Grausige, weltbekannte Bilder. Dokumente des Schreckens, der Grausamkeit, des Unrechts.
Trotzdem erzählen Bilder keine einfachen Geschichten. Sie sind keine "nackte Feststellung von an das Auge gerichteten Tatsachen", wie Virginia Woolf es beschrieb. Auch das Foto, so Susan Sontag, ist hoch subjektiv. Bis hin zum Vietnam-Krieg gar fand man kaum etwas dabei, Bilder, die das Grauen dokumentieren sollten, nachzustellen oder neu zu arrangieren. Zwischen den Absichten des Fotografen und der Perspektive der Betrachter geht das Foto seinen eigenen Weg. Ruft nach Frieden oder schreit nach Rache, schreibt Susan Sontag.
Während der Kämpfe zwischen Serben und Kroaten zu Beginn der jüngsten Balkankriege wurden von der serbischen und von der kroatischen Propaganda die gleichen Fotos von Kindern verteilt, die bei der Beschießung eines Dorfes getötet worden waren. Man brauchte nur die Bildlegende zu verändern, und schon ließ sich der Tod der Kinder so und anders nutzen.
In ihrem Essay Das Leiden anderer betrachten nimmt Susan Sontag die Leser mit auf die Schlachtfelder der Weltgeschichte. Beschreibt die Schreckensbilder des amerikanischen, des spanischen Bürgerkrieges. Lässt den Horror der Konzentrationslager an uns vorbeiziehen, den Horror von Hiroshima. Die grausamen Dokumentationen der Roten Khmer, die 6000 Fotos von zum Tode Verurteilten machten. Nach ihrer Folter und vor ihrer Hinrichtung. Aber sie erwähnt auch, wie Bilder abstrakt werden. Wie bereits der Golf-Krieg 1991 zum Techno-Krieg wurde und nur den Himmel über den Sterbenden zeigte.
Die Stärke von Susan Sontags Buch ist das Aufdecken und Zulassen von Ambivalenzen. Etwa, wenn sie zugesteht, dass das Bild des Abstoßenden, der verletzte, verstümmelte Körper, auch fasziniert. Schon in Platons Staat kann der Jüngling Leontios seine Lust nicht bezwingen, die Körper von Hingerichteten mit weit geöffneten Augen zu betrachten. Die christliche Kunst befriedigte in den Höllendarstellungen den Appetit auf die Schmerzen der anderen. Und auf dem Schreibtisch des französischen Schriftstellers Georges Bataille stand ein 1910 in China aufgenommenes Foto von einem Gefangenen, der gerade "den Tod der hundert Schnitte" erleidet.
Allerdings gibt es eherne Gesetze. Fremde, exotische, uns unbekannte Menschen werden schutzloser in ihrem Leiden ausgestellt. Gegenüber Toten, die uns näher sind, erwarten wir Diskretion. Hier bestand immer ein strenges, wenn auch oft verletztes Gebot, sie mit unverhülltem Gesicht zu zeigen. Noch die Darstellung amerikanischer Kriegstoter und Kriegsgefangener im letzten Irak-Krieg und die darauf folgenden Proteste machten dies deutlich.
Je weiter entfernt oder exotischer der Schauplatz, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Toten und Sterbenden unverhüllt und von vorn zu sehen bekommen. So besteht das postkoloniale Afrika im öffentlichen Bewusstsein der reichen Länder ... hauptsächlich aus einer Abfolge unvergesslicher Fotos von Opfern mit weit aufgerissenen Augen.
Manchmal haben solche Gräuelfotos eine eigentümliche Ästhetik, auch das gesteht Susan Sontag zu. Selbst wenn man angesichts der Fotos mit den Ruinen des World Trade Centers einzig davon sprach, sie seien "surreal", so die Schriftstellerin hellsichtig, "verbirgt sich (darin) nichts anderes als die in Ungnade gefallene Idee der Schönheit." Warum kann man die Ambivalenz der verschiedenen Signale, die von einem solchen Foto ausgehen, nicht zulassen?
(Das Foto) fordert: Schluss damit. Aber es ruft auch: Was für ein Anblick!
Mit Recht stellt sich natürlich die Frage, wie mit der stetig wachsenden Flut von Bildern umzugehen ist. Keine neue Frage freilich. Denn zur Kritik der Moderne gehörte von Anfang an die These, "das moderne Leben bestehe aus einer Abfolge von Schrecknissen, die uns verderben und an die wir uns nach und nach gewöhnen". Heutige Stimmen verweisen kulturkritisch darauf, "dass Kriegesgräuel durch das Fernsehen zu einer allabendlichen Belanglosigkeit verkümmert seien." Wir seien zu einer "Gesellschaft des Spektakels" verkommen. Die Wirklichkeit habe abgedankt und die Medien hätten ihre Herrschaft angetreten. Unschwer lässt sich in solcher, wie Susan Sontag anmerkt, "phantasievollen Rhetorik" die Handschrift französischer Intellektueller a la Jean Baudrillard aufdecken. Sie rufen das Zeitalter der Simulation und den Tod der Realität aus.
Susan Sontag bleibt gegen solche französische Hirnakrobatik erfreulich immun. Sie hält
die These von der Wirklichkeit, die zum Spektakel geworden ist, (für) auf atemberaubende Weise provinziell. ... (Denn) sie nimmt an, dass jeder Mensch Zuschauer ist und suggeriert – absurderweise und völlig unseriös-, dass es wirkliches Leiden auf der Welt gar nicht gibt. Es ist aber unsinnig, die Welt mit jenen Zonen in den wohlhabenden Ländern gleichzusetzen, wo Menschen das zweifelhafte Privileg haben, die Rolle dessen zu übernehmen, der zusieht wie andere leiden.
Susan Sontag besteht also darauf, dass es wirkliche Grausamkeit gibt. Und dass Millionen von Fernsehzuschauern die scheußliche Wirklichkeit nicht nur konsumieren, sondern -mitleiden. Nicht der Verbreitung von Kriegsbildern hafte etwas Zynisches an. Zynisch sei vielmehr der moderne Weltbürger, der versucht, "innere Bewegung um jeden Preis zu vermeiden", um Gewalt weiterhin als Spektakel konsumieren zu können.
Vor 25 Jahren hatte Susan Sontag in ihrem Essay Über Fotografie selbst noch vor der abstumpfenden Wirkung der zeitgenössischen Bilderflut gewarnt. Vielleicht sind es Erfahrungen, die sie selbst im belagerten Sarajevo sammelte, die sie für die nach wie vor verstörende Kraft der Bilder sensibilisierte. Bilder bleiben, so schreibt sie jetzt, Appelle. Sie rütteln auf gegenüber dem Schrecken von Krieg und Terror, auch wenn sie davon nur einen abgeschwächten Eindruck hinterlassen.
Es ist kein Fehler, kein Zeichen von Schwäche, wenn wir keine Verbrennungen davontragen, wenn wir nicht genug leiden, während wir diese Bilder sehen. Wir erwarten von einem Foto ja auch nicht, dass es unsere Unwissenheit hinsichtlich der Geschichte und der Ursache der Leiden behebt, die es aufgreift und ins Bild rückt. Solche Bilder können nicht mehr sein als eine Aufforderung zur Aufmerksamkeit, zum Nachdenken, zum Lernen – dazu, die Rationalisierungen für massenhaftes Leiden, die von den etablierten Mächten angeboten werden, kritisch zu prüfen.
Susan Sontag
Das Leiden anderer betrachten
Hanser, 144 S., EUR 15,90
Trotzdem erzählen Bilder keine einfachen Geschichten. Sie sind keine "nackte Feststellung von an das Auge gerichteten Tatsachen", wie Virginia Woolf es beschrieb. Auch das Foto, so Susan Sontag, ist hoch subjektiv. Bis hin zum Vietnam-Krieg gar fand man kaum etwas dabei, Bilder, die das Grauen dokumentieren sollten, nachzustellen oder neu zu arrangieren. Zwischen den Absichten des Fotografen und der Perspektive der Betrachter geht das Foto seinen eigenen Weg. Ruft nach Frieden oder schreit nach Rache, schreibt Susan Sontag.
Während der Kämpfe zwischen Serben und Kroaten zu Beginn der jüngsten Balkankriege wurden von der serbischen und von der kroatischen Propaganda die gleichen Fotos von Kindern verteilt, die bei der Beschießung eines Dorfes getötet worden waren. Man brauchte nur die Bildlegende zu verändern, und schon ließ sich der Tod der Kinder so und anders nutzen.
In ihrem Essay Das Leiden anderer betrachten nimmt Susan Sontag die Leser mit auf die Schlachtfelder der Weltgeschichte. Beschreibt die Schreckensbilder des amerikanischen, des spanischen Bürgerkrieges. Lässt den Horror der Konzentrationslager an uns vorbeiziehen, den Horror von Hiroshima. Die grausamen Dokumentationen der Roten Khmer, die 6000 Fotos von zum Tode Verurteilten machten. Nach ihrer Folter und vor ihrer Hinrichtung. Aber sie erwähnt auch, wie Bilder abstrakt werden. Wie bereits der Golf-Krieg 1991 zum Techno-Krieg wurde und nur den Himmel über den Sterbenden zeigte.
Die Stärke von Susan Sontags Buch ist das Aufdecken und Zulassen von Ambivalenzen. Etwa, wenn sie zugesteht, dass das Bild des Abstoßenden, der verletzte, verstümmelte Körper, auch fasziniert. Schon in Platons Staat kann der Jüngling Leontios seine Lust nicht bezwingen, die Körper von Hingerichteten mit weit geöffneten Augen zu betrachten. Die christliche Kunst befriedigte in den Höllendarstellungen den Appetit auf die Schmerzen der anderen. Und auf dem Schreibtisch des französischen Schriftstellers Georges Bataille stand ein 1910 in China aufgenommenes Foto von einem Gefangenen, der gerade "den Tod der hundert Schnitte" erleidet.
Allerdings gibt es eherne Gesetze. Fremde, exotische, uns unbekannte Menschen werden schutzloser in ihrem Leiden ausgestellt. Gegenüber Toten, die uns näher sind, erwarten wir Diskretion. Hier bestand immer ein strenges, wenn auch oft verletztes Gebot, sie mit unverhülltem Gesicht zu zeigen. Noch die Darstellung amerikanischer Kriegstoter und Kriegsgefangener im letzten Irak-Krieg und die darauf folgenden Proteste machten dies deutlich.
Je weiter entfernt oder exotischer der Schauplatz, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Toten und Sterbenden unverhüllt und von vorn zu sehen bekommen. So besteht das postkoloniale Afrika im öffentlichen Bewusstsein der reichen Länder ... hauptsächlich aus einer Abfolge unvergesslicher Fotos von Opfern mit weit aufgerissenen Augen.
Manchmal haben solche Gräuelfotos eine eigentümliche Ästhetik, auch das gesteht Susan Sontag zu. Selbst wenn man angesichts der Fotos mit den Ruinen des World Trade Centers einzig davon sprach, sie seien "surreal", so die Schriftstellerin hellsichtig, "verbirgt sich (darin) nichts anderes als die in Ungnade gefallene Idee der Schönheit." Warum kann man die Ambivalenz der verschiedenen Signale, die von einem solchen Foto ausgehen, nicht zulassen?
(Das Foto) fordert: Schluss damit. Aber es ruft auch: Was für ein Anblick!
Mit Recht stellt sich natürlich die Frage, wie mit der stetig wachsenden Flut von Bildern umzugehen ist. Keine neue Frage freilich. Denn zur Kritik der Moderne gehörte von Anfang an die These, "das moderne Leben bestehe aus einer Abfolge von Schrecknissen, die uns verderben und an die wir uns nach und nach gewöhnen". Heutige Stimmen verweisen kulturkritisch darauf, "dass Kriegesgräuel durch das Fernsehen zu einer allabendlichen Belanglosigkeit verkümmert seien." Wir seien zu einer "Gesellschaft des Spektakels" verkommen. Die Wirklichkeit habe abgedankt und die Medien hätten ihre Herrschaft angetreten. Unschwer lässt sich in solcher, wie Susan Sontag anmerkt, "phantasievollen Rhetorik" die Handschrift französischer Intellektueller a la Jean Baudrillard aufdecken. Sie rufen das Zeitalter der Simulation und den Tod der Realität aus.
Susan Sontag bleibt gegen solche französische Hirnakrobatik erfreulich immun. Sie hält
die These von der Wirklichkeit, die zum Spektakel geworden ist, (für) auf atemberaubende Weise provinziell. ... (Denn) sie nimmt an, dass jeder Mensch Zuschauer ist und suggeriert – absurderweise und völlig unseriös-, dass es wirkliches Leiden auf der Welt gar nicht gibt. Es ist aber unsinnig, die Welt mit jenen Zonen in den wohlhabenden Ländern gleichzusetzen, wo Menschen das zweifelhafte Privileg haben, die Rolle dessen zu übernehmen, der zusieht wie andere leiden.
Susan Sontag besteht also darauf, dass es wirkliche Grausamkeit gibt. Und dass Millionen von Fernsehzuschauern die scheußliche Wirklichkeit nicht nur konsumieren, sondern -mitleiden. Nicht der Verbreitung von Kriegsbildern hafte etwas Zynisches an. Zynisch sei vielmehr der moderne Weltbürger, der versucht, "innere Bewegung um jeden Preis zu vermeiden", um Gewalt weiterhin als Spektakel konsumieren zu können.
Vor 25 Jahren hatte Susan Sontag in ihrem Essay Über Fotografie selbst noch vor der abstumpfenden Wirkung der zeitgenössischen Bilderflut gewarnt. Vielleicht sind es Erfahrungen, die sie selbst im belagerten Sarajevo sammelte, die sie für die nach wie vor verstörende Kraft der Bilder sensibilisierte. Bilder bleiben, so schreibt sie jetzt, Appelle. Sie rütteln auf gegenüber dem Schrecken von Krieg und Terror, auch wenn sie davon nur einen abgeschwächten Eindruck hinterlassen.
Es ist kein Fehler, kein Zeichen von Schwäche, wenn wir keine Verbrennungen davontragen, wenn wir nicht genug leiden, während wir diese Bilder sehen. Wir erwarten von einem Foto ja auch nicht, dass es unsere Unwissenheit hinsichtlich der Geschichte und der Ursache der Leiden behebt, die es aufgreift und ins Bild rückt. Solche Bilder können nicht mehr sein als eine Aufforderung zur Aufmerksamkeit, zum Nachdenken, zum Lernen – dazu, die Rationalisierungen für massenhaftes Leiden, die von den etablierten Mächten angeboten werden, kritisch zu prüfen.
Susan Sontag
Das Leiden anderer betrachten
Hanser, 144 S., EUR 15,90