Archiv


Verstrahlter Schrott

Radiologie. - Aus Indien und China sind mehr als 150 Tonnen an radioaktiv belastetem Stahl nach Deutschland gelangt. Anscheinend sind Strahlenquellen in Hochöfen gelangt. Das Problem ist nicht neu, aber es nimmt zu, so dass die IAEA in dieser Woche im spanischen Tarragona eine internationale Konferenz dazu veranstaltet.

Von Dagmar Röhrlich |
    Manchmal hat die Globalisierung unerwartete Konsequenzen - etwa beim Sammeln von Altmetall für die Schmelzen dieser Welt. Denn hin und wieder enden ausgediente Strahlenquellen aus Medizin oder Industrie im Hochofen - und damit im Stahl, der rund um die Welt verkauft wird, erklärt Erik Reber, Strahlenschutzexperte bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien:

    "Seit rund fünf Jahren ist das Recycling von Altmetall zu einem richtig internationalen Geschäft geworden. Afrikanischer Schrott wird in Indien eingeschmolzen oder europäischer Schrott in China. Wenn große Mengen Altmetalls international verschifft werden, kommt ein Teil aus Ländern, in denen radioaktiven Quellen nicht adäquat kontrolliert werden und ins Altmetall geraten. Außerdem kann selbst in hoch entwickelten Ländern etwas verloren gehen. Der globale Handel mit Altmetall lässt vermehrt radioaktiven Stahl auftauchen."
    Denn die in Deutschland weitgehend üblichen Radioaktivitätskontrollen am Werkstor der Stahlwerke und bei vielen Schrotthändlern sind keineswegs international gebräuchlich:

    "Die Strahlenquellen, die in den Metallschmelzen landen und in Konsumprodukten enden, sind meist ganz regulär in Krankenhäusern eingesetzt worden, vielleicht in der Strahlentherapie. Oder sie stammen aus der Industrie, wo sie unter anderem zur Prozesskontrolle benutzt werden oder aus Universitäten oder kommerziellen Forschungseinrichtungen."

    Neben dem internationalen Altmetallhandel gibt es noch einen zweiten Grund, warum mehr strahlender Stahl auftaucht: Viele Staaten kontrollieren verstärkt, damit weder Terroristen, noch "Schurkenstaaten" an nukleares Material kommen. Und so prüfen in Deutschland die Zollstellen die Importe inzwischen mal nach dem Zufallsprinzip, mal mit Stichproben und mal ganz systematisch auf Strahlenbelastung. Eine international einheitliche Vorgehensweise gibt es nicht. Früher wurde das Thema ohnehin kaum beachtet, und es gelangen eher Zufallsfunde: 1983 etwa brachte ein Lkw Baustahl von Mexiko in die USA. Der Fahrer bog falsch ab und geriet auf die Straße zum Kernforschungszentrum Los Alamos:

    "Die Wachen von Los Alamos hatten aus eigennützigen Gründen, damit ihnen keiner Radioaktivität aus dem Forschungszentrum klaut, Radioaktivitätszähler in den Straßen eingebaut, und da kam dann der Lastwagen von außen her und hat plötzlich Alarm gegeben und die Polizei, die dann sofort ausrückte, hat festgestellt, der hat also signifikant kontaminierten Stahl geladen. Wenn der sich nicht zufällig verirrt hätte, wäre der Stahl im Baugewerbe verschwunden gewesen."

    Herwig Paretzke vom Helmholtz-Zentrum München. Die Gefährdung, die von dem kontaminierten Stahl ausgeht, sei in der Regel bei kurzem Kontakt gering. Auch wer als Gast in einem Schnellrestaurant auf einem Stuhl aus kontaminiertem Stahl sitzt, braucht sich keine Sorgen zu machen. Für Mitarbeiter, die tagtäglich den erhöhen Strahlenwerten ausgesetzt sind, ändert sich das Bild. Oder bei den Menschen, die sich dauernd in Wohnhäusern, Kindergärten oder Schulen aufhalten, die mit strahlendem Baustahl errichtet worden sind - wie etwa in Taiwan geschehen. Paretzke:

    "Weit über 1000 Leute hatten über Jahre eine Dosis von über ein Millisievert durch diesen Stahl bekommen, und das ist der Grenzwert, den wir in der Bevölkerung nie erreichen wollen."

    Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA will das Problem nun an der Wurzel packen: Strahlenquellen sollen keinesfalls mehr unentdeckt in Metallschmelzen landen können. Dazu muss die Agentur Regierungen und Industrie davon überzeugen, in Prävention zu investieren. Das versucht sie derzeit auf einer Konferenz im spanischen Tarragona. Erik Reber:

    "Nachdem wir uns in den vergangenen Jahren vor allem damit beschäftigt haben, ganz allgemein die Kontrolle von Strahlenquellen zu verbessern, wird auf sie sehr viel besser geachtet als früher. Jetzt erarbeiten wir als nächstes Empfehlungen, die verhindern sollen, dass diese Quellen in Metallschmelzen gelangen. Dazu sollte die Radioaktivität vom Werkstor über den gesamten Verarbeitungsprozess bis hin zum fertigen Metallblock immer wieder gemessen werden."
    Außerdem können die Staaten routinemäßig alle importierten Metalle und Metallprodukte kontrollieren - etwa mit fest eingebauten Scannern an Häfen, Grenzübergängen oder Verkehrsknotenpunkten. Kontaminationen aus verlorenen Strahlenquellen fallen dann sofort auf, auch wenn der Lastwagen einfach nur die Sensoren passiert.