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Verstärkung des Militäreinsatzes in Afghanistan

Müller: Seit Monaten fordern es Politiker, Experten und Militärs weltweit: mehr Soldaten für Afghanistan. Aber die Deutschen tun sich mit einer Ausweitung des ISAF-Mandats, der internationalen Schutztruppe, äußerst schwer. Es geht darum, über Kabul hinaus, auch in der afghanischen Provinz, Präsenz zu zeigen. Immerhin: rund 2.300 Soldaten sind am Hindukusch stationiert. Nach dem Willen der deutschen Militärführung soll das auch so bleiben. Nach Informationen des Focus und des Spiegel will die Bundesregierung jetzt offenbar doch das Bundeswehrkontingent um mehrere hundert Soldaten aufstocken und damit den Einsatz ausdehnen. Am Telefon sind wir nun verbunden mit Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Guten Morgen, Herr Weisskirchen.

    Weisskirchen: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Stimmt das, Herr Weisskirchen, können Sie das bestätigen, dass die Bundeswehr nun doch mehr Soldaten schicken möchte?

    Weisskirchen: Zunächst einmal hat Brahimi uns im Juno berichtet, dass er es gerne wünscht, dass Deutschland stärker engagiert wird. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Bundeswehr und Deutschland in Afghanistan aufgenommen und verstanden wird als eine sehr, sehr hilfreiche Macht. Die Bundeswehrsoldaten machen dort einen sehr, sehr guten Dienst, wenn es auch, wie wir alle leider haben erleben müssen, zu Toten gekommen ist.

    Müller: Warum dann diese zögerliche Haltung?

    Weisskirchen: Gerade deswegen. Gerade weil die Gefahrmomente dort sehr genau geprüft werden müssen und man nicht Soldaten einfach in ungesicherte Regionen schicken kann.

    Müller: Herr Weisskirchen, ich muss da dennoch noch einmal nachfragen: Können Sie bestätigen, dass jetzt Bundeswehrkontingente zusätzlich geschickt werden sollen?

    Weisskirchen: Zunächst einmal war ja ein Erkundungsteam dort. Der Spiegel berichtet ja heute darüber, was Drei-Sterne-General Riechmann aufgeschrieben hat. Das ist noch nicht der offizielle Bericht, aber die Probleme sind dort recht anschaulich und angemessen beschrieben worden. Unterschiedliche Standorte werden gegenwärtig überprüft. Einige davon sind vielleicht geeignet, das müsste man sich noch genauer anschauen. Einige sind allerdings äußerst gefährlich.

    Müller: Kennen Sie denn die Aufzeichnungen des Generals genauer?

    Weisskirchen: Nein. Die kennt offensichtlich nur der Spiegel und einige andere, die jetzt davon abschreiben. Wir haben nur Berichte des politischen Direktors im Außenamt gehört. Der hat uns allerdings ebenfalls Vergleichbares gesagt. Insofern scheinen die Berichte doch zu stimmen.

    Müller: Wenn General Riechmann richtig zitiert wird vom Spiegel beziehungsweise der Bericht richtig zitiert wird, den er verfasst hat, dann äußert sich der Drei-Sterne-General nach wie vor äußerst skeptisch. Können Sie das nachvollziehen?

    Weisskirchen: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Schauen Sie, der Standort, der zunächst geprüft worden ist, Herat, ist sehr weit weg von Kabul. Er liegt 600 Kilometer weg von Kabul. Falls es zu gefährlichen Situationen kommen sollte, was nicht auszuschließen ist, wäre natürlich eine Rückkehr der Soldaten äußerst gefährdet. Insofern ist diese Region, Herat, ich will nicht sagen, auszuschließen, aber dennoch sehr genau zu prüfen.

    Müller: Wenn wir, Herr Weisskirchen, einmal die militärischen Bedenken beiseite schieben: Halten Sie es für politisch opportun, mehr zu tun in Afghanistan?

    Weisskirchen: Ja, es ist zwingend. Vergleichen Sie doch nur einmal Bosnien-Herzegowina und Afghanistan. In Bosnien-Herzegowina haben wir eine Militärdichte, die exponentiell höher liegt als in Afghanistan. Mindestens das Zehnfache, wenn nicht mehr. Von daher kann man durchaus schon die These, die Brachimi uns vorgetragen hat, unterstützen, dass je mehr Soldaten mit einem ganz klar beschriebenen wie bei ISAF beschriebenen Auftrag in Afghanistan sind, desto stärker können natürlich auch Sicherheitsbedenken ausgeräumt werden. Umgekehrt kann dann auch die zivile Entwicklung Afghanistans vorankommen. Das ist ja das Entscheidende.

    Müller: Das heißt, die SPD-Fraktion wird dann in der nächsten Zeit eine Ausdehnung, eine Ausweitung des Mandats empfehlen, fordern?

    Weisskirchen: Zumindest werden wir es sehr sorgfältig prüfen. Denn wir wollen doch alle, dass Afghanistan zu einem glücklichen Entwicklungsland werden kann. Das ist es noch nicht. In Kabul und in einigen Regionen gibt es durchaus positive Entwicklungen - besonders in Kabul - aber das reicht ja für eine demokratische Entwicklung Afghanistans nicht. Diese Zone der Demokratieentwicklung muss ausgedehnt werden, denn gegenwärtig wird über die Verfassung debattiert, im nächsten Jahr sollen Wahlen stattfinden. Das alles kann man natürlich nur dann voranbringen, wenn auch die Sicherheitskomponente in diesem Land deutlich genug verankert ist. Das geht nun einmal bis auf längere Zeit, jedenfalls auf längere Sicht, nicht ohne den Einsatz von ISAF.

    Müller: Nun sagt Peter Struck, der Verteidigungsminister, ja immer wieder, die Bundeswehr ist am Ende der Fahnenstange. Wie soll man denn diesen Konflikt dann auflösen?

    Weisskirchen: Die Bundeswehr ist der Armeeteil, der bei ISAF den höchsten Anteil hat. Die Bundeswehr leistet sehr viel mehr als andere. Wir haben zum Beispiel viel mehr deutsche Soldaten in Afghanistan als US-Soldaten. Das alleine macht deutlich, dass Deutschland engagiert ist und auch engagiert bleibt. Von daher gesehen ist es sehr genau zu prüfen, inwiefern wir überhaupt noch aufstocken können. Die Idee, dass in Teilregionen die Sicherheit stärker verankert wird, ist unbestreitbar richtig. Da müssen wir uns überlegen, was wir tun können.

    Müller: Das war Gert Weisskirchen, außenpolitischer Experte der SPD. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Weisskirchen: Danke schön, Herr Müller.

    Link: Interview als RealAudio