Im Herbst 1969 wurde der Nobelpreis für Literatur dem irischen Dichter Samuel Beckett zugesprochen. Die Jurymehrheit hatte lange Zeit Charles de Gaulle und dessen Memoiren favorisiert, aber schließlich gab es doch eine äußerst knappe Entscheidung für Beckett. Die Begründung für die Wahl hat dem Dichter sicher gefallen: Nicht für seine Bühnenstücke, die ihn berühmt machten und längst die Theater der Welt erobert hatten, sondern für seine Romane und die Erzählungen erhielt er den Preis.
Doch welchen Grund gibt es, sich heute noch mit dem Werk eines Klassikers der Moderne auseinanderzusetzen? Ist es nicht genug, dass es in der Welt der Literatur seinen Platz gefunden hat? Tatsache aber ist, dass der 1906 in Foxrock bei Dublin geborene und 1989 in Paris gestorbene Samuel Beckett zu den Dichtern gehört, die uns immer wieder mit ihren Texten herausfordern. Einer der Gründe dafür ist sicher Becketts Fähigkeit, in einer faszinierenden ästhetischen Weise Fragen zu stellen, auf die es vielleicht keine Antworten gibt, die wir uns aber irgendwann selbst stellen. "Ah, die alten Fragen", heißt es in seinem Theaterstück "Endspiel", und die vielen Antworten haben uns offenbar nicht überzeugt. Was jedoch ist das Besondere an Becketts Art zu fragen? Warum hören wir ihm zu, warum vermag uns dieser Schriftsteller zu fesseln?
Bei den alten Fragen: Geburt, Leben, Tod, unterschlägt Beckett selbst die dazugehörige Banalität nicht und gibt ihr eine Form, ohne je banal zu werden. Während Kafka das Banale im Parabelhaften umgeht oder in der Parabel auflöst, stellt sich Beckett dem Banalen als einer Selbstverständlichkeit. Oft bedient er sich einer verzwickten Technik; er kombiniert Banales mit verfremdeten Zitaten von Autoren wie Augustinus, Shakespeare, Fontane, Yeats und anderen.
Der Dichter hat Vorlieben für Komiker wie Laurel und Hardy, Buster Keaton und Karl Valentin; er mag Schafe, Steine, Hecken, Mäntel, Hüte und Schnürstiefel, die Farbe Grau in allen Schattierungen, die Zeit vor der Zeit, die Stille, die Musik, das Spiel, die Poesie. Und es gibt die Angst, dass das Ende nicht das Ende ist.
In vielen Texten über Beckett wurde auf das große Vorbild seiner Figuren hingewiesen, den Florentiner Belacqua aus Dantes "Göttlicher Komödie". Der Autor stößt uns selber mit der Nase darauf. Bereits in seiner ersten Erzählung "Dante und der Hummer" heißt der Protagonist Belacqua. Dieser junge Mann bereitet sich ein monströses Mittagessen aus verkohlten Weißbrotscheiben und stinkendem Käse, nimmt Sprachunterricht und bringt seiner Tante einen Hummer mit. Dieser wird in kochendes Wasser geworfen, und die Geschichte endet mit folgenden Worten:
"Nun ja, dachte Belacqua, es ist ein rascher Tod,
Gott helfe uns allen.
Eben nicht."
Gott hilft nämlich keineswegs, und der Weg ins Paradies ist für immer versperrt. Dantes Belacqua musste am Rand des Purgatoriums sitzen, das war seine Strafe, weil er zu spät bereute. Aber das Warten machte ihm nichts aus, er war schon in seinem Leben träge. Im Gegenteil: Es bereitet ihm Vergnügen, träumend sein Leben nachzuträumen, gleichsam in embryonaler Stellung, die Arme um die Knie geschlungen. Er verlangt also nicht, ins Paradies eingelassen zu werden, sondern richtet sich im Purgatorium ein. Dieses ist für Beckett, wie für Joyce, unsere Erde. In seinem Essay "Dante...Bruno, Vico...Joyce" formuliert der junge Schriftsteller, worum es in diesem Fegefeuer Erde geht. Er fragt:
"Inwiefern hat [...] James Joyce' Werk etwas Fegefeuerartiges? Durch das absolute Fehlen des Absoluten. Die Hölle ist eine statische Leblosigkeit ausschließlicher Lasterhaftigkeit, das Paradies die statische Leblosigkeit ausschließlicher Reinheit und das Fegefeuer ein Strom von Bewegung und Vitalität, der durch die Verbindung dieser beiden Elemente frei wird. Es ist ein dauernder fegefeuerartiger Prozess im Gange, insofern als der circulus vitiosus der Menschheit sich vollendet, und diese Vollendung hängt ab von der wiederkehrenden Vorherrschaft einer der beiden Haupteigenschaften. Kein Widerstand, also kein Ausbruch, und nur in der Hölle und im Paradies gibt es keine Ausbrüche, kann es keine geben."
"Damit ein Anfang sei, wurde der Mensch erschaffen." Dieser Satz von Augustinus muss für Beckett ungültig sein. Für ihn ist der Konstitutionsprozess des abendländischen Ich eine Mythenbildung. Bei der Geburt beginnt für den jungen Autor das Leben nach dem Tod. Was vorher war, ist vorbei, es wird nicht mehr erinnert. Die Geburt gilt als Beginn der Katastrophe. Welche Vorstellung wir hingegen über den Tod haben, ist seiner Meinung nach unerheblich. Leben und Tod laufen in seinem Werk in einem winzigen Abstand nebeneinander her, bis sie sich am Ende, das immer wieder hinausgezögert wird, treffen. Erst dann ist Schluss.
Becketts Figuren und Stimmen haben keinen Kompass, sie finden kein neues Land. Worte umgeben sie. Fast scheint es, dass sie in eine unmögliche Unsterblichkeit hineinreichen, wo die Uhren nicht mehr zurückgestellt werden müssen. Aber die Figuren vertreiben sich auf höchst ungewöhnliche Weise die Zeit. Es gibt keine Begrenzung für Spekulationen, kein Ende ist in naher Sicht.
Seine Figuren versuchen ihr Menschenmögliches, aber sie werden von Stimmen gestört. Es sind die Stimmen aus dem Kopf des Autors und sie stellen in den "Texten um Nichts" folgende Fragen:
"Wohin ginge ich, wenn ich gehen könnte, was wäre ich, wenn ich sein könnte, was sagte ich, wenn ich eine Stimme hätte, wer spricht so und nennt sich ich? Antwortet einfach, jemand möge einfach antworten."
Selbst, wenn wir Becketts Fragen nicht beantworten können, vermögen sie dennoch zu fesseln, weil wir selber plötzlich Fragende sind. Es sind immer noch die Fragen, bis zu welchen Grenzen Sprache reicht und was Sprache als poetisches Mittel sein kann jenseits einer zeilenschinderischen Vulgarität der Beschreibung, die Beckett verachtete.
In den "Texten um Nichts" bekommt der Leser die seltene Gelegenheit, den Autor bei der Geburt eines neuen Werkes zu beobachten:
"Ich führe das Protokoll, ich führe die Feder, bei den Verhandlungen ich weiß nicht welcher Sache, warum wollen, dass es meine sei, mir liegt nichts daran. Da gehts schon wieder los, das ist die erste Frage heute Abend. Richter und Partei sein, Zeuge und Anwalt, und der Aufmerksame, der Gleichgültige, der Protokoll führt. Es ist ein Bild in meinem kraftlosen Kopf, wo alles schläft, alles tot ist, noch ungeboren, ich weiß nicht."
Aus dieser paradoxen Situation wird ein Text-Körper geboren. Wie Joyce ist sich auch Beckett dieser Kopfgeburt bewusst. Für den Schreibakt wendet er das alte Prinzip der List an. Ohne sich mit einer aufmerksamen Gleichgültigkeit zu überlisten, würden die Texte nicht entstehen.
Diese List besteht darin, sich in die Beteiligten des Schreibprozesses aufzuteilen, um der Agonie zu entkommen. In den "Texten um Nichts" geht es um jemanden, der auf sich selber zukommt. Zwischen dem unbewussten und dem bewussten Raum haben sich "Wärter" und "Pfleger", wie Beckett sie nennt, angesiedelt; psychoanalytisch gesehen sind sie "Zensoren". Ihnen entgeht nichts, aber sie greifen nicht ein. Treten diese "Wärter" zurück, liefert sich der Dichter einem monströsen Wortuniversum aus:
"Was ist das, dieses unnennbare Etwas, das ich nenne, nenne, nenne, ohne es zu verschleißen, und so was heiße ich Worte. Ich bin eben nicht auf die rechten gestoßen, die, welche töten, aus der Säure dieses ekelhaften Breis sind sie mir noch nicht aufgestoßen, aus diesem Wortbrei, mit welchen Worten soll man sie nennen, meine unnennbaren Worte."
Beckett möchte, dass ihn die Worte verschlingen und ihn wieder ausspeien. Dann fühlt er sich wie eine Bauchrednerpuppe, die ihren Kopf in Irland auf einer Theke zurücklassen musste. Durch das Schreiben kann ein immerwährender Geburtsakt vollzogen werden, der zugleich wieder zurückgenommen wird, denn es kann eben doch nicht begonnen werden. Aber Beckett weiß, dass er mit seinem Schreiben Spuren hinterlassen wird. Es steht unter folgendem Motto:
"... ich bin tot und in Geburt begriffen, ohne geendet zu haben, ohne beginnen zu können, das ist mein Leben."
Die weitverbreitete Ansicht, dass der Schriftsteller schreibt, um sich zu befreien, trifft auf Beckett nur als Paradox zu. Doch er befreit sich im Schreibakt von seinen Visionen, wenn er ihnen eine Form gibt. Nur dürfen die Worte nichts beschönigen, höchstens tragen sie den schwärzesten Humor mit sich oder beißende Ironie. Was macht er aber mit der großen Geschichte der Tradition, die er als gebildeter Mensch mit sich herumträgt? Denn es sind nicht nur eigene Visionen, die ihn quälen, sondern auch die Bilderflut der Vergangenheit. Da gibt es nur eins: Sie abwerfen, sich erleichtern, sich arm machen.
Den Romanen "Murphy", "Watt" und der großen Trilogie wurden nach dem Krieg und dem Erfolg von "Warten auf Godot" große Aufmerksamkeit gewidmet; bis dahin waren sie nämlich die unverkäuflichen Sorgenkinder des Autors und seiner Verleger. Andere, in den 40er-Jahren geschriebene Texte wie "Erste Liebe" oder "Der Verwaiser", gab Beckett erst in den 60er- und 70er-Jahren zum Druck frei.
Das frühe Werk Becketts und das Spätwerk aus den letzten zehn Jahren seines Lebens sind nie populär geworden. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Während dem Spätwerk offensichtlich nicht einmal die Fan-Gemeinde immer folgen wollte, wurden die literarischen Anfänge Becketts vor allem in Deutschland erst spät durch Übersetzungen bekannt, aber gerne gelesen.
Als 1934 seine Erzählungen "More pricks than kicks" in London bei Chatto & Windus erschienen, setzte man das Buch in Irland sofort auf den Index der verbotenen Schriften. Der Inhalt des Erzählbandes dürfte den Zensoren wohl entgangen sein; es genügte, dass der Titel obszön klang. Wie kann er übersetzt werden, sodass wenigstens noch ein Hauch des Unanständigen zu erkennen ist?
Im Deutschen lautet der Titel "Mehr Flügel als Prügel". Ein Blick ins Lexikon weist mit aller Klarheit auf die Bedeutung des Wortes "prick" als männliches Genital hin: Dorn, Stachel, Schwanz. Auch das im Deutschen gebrauchte Wort "Kick" hat einen weiten Bedeutungshof: Vom Fußtritt bis zur sexuellen Erregung schwingt alles in ihm mit. Warum also nicht "Mehr Schwänze als Tänze"? Im Dubliner Slang sind "pricks" außerdem Leute, die im Deutschen unfein, aber korrekt als "Arschlöcher" tituliert werden.
"More pricks than kicks" ist aber nicht Becketts erste Publikation. Schon 1929 erschien in der berühmten Zeitschrift "Transition", in der auch "Finnegans Wake" von Joyce in Fortsetzungen abgedruckt wurde, seine Erzählung "Assumption". Beckett war 23 Jahre alt, hatte ein sechsjähriges Romanistikstudium am Dubliner Trinity College hinter sich gebracht und konnte Bildungsreisen zu den Loire-Schlössern, nach Paris und Florenz unternehmen.
Der ausschlaggebende Zeitabschnitt, sich dem Schriftstellerberuf zu nähern, ist jedoch die zweijährige Tätigkeit als Lektor für englische Sprache an der École Normale Supérieure in Paris, den er kaum wissenschaftlich nutzte. Er stürzte sich vor allem ins literarische Leben und lernte Joyce kennen. Für ein Preisausschreiben verfasst er in einer Nacht ein langes Gedicht über Descartes, das 1930 unter dem Titel "Whoroscope" in einer Auflage von 300 Exemplaren erscheint. Es ist sein erstes Buch.
Als er im gleichen Jahr ans Trinity College zurückkehren muss, beginnt eine dürre Zeit für ihn. Er hält das Leben an der Universität nicht mehr aus und unternimmt eine Reise nach Deutschland. Seine Kündigung reicht er schriftlich ein, auf Klopapier, wie ein hartnäckiges Gerücht besagt. Dann lässt er sich in London nieder und schreibt dort seine Erzählungen. Nach Dublin kehrt er nur als Besucher zurück, aber die Stadt und ihre Umgebung sind die ersten und wichtigsten Stationen seiner Wahrnehmungen und Erfahrungen.
Über 90 Figuren kommen in "More Pricks than Kicks" mit der Hauptgestalt Belacqua Shua in Berührung, der uns bereits aus der einleitenden Erzählung "Dante und der Hummer" bekannt ist. Ein sonderbarer Mann streift durch Dublin und die Umgebung. Gern unterbricht er seine Wanderungen in Kaschemmen, um sich volllaufen zu lassen. Belacqua beobachtet alle Personen, will aber so wenig wie möglich mit ihnen zu tun haben. Er geht einem Jesuiten genauso aus dem Weg wie einem Möchtegerndichter, Studenten, Geschäftsleuten, Pennern, Huren oder heruntergekommenen Intellektuellen.
An den Frauen kommt er nicht ganz vorbei, sie entfalten eine große Beharrlichkeit, um ihn einzufangen. Tatsächlich entgeht er dreimal der Ehe nicht, wenngleich er alles andere ist als ein feuriger Hochzeiter. Zwei Frauen sterben recht schnell, aber auch Belacqua stirbt unvermutet bei einer Operation wegen eines Narkosefehlers einen banalen Tod, sodass die Ehefrau Nummer drei übrig bleibt, die sich sogleich seinen besten Freund angelt.
Obwohl Belacqua ein junger Spund ist, finden sich an seinem Körper schon all die Zeichen des späteren Zerfalls, an denen Becketts Obsessionen bis hinein in sein Alterswerk festhalten werden. Aber trotz Verfall und Passivität ist Belacqua die erste seiner Figuren, die zu einer kleinen Reise aufbricht, die freilich nie so recht aus der Umgebung von Dublin hinausführt. In der Erzählung "Ein feuchter Abend" begibt sich Belacqua nach einer aufregenden Fete auf den Heimweg. Seine müden Beine lassen ihn sich langsam vorwärts bewegen, doch stellt sich ihm ein unerwartetes Hindernis in den Weg:
" [...] unvermittelt wurden ihm die Hände von den Augen weggerissen, die, daraufhin geöffnet, in die hochrote Riesenfratze eines Unholds blickten. Einen Moment lang stand sie, wie die von einem Spielzeugdrachen, still, verzog sich dann, wand sich in Krämpfen. Ob das wohl ein Gesicht ist, dachte er, aus dem es redet? Tatsächlich. Tatsächlich übergoss ihn ein Bürgerwehrler aus diesem Körperteil mit Schmähungen. Belacqua schloss die Augen wieder, anders konnte er dem Anblick kein Ende machen. Er unterdrückte einen starken Drang, das Pflaster aufzusuchen, und kotzte mit einer Reichhaltigkeit, die keinen Eindruck schinden wollte, dem Bürgerwehrler über die Stiefel und Hosenaufschläge, worauf er für den unbeherrschten Auswurf einen derartigen Rippenstoß erhielt, dass er vom Schenkel bis zur Hüfte in die Randbezirke des eigenen Unrats stürzte. Er fühlte sich weder körperlich noch auch in seinem Stolz verletzt, sondern nur wohlig entkräftet und begierig, sich wieder auf den Weg zu machen. Es musste schon nach zehn sein. Kein Groll gegen den Bürgerwehrler stieg in ihm auf, wiewohl dessen Rede allmählich zu ihm durchdrang. Er lag auf Knien vor ihm im Unrat, er hörte alle Hässlichkeiten, die der andere zur Erholung von schwerer Dienstausübung von sich gab, und doch regte sich nicht der leiseste Unwillen in ihm. Er suchte an dem nass glänzenden Umhang vor ihm nach einem Fingergriff und kam mit einem Klimmzug auf die Füße … ‚Stiefel abwischen', sagte der Bürgerwehrler.
Belacqua folgte dem nur allzu gern, denn das war nicht zu viel verlangt. Er zerknüllte den mitgeführten Twilight Herald zu zwei losen Ballen, bückte sich und säuberte damit so gut er konnte, das Schuhwerk und die Hosenaufschläge. Ein prachtvolles, riesiges Paar Stiefel kam zum Vorschein. Er stand auf mit einem verschmierten Papierknäuel in jeder Hand und sah schüchtern zu dem Bürgerwehrler auf, der offenbar mit sich rang, wie sich seine Überlegenheit noch schlagender ausmünzen ließe."
Trotz allem endet diese Episode glimpflich. Die Sprache, mit der erzählt wird, entfaltet sich geradezu üppig im Vergleich zu Becketts späteren Arbeiten. Figuren und Themen der Erzählungen kommen dem Leser bekannt vor, deshalb wäre es falsch, im Fall von "More Pricks than Kicks" von einem Buch zu sprechen, in dem nichts von seinem späteren Werk enthalten ist. Es gibt ins Auge springende Ähnlichkeiten zwischen Samuel Beckett und Belacqua Shua; sie beginnen mit den gemeinsamen Initialen S. B.; beide haben studiert, leben in Dublin und lieben Dantes "Göttliche Komödie"; beide sind Außenseiter, private Anarchisten und lehnen, jugendlich protzend, einen bürgerlichen Beruf ab.
Nicht nur das Ende, auch die Anfänge haben Beckett stets fasziniert. Es ist auffällig, wie viele Anläufe er zu seinem ersten Prosabuch macht. Denn es gibt eine noch frühere Sammlung von Erzählungen mit dem merkwürdigen Titel "Dream of Fair to Middling Women", zu deutsch "Traum von mehr bis minder schönen Frauen" und sie ist ebenfalls die Variante eines Erstlings.
Wir erinnern uns: 1932 hatte Beckett gerade seine Stelle am Trinity College gekündigt. Seine Mutter war außer sich. Wovon sollte ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn leben? Doch nicht etwa von ein paar Gedichten, Prosatexten oder Übersetzungen in Zeitschriften, die so gut wie nichts zahlten? Sie wollte ihn zwingen, reumütig nach Dublin zurückzukehren, indem sie ihm kein Geld mehr nach Paris schichte. Doch Becketts Vater, ein wohlhabender und angesehener Baukalkulator, ließ ihm immer wieder kleinere Summen zukommen.
Vielleicht lässt sich aus dieser Situation heraus die Eile erklären, mit der sein Manuskript entstand, das er in einem schäbigen Pariser Hotelzimmer niederschrieb. Beckett brauchte Geld und hoffte auf eine möglichst rasche Veröffentlichung. Er war sich damals noch keineswegs darüber klar, dass auch dieser Text die irische Zensur niemals passiert hätte, zu obszön mussten einige Passagen wirken. Beckett setzte seine Hoffnung auf die englischen Verleger. Doch keiner von ihnen rührte einen Finger. Sollte das die Antwort auf den Versuch sein, die Leser zu provozieren oder zumindest zu verunsichern? Für Beckett waren die englischen Verleger, wie er sagt, "alles Wichser".
Die Ablehnungen demütigten ihn. Dieses erste Manuskript sollte mehr als 60 Jahre lang unveröffentlicht bleiben. Doch er wollte es nicht ganz umsonst geschrieben haben. Er nahm einige Geschichten als Ausgangspunkt für den neuen Erzählband "More Pricks than Kicks". Auch diese Geschichten wurden in dem fast hysterisch verzweifelten Verlangen geschrieben, etwas Zustande zu bringen, was zu einer Veröffentlichung taugt. Später nannte er das Buch "not serios" und gestattete erst 1966 eine neue Auflage. Er weigerte sich jedoch, "Dream of Fair to Middling Women" als Buch erscheinen zu lassen.
Seine Biografin Deirdre Bair weist darauf hin, dass der Grund für die Weigerung aber eher darin bestand, dass einige enge Freunde Becketts satirisch dargestellt worden waren und die Rücksichtslosigkeit ihrer Porträtierung sie beleidigt hätte, was dem jungen Autor damals zwar gleichgültig war, den alten Autor aber bekümmerte. Nun, die Übergänge zwischen "Dream" und "More Pricks than Kicks" sind fließend. Aber schließlich stimmte Beckett einer Öffnung der Truhe, in die er seine Gedanken geworfen hatte, für die Zeit nach seinem Tod doch zu.
"Traum von mehr bis minder schönen Frauen" hat alle Schwächen und Großartigkeiten eines Erstlings. Hier spricht ein junger Mann, eingefangen in seine späte Pubertät und zugleich bemüht, alle Ketten zu sprengen, seien es persönliche oder die der Tradition. Es geht ihm doch vor allem darum, die Grenzen des Erzählens zu verschieben. Und da waren ihm alle Mittel recht. Je weniger die einzelnen Erzählstücke zusammenpassten, umso mehr Freude schien der junge Autor zu haben.
Bei diesem Text wirken die letzten Jahre der Oberschule und des Studiums nach. Die Last der europäischen Literatur zieht ihn noch magisch an, auch wenn er sich bemüht, mit dem unerschöpflichen Zitatenschatz wild um sich zu werfen. Er verhöhnt die literarische und wissenschaftliche Terminologie und kommt doch nicht von ihr los. Der widerborstige Erstling wäre allerdings ungenießbar, würde nicht sein Humor einen schnippischen Tonfall hervorbringen, der uns heutige Leser zumindest schmunzeln lässt:
"Und nun, auf Hochtour seiner Verzweiflung darüber, ein Sohn Adams und geschlagen zu sein mit einem Geist, der sein eigenes Geheiß missachtet, braute sich eine Finsternis zusammen, die sein Sinnen in einem Stil krönte, wie er nie zuvor den Höhepunkt jedweder ähnlichen Folge in seinem Melancholieerleben geziert hatte. Eine nachgerade transzendentale Finsternis wurde da ausgebrütet ..."
Auch diesmal ist die Hauptfigur des Buches Belacqua. Von dieser Figur hat sich Beckett in seinem späteren Werk nie mehr getrennt. Im Roman "Murphy" zum Beispiel verkörpert die Hauptperson in ihrer Lieblingshaltung der völligen Bewegungslosigkeit diesen Typus sehr deutlich. Dantes Belacqua-Figur träumt nach dem Tod sein Leben. Die vielen Belacquas Becketts träumen schon vor dem Tod, auch wenn es den Anschein hat, sie seien bereits gestorben.
Der Erzähler im ersten Roman heißt Mr. Beckett, und es fällt nicht schwer, ihn als den Doppelgänger oder als Alter Ego seines Schöpfers zu erkennen; aber auch Belacqua trägt deutliche Züge des tatsächlichen Mr. Beckett. Er ist ein Einzelgänger, und zwar seit seiner Kindheit. In einer der ersten Episoden sitzt der junge Mann am Pier und verabschiedet Smeraldina, seine Freundin. Liebe, Abschied und all die Gefühle, die sich damit verbinden, sind für Belacqua äußerst diffus. Er weiß einfach nicht, ob er sich auf die Erfahrungswelt einlassen oder sich zurückziehen soll:
"So sackte er nun also auf dem Pfosten im dankbaren Nieselregen nach dem allerletzten Adieu in sich zusammen, die Hände schlaff im Schoß, den Kopf über die Hände hängend, und druckste ein wenig herum. Verhockt steuerte er auf den kleinen Tränenerguss zu, der ihn entlasten würde. Als er ihn kommen spürte, schaltete er innerlich ab und ließ ihn versiegen. [...] Methodisch derart klargekommen, steuerte er also verhockt auf seine kleine Tränenejakulation zu, würgte sie im Emissionsstadium noch soeben ab, wartete mit entleertem Kopf auf das Versiegen, und wenn dann alles in Ordnung war, [...] begann [er] wieder von vorne."
Familienangehörige geistern durch den Text, ehe sie sofort wieder verschwinden. Wie nebenbei streut Beckett Bemerkungen über Metaphysik, Literatur und Musik in sein Schreiben, aber die Gedanken seines Helden kreisen um Smeraldina, die er in einem sehr fortschrittlichen Internat in Wien untergebracht hat. In Paris nimmt er die Stellung eines Lehrers an, führt mit zwei Freunden literarische Gespräche, liegt aber vor allem zusammengerollt in seinem Bett, um über das Problem des Nicht-Seins nachdenken zu können.
Als er von Smeraldina einen sehnsuchtsvollen Brief erhält, schütteln ihn Koliken, aber er fährt dann doch nach Wien. Das Zusammentreffen des Liebespaares gestaltet sich katastrophal. Belacqua flieht angeekelt vor dem Gierschlund Smeraldina, die offensichtlich an nichts anderem als an Sex Interesse hat, über Paris nach Dublin und wohnt in einem Zimmer des Trinity College.
Jetzt entflammt er für Alba, die wesentlich selbstständiger und klüger ist als Smeraldina. Kein Wunder, dass sie sich nicht so richtig in den unerfahrenen Jüngling verliebt. Wenn Belacqua betrunken und völlig durchnässt durch Dublin wankt, auf einer Brücke sitzt, dann endlich doch noch auf einer Party auftaucht, um von Alba bald mit dem Taxi nach Hause transportiert zu werden, gestaltet der junge Autor alles andere als einen Helden. Sein Alter Ego Belacqua gereicht weder der Familie noch der Gesellschaft zur Zierde. Die Spuren des Triebs und des Denkens machen ihn zum verunsicherten Inselbewohner und Weltreisenden in einer Person.
Auch in diesem ersten Romanversuch hat der junge Belacqua Probleme mit seinen Füßen und ironisch spricht er von allen möglichen anderen Gebrechen, die in späteren Texten zur völligen Bewegungslosigkeit und todesähnlichen Starre führen werden. Woher kommt das Interesse für diese mehr als lästigen Störungen, die sich auch hemmend auf seine Liebesaffären auswirken?
Sicher ist es nicht falsch, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Becketts Familie der anglikanischen Kirche von Irland angehörte, also einer Minderheit inmitten einer fast ausschließlich katholischen Bevölkerung. Die Fixierung auf die Schuld, geboren zu sein, fand in dieser Enklave keine Relativierung. Diese ist aber zugleich für den Autor eine Energiequelle, aus der er seine Figuren erschafft. Und so haften an ihnen Körpergebrechen, die mit merkwürdiger Gelassenheit ertragen werden. Sind sie das Äquivalent für die Schuld, geboren zu sein?
Diese Fragen werden im ersten Roman so nebensächlich wie möglich gestellt. Wichtig ist für Beckett eine provokante Wirkung durch die Textgestaltung. Er bemüht sich, seinen Übervater Joyce zu parodieren und zu paraphrasieren. Als er das Manuskript beendet hatte, sagte er:
"Ich schwöre, ich will, bevor ich sterbe, über James Joyce hinwegkommen."
Und natürlich möchte er auch zeigen, dass er Erfahrung hat mit Frauen, mit Philosophie und Literatur. Es gibt keine Begrenzung für Spekulationen. Beckett schreibt gegen die Moden realistischer Kunst an. Kein Ende wird festgesetzt. Unterm Strich ist in diesem ersten Text die Welt für Belacqua jedoch ein kollektives Fiasko, dem man sich nur entziehen kann, wenn man irrsinnig wird. Das ist durch die Lektüre des Romans "Murphy" zu erfahren.
Aber Belacqua gibt nicht auf. Wir lesen, dass er, wenn er seinen delirierenden Lebensbericht beendet hat, schon bald ein Buch schreiben möchte:
"Das Erleben meines Lesers soll sich zwischen den Ausdrücken ereignen, im Schweigen, übermittelt in den Pausen, nicht in den Worten der Aussage."
Nun, Samuel Beckett hat mehr als nur ein Buch geschrieben. Seine Sprache wurde seine Welt, der er sich aufopfernd widmete und alles andere darin verschwinden ließ. "Alles, was geschieht, sind Wörter", heißt es im späteren Roman "Der Namenlose". Und diese Wörter sind unsterblich.
Doch welchen Grund gibt es, sich heute noch mit dem Werk eines Klassikers der Moderne auseinanderzusetzen? Ist es nicht genug, dass es in der Welt der Literatur seinen Platz gefunden hat? Tatsache aber ist, dass der 1906 in Foxrock bei Dublin geborene und 1989 in Paris gestorbene Samuel Beckett zu den Dichtern gehört, die uns immer wieder mit ihren Texten herausfordern. Einer der Gründe dafür ist sicher Becketts Fähigkeit, in einer faszinierenden ästhetischen Weise Fragen zu stellen, auf die es vielleicht keine Antworten gibt, die wir uns aber irgendwann selbst stellen. "Ah, die alten Fragen", heißt es in seinem Theaterstück "Endspiel", und die vielen Antworten haben uns offenbar nicht überzeugt. Was jedoch ist das Besondere an Becketts Art zu fragen? Warum hören wir ihm zu, warum vermag uns dieser Schriftsteller zu fesseln?
Bei den alten Fragen: Geburt, Leben, Tod, unterschlägt Beckett selbst die dazugehörige Banalität nicht und gibt ihr eine Form, ohne je banal zu werden. Während Kafka das Banale im Parabelhaften umgeht oder in der Parabel auflöst, stellt sich Beckett dem Banalen als einer Selbstverständlichkeit. Oft bedient er sich einer verzwickten Technik; er kombiniert Banales mit verfremdeten Zitaten von Autoren wie Augustinus, Shakespeare, Fontane, Yeats und anderen.
Der Dichter hat Vorlieben für Komiker wie Laurel und Hardy, Buster Keaton und Karl Valentin; er mag Schafe, Steine, Hecken, Mäntel, Hüte und Schnürstiefel, die Farbe Grau in allen Schattierungen, die Zeit vor der Zeit, die Stille, die Musik, das Spiel, die Poesie. Und es gibt die Angst, dass das Ende nicht das Ende ist.
In vielen Texten über Beckett wurde auf das große Vorbild seiner Figuren hingewiesen, den Florentiner Belacqua aus Dantes "Göttlicher Komödie". Der Autor stößt uns selber mit der Nase darauf. Bereits in seiner ersten Erzählung "Dante und der Hummer" heißt der Protagonist Belacqua. Dieser junge Mann bereitet sich ein monströses Mittagessen aus verkohlten Weißbrotscheiben und stinkendem Käse, nimmt Sprachunterricht und bringt seiner Tante einen Hummer mit. Dieser wird in kochendes Wasser geworfen, und die Geschichte endet mit folgenden Worten:
"Nun ja, dachte Belacqua, es ist ein rascher Tod,
Gott helfe uns allen.
Eben nicht."
Gott hilft nämlich keineswegs, und der Weg ins Paradies ist für immer versperrt. Dantes Belacqua musste am Rand des Purgatoriums sitzen, das war seine Strafe, weil er zu spät bereute. Aber das Warten machte ihm nichts aus, er war schon in seinem Leben träge. Im Gegenteil: Es bereitet ihm Vergnügen, träumend sein Leben nachzuträumen, gleichsam in embryonaler Stellung, die Arme um die Knie geschlungen. Er verlangt also nicht, ins Paradies eingelassen zu werden, sondern richtet sich im Purgatorium ein. Dieses ist für Beckett, wie für Joyce, unsere Erde. In seinem Essay "Dante...Bruno, Vico...Joyce" formuliert der junge Schriftsteller, worum es in diesem Fegefeuer Erde geht. Er fragt:
"Inwiefern hat [...] James Joyce' Werk etwas Fegefeuerartiges? Durch das absolute Fehlen des Absoluten. Die Hölle ist eine statische Leblosigkeit ausschließlicher Lasterhaftigkeit, das Paradies die statische Leblosigkeit ausschließlicher Reinheit und das Fegefeuer ein Strom von Bewegung und Vitalität, der durch die Verbindung dieser beiden Elemente frei wird. Es ist ein dauernder fegefeuerartiger Prozess im Gange, insofern als der circulus vitiosus der Menschheit sich vollendet, und diese Vollendung hängt ab von der wiederkehrenden Vorherrschaft einer der beiden Haupteigenschaften. Kein Widerstand, also kein Ausbruch, und nur in der Hölle und im Paradies gibt es keine Ausbrüche, kann es keine geben."
"Damit ein Anfang sei, wurde der Mensch erschaffen." Dieser Satz von Augustinus muss für Beckett ungültig sein. Für ihn ist der Konstitutionsprozess des abendländischen Ich eine Mythenbildung. Bei der Geburt beginnt für den jungen Autor das Leben nach dem Tod. Was vorher war, ist vorbei, es wird nicht mehr erinnert. Die Geburt gilt als Beginn der Katastrophe. Welche Vorstellung wir hingegen über den Tod haben, ist seiner Meinung nach unerheblich. Leben und Tod laufen in seinem Werk in einem winzigen Abstand nebeneinander her, bis sie sich am Ende, das immer wieder hinausgezögert wird, treffen. Erst dann ist Schluss.
Becketts Figuren und Stimmen haben keinen Kompass, sie finden kein neues Land. Worte umgeben sie. Fast scheint es, dass sie in eine unmögliche Unsterblichkeit hineinreichen, wo die Uhren nicht mehr zurückgestellt werden müssen. Aber die Figuren vertreiben sich auf höchst ungewöhnliche Weise die Zeit. Es gibt keine Begrenzung für Spekulationen, kein Ende ist in naher Sicht.
Seine Figuren versuchen ihr Menschenmögliches, aber sie werden von Stimmen gestört. Es sind die Stimmen aus dem Kopf des Autors und sie stellen in den "Texten um Nichts" folgende Fragen:
"Wohin ginge ich, wenn ich gehen könnte, was wäre ich, wenn ich sein könnte, was sagte ich, wenn ich eine Stimme hätte, wer spricht so und nennt sich ich? Antwortet einfach, jemand möge einfach antworten."
Selbst, wenn wir Becketts Fragen nicht beantworten können, vermögen sie dennoch zu fesseln, weil wir selber plötzlich Fragende sind. Es sind immer noch die Fragen, bis zu welchen Grenzen Sprache reicht und was Sprache als poetisches Mittel sein kann jenseits einer zeilenschinderischen Vulgarität der Beschreibung, die Beckett verachtete.
In den "Texten um Nichts" bekommt der Leser die seltene Gelegenheit, den Autor bei der Geburt eines neuen Werkes zu beobachten:
"Ich führe das Protokoll, ich führe die Feder, bei den Verhandlungen ich weiß nicht welcher Sache, warum wollen, dass es meine sei, mir liegt nichts daran. Da gehts schon wieder los, das ist die erste Frage heute Abend. Richter und Partei sein, Zeuge und Anwalt, und der Aufmerksame, der Gleichgültige, der Protokoll führt. Es ist ein Bild in meinem kraftlosen Kopf, wo alles schläft, alles tot ist, noch ungeboren, ich weiß nicht."
Aus dieser paradoxen Situation wird ein Text-Körper geboren. Wie Joyce ist sich auch Beckett dieser Kopfgeburt bewusst. Für den Schreibakt wendet er das alte Prinzip der List an. Ohne sich mit einer aufmerksamen Gleichgültigkeit zu überlisten, würden die Texte nicht entstehen.
Diese List besteht darin, sich in die Beteiligten des Schreibprozesses aufzuteilen, um der Agonie zu entkommen. In den "Texten um Nichts" geht es um jemanden, der auf sich selber zukommt. Zwischen dem unbewussten und dem bewussten Raum haben sich "Wärter" und "Pfleger", wie Beckett sie nennt, angesiedelt; psychoanalytisch gesehen sind sie "Zensoren". Ihnen entgeht nichts, aber sie greifen nicht ein. Treten diese "Wärter" zurück, liefert sich der Dichter einem monströsen Wortuniversum aus:
"Was ist das, dieses unnennbare Etwas, das ich nenne, nenne, nenne, ohne es zu verschleißen, und so was heiße ich Worte. Ich bin eben nicht auf die rechten gestoßen, die, welche töten, aus der Säure dieses ekelhaften Breis sind sie mir noch nicht aufgestoßen, aus diesem Wortbrei, mit welchen Worten soll man sie nennen, meine unnennbaren Worte."
Beckett möchte, dass ihn die Worte verschlingen und ihn wieder ausspeien. Dann fühlt er sich wie eine Bauchrednerpuppe, die ihren Kopf in Irland auf einer Theke zurücklassen musste. Durch das Schreiben kann ein immerwährender Geburtsakt vollzogen werden, der zugleich wieder zurückgenommen wird, denn es kann eben doch nicht begonnen werden. Aber Beckett weiß, dass er mit seinem Schreiben Spuren hinterlassen wird. Es steht unter folgendem Motto:
"... ich bin tot und in Geburt begriffen, ohne geendet zu haben, ohne beginnen zu können, das ist mein Leben."
Die weitverbreitete Ansicht, dass der Schriftsteller schreibt, um sich zu befreien, trifft auf Beckett nur als Paradox zu. Doch er befreit sich im Schreibakt von seinen Visionen, wenn er ihnen eine Form gibt. Nur dürfen die Worte nichts beschönigen, höchstens tragen sie den schwärzesten Humor mit sich oder beißende Ironie. Was macht er aber mit der großen Geschichte der Tradition, die er als gebildeter Mensch mit sich herumträgt? Denn es sind nicht nur eigene Visionen, die ihn quälen, sondern auch die Bilderflut der Vergangenheit. Da gibt es nur eins: Sie abwerfen, sich erleichtern, sich arm machen.
Den Romanen "Murphy", "Watt" und der großen Trilogie wurden nach dem Krieg und dem Erfolg von "Warten auf Godot" große Aufmerksamkeit gewidmet; bis dahin waren sie nämlich die unverkäuflichen Sorgenkinder des Autors und seiner Verleger. Andere, in den 40er-Jahren geschriebene Texte wie "Erste Liebe" oder "Der Verwaiser", gab Beckett erst in den 60er- und 70er-Jahren zum Druck frei.
Das frühe Werk Becketts und das Spätwerk aus den letzten zehn Jahren seines Lebens sind nie populär geworden. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Während dem Spätwerk offensichtlich nicht einmal die Fan-Gemeinde immer folgen wollte, wurden die literarischen Anfänge Becketts vor allem in Deutschland erst spät durch Übersetzungen bekannt, aber gerne gelesen.
Als 1934 seine Erzählungen "More pricks than kicks" in London bei Chatto & Windus erschienen, setzte man das Buch in Irland sofort auf den Index der verbotenen Schriften. Der Inhalt des Erzählbandes dürfte den Zensoren wohl entgangen sein; es genügte, dass der Titel obszön klang. Wie kann er übersetzt werden, sodass wenigstens noch ein Hauch des Unanständigen zu erkennen ist?
Im Deutschen lautet der Titel "Mehr Flügel als Prügel". Ein Blick ins Lexikon weist mit aller Klarheit auf die Bedeutung des Wortes "prick" als männliches Genital hin: Dorn, Stachel, Schwanz. Auch das im Deutschen gebrauchte Wort "Kick" hat einen weiten Bedeutungshof: Vom Fußtritt bis zur sexuellen Erregung schwingt alles in ihm mit. Warum also nicht "Mehr Schwänze als Tänze"? Im Dubliner Slang sind "pricks" außerdem Leute, die im Deutschen unfein, aber korrekt als "Arschlöcher" tituliert werden.
"More pricks than kicks" ist aber nicht Becketts erste Publikation. Schon 1929 erschien in der berühmten Zeitschrift "Transition", in der auch "Finnegans Wake" von Joyce in Fortsetzungen abgedruckt wurde, seine Erzählung "Assumption". Beckett war 23 Jahre alt, hatte ein sechsjähriges Romanistikstudium am Dubliner Trinity College hinter sich gebracht und konnte Bildungsreisen zu den Loire-Schlössern, nach Paris und Florenz unternehmen.
Der ausschlaggebende Zeitabschnitt, sich dem Schriftstellerberuf zu nähern, ist jedoch die zweijährige Tätigkeit als Lektor für englische Sprache an der École Normale Supérieure in Paris, den er kaum wissenschaftlich nutzte. Er stürzte sich vor allem ins literarische Leben und lernte Joyce kennen. Für ein Preisausschreiben verfasst er in einer Nacht ein langes Gedicht über Descartes, das 1930 unter dem Titel "Whoroscope" in einer Auflage von 300 Exemplaren erscheint. Es ist sein erstes Buch.
Als er im gleichen Jahr ans Trinity College zurückkehren muss, beginnt eine dürre Zeit für ihn. Er hält das Leben an der Universität nicht mehr aus und unternimmt eine Reise nach Deutschland. Seine Kündigung reicht er schriftlich ein, auf Klopapier, wie ein hartnäckiges Gerücht besagt. Dann lässt er sich in London nieder und schreibt dort seine Erzählungen. Nach Dublin kehrt er nur als Besucher zurück, aber die Stadt und ihre Umgebung sind die ersten und wichtigsten Stationen seiner Wahrnehmungen und Erfahrungen.
Über 90 Figuren kommen in "More Pricks than Kicks" mit der Hauptgestalt Belacqua Shua in Berührung, der uns bereits aus der einleitenden Erzählung "Dante und der Hummer" bekannt ist. Ein sonderbarer Mann streift durch Dublin und die Umgebung. Gern unterbricht er seine Wanderungen in Kaschemmen, um sich volllaufen zu lassen. Belacqua beobachtet alle Personen, will aber so wenig wie möglich mit ihnen zu tun haben. Er geht einem Jesuiten genauso aus dem Weg wie einem Möchtegerndichter, Studenten, Geschäftsleuten, Pennern, Huren oder heruntergekommenen Intellektuellen.
An den Frauen kommt er nicht ganz vorbei, sie entfalten eine große Beharrlichkeit, um ihn einzufangen. Tatsächlich entgeht er dreimal der Ehe nicht, wenngleich er alles andere ist als ein feuriger Hochzeiter. Zwei Frauen sterben recht schnell, aber auch Belacqua stirbt unvermutet bei einer Operation wegen eines Narkosefehlers einen banalen Tod, sodass die Ehefrau Nummer drei übrig bleibt, die sich sogleich seinen besten Freund angelt.
Obwohl Belacqua ein junger Spund ist, finden sich an seinem Körper schon all die Zeichen des späteren Zerfalls, an denen Becketts Obsessionen bis hinein in sein Alterswerk festhalten werden. Aber trotz Verfall und Passivität ist Belacqua die erste seiner Figuren, die zu einer kleinen Reise aufbricht, die freilich nie so recht aus der Umgebung von Dublin hinausführt. In der Erzählung "Ein feuchter Abend" begibt sich Belacqua nach einer aufregenden Fete auf den Heimweg. Seine müden Beine lassen ihn sich langsam vorwärts bewegen, doch stellt sich ihm ein unerwartetes Hindernis in den Weg:
" [...] unvermittelt wurden ihm die Hände von den Augen weggerissen, die, daraufhin geöffnet, in die hochrote Riesenfratze eines Unholds blickten. Einen Moment lang stand sie, wie die von einem Spielzeugdrachen, still, verzog sich dann, wand sich in Krämpfen. Ob das wohl ein Gesicht ist, dachte er, aus dem es redet? Tatsächlich. Tatsächlich übergoss ihn ein Bürgerwehrler aus diesem Körperteil mit Schmähungen. Belacqua schloss die Augen wieder, anders konnte er dem Anblick kein Ende machen. Er unterdrückte einen starken Drang, das Pflaster aufzusuchen, und kotzte mit einer Reichhaltigkeit, die keinen Eindruck schinden wollte, dem Bürgerwehrler über die Stiefel und Hosenaufschläge, worauf er für den unbeherrschten Auswurf einen derartigen Rippenstoß erhielt, dass er vom Schenkel bis zur Hüfte in die Randbezirke des eigenen Unrats stürzte. Er fühlte sich weder körperlich noch auch in seinem Stolz verletzt, sondern nur wohlig entkräftet und begierig, sich wieder auf den Weg zu machen. Es musste schon nach zehn sein. Kein Groll gegen den Bürgerwehrler stieg in ihm auf, wiewohl dessen Rede allmählich zu ihm durchdrang. Er lag auf Knien vor ihm im Unrat, er hörte alle Hässlichkeiten, die der andere zur Erholung von schwerer Dienstausübung von sich gab, und doch regte sich nicht der leiseste Unwillen in ihm. Er suchte an dem nass glänzenden Umhang vor ihm nach einem Fingergriff und kam mit einem Klimmzug auf die Füße … ‚Stiefel abwischen', sagte der Bürgerwehrler.
Belacqua folgte dem nur allzu gern, denn das war nicht zu viel verlangt. Er zerknüllte den mitgeführten Twilight Herald zu zwei losen Ballen, bückte sich und säuberte damit so gut er konnte, das Schuhwerk und die Hosenaufschläge. Ein prachtvolles, riesiges Paar Stiefel kam zum Vorschein. Er stand auf mit einem verschmierten Papierknäuel in jeder Hand und sah schüchtern zu dem Bürgerwehrler auf, der offenbar mit sich rang, wie sich seine Überlegenheit noch schlagender ausmünzen ließe."
Trotz allem endet diese Episode glimpflich. Die Sprache, mit der erzählt wird, entfaltet sich geradezu üppig im Vergleich zu Becketts späteren Arbeiten. Figuren und Themen der Erzählungen kommen dem Leser bekannt vor, deshalb wäre es falsch, im Fall von "More Pricks than Kicks" von einem Buch zu sprechen, in dem nichts von seinem späteren Werk enthalten ist. Es gibt ins Auge springende Ähnlichkeiten zwischen Samuel Beckett und Belacqua Shua; sie beginnen mit den gemeinsamen Initialen S. B.; beide haben studiert, leben in Dublin und lieben Dantes "Göttliche Komödie"; beide sind Außenseiter, private Anarchisten und lehnen, jugendlich protzend, einen bürgerlichen Beruf ab.
Nicht nur das Ende, auch die Anfänge haben Beckett stets fasziniert. Es ist auffällig, wie viele Anläufe er zu seinem ersten Prosabuch macht. Denn es gibt eine noch frühere Sammlung von Erzählungen mit dem merkwürdigen Titel "Dream of Fair to Middling Women", zu deutsch "Traum von mehr bis minder schönen Frauen" und sie ist ebenfalls die Variante eines Erstlings.
Wir erinnern uns: 1932 hatte Beckett gerade seine Stelle am Trinity College gekündigt. Seine Mutter war außer sich. Wovon sollte ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn leben? Doch nicht etwa von ein paar Gedichten, Prosatexten oder Übersetzungen in Zeitschriften, die so gut wie nichts zahlten? Sie wollte ihn zwingen, reumütig nach Dublin zurückzukehren, indem sie ihm kein Geld mehr nach Paris schichte. Doch Becketts Vater, ein wohlhabender und angesehener Baukalkulator, ließ ihm immer wieder kleinere Summen zukommen.
Vielleicht lässt sich aus dieser Situation heraus die Eile erklären, mit der sein Manuskript entstand, das er in einem schäbigen Pariser Hotelzimmer niederschrieb. Beckett brauchte Geld und hoffte auf eine möglichst rasche Veröffentlichung. Er war sich damals noch keineswegs darüber klar, dass auch dieser Text die irische Zensur niemals passiert hätte, zu obszön mussten einige Passagen wirken. Beckett setzte seine Hoffnung auf die englischen Verleger. Doch keiner von ihnen rührte einen Finger. Sollte das die Antwort auf den Versuch sein, die Leser zu provozieren oder zumindest zu verunsichern? Für Beckett waren die englischen Verleger, wie er sagt, "alles Wichser".
Die Ablehnungen demütigten ihn. Dieses erste Manuskript sollte mehr als 60 Jahre lang unveröffentlicht bleiben. Doch er wollte es nicht ganz umsonst geschrieben haben. Er nahm einige Geschichten als Ausgangspunkt für den neuen Erzählband "More Pricks than Kicks". Auch diese Geschichten wurden in dem fast hysterisch verzweifelten Verlangen geschrieben, etwas Zustande zu bringen, was zu einer Veröffentlichung taugt. Später nannte er das Buch "not serios" und gestattete erst 1966 eine neue Auflage. Er weigerte sich jedoch, "Dream of Fair to Middling Women" als Buch erscheinen zu lassen.
Seine Biografin Deirdre Bair weist darauf hin, dass der Grund für die Weigerung aber eher darin bestand, dass einige enge Freunde Becketts satirisch dargestellt worden waren und die Rücksichtslosigkeit ihrer Porträtierung sie beleidigt hätte, was dem jungen Autor damals zwar gleichgültig war, den alten Autor aber bekümmerte. Nun, die Übergänge zwischen "Dream" und "More Pricks than Kicks" sind fließend. Aber schließlich stimmte Beckett einer Öffnung der Truhe, in die er seine Gedanken geworfen hatte, für die Zeit nach seinem Tod doch zu.
"Traum von mehr bis minder schönen Frauen" hat alle Schwächen und Großartigkeiten eines Erstlings. Hier spricht ein junger Mann, eingefangen in seine späte Pubertät und zugleich bemüht, alle Ketten zu sprengen, seien es persönliche oder die der Tradition. Es geht ihm doch vor allem darum, die Grenzen des Erzählens zu verschieben. Und da waren ihm alle Mittel recht. Je weniger die einzelnen Erzählstücke zusammenpassten, umso mehr Freude schien der junge Autor zu haben.
Bei diesem Text wirken die letzten Jahre der Oberschule und des Studiums nach. Die Last der europäischen Literatur zieht ihn noch magisch an, auch wenn er sich bemüht, mit dem unerschöpflichen Zitatenschatz wild um sich zu werfen. Er verhöhnt die literarische und wissenschaftliche Terminologie und kommt doch nicht von ihr los. Der widerborstige Erstling wäre allerdings ungenießbar, würde nicht sein Humor einen schnippischen Tonfall hervorbringen, der uns heutige Leser zumindest schmunzeln lässt:
"Und nun, auf Hochtour seiner Verzweiflung darüber, ein Sohn Adams und geschlagen zu sein mit einem Geist, der sein eigenes Geheiß missachtet, braute sich eine Finsternis zusammen, die sein Sinnen in einem Stil krönte, wie er nie zuvor den Höhepunkt jedweder ähnlichen Folge in seinem Melancholieerleben geziert hatte. Eine nachgerade transzendentale Finsternis wurde da ausgebrütet ..."
Auch diesmal ist die Hauptfigur des Buches Belacqua. Von dieser Figur hat sich Beckett in seinem späteren Werk nie mehr getrennt. Im Roman "Murphy" zum Beispiel verkörpert die Hauptperson in ihrer Lieblingshaltung der völligen Bewegungslosigkeit diesen Typus sehr deutlich. Dantes Belacqua-Figur träumt nach dem Tod sein Leben. Die vielen Belacquas Becketts träumen schon vor dem Tod, auch wenn es den Anschein hat, sie seien bereits gestorben.
Der Erzähler im ersten Roman heißt Mr. Beckett, und es fällt nicht schwer, ihn als den Doppelgänger oder als Alter Ego seines Schöpfers zu erkennen; aber auch Belacqua trägt deutliche Züge des tatsächlichen Mr. Beckett. Er ist ein Einzelgänger, und zwar seit seiner Kindheit. In einer der ersten Episoden sitzt der junge Mann am Pier und verabschiedet Smeraldina, seine Freundin. Liebe, Abschied und all die Gefühle, die sich damit verbinden, sind für Belacqua äußerst diffus. Er weiß einfach nicht, ob er sich auf die Erfahrungswelt einlassen oder sich zurückziehen soll:
"So sackte er nun also auf dem Pfosten im dankbaren Nieselregen nach dem allerletzten Adieu in sich zusammen, die Hände schlaff im Schoß, den Kopf über die Hände hängend, und druckste ein wenig herum. Verhockt steuerte er auf den kleinen Tränenerguss zu, der ihn entlasten würde. Als er ihn kommen spürte, schaltete er innerlich ab und ließ ihn versiegen. [...] Methodisch derart klargekommen, steuerte er also verhockt auf seine kleine Tränenejakulation zu, würgte sie im Emissionsstadium noch soeben ab, wartete mit entleertem Kopf auf das Versiegen, und wenn dann alles in Ordnung war, [...] begann [er] wieder von vorne."
Familienangehörige geistern durch den Text, ehe sie sofort wieder verschwinden. Wie nebenbei streut Beckett Bemerkungen über Metaphysik, Literatur und Musik in sein Schreiben, aber die Gedanken seines Helden kreisen um Smeraldina, die er in einem sehr fortschrittlichen Internat in Wien untergebracht hat. In Paris nimmt er die Stellung eines Lehrers an, führt mit zwei Freunden literarische Gespräche, liegt aber vor allem zusammengerollt in seinem Bett, um über das Problem des Nicht-Seins nachdenken zu können.
Als er von Smeraldina einen sehnsuchtsvollen Brief erhält, schütteln ihn Koliken, aber er fährt dann doch nach Wien. Das Zusammentreffen des Liebespaares gestaltet sich katastrophal. Belacqua flieht angeekelt vor dem Gierschlund Smeraldina, die offensichtlich an nichts anderem als an Sex Interesse hat, über Paris nach Dublin und wohnt in einem Zimmer des Trinity College.
Jetzt entflammt er für Alba, die wesentlich selbstständiger und klüger ist als Smeraldina. Kein Wunder, dass sie sich nicht so richtig in den unerfahrenen Jüngling verliebt. Wenn Belacqua betrunken und völlig durchnässt durch Dublin wankt, auf einer Brücke sitzt, dann endlich doch noch auf einer Party auftaucht, um von Alba bald mit dem Taxi nach Hause transportiert zu werden, gestaltet der junge Autor alles andere als einen Helden. Sein Alter Ego Belacqua gereicht weder der Familie noch der Gesellschaft zur Zierde. Die Spuren des Triebs und des Denkens machen ihn zum verunsicherten Inselbewohner und Weltreisenden in einer Person.
Auch in diesem ersten Romanversuch hat der junge Belacqua Probleme mit seinen Füßen und ironisch spricht er von allen möglichen anderen Gebrechen, die in späteren Texten zur völligen Bewegungslosigkeit und todesähnlichen Starre führen werden. Woher kommt das Interesse für diese mehr als lästigen Störungen, die sich auch hemmend auf seine Liebesaffären auswirken?
Sicher ist es nicht falsch, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Becketts Familie der anglikanischen Kirche von Irland angehörte, also einer Minderheit inmitten einer fast ausschließlich katholischen Bevölkerung. Die Fixierung auf die Schuld, geboren zu sein, fand in dieser Enklave keine Relativierung. Diese ist aber zugleich für den Autor eine Energiequelle, aus der er seine Figuren erschafft. Und so haften an ihnen Körpergebrechen, die mit merkwürdiger Gelassenheit ertragen werden. Sind sie das Äquivalent für die Schuld, geboren zu sein?
Diese Fragen werden im ersten Roman so nebensächlich wie möglich gestellt. Wichtig ist für Beckett eine provokante Wirkung durch die Textgestaltung. Er bemüht sich, seinen Übervater Joyce zu parodieren und zu paraphrasieren. Als er das Manuskript beendet hatte, sagte er:
"Ich schwöre, ich will, bevor ich sterbe, über James Joyce hinwegkommen."
Und natürlich möchte er auch zeigen, dass er Erfahrung hat mit Frauen, mit Philosophie und Literatur. Es gibt keine Begrenzung für Spekulationen. Beckett schreibt gegen die Moden realistischer Kunst an. Kein Ende wird festgesetzt. Unterm Strich ist in diesem ersten Text die Welt für Belacqua jedoch ein kollektives Fiasko, dem man sich nur entziehen kann, wenn man irrsinnig wird. Das ist durch die Lektüre des Romans "Murphy" zu erfahren.
Aber Belacqua gibt nicht auf. Wir lesen, dass er, wenn er seinen delirierenden Lebensbericht beendet hat, schon bald ein Buch schreiben möchte:
"Das Erleben meines Lesers soll sich zwischen den Ausdrücken ereignen, im Schweigen, übermittelt in den Pausen, nicht in den Worten der Aussage."
Nun, Samuel Beckett hat mehr als nur ein Buch geschrieben. Seine Sprache wurde seine Welt, der er sich aufopfernd widmete und alles andere darin verschwinden ließ. "Alles, was geschieht, sind Wörter", heißt es im späteren Roman "Der Namenlose". Und diese Wörter sind unsterblich.