Angela Merkel: "Ich habe keinen wissenschaftlichen Assistenten oder einen Promovierenden oder einen Inhaber einer Doktorarbeit berufen, sondern mir geht es um die Arbeit als Bundesverteidigungsminister, die erfüllt er hervorragend und das ist das, was für mich zählt."
Sprach die Kanzlerin noch in der vergangenen Woche. Seit heute Vormittag ist nun klar: Angela Merkel muss sich einen neuen Minister suchen. Wer das Verteidigungsministerium in Zukunft regiert, den Afghanistaneinsatz und auch die Bundeswehrreform begleitet, muss die Kanzlerin jetzt schnell entscheiden. Denn 2011 ist ein Superwahljahr, da sollten die Reihen dicht geschlossen sein. Wir wollen in den nächsten 20 Minuten darüber sprechen, was die Affäre Guttenberg zu bedeuten hat: für die Wissenschaft und für den Wahlkampf 2011, zum Beispiel in Baden-Württemberg. Außerdem gehen wir ins Netz, um zu sehen, wie der Rücktritt dort kommentiert wird und ich spreche mit dem ehemaligen Geschäftsführer des Grimme-Instituts, mit Bernd Gäbler über die Rolle der Medien in dieser Affäre. Am Mikrofon: Christiane Wirtz.
Karl-Theodor zu Guttenberg: "Ich gehe nicht alleine wegen meiner so fehlerhaften Doktorarbeit, wiewohl ich verstehe, dass dies für große Teile der Wissenschaft ein Anlass wäre."
Man darf vermuten: Annette Schavan hätte das Plagiat als Anlass gereicht. Denn die Forschungsministerin von der Union machte kein Geheimnis daraus, dass sie sich im Fall Guttenberg "fremdschämte" und das nicht nur heimlich. Die Kanzlerin dagegen brachte viele Wissenschaftler gegen sich auf, indem sie Guttenberg bis zum Schluss – bis heute – in Schutz nahm. Mehr als 50.000 Akademiker unterzeichneten einen offenen Brief, adressiert ans Kanzleramt, in dem sie sich über die "Verhöhnung der Wissenschaft" mokieren. Ein Vorgang, der eigentlich untypisch ist für die Wissenschaft – denn eigentlich hält sie sich vornehm aus der Tagespolitik heraus. Und auch dieses Mal schien es – jedenfalls zunächst einmal – als würden die Wogen der Empörung am Elfenbeinturm zerschellen.
Eine Woche lang war es ziemlich still in der Wissenschaftsszene, nachdem die Vorwürfe gegen Karl-Theodor zu Guttenberg bekannt geworden waren. Ein paar unterstützende Statements der Universität Bayreuth für den angegriffenen Minister, eine schnelle Aberkennung der Doktorwürde – danach war erst mal wieder alles ruhig. Eine Ruhe, die erst der Bayreuther Jura-Professor Oliver Lepsius durchbrach, als er sich Ende vergangener Woche im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk klar positionierte:
"Niemand hätte sich vorstellen können, mit welcher Dreistigkeit hier ein Plagiat eingereicht wird."
Die Empörung, die der Bayreuther Professor zum Ausdruck brachte, hatte ganz offensichtlich zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gelähmt: Mit einer solchen akademischen Frechheit hatte niemand gerechnet.
"Es ist natürlich erst einmal ein Schock, nicht nur für uns in Bayreuth, sondern ich denke für die Scientific Community insgesamt. Es ist auch einfach ein Ausmaß an Dreistigkeit, das wir noch nicht erlebt haben."
Schockierend war für viele Wissenschaftler auch die Lässigkeit, mit der viele Politiker diesen wissenschaftlichen Fehltritt als Petitesse abtaten. Doch nach der Aussage der Kanzlerin, zu Guttenberg sei ja keine wissenschaftliche Hilfskraft, brach sich der Protest der Wissenschaftler Bahn. Der Wissenschaftsrat und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz und der Deutsche Hochschulverband empörten sich öffentlich. Und den offenen Brief, den einige Doktoranden am vergangenen Donnerstag an Angela Merkel schrieben, unterzeichneten im Internet innerhalb kürzester Zeit mehr als 50.000 Menschen. Darin heißt es:
Bei der Beachtung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis geht es nicht um "Fußnoten", nicht um Kinkerlitzchen, die angesichts größerer politischer Probleme vernachlässigenswert sind. Es geht um die Grundlagen unseres Arbeitens und Vertrauenswürdigkeit. Wir bemühen uns daher in unserer eigenen Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen, diesen hohen Anforderungen jederzeit nachzukommen.
Das lange Festhalten an Guttenberg als Minister sei deshalb eine Verhöhnung aller wissenschaftlichen Hilfskräfte und aller Doktorandinnen und Doktoranden, heißt es in dem Brief weiter – weil der Eindruck erweckt wurde, das Erschleichen eines Doktortitels sei ein Kavaliersdelikt, das mit dem wirklichen Leben wenig bis gar nichts zu tun habe. Ob der heutige Rücktritt den Schaden noch abwenden kann, der der Wissenschaft entstanden ist, scheint fraglich: Zu deutlich haben viele Politiker ihre Missachtung wissenschaftlicher Standards gezeigt. Deshalb hält es Jura-Professor Oliver Lepsius jedenfalls für unabdingbar, dass an der Universität Bayreuth nach der Aberkennung des Doktortitels auch noch geprüft wird, ob für die Doktorarbeit bewusst fremdes Material kopiert wurde. In diesem Fall könnte die Universität juristische Schritte einleiten. Eine lückenlose Aufklärung, so Lepsius, gehöre zum Selbstreinigungsprozess der Wissenschaft unbedingt dazu – unabhängig vom politischen Rücktritt:
"Jemand schreibt 400 Seiten, und das ist eine Collage. Das ist von Anfang an als Collage geplant. Das ist doch kein Versehen. Hier geht jemand bewusst vor. Der Mann hatte einen bewussten Vorsatz des Plagiierens. Mir ist vollkommen schleierhaft, wie er diesen Vorsatz bestreiten kann."
Eine solche Collage dürfte eigentlich auch der Kanzlerin nicht gefallen, schließlich kommt sie selbst aus der Welt der Wissenschaft. Doch, ach, zwei Herzen schlagen da in ihrer Brust: Denn sie trennt sich gar nicht gern von einem politischen Talent und das ist Guttenberg zweifelsohne. Denn politisches Talent ist von Nöten in diesem Jahr, in dem noch in sechs Bundesländern gewählt wird. Karl-Theodor zu Guttenberg war gebucht wie kein zweiter. In Sachsen-Anhalt sollte er auftreten, so auch heute Abend, doch auf den prominenten Gast muss die CDU in Bernburg nun wohl verzichten. Auch die Christdemokraten in Baden-Württemberg können nicht mehr auf das Talent des Ministers vertrauen, er sagte alle Wahlkampftermine ab, und das obwohl Stefan Mappus – so versicherte er heute in Stuttgart – ihn auch ohne Titel und ohne Amt genommen hätte.
Gestern hatte sich die Spitze der baden-württembergischen CDU noch klar hinter den Verteidigungsminister gestellt. Guttenberg sei eine faszinierende Persönlichkeit und selbstverständlich werde er die geplanten 8 Auftritte im baden-württembergischen Landtagswahlkampf absolvieren. Inzwischen hat Guttenberg die Wahlkampfauftritte abgesagt, aber an der Persönlichkeit des Ex-Verteidigungsministers ändere das nichts, so Ministerpräsident Stefan Mappus heute:
"Es gibt auch faszinierende Persönlichkeiten, die vielleicht im Gegensatz zu anderen Menschen, die völlig fehlerfrei sind, einen Fehler machen, aber dann zu ihm stehen. Vielleicht macht sie das noch faszinierender."
Man respektiert die persönliche Entscheidung Guttenbergs, ist die Sprachregelung in der baden-württembergischen CDU. Man steht zu seiner Person, und insofern sei auch der zurückgetretene Minister in Baden-Württemberg immer willkommen:
"Karl Theodor zu Guttenberg war, ist und bleibt in allerhöchstem Maße willkommen bei der Union in Baden-Württemberg."
Ähnlich sieht es auch der Vorsitzende des CDU-Bezirksverbandes Nord-Württemberg und Bundesratsminister Wolfgang Reinhard. Er berichtet, dass die Parteibasis im Vorfeld geradezu darum gebettelt habe, Guttenberg als Wahlkampfredner zu bekommen:
"Er hatte hier einen großen Zulauf. Es gab viele Mitglieder, die geradezu danach gefragt haben, ob er als Redner kommt. Er ist ein absolutes Zugpferd gewesen."
Was die Auswirkungen des Rücktritt auf die Umfrageergebnisse, bzw. die Landtagswahl am 27. März angeht, gibt sich CDU-Generalsekretär Thomas Strobl gelassen. Er ist der Auffassung, dass die Meinungen in der Bevölkerung über Guttenberg zweigeteilt seien:
"Insofern glaube ich nicht, dass das dem Wahlkampf schadet oder nützt. Ich glaube es wird letztlich keine Auswirkungen auf den Wahlkampf in Baden-Württemberg haben."
Ähnlich sieht das Landtagsfraktionschef Peter Hauk. Auch wenn er diese Position ganz anders begründet:
"Wir sprechen seit Wochen wieder verstärkt und fast ausschließlich über Landesthemen und kaum über bundespolitische Themen. Insofern finden eine Polarisierung und ein Wahlkampf derzeit über Landes- und nicht über die Bundespolitik statt."
Wissenschaftsminister Peter Frankenberg berichtet einerseits davon, dass es in den Wahlkampfveranstaltungen der vergangenen Tage viel Zustimmung für Guttenberg gab, andererseits zeigt er sich heute erleichtert über den Rücktritt:
"Es war konsequent, dass er zurückgetreten ist. Es war konsequent auch für das Wissenschaftssystem. Ich glaube auch für ihn persönlich und seine Familie. Es ist jetzt von der Stimmung im Wissenschaftssystem her sicherlich auch dort so, dass man den Rücktritt begrüßt und sich auch erleichtert fühlt."
Dennoch ist Frankenberg der Auffassung, dass sich der Rücktritt nicht auf den Wahlkampf auswirken wird. Ganz anders sieht das allein die Opposition. Die will sich jetzt auf das Verhalten der Landesregierung stürzen, die dem Minister nach Meinung von SPD-Fraktionschef Klaus Schmiedel viel zu lange die Stange gehalten hat.
Über einen Wahlkampf ohne Zugpferd: Ein Beitrag von unserem Korrespondenten Michael Brandt. Möglicherweise war das Internet ganz einfach zu schnell für Guttenberg. Denn das Netz hat eine Dynamik an den Tag gelegt, die es bislang in politischen Affären so nicht gab. Seit die Süddeutsche Zeitung den Fall auf eher traditionelle Weise, also schwarz auf weißem Papier publik gemacht hat, wurde im Internet zur Jagd geblasen: zur Jagd aufs Plagiat. Neue Vorwürfe wurden so bekannt, Belege gefunden und verdammt viele Witze gemacht: Alle auf Kosten von "KT aD". Und so feiert sich das Netz heute selbst: Auf Spiegel Online ist zu lesen: "Netz besiegt Minister", Süddeutsche Online titelt: "Der Ex-Doktor im Netz der Affäre". Und beim bekannten Blog "Carta" heißt es: "Der erste Minister, den das Internet gestürzt hat".
Es herrscht Einigkeit: Ohne das Internet würde Karl-Theodor zu Guttenberg noch im Amt sein. Denn die akribische Aufarbeitung seiner Doktorarbeit haben Dutzende Freiwillige des Projekts "Guttenplag Wiki" übernommen. Die Universität Bayreuth hätte Wochen gebraucht, einzelne Journalisten wohl noch länger. Die Freiwilligen aber, die sich im Netz zusammengefunden haben, haben die Fakten binnen Tagen für jedermann zugänglich gemacht, urheberlos, nachvollziehbar und überprüfbar. Auch deshalb bestand nie Zweifel daran, wie viel zu Guttenberg von anderen kopiert hat. Auch andere Aktionen im Netz haben den Druck auf zu Guttenberg erhöht. Über eine eigene Website aber auch Facebook hat der offene Brief an Kanzlerin Merkel binnen ein paar Tagen über 50.000 Unterstützer gefunden. Aber nicht nur zu-Guttenberg-Kritiker haben sich über das Netz vereint. Die Facebook-Gruppe "Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg" hat über 300.000 Mitglieder, seit Guttenbergs Rücktritt wird sekündlich kommentiert. Die Medien und die Opposition seien Schuld an Guttenbergs Fall, man würde den besten deutschen Politiker verlieren – so ist es häufig zu lesen. Ein Nutzer schreibt:
"Die Art und Weise, wie dieser Mann gemobbt wurde, ist schlimmer als jedes Abschreiben."
Ein anderer kommentiert:
"Das war eine Hetzjagd. Sie hat ihr Ziel erreicht."
Nicht nur auf Facebook, auch auf Twitter war über den gesamten Tag Guttenbergs Rücktritt das Wichtigste Thema. Die Schlagwörter "Guttenberg" und "Guttbye" belegten schlagartig die Plätze 1 und 2 der beliebtesten Themen bei Twitter. Guttenbergs Rücktrittsrede auf Youtube wird dort verlinkt, sie wurde binnen kurzer Zeit tausend mal angeschaut und vor allem auf Twitter kommentiert. Da heißt es etwa:
"Gerade das Video angeschaut vom Rücktritt. Tief schockiert. Guttenberg hat nichts verstanden. Die bösen Medien sind schuld. Klar."
Wie für das Internet üblich bleibt auch Hohn und Spott nicht aus. Auf Twitter fragen die Nutzer, ob zu Guttenberg seine Rede wohl irgendwo abgeschrieben hat. Und einer der beliebtesten Links auf Facebook und Co ist der zu einem Bild des Satiremagazins "Titanic". Der 17-jährige Popstar Justin Bieber ist dort zu sehen mit der Überschrift: "Der Nachfolger zu Guttenbergs. Noch jünger, noch beliebter, noch reicher."
Im Studio in Bielefeld ist jetzt zugeschaltet Bernd Gäbler, er ist der ehemalige Geschäftsführer des Grimme-Instituts. Guten Abend Herr Gäbler. - Herr Gäbler, das Internet, feiert sich gerade selbst. Zu Recht?
Bernd Gäbler: Ja, ich glaube es passiert etwas sehr Interessantes, noch vor einiger Zeit wurde ja in der Medienwissenschaft sehr stark diskutiert, löst das Internet den klassischen Journalismus ab, ist es gar das Ende des Journalismus oder sieht der Journalismus völlig anders aus in der Zukunft? Ich glaube, diese Prognosen haben sich nicht erfüllt. Ich glaube, es gab eine Kombination des Internets mit den klassischen Medien. Sie haben die "Süddeutsche" erwähnt, die Argumente der "FAZ". Aber im Netz ging auch sehr stark rum zum Beispiel das Interview des Heute-Journals mit dem Professor Lepsius, was Sie ja auch zitiert haben. Das heißt in der Kombination von klassischer journalistischer Argumentation und der Sammelbewegung des Internets, gerade auf Guttenplag Wiki, ich würde eher sagen, da waren Sammler aktiv und eben nicht hetzende Jäger. Die Seite hat das Verdienst, seriös geblieben zu sein. Das hat einen großen Effekt gemacht und hat zumindest den Zeitablauf üblicher Skandale verändert.
Also die klassischen Medien sind jetzt durch das Internet nicht überflüssig geworden, sagen Sie, aber glauben Sie, dass insgesamt die politische Kultur sich in Deutschland verändert, oder auch weltweit, denn das Internet geht ja weltweit?
Gäbler: Das finde ich sehr weit gegriffen. Ich glaube, dass tatsächlich hier feststellbar war eine Kombination klassischer Medien und Internet. Also das Internet hat immer wieder gesammelt, immer wieder diese Stellen, die Plagiate, deutlich gemacht. Im normalen Journalismus wurde eher argumentiert. Und es gab auch immer wieder neue Enthüllungen, noch heute ja, dass zum Beispiel nur wegen einer Sondergenehmigung überhaupt der Freiherr zu Guttenberg die Zulassung zur Promotion bekommen hat. Und wir haben innerhalb der klassischen Medien durchaus einen interessanten Pluralismus. Es war ja die "FAZ" eher diejenige, dass sie bürgerliche Tugenden des guten wissenschaftlichen Arbeitens hochgehalten hat, während zum Beispiel die stärkste Boulevardzeitung, die "Bild", klar Partei ergriff für Guttenberg, aber auch die stärkste intellektuelle Wochenzeitung, die Zeit, plädiert hat, dafür, dass er nicht zurücktreten muss. Also dieser Pluralismus einerseits und im Netz, wenn ich das noch erwähnen darf, in der Wissenschaft nennt man das die Long-Tail-Effekte, das Netz ist nicht nur ein Verbreitungsmedium, sondern gleichzeitig ein Speichermedium und das heißt, es war viel schwerer bei diesem Skandal für den Skandalisierten darauf zu setzen es wird schon Gras drüber wachsen. Nein, im Internet wächst eben kein Gras.
Sie haben die "Bild" eben schon angesprochen. Auffällig war ja, dass die "Bild" im Grunde Guttenberg bis zuletzt gestützt hat. Trotzdem musste er gehen. Ist das nun heute auch ein Sieg der besseren Argumente der klassischen Medien des Internets über den Boulevard?
Gäbler: Das weiß ich nicht wirklich. Also was mir daran gefällt, ist ein anderer Effekt: Man könnte sagen, er musste zurücktreten trotz "Bild", oder selbst "Bild" konnte es nicht verhindern. Der Leiter des Hauptstadtbüros der "Bild"-Zeitung hat sich ja in allen Talkshows für zu Guttenberg in die Bresche geworfen, und im Gegenzug wollte ursprünglich Herr zu Guttenberg am Freitag das Buch von diesem Nikolaus Blome vorstellen – also das war schon eine sehr große, fast verhängnisvolle Nähe, die dann auch zu Abhängigkeiten führen kann. Die "Bild"-Zeitung will ja immer beides sein: Sie möchte sozusagen Freudenhaus und Sittenpolizei sein. Und hier war die Sachlage so, dass das auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten war. Man merkte das daran, dass zum Beispiel die klassischen wertkonservativen Politiker der Union, denken wir an Norbert Lammert oder Annette Schavan, die ja gar nicht mehr zu Wort kamen. Was ich interessant finde, ist, dass in diesem Fall eine Abspaltung nicht mehr funktioniert hat. Also die Politik ist nicht identisch mit Wissenschaft, ist auch nicht identisch mit Moral, sonst gäbe es keine Realpolitik, aber sie darf sich auch nicht völlig abspalten von Wissenschaft und Politik. Und die Befürworter, Guttenberg solle doch weitermachen, hatten eigentlich vor, dass die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche von der Politik abgespalten werden. Dass das nicht gelungen ist, das finde ich interessant, das ist zumindest – sag ich mal – ein großer Schutzwall gegen so etwas wie eine Berlusconi-Politik.
Jetzt gab es ja in vergangenen Tagen immer wieder Diskussionen darüber, dass die veröffentlichte Meinung und die öffentliche Meinung so ganz deckungsgleich sind. Was glauben Sie: Liegen die Medien richtig im Trend, oder jedenfalls die sogenannten klassischen Medien, die ja gesagt haben, das geht nicht, nach so einer Verfehlung kann man nicht im Amt bleiben – haben wir – den Deutschlandfunk kann man da ruhig einschließen, haben wir vielleicht den Zorn der Menschen zu fürchten?
Gäbler: Nein, Medien haben eine Wächterfunktion, das sollten sie auch ausüben, sie haben, sie sind - wie man so sagt, in der Gewaltenteilung schon fast so etwas wie die vierte Gewalt. Sie sollen Kontrollfunktionen ausüben, das ist auch richtig. Zu dieser Funktion sollten sie auch dann stehen, wenn sie nicht jeweils nur den populären Willen des Volkes artikulieren. Damit muss man eine Zeit lang leben, in der Regel pendelt sich das ein. Helmut Kohl hatte, glaube ich, die höchsten Zustimmungswerte auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre, wenige Wochen später sah das anders aus. Insofern bin ich da nicht allzu beunruhigt drüber, dass es zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung nicht immer übereinstimmt, jeder sollte zu seiner Aufgabe in diesem Staat stehen.
Herr Gäbler, das Gespräch ist viel zu schnell zu Ende, vielen Dank dafür. Damit ist der Fall Guttenberg für uns aber noch nicht erledigt, gleich in den Kommentaren ab 19.05 Uhr geht es weiter. Am Mikrofon bis hierher verabschiedet sich Christiane Wirtz. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.
Sprach die Kanzlerin noch in der vergangenen Woche. Seit heute Vormittag ist nun klar: Angela Merkel muss sich einen neuen Minister suchen. Wer das Verteidigungsministerium in Zukunft regiert, den Afghanistaneinsatz und auch die Bundeswehrreform begleitet, muss die Kanzlerin jetzt schnell entscheiden. Denn 2011 ist ein Superwahljahr, da sollten die Reihen dicht geschlossen sein. Wir wollen in den nächsten 20 Minuten darüber sprechen, was die Affäre Guttenberg zu bedeuten hat: für die Wissenschaft und für den Wahlkampf 2011, zum Beispiel in Baden-Württemberg. Außerdem gehen wir ins Netz, um zu sehen, wie der Rücktritt dort kommentiert wird und ich spreche mit dem ehemaligen Geschäftsführer des Grimme-Instituts, mit Bernd Gäbler über die Rolle der Medien in dieser Affäre. Am Mikrofon: Christiane Wirtz.
Karl-Theodor zu Guttenberg: "Ich gehe nicht alleine wegen meiner so fehlerhaften Doktorarbeit, wiewohl ich verstehe, dass dies für große Teile der Wissenschaft ein Anlass wäre."
Man darf vermuten: Annette Schavan hätte das Plagiat als Anlass gereicht. Denn die Forschungsministerin von der Union machte kein Geheimnis daraus, dass sie sich im Fall Guttenberg "fremdschämte" und das nicht nur heimlich. Die Kanzlerin dagegen brachte viele Wissenschaftler gegen sich auf, indem sie Guttenberg bis zum Schluss – bis heute – in Schutz nahm. Mehr als 50.000 Akademiker unterzeichneten einen offenen Brief, adressiert ans Kanzleramt, in dem sie sich über die "Verhöhnung der Wissenschaft" mokieren. Ein Vorgang, der eigentlich untypisch ist für die Wissenschaft – denn eigentlich hält sie sich vornehm aus der Tagespolitik heraus. Und auch dieses Mal schien es – jedenfalls zunächst einmal – als würden die Wogen der Empörung am Elfenbeinturm zerschellen.
Eine Woche lang war es ziemlich still in der Wissenschaftsszene, nachdem die Vorwürfe gegen Karl-Theodor zu Guttenberg bekannt geworden waren. Ein paar unterstützende Statements der Universität Bayreuth für den angegriffenen Minister, eine schnelle Aberkennung der Doktorwürde – danach war erst mal wieder alles ruhig. Eine Ruhe, die erst der Bayreuther Jura-Professor Oliver Lepsius durchbrach, als er sich Ende vergangener Woche im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk klar positionierte:
"Niemand hätte sich vorstellen können, mit welcher Dreistigkeit hier ein Plagiat eingereicht wird."
Die Empörung, die der Bayreuther Professor zum Ausdruck brachte, hatte ganz offensichtlich zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gelähmt: Mit einer solchen akademischen Frechheit hatte niemand gerechnet.
"Es ist natürlich erst einmal ein Schock, nicht nur für uns in Bayreuth, sondern ich denke für die Scientific Community insgesamt. Es ist auch einfach ein Ausmaß an Dreistigkeit, das wir noch nicht erlebt haben."
Schockierend war für viele Wissenschaftler auch die Lässigkeit, mit der viele Politiker diesen wissenschaftlichen Fehltritt als Petitesse abtaten. Doch nach der Aussage der Kanzlerin, zu Guttenberg sei ja keine wissenschaftliche Hilfskraft, brach sich der Protest der Wissenschaftler Bahn. Der Wissenschaftsrat und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz und der Deutsche Hochschulverband empörten sich öffentlich. Und den offenen Brief, den einige Doktoranden am vergangenen Donnerstag an Angela Merkel schrieben, unterzeichneten im Internet innerhalb kürzester Zeit mehr als 50.000 Menschen. Darin heißt es:
Bei der Beachtung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis geht es nicht um "Fußnoten", nicht um Kinkerlitzchen, die angesichts größerer politischer Probleme vernachlässigenswert sind. Es geht um die Grundlagen unseres Arbeitens und Vertrauenswürdigkeit. Wir bemühen uns daher in unserer eigenen Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen, diesen hohen Anforderungen jederzeit nachzukommen.
Das lange Festhalten an Guttenberg als Minister sei deshalb eine Verhöhnung aller wissenschaftlichen Hilfskräfte und aller Doktorandinnen und Doktoranden, heißt es in dem Brief weiter – weil der Eindruck erweckt wurde, das Erschleichen eines Doktortitels sei ein Kavaliersdelikt, das mit dem wirklichen Leben wenig bis gar nichts zu tun habe. Ob der heutige Rücktritt den Schaden noch abwenden kann, der der Wissenschaft entstanden ist, scheint fraglich: Zu deutlich haben viele Politiker ihre Missachtung wissenschaftlicher Standards gezeigt. Deshalb hält es Jura-Professor Oliver Lepsius jedenfalls für unabdingbar, dass an der Universität Bayreuth nach der Aberkennung des Doktortitels auch noch geprüft wird, ob für die Doktorarbeit bewusst fremdes Material kopiert wurde. In diesem Fall könnte die Universität juristische Schritte einleiten. Eine lückenlose Aufklärung, so Lepsius, gehöre zum Selbstreinigungsprozess der Wissenschaft unbedingt dazu – unabhängig vom politischen Rücktritt:
"Jemand schreibt 400 Seiten, und das ist eine Collage. Das ist von Anfang an als Collage geplant. Das ist doch kein Versehen. Hier geht jemand bewusst vor. Der Mann hatte einen bewussten Vorsatz des Plagiierens. Mir ist vollkommen schleierhaft, wie er diesen Vorsatz bestreiten kann."
Eine solche Collage dürfte eigentlich auch der Kanzlerin nicht gefallen, schließlich kommt sie selbst aus der Welt der Wissenschaft. Doch, ach, zwei Herzen schlagen da in ihrer Brust: Denn sie trennt sich gar nicht gern von einem politischen Talent und das ist Guttenberg zweifelsohne. Denn politisches Talent ist von Nöten in diesem Jahr, in dem noch in sechs Bundesländern gewählt wird. Karl-Theodor zu Guttenberg war gebucht wie kein zweiter. In Sachsen-Anhalt sollte er auftreten, so auch heute Abend, doch auf den prominenten Gast muss die CDU in Bernburg nun wohl verzichten. Auch die Christdemokraten in Baden-Württemberg können nicht mehr auf das Talent des Ministers vertrauen, er sagte alle Wahlkampftermine ab, und das obwohl Stefan Mappus – so versicherte er heute in Stuttgart – ihn auch ohne Titel und ohne Amt genommen hätte.
Gestern hatte sich die Spitze der baden-württembergischen CDU noch klar hinter den Verteidigungsminister gestellt. Guttenberg sei eine faszinierende Persönlichkeit und selbstverständlich werde er die geplanten 8 Auftritte im baden-württembergischen Landtagswahlkampf absolvieren. Inzwischen hat Guttenberg die Wahlkampfauftritte abgesagt, aber an der Persönlichkeit des Ex-Verteidigungsministers ändere das nichts, so Ministerpräsident Stefan Mappus heute:
"Es gibt auch faszinierende Persönlichkeiten, die vielleicht im Gegensatz zu anderen Menschen, die völlig fehlerfrei sind, einen Fehler machen, aber dann zu ihm stehen. Vielleicht macht sie das noch faszinierender."
Man respektiert die persönliche Entscheidung Guttenbergs, ist die Sprachregelung in der baden-württembergischen CDU. Man steht zu seiner Person, und insofern sei auch der zurückgetretene Minister in Baden-Württemberg immer willkommen:
"Karl Theodor zu Guttenberg war, ist und bleibt in allerhöchstem Maße willkommen bei der Union in Baden-Württemberg."
Ähnlich sieht es auch der Vorsitzende des CDU-Bezirksverbandes Nord-Württemberg und Bundesratsminister Wolfgang Reinhard. Er berichtet, dass die Parteibasis im Vorfeld geradezu darum gebettelt habe, Guttenberg als Wahlkampfredner zu bekommen:
"Er hatte hier einen großen Zulauf. Es gab viele Mitglieder, die geradezu danach gefragt haben, ob er als Redner kommt. Er ist ein absolutes Zugpferd gewesen."
Was die Auswirkungen des Rücktritt auf die Umfrageergebnisse, bzw. die Landtagswahl am 27. März angeht, gibt sich CDU-Generalsekretär Thomas Strobl gelassen. Er ist der Auffassung, dass die Meinungen in der Bevölkerung über Guttenberg zweigeteilt seien:
"Insofern glaube ich nicht, dass das dem Wahlkampf schadet oder nützt. Ich glaube es wird letztlich keine Auswirkungen auf den Wahlkampf in Baden-Württemberg haben."
Ähnlich sieht das Landtagsfraktionschef Peter Hauk. Auch wenn er diese Position ganz anders begründet:
"Wir sprechen seit Wochen wieder verstärkt und fast ausschließlich über Landesthemen und kaum über bundespolitische Themen. Insofern finden eine Polarisierung und ein Wahlkampf derzeit über Landes- und nicht über die Bundespolitik statt."
Wissenschaftsminister Peter Frankenberg berichtet einerseits davon, dass es in den Wahlkampfveranstaltungen der vergangenen Tage viel Zustimmung für Guttenberg gab, andererseits zeigt er sich heute erleichtert über den Rücktritt:
"Es war konsequent, dass er zurückgetreten ist. Es war konsequent auch für das Wissenschaftssystem. Ich glaube auch für ihn persönlich und seine Familie. Es ist jetzt von der Stimmung im Wissenschaftssystem her sicherlich auch dort so, dass man den Rücktritt begrüßt und sich auch erleichtert fühlt."
Dennoch ist Frankenberg der Auffassung, dass sich der Rücktritt nicht auf den Wahlkampf auswirken wird. Ganz anders sieht das allein die Opposition. Die will sich jetzt auf das Verhalten der Landesregierung stürzen, die dem Minister nach Meinung von SPD-Fraktionschef Klaus Schmiedel viel zu lange die Stange gehalten hat.
Über einen Wahlkampf ohne Zugpferd: Ein Beitrag von unserem Korrespondenten Michael Brandt. Möglicherweise war das Internet ganz einfach zu schnell für Guttenberg. Denn das Netz hat eine Dynamik an den Tag gelegt, die es bislang in politischen Affären so nicht gab. Seit die Süddeutsche Zeitung den Fall auf eher traditionelle Weise, also schwarz auf weißem Papier publik gemacht hat, wurde im Internet zur Jagd geblasen: zur Jagd aufs Plagiat. Neue Vorwürfe wurden so bekannt, Belege gefunden und verdammt viele Witze gemacht: Alle auf Kosten von "KT aD". Und so feiert sich das Netz heute selbst: Auf Spiegel Online ist zu lesen: "Netz besiegt Minister", Süddeutsche Online titelt: "Der Ex-Doktor im Netz der Affäre". Und beim bekannten Blog "Carta" heißt es: "Der erste Minister, den das Internet gestürzt hat".
Es herrscht Einigkeit: Ohne das Internet würde Karl-Theodor zu Guttenberg noch im Amt sein. Denn die akribische Aufarbeitung seiner Doktorarbeit haben Dutzende Freiwillige des Projekts "Guttenplag Wiki" übernommen. Die Universität Bayreuth hätte Wochen gebraucht, einzelne Journalisten wohl noch länger. Die Freiwilligen aber, die sich im Netz zusammengefunden haben, haben die Fakten binnen Tagen für jedermann zugänglich gemacht, urheberlos, nachvollziehbar und überprüfbar. Auch deshalb bestand nie Zweifel daran, wie viel zu Guttenberg von anderen kopiert hat. Auch andere Aktionen im Netz haben den Druck auf zu Guttenberg erhöht. Über eine eigene Website aber auch Facebook hat der offene Brief an Kanzlerin Merkel binnen ein paar Tagen über 50.000 Unterstützer gefunden. Aber nicht nur zu-Guttenberg-Kritiker haben sich über das Netz vereint. Die Facebook-Gruppe "Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg" hat über 300.000 Mitglieder, seit Guttenbergs Rücktritt wird sekündlich kommentiert. Die Medien und die Opposition seien Schuld an Guttenbergs Fall, man würde den besten deutschen Politiker verlieren – so ist es häufig zu lesen. Ein Nutzer schreibt:
"Die Art und Weise, wie dieser Mann gemobbt wurde, ist schlimmer als jedes Abschreiben."
Ein anderer kommentiert:
"Das war eine Hetzjagd. Sie hat ihr Ziel erreicht."
Nicht nur auf Facebook, auch auf Twitter war über den gesamten Tag Guttenbergs Rücktritt das Wichtigste Thema. Die Schlagwörter "Guttenberg" und "Guttbye" belegten schlagartig die Plätze 1 und 2 der beliebtesten Themen bei Twitter. Guttenbergs Rücktrittsrede auf Youtube wird dort verlinkt, sie wurde binnen kurzer Zeit tausend mal angeschaut und vor allem auf Twitter kommentiert. Da heißt es etwa:
"Gerade das Video angeschaut vom Rücktritt. Tief schockiert. Guttenberg hat nichts verstanden. Die bösen Medien sind schuld. Klar."
Wie für das Internet üblich bleibt auch Hohn und Spott nicht aus. Auf Twitter fragen die Nutzer, ob zu Guttenberg seine Rede wohl irgendwo abgeschrieben hat. Und einer der beliebtesten Links auf Facebook und Co ist der zu einem Bild des Satiremagazins "Titanic". Der 17-jährige Popstar Justin Bieber ist dort zu sehen mit der Überschrift: "Der Nachfolger zu Guttenbergs. Noch jünger, noch beliebter, noch reicher."
Im Studio in Bielefeld ist jetzt zugeschaltet Bernd Gäbler, er ist der ehemalige Geschäftsführer des Grimme-Instituts. Guten Abend Herr Gäbler. - Herr Gäbler, das Internet, feiert sich gerade selbst. Zu Recht?
Bernd Gäbler: Ja, ich glaube es passiert etwas sehr Interessantes, noch vor einiger Zeit wurde ja in der Medienwissenschaft sehr stark diskutiert, löst das Internet den klassischen Journalismus ab, ist es gar das Ende des Journalismus oder sieht der Journalismus völlig anders aus in der Zukunft? Ich glaube, diese Prognosen haben sich nicht erfüllt. Ich glaube, es gab eine Kombination des Internets mit den klassischen Medien. Sie haben die "Süddeutsche" erwähnt, die Argumente der "FAZ". Aber im Netz ging auch sehr stark rum zum Beispiel das Interview des Heute-Journals mit dem Professor Lepsius, was Sie ja auch zitiert haben. Das heißt in der Kombination von klassischer journalistischer Argumentation und der Sammelbewegung des Internets, gerade auf Guttenplag Wiki, ich würde eher sagen, da waren Sammler aktiv und eben nicht hetzende Jäger. Die Seite hat das Verdienst, seriös geblieben zu sein. Das hat einen großen Effekt gemacht und hat zumindest den Zeitablauf üblicher Skandale verändert.
Also die klassischen Medien sind jetzt durch das Internet nicht überflüssig geworden, sagen Sie, aber glauben Sie, dass insgesamt die politische Kultur sich in Deutschland verändert, oder auch weltweit, denn das Internet geht ja weltweit?
Gäbler: Das finde ich sehr weit gegriffen. Ich glaube, dass tatsächlich hier feststellbar war eine Kombination klassischer Medien und Internet. Also das Internet hat immer wieder gesammelt, immer wieder diese Stellen, die Plagiate, deutlich gemacht. Im normalen Journalismus wurde eher argumentiert. Und es gab auch immer wieder neue Enthüllungen, noch heute ja, dass zum Beispiel nur wegen einer Sondergenehmigung überhaupt der Freiherr zu Guttenberg die Zulassung zur Promotion bekommen hat. Und wir haben innerhalb der klassischen Medien durchaus einen interessanten Pluralismus. Es war ja die "FAZ" eher diejenige, dass sie bürgerliche Tugenden des guten wissenschaftlichen Arbeitens hochgehalten hat, während zum Beispiel die stärkste Boulevardzeitung, die "Bild", klar Partei ergriff für Guttenberg, aber auch die stärkste intellektuelle Wochenzeitung, die Zeit, plädiert hat, dafür, dass er nicht zurücktreten muss. Also dieser Pluralismus einerseits und im Netz, wenn ich das noch erwähnen darf, in der Wissenschaft nennt man das die Long-Tail-Effekte, das Netz ist nicht nur ein Verbreitungsmedium, sondern gleichzeitig ein Speichermedium und das heißt, es war viel schwerer bei diesem Skandal für den Skandalisierten darauf zu setzen es wird schon Gras drüber wachsen. Nein, im Internet wächst eben kein Gras.
Sie haben die "Bild" eben schon angesprochen. Auffällig war ja, dass die "Bild" im Grunde Guttenberg bis zuletzt gestützt hat. Trotzdem musste er gehen. Ist das nun heute auch ein Sieg der besseren Argumente der klassischen Medien des Internets über den Boulevard?
Gäbler: Das weiß ich nicht wirklich. Also was mir daran gefällt, ist ein anderer Effekt: Man könnte sagen, er musste zurücktreten trotz "Bild", oder selbst "Bild" konnte es nicht verhindern. Der Leiter des Hauptstadtbüros der "Bild"-Zeitung hat sich ja in allen Talkshows für zu Guttenberg in die Bresche geworfen, und im Gegenzug wollte ursprünglich Herr zu Guttenberg am Freitag das Buch von diesem Nikolaus Blome vorstellen – also das war schon eine sehr große, fast verhängnisvolle Nähe, die dann auch zu Abhängigkeiten führen kann. Die "Bild"-Zeitung will ja immer beides sein: Sie möchte sozusagen Freudenhaus und Sittenpolizei sein. Und hier war die Sachlage so, dass das auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten war. Man merkte das daran, dass zum Beispiel die klassischen wertkonservativen Politiker der Union, denken wir an Norbert Lammert oder Annette Schavan, die ja gar nicht mehr zu Wort kamen. Was ich interessant finde, ist, dass in diesem Fall eine Abspaltung nicht mehr funktioniert hat. Also die Politik ist nicht identisch mit Wissenschaft, ist auch nicht identisch mit Moral, sonst gäbe es keine Realpolitik, aber sie darf sich auch nicht völlig abspalten von Wissenschaft und Politik. Und die Befürworter, Guttenberg solle doch weitermachen, hatten eigentlich vor, dass die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche von der Politik abgespalten werden. Dass das nicht gelungen ist, das finde ich interessant, das ist zumindest – sag ich mal – ein großer Schutzwall gegen so etwas wie eine Berlusconi-Politik.
Jetzt gab es ja in vergangenen Tagen immer wieder Diskussionen darüber, dass die veröffentlichte Meinung und die öffentliche Meinung so ganz deckungsgleich sind. Was glauben Sie: Liegen die Medien richtig im Trend, oder jedenfalls die sogenannten klassischen Medien, die ja gesagt haben, das geht nicht, nach so einer Verfehlung kann man nicht im Amt bleiben – haben wir – den Deutschlandfunk kann man da ruhig einschließen, haben wir vielleicht den Zorn der Menschen zu fürchten?
Gäbler: Nein, Medien haben eine Wächterfunktion, das sollten sie auch ausüben, sie haben, sie sind - wie man so sagt, in der Gewaltenteilung schon fast so etwas wie die vierte Gewalt. Sie sollen Kontrollfunktionen ausüben, das ist auch richtig. Zu dieser Funktion sollten sie auch dann stehen, wenn sie nicht jeweils nur den populären Willen des Volkes artikulieren. Damit muss man eine Zeit lang leben, in der Regel pendelt sich das ein. Helmut Kohl hatte, glaube ich, die höchsten Zustimmungswerte auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre, wenige Wochen später sah das anders aus. Insofern bin ich da nicht allzu beunruhigt drüber, dass es zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung nicht immer übereinstimmt, jeder sollte zu seiner Aufgabe in diesem Staat stehen.
Herr Gäbler, das Gespräch ist viel zu schnell zu Ende, vielen Dank dafür. Damit ist der Fall Guttenberg für uns aber noch nicht erledigt, gleich in den Kommentaren ab 19.05 Uhr geht es weiter. Am Mikrofon bis hierher verabschiedet sich Christiane Wirtz. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.