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Verständigung auf Sparflamme

Unter Kolumbiens Ex-Präsidenten Alvaro Uribe war das Verhältnis zwischen Kolumbien und dem Nachbarn Venezuela in den vergangenen Wochen und Monaten fast zum Nachbarschaftskrieg eskaliert. Erst im Juni hatte Kolumbien die diplomatischen Beziehungen zu Venezuela abgebrochen, weil Chavez angeblich die kolumbianische Guerilla Farc unterstützt und ihren Kämpfern im unwegsamen Grenzgebiet Unterschlupf gewährt. Jetzt setzen beide Seiten auf Entspannung – doch ob das Tauwetter hält, wird sich erst noch zeigen: Denn die Ursachen für diesen Konflikt sind noch keinesfalls bereinigt.

Von Gottfried Stein |
    Eine gemeinsame Erklärung als Neuanfang. Bei ihrem Gipfeltreffen im kolumbianischen Santa Marta haben der neue Präsident Juan Manuel Santos und sein venezolanischer Amtskollege Hugo Chavez beschlossen, das verbale Kriegsbeil zwischen den Nachbarstaaten wieder zu begraben. Im Anschluss an das knapp dreistündige Gespräch meinte Santos:

    "Wir haben beschlossen, dass die beiden Länder ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufnehmen und einen Zeitplan erstellen, damit alle Aspekte der Beziehungen vorwärtskommen und sich vertiefen"."

    Chavez hatte die Beziehungen zu dem Nachbarstaat Ende Juli abgebrochen, nachdem ihm Santos Vorgänger Alvaro Uribe vorgeworfen hatte, er würde der kolumbianischen FARC-Guerilla Unterschlupf gewähren. Der konservative Uribe und der Sozialisten Chavez waren in den letzten Jahren immer wieder heftig aneinandergeraten. Chavez beteuerte noch einmal, Uribes Vorwürfe seien haltlos:

    ""Die venezolanische Regierung, die ich führe, unterstützt oder erlaubt die Präsenz von Guerilla oder Terrorismus oder Drogenhandel auf venezolanischem Gebiet nicht, noch wird sie sie erlauben, und noch weit weniger, dass jemand behauptet, ich unterstütze die Guerilla oder den Terrorismus oder was auch immer. Das ist infam"."

    Schon vorher hatte Chavez die Guerilla aufgefordert, alle Geiseln freizulassen und die Waffen niederzulegen. Santos hatte umgekehrt angedeutet, dass er die FARC weiter bekämpfen werde, aber durchaus gesprächsbereit sei. Chavez bekräftigte noch einmal:

    ""Seit 1999 habe ich zu verschiedenen Gelegenheiten gesagt: Die kolumbianische Guerilla hat keine Zukunft, wenn sie mit Waffengewalt vorgeht. Soll ich es noch deutlicher sagen: Wenn ich Chef der kolumbianischen Guerilla wäre, dann würde ich alles tun, um den Weg zum Frieden zu suchen"."

    Die Menschen in Kolumbien und Venezuela reagierten erleichtert. Gelitten hatten nicht nur der Handel im Grenzbereich, sondern auch viele familiäre und persönliche Beziehungen diesseits und jenseits der über 2000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze:

    ""Ich denke, das ist ein Weg zur Verbesserung der Beziehungen".
    "Das ist wunderbar für den Frieden in Kolumbien, für alle, für die Beziehungen zwischen den Völkern, das ist sehr gut".
    "Wir sind ein einziges Land, wir waren immer vereint, es ist ein Bruderland, und ich bin nicht damit einverstanden, dass sie sich streiten"."

    Aber wie geht es jetzt weiter? Beide Präsidenten äußerten sich nicht, wie das Konfliktthema künftig behandelt werden soll. Auch Nachfragen über das von Chavez heftig kritisierte Militärabkommen Kolumbiens mit den USA blieben unbeantwortet.

    Eine Reportage im kolumbianischen Fernsehen. Spurensuche im venezolanischen Grenzgebiet. Seit Jahren ist bekannt, dass sich kolumbianische Guerillas in der grenznahen Dschungelregion aufhalten. Laut Ex-Präsident Uribe tummeln sich hier 1500 Farc-Leute mit Duldung der venezolanischen Regierung. In Villa del Rosario, wo sich Uribes Angaben zufolge hochrangige FARC-Führer verbergen, finden die Reporter einen Zeugen, der aus Angst anonym bleiben will:

    ""Es ist absolut sicher, dass es illegale Gruppen in diesem Gebiet gibt, in verschiedenen Gegenden der Sierra de Perijá, in den Städten, in Enrique Losada, Villa del Rosario und Machique de Perija spricht man von rund 1500 bis 2 000 Mann, die sich dort aufhalten sollen"."

    Die örtlichen Polizeibehörden wollen die Behauptung nicht bestätigen. Aber man nehme die Aussagen der Menschen in der Gegend schon zur Kenntnis, sagt Polizeikapitän Alberto de Cubilian:

    ""Wir halten uns an die Tatsachen, unsere Sicherheitsbeamten, die in der Gegend arbeiten, in der Zone von Guajira, in der Sierra von Perijá, haben nie einen Bericht vorgelegt, aus dem hervorginge, dass sie Guerilleros dort beobachtet hätten. Aber die Stimmen des Volkes in manchen dieser Gegenden und selbst einige offizielle Stellen vor Ort wie der Bürgermeister dieser Gemeinde sagen, dass sich dort illegale Gruppen aufhalten, und das ist für niemanden ein Geheimnis."

    Zurzeit sind ganze Heerscharen von Reportern in der Region unterwegs, um die Existenz der FARC zu beweisen. Niemand kommt bis zu einem Lager, was auch viel zu gefährlich wäre. Aber manchmal gibt selbst das Militär Hinweise, wie dieser Kommandant in La Gabarra, etwa zehn Kilometer jenseits der kolumbianischen Grenze.

    Der Kommandant zeigt auf eine Karte, die übersät ist mit verschiedenfarbigen Kreuzen: Guerilla, Guerilla, Guerilla sagt er, auf jedes dieser Kreuze hindeutend. Der anonyme Zeuge sagt, hier gäbe es nicht nur Guerilla, sondern weiter oben in der Bergen auch Geiseln der FARC:

    ""Und zwar das Gebiet von Curazao, das ist das Gebiet, wohin die meisten der Entführten, die von hier aus dem Ort verschleppt wurden, gebracht worden sind und es gab keine Forderungen seitens der Bevölkerung, der Bauern, dass dieses Gebiet von den Sicherheitskräften kontrolliert werden sollte". "

    Es ist ein schwieriges Thema. Die gesamte Region, egal ob an den Grenzen zu Venezuela, Ecuador oder Brasilien, ist eine riesige Dschungelzone, schwerkontrollierbar und deshalb ideales Rückzugsgebiet für Banden und Kriminelle jeder Art. Das Problem zu lösen bedarf einer behutsamen Diplomatie, zumindest einen respektvolleren Umgang als ihn Chavez und Uribe miteinander pflegten, meint der Rechtsexperte Antonio Rodriguez Iturpe:

    ""In der Politik kann man nicht kurz- oder mittelfristig disqualifizierende Angriffe auf jemanden richten, um etwas zu erreichen. In der Außenpolitik zwischen beiden Ländern muss man als unumgängliche Voraussetzung, damit es zu positiven Beziehungen kommt, zumindest immer den Anstand und die Form zwischen beiden Präsidenten wahren". "

    Zumindest in diesem Punkt versprechen die Beziehungen zwischen Santos und Chavez eine Verbesserung. Ihr Umgang miteinander sei tadellos gewesen, meint der Lateinamerikaexperte Mauricio Cardenas:

    ""Es ist das, was man erwartet hat. Es ist ein Anfang. Es war auch ein vorsichtiges Treffen, die Sprache beider Präsidenten war sorgfältig gewählt, sie haben keinen allzu großen Optimismus geschürt, sie haben eine gewisse Distanz gewahrt. Es gibt Zweifel, es herrscht Skepsis, und ich denke, die Dinge werden sich nicht so schnell ändern. Aber es ist ein guter Anfang". "