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Verstörend und erschreckend

Das Gemetzel an Kommunisten in Indonesien in den 60er Jahren wurde nie aufgearbeitet. Regisseur Joshua Oppenheimer versucht es mit einem ungewöhnlichen Dokumentarfilm: In "The Act of Killing" lässt er die Täter ihre Taten nachspielen.

Von Rüdiger Suchsland |
    Man stelle sich einmal vor: Ein paar ehemalige Nazi-Mörder, die nie für ihre Taten verurteilt wurden, würden sich dieser vor der Kamera brüsten und sie dann in einem fiktiven KZ-Film recht dilettantisch nachstellen. Dazwischen würden sie verlegen lächelnd, aber nie wirklich schockiert, Einzelheiten aus Folterkeller und Gaskammer berichten und irgendwann über gelegentliche Alpträume klagen. Unmöglich? Wohl schon.

    Im Ansatz ist dies aber genau das Gleiche, was in "The Act of Killing" mit einer anderen Vergangenheit geschieht.

    Auch Massenmörder haben es offenbar nicht leicht im Leben; Alpträume plagen scheinbar so einige von ihnen, ein ehemaliger Folterknecht empfiehlt seinem Kollegen den Gang zum Nervenarzt, und manchmal ertappt man sich in diesem Film dabei, dass man Mitleid haben möchte mit Menschen, die einst hunderte ihrer Artgenossen auf exquisiteste Weise zu Tode gefoltert haben. Wenn ihnen dann nach Stunden mühseligen Bearbeitens der Geduldsfaden riss, genügten ein paar Hiebe mit dem Baseballschläger oder eine Drahtschlinge, um alles zu beenden. Oder man blies einem mit einer großkalibrigen Waffe das Hirn aus dem Schädel; es waren ja schließlich Kommunisten oder Linke oder Chinesen - zu genau nahm man es nicht zur Zeit der blutigen Verfolgungen durch rechte Milizen. Sie begannen in Indonesien Mitte der 60er Jahre unter Präsident Sukarno auf US-amerikanische Veranlassung und dauerten bis in die 80er Jahre. Sie bilden das historische Zentrum dieses Films.

    Der US-Amerikaner Joshua Oppenheimer hat diese Zeit jetzt in seinem Dokumentarfilm "The Act of Killing" auf überaus originelle Weise rekonstruiert. Der Doppelsinn liegt, wie die Grundproblematik des Films, bereits im Titel: Das englische "Act" bedeutet ja nicht nur "Tat" oder "Handlung", sondern auch die Arbeit des Schauspielers.

    Oppenheimer sucht die Mörder auf, die ihm bereitwillig und mit unverhohlenem Stolz Auskunft geben. Schnell erklären sie sich bereit, ihre Taten dann in Form eines an einschlägigen Vorbildern - von Bollywood-Kitsch bis "Der Pate" - orientierten Filmprojekts nachzuspielen. Währenddessen kommen manche von ihnen zum Nachdenken über ihre Taten.

    "The Act of Killing" ist verstörend und erschreckend, nicht zuletzt auch durch die Banalitäten, denen der Zuschauer hier zwei Stunden lang ausgesetzt ist. Man sieht Menschen in Hawaii-Hemden und geschmacklosen Wohnungen, man hört die üblichen, gerade in Deutschland gut bekannten Ausreden der Mitläufer und Diktatur-Schergen: "Es war falsch, aber wir mussten es tun."

    Formal dominiert das theatralische Element, man sieht Menschen beim Einüben von Rollen zu. Das Kraftvolle und Surreale des Films liegt vor allem in den Fakten, die hinter den Bildern stehen, weniger in diesen selbst. Es wird viel geredet in "Act of Killing", mitunter auch zerredet, und bis sich kathartische Momente ereignen, sind für Film wie Zuschauer weite Wege zurückzulegen.

    Man sieht Mörder "als Menschen". Dass sie das sind, steht außer Frage, zugleich ist die Tatsache, dass man es dennoch eigens betonen muss, genau der Punkt. Denn dass die Mörder noch Menschen sind, ist so selbstverständlich nicht angesichts der Unmenschlichkeit ihrer Taten. Und deren unfassbare Brutalität, die schwer erträgliche Alltäglichkeit ihrer Verbrechen, des Sadismus ist es gerade, die sie von anderen Menschen unterscheidet und vor allem charakterisiert - nicht die Tatsache, dass sie auch Familie haben, nett zu ihren Enkeln sind und gerne Fußball gucken.

    Die Alpträume, die sie quälen sind bedauerlich. 40 Jahre nach dem Tod ihrer Opfer gestatten sie sich nun auch ein wenig Erschütterung und haben dafür in Joshua Oppenheimer einen gefunden, der dem auch noch ein hübsches Kunstmäntelchen umhängt.

    In Indonesien bedeutet der Film einen überfälligen Tabubruch. Einen europäischen Zuschauer, der ihn zunächst in eine lange Reihe von Dokumentarfilmen über Massaker und Genozide einreihen kann, fordert Oppenheimers Zugang zum Nachdenken über Grundsatzfragen heraus: Wie kann man unbeschreibliche Taten dennoch zeigen, ohne Kitsch, ohne falsche Annäherung an die Täter?

    Denn, salopp gesprochen, kann es uns egal sein, ob sich ein Massenmörder und Folterer, der nie für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wurden, manchmal schlecht fühlt, und, wie in einem Fall, am Ende übergibt - dieses Gefühl müsste sich allerdings besser noch beim Zuschauer einstellen.

    Dafür ist dieser Film aber zu distanziert.