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Verstrickung von Wissenschaft und Nationalsozialismus

Die These vom Volk ohne Raum, dass neuen Platz im Osten Europas gewinnen müsse und auch verdient habe, ist grundlegend für das Denken der Nationalsozialisten. Schon 1924, in seinem Buch Mein Kampf formulierte Adolf Hitler seine Pläne für eine Expansion nach Osten:

Von Kay Müllges |
    Wir Nationalsozialisten setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete, Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten.

    Fünfzehn Jahre später nach dem Beginn des 2. Weltkriegs und dem Angriff auf Polen begannen verschiedene Dienststellen des NS-Regimes damit, diese vagen Wunschvorstellungen in konkrete Planungen umzusetzen. Insbesondere der Chef der SS, Heinrich Himmler, der zugleich auch Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums war, kümmerte sich darum. Zum wissenschaftlichen Leiter der entsprechenden Studien machte er den Berliner Professor Konrad Meyer. Als Mitglied der SS genoss der das Vertrauen Himmlers, als vormaliger Vizepräsident der DFG und Leiter der Fachsparte Landbauwissenschaften des Reichsforschungsrates verfügte er über exzellente Verbindungen in der wissenschaftlichen Gemeinde. Ab 1940 begann Meyer damit Forscher für seine Planungen zu rekrutieren, weiß Isabel Heinemann von der Albert Ludwigs Universität Freiburg:

    " Das sind einerseits Mitarbeiter aus seinem Berliner Institut für Agrarwesen und Agrarforschung, sind aber andererseits auch, quer über das Reich verteilt, Experten zu bestimmten Teilbereichen, wie Recht, Verkehrswege, Ostsiedlung und so weiter, die er dann konkret für bestimmte Projekte beteiligt an diesem Forschungsprojekt. "

    Die kleine Ausstellung im Foyer des Bonner Wissenschaftszentrums gibt auf wenigen, aber informativen Schautafeln einen ersten Überblick über die Entwicklung der Planungen, die heute unter dem Namen Generalplan Ost zusammengefasst werden.
    " Es wird immer der Haupt Generalplan Ost als das wichtige Dokument genannt, der datiert vom 2.6.1942, für mich ist es aber immer wichtig das es unterschiedliche Planungsstufen gibt, die entsprechend der deutschen Eroberung Osteuropas angepasst wurden. Es geht los 1940 mit Überlegungen zur Umgestaltung des bis dato annektierten Westpolens und setzt sich dann fort über die Gebietsgewinne im Krieg gegen die Sowjetunion, dann kommt das Baltikum und die westlichen Teile der Sowjetunion in den Blick."

    Aus dem Führerhauptquartier gibt das Oberkommando der Wehrmacht bekannt: Zur Abwehr der drohenden Gefahr aus dem Osten ist die deutsche Wehrmacht am 22.6. 3 Uhr früh mitten in den gewaltigen Aufmarsch der Feinde hineingestoßen.

    Je weiter deutsche Truppen in die Sowjetunion vorstießen, desto gigantischer wurden die Planungen der Strategen. Der Generalplan Ost entstand auf Weisung des Reichsführers SS Heinrich Himmler in mehreren Etappen und wurde konsequent nach rassenideologischen Prämissen konzipiert. Von den 45 Millionen Menschen, die damals in den betroffenen Gebieten lebten, sollten einer Planung vom November 1941 zu Folge 31 Millionen nach Sibirien deportiert oder schlicht umgebracht werden, die verbleibenden 14 Millionen hätten den dann zuwandernden Deutschen als Arbeitssklaven dienen sollen. In einem der Dokumente heißt es dazu:

    Eine Vermehrung der slawischen Bevölkerung ist unerwünscht. Kinderlosigkeit und Abtreibungen sind zu ermutigen. Erziehung ist für slawische Kinder unnötig. Wenn sie bis Hundert zählen können, ist das genug. Die Slawen sollen für die Deutschen arbeiten, wenn sie nicht arbeiten können, sollen sie sterben.

    Der eigentliche Generalplan Ost vom Juni 1942 setzte die Akzente etwas anders. Von Deportationen nach Sibirien war nun nicht mehr die Rede, aber auch dieser Plan sah die Dezimierung der Bevölkerung durch immense Zwangsarbeitsprojekte und eine forcierte Entstädterung vor. Isabel Heinemann:

    " Also beispielsweise alleine für Leningrad war vorgesehen, in der letzten Version des sogenannten Generalsiedlungsplans, das dort die Stadtbevölkerung von drei Millionen Menschen auf zweihunderttausend reduziert werden sollte durch ein Beispiel forcierter Entstädterung, also durch Hungerpolitik und das heißt, das man einfach mal drei Millionen Menschen aus der Bilanz rausrechnet."

    Den Planern schwebte dabei das Idealbild einer leistungsfähigen Agrargesellschaft vor. Am Reißbrett entwarfen sie ganz detaillierte Musterdörfer. Äußerlich sollten die dem jeweiligen Heimatstil jener Regionen nachgebildet werden, aus denen die neuen Siedler kamen. Aber zugleich musste hinter diesen Fassaden Platz für eine effiziente, auf Maschineneinsatz gestützte Hochleistungslandwirtschaft sein. Die Silhouetten der neuen Orte sollten der Zeit vor 1850 nachgebildet sein, aber auf Parteihäuser, HJ-Heime., Vortragssäle, moderne Sportstätten, Strom- und Telefonleitungen wollte man keinesfalls verzichten. Finanziert wurden all diese Planungen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

    " Konrad Meyer erhält von der DFG in den Jahren 1941 bis, das letzte Rechnungsjahr ist 1944/45, wo noch ausgezahlt wird, insgesamt 510.000 Reichsmark, immer in jährlichen Tranchen von 100.000 bis 150.000 Reichsmark. Das klingt zunächst nicht einmal furchtbar viel, wird es aber, wenn sie bedenken, das der Gesamtetat der DFG 1942 6 Millionen Reichsmark sind. Das heißt also wenn man dann im Jahr 150.000 Reichsmark bekommt, sind das 2,5 Prozent des Gesamtetats, wenn ich mich nicht verrechne."

    Der Generalplan Ost ist - zum Glück - niemals in die Tat umgesetzt worden. Und auch Konrad Meyer gereichte das zum Vorteil. Zwar wurde er 1947/48 in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse angeklagt, doch es gelang ihm die amerikanischen Richter von der vermeintlichen Harmlosigkeit seiner Grundlagenforschung zu überzeugen. Verurteilt wurde er nur wegen seiner SS-Mitgliedschaft, die dafür ausgesprochen Haftstrafe galt jedoch durch die Zeit der Internierung als abgegolten. 1956 wurde er zum Professor an der Technischen Hochschule Hannover ernannt.