, wo die Zeit besonders drängt.
Am Ende geht die Rechnung nicht auf. Auch dann nicht, wenn man die einzige – zumindest auf lange Sicht unbegrenzte Ressource auf der Erde berücksichtigt, die Sonnenenergie, meint Daly:
"Wir leben von Sonnenenergie, brauchen aber Materialien und andere Arten, um diese Energie einzufangen. Und der Raum, auf dem dies geschehen kann, ist auf der Erde begrenzt. Es ist also unmöglich, einfach für immer und ewig weiter zu expandieren."
Zurück auf das Konsumniveau der 50er, 60er Jahre?
Genau das aber war bisher erklärtes Ziel der meisten Regierungen. Auch in der aktuellen Debatte um die Bioökonomie und in der deutschen Bioökonomie-Strategie wird oft auf ein grünes Wachstum und auf neue Technologien gesetzt. Diese Fokussierung aber führe nicht weiter, meint Niko Paech. Als wachstumskritischer Nachhaltigkeitsforscher steht er in der Tradition von Georgescu-Roegen und Herman Daly. In seiner Erklärung kommt auch er auf die Thermodynamik zu sprechen:
"Das fängt schon an damit, dass, wenn wir einen Faustkeil aus einer Basaltsäule schlagen, dass wir dann unwiederbringlich eine Veränderung dieser Basaltsäule vornehmen, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Das gilt erst recht, wenn wir ein Kraftwerk bauen, ein Auto, ein Kernspintograph oder eine Rakete, die zum Mars startet oder wie auch immer. Alle Eingriffe in die Materie führen dazu, dass immer mehr Materie auf diesem Planeten wertlos wird, sie geht also physikalisch betrachtet in Unordnung über. Und irgendwann ist nichts mehr da, was wir verwandeln können. Das heißt also, die Thermodynamik ist gnadenlos und lässt auch nicht mit sich verhandeln."
Man müsse daher zurück auf das Konsumniveau der 1950er oder 60er Jahre, das ein Fünftel des heutigen betrug, meint Paech:
"Dann wären wir in einer Postwachstumsökonomie und nicht in einem grünen Wachstum. Die Produktion geht radikal zurück, die Auswahl geht zurück und unsere Kaufkraft geht zurück. Das muss man den Menschen einfach mal sagen, statt ihnen die Kuschelnachhaltigkeit vorzulügen, wie das in letzter Zeit oft passiert."
Eine etwas optimistischere Gegenmeinung
Abwrackprämie für Autos, irreparable Smartphones, Wegwerfverpackungen – unsere derzeitigen Konsumgüter zeichnen sich nicht gerade durch Langlebigkeit, Qualität und Kreislauffähigkeit aus. Ein Wachstum dieses Konsums schont keine Ressourcen. Aber muss das zwangsläufig immer so sein? Setzt die Bioökonomie nicht genau hier an? Michael Jakob vom Berliner Mercator-Instituts für Klimaforschung:
"Die Vergangenheit ist kein guter Indikator für die Zukunft. Ich meine, wenn Sie 1990 in die Vergangenheit geschaut und gesagt hätten: Ja, ein weltumspannendes Informationsnetz, hat es noch nie gegeben, kann es also nicht geben, wären Sie auch sehr falsch gelegen. Das heißt, es ist durchaus möglich, wenn der politische Wille da ist."
Michael Jakob sieht wie Paech die Notwendigkeit, den Ressourcenverbrauch zu senken. Doch für den Ökonomen ist die Frage nicht, wie stark die Wirtschaft dabei wächst oder schrumpft, sondern welche Werte hinter dem Wachsen oder Schrumpfen stehen:
"Wenn man jetzt von dem BIP zum Beispiel die CO2-Emissionen mit einem gewissen Preis mal 30 Euro pro Tonne CO2 abziehen würde, dann würde ja ein realistischeres Bild sozusagen entstehen, was wirklich an gesellschaftlichem Wert geschaffen wird. Und dann könnte zum Beispiel dieser berichtigte BIP-Indikator allein schon dadurch wachsen, dass man die Umweltzerstörung vermindert, dass man nicht mehr konsumiert, sondern einfach weniger abzieht sozusagen und durch weniger CO2-Emissionen insgesamt einen höheren Wert für die Gemeinschaft für Lebensqualität hat."
Ob das durch neue Technologien oder ein verändertes Konsumverhalten erreicht wird, sei dann zweitrangig, meint Jakob:
"Das ist kein Entweder-Oder, sondern das ist gerade der wichtige Punkt, beides zu benutzen. Das heißt, man kann nicht getrennt technologische Entwicklungen mit Verhaltensänderungen sich anschauen, sondern man muss eigentlich überlegen: Wie kann beides zusammenspielen? Wie kann eigentlich eine Verhaltensänderung irgendwelche Technologien weiter vorantreiben? Welche Technologien können zu neuen gesellschaftlichen Wertvorstellungen passen?"
Gravierende technische Innovationen als Game-Changer?
Daniela Thrän vom Leipziger Umweltforschungszentrum: "So wie sich die Kostenreduktion und auch der Wissenszuwachs in der Biotechnologie entwickelt hat, sind es auf jeden Fall starke Hinweise, dass es da große technische Innovationen geben kann. Es ist natürlich ein Desaster, dass wir nie in die Zukunft gucken können."
Für den Klimaschutz etwa, meint Thrän, könnte ein neues Speichermedium für Sonnenenergie ein Meilenstein sein:
"Kann man nicht die Photosynthese, die nämlich die Basis für die Bioökonomie darstellt, kann man die nicht noch in ihrer Effizienz verbessern? Das wird künstliche Photosynthese genannt, das ist noch sehr in den Anfängen. Aber aktuell haben Pflanzen einen Wirkungsgrad von höchstens 6 bis 7 Prozent. Und wenn man hier mit technischen Mitteln größere Wirkungsgrade erzielt, kann man in jedem Fall die begrenzte Landfläche noch einmal ganz anders nutzen."
Das Problem mit den neuen nachhaltigen Technologien ist: Es braucht Zeit, sie zu entwickeln und ihr Erfolg ist ungewiss. Zudem werden sie gerne als Ausrede benutzt, um weiter zu wirtschaften wie bisher. Genau das, da sind sich alle einig, dürfe aber nicht passieren: Wir müssen bescheidener werden, findet Thrän:
"Je kleiner die Menge ist, die man realisieren muss, umso einfacher ist der Umstieg. Das sage ich als jemand, der sich vor allem mit den Stoffströmen befasst und sieht, dass da wirklich noch große Mengen umgestellt werden müssen."
Fleischkonsum ist energetisch und gesundheitlich ungünstig
Das gilt, sagt Daniela Thrän, neben den Stoffströmen im Energiebereich auch für die normale Landwirtschaft. Mehr als die Hälfte der geernteten Biomasse werde als Futter für Vieh verwendet. Die Nahrungsenergie, die am Ende dadurch auf dem Teller landet, beträgt aber nur noch vier Prozent der ursprünglich geernteten Biomasse. Ein enormer Verlust:
"Und das ist deswegen ein interessanter Stoffstrom, weil die Menge an tierischen Produkten, die aktuell genossen wird, deutlich höher ist, als das, was von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen wird. Hier wäre sogar ein Stoffstrom, wo man die Flächen entlasten könnte und zum anderen auch einen positiven Effekt auf die Gesundheit hätte."
Auch hier treffen Thrän und Paech wieder aufeinander: Das Fahrrad ist gesünder als das Auto, viel Gemüse besser als viel Fleisch – oft, so meint Paech, schade zu viel Wohlstand nicht nur der Natur, sondern auch uns:
"Die Gesamtsituation ist ja die, dass wir nicht nur vor physischen und ökologischen Grenzen stehen, sondern wir haben die Gesellschaft auch in einem psychischen Sinne überstrapaziert, also wir stehen vor psychischen Wachstumsgrenzen. Nie zuvor war der Wohlstand so grassierend, gleichzeitig haben wir noch nie so viele Antidepressiva verkauft und noch nie so viele Therapien gebraucht und hatten noch nie so viele digitale Demenz, Orientierungslosigkeit, Stress."
Wie könnte sich das Konsumverhalten ändern?
Neu ist das nicht. Vieles scheint bereits aus den Debatten um die Wachstumskritik in den 1970ern bekannt. Und doch: geändert hat sich nichts. Wenn man die Bioökonomie als Umdenkprozess verstehen würde, so wie Thrän das fordert, müsste sie nicht nur Wege aufzeigen, wie das Angebot, sondern auch wie die Nachfrage nachhaltiger gestaltet werden kann. Wie Menschen lernen, gesünder und nachhaltiger zu leben. Menschen wie ich zum Beispiel. Ich weiß, was aus dem Auspuff meines Autos kommt, ich weiß, dass ich oft zu viel vor Bildschirmen sitze, ich weiß, dass ich zu viele Dinge besitze und kaufe. Wie also, frage ich Niko Paech ein letztes Mal, wollen Sie mich dazu bringen, mich anders zu verhalten? Paech gießt sich erst einmal Kaffee nach und sagt dann:
"Ich bin Nachhaltigkeitswissenschaftler, ich bringe niemanden zu etwas, ich biete Informationen."
Letztlich hänge es an jedem Einzelnen, meint Paech. Erst müssten einige, dann viele ihr Verhalten ändern. Eine Art Mode. Das, was den Konsum ankurbelt, nämlich dass Menschen dem sozialen Status der Nachbarn oder der Bekannten hinterherhecheln, dieses Prinzip lässt sich auch umkehren:
"Wenn also in meiner Nachbarschaft alle Leute einen dicken SUV fahren, dann wird damit ein gewisser sozialer Druck ausgeübt. Wenn umgekehrt in meiner Straße kein Mensch ein Auto fährt, dann ergibt sich nach derselben Logik, dass ich den SUV möglichst schnell wieder abschaffe, zur nächsten Grillparty auch Tofu mitbringe."
Macht erst die Pandemie das Konsum-Hamsterrad deutlich?
Solche gesellschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Ansätze werden in der Forschungsförderung und den Bioökonomie-Strategien in Deutschland und Europa aber kaum berücksichtigt. Eigentlich, so meinen viele Nachhaltigkeitswissenschaftler, müssten viel mehr Projekte gefördert werden, die nicht aus Weniger mehr machen, sondern zeigen, dass Weniger manchmal mehr ist. Aber wer nicht sagt: Ich möchte dies und das entwickeln und herstellen, sondern ich möchte die Herstellung von diesem und jenem verhindern oder zumindest senken, wird kaum Forschungsgelder bekommen.
Obwohl das Konsumverhalten der Menschen eine riesige Schraube darstellt, wird an ihr nicht gedreht. Es brauchte eine weltweite, folgenschwere Pandemie, um diese Schraube zumindest wieder etwas sichtbarer zu machen. Bei allem Leid, allen Problemen und Herausforderungen, die diese Pandemie mit sich bringt, sei sie für einige Menschen auch ein unfreiwilliges Zirkeltraining für mehr Bescheidenheit, meint Paech:
"Wir haben im Hamsterrad gelebt, einem Turbolader der ständigen Mobilität, des Konsums, aber auch der Leistungsexzesse im Berufsleben. Und jetzt erkennen viele Menschen, dass es ihnen guttut, sich einfach um den Haushalt zu kümmern, Dinge aufzuräumen, zu reparieren, im Garten zu arbeiten oder sich schlicht und einfach mal um die eigenen Familienmitglieder zu kümmern. Daraus jetzt die Story zu weben, so nach dem Motto: Hurra, nach der Corona-Pandemie werden wir jetzt ganz schnell und leicht und mit einem Lied auf den Lippen die Transformation mit Richtung Postwachstumsökonomie vollführen, wäre natürlich falsch. Weil dieses Übungsprogramm vergleichsweise kurz sein wird. Und weil die Politik im Moment alles tut, um mit der Brechstange wieder das alte Modell zu rekonstruieren, nach dem Motto: Geld drucken, bis das Papier ausgeht."
"Verzweiflung ist eine Sünde und Hoffnung eine Tugend"
Wie ist es also mit den kühnen Versprechen der Bioökonomie? Ganz leer sind sie nicht, aber allein auf findige Ingenieure und das Gleiche in Grün zu setzen, ist keine Lösung. Ganz egal, welche Rolle Technologien dabei spielen werden: die Wirtschaft, der Konsum, der Verbrauch werden sich deutlich ändern müssen. Wie hatte Niko Paech es gesagt: Menschen müssen das Verändern kleinschrittig einüben. Ob das reicht? Nicholas Georgescu-Roegen hatte da seine eigene Vermutung:
"Wird die Menschheit einer Entwicklung zustimmen, die ihre Abhängigkeit vom Komfort einschränkt? Vielleicht besteht das Schicksal des Menschen darin, ein kurzes, aber feuriges, aufregendes und extravagantes Leben zu führen und nicht eine lange, ereignislose und vegetative Existenz. Lassen Sie andere Arten, zum Beispiel die Amöben, die keinerlei soziale Ambitionen haben, eine Erde erben, die immer noch in viel Sonnenschein getaucht ist."
Aber soll das hier so enden? Ich frage noch einmal bei Herman Daly nach. Er ist jetzt 86 Jahre alt. Ist er frustriert, wenn er sieht, wie die erste Idee der Bioökonomie vor 50 Jahren ohne rechte Folgen blieb?
"Nun ja, vielleicht bin ich ein bisschen frustriert. Und optimistisch zu sein ist sicher auch ein bisschen dumm, wenn man sich ansieht, was passiert. Aber ich denke, Verzweiflung ist eine Sünde und Hoffnung eine Tugend. Also mache ich einfach weiter. Was sollte ich auch sonst tun?"