Britta Fecke: Die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich hat den sogenannten Kugelhaufen-Reaktor von 1967 bis 1988 betrieben, und wie der Bericht einer Expertengruppe jetzt offenbart, kam es in der Zeit zu mehreren Störfällen im Reaktorbetrieb, die zudem noch falsch beziehungsweise zu spät an die zuständige Aufsichtsbehörde gemeldet wurden. Was das für den Rückbau des Reaktors bedeutet und auch für die umliegende Umwelt, das möchte ich mit Christian Küppers vom Bereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit des Öko-Instituts klären. Herr Küppers, Sie haben die Expertengruppe selbst geleitet. Vielleicht erläutern Sie uns zu Beginn einmal, was so ein Kugelhaufen-Reaktor von den anderen AKW in Deutschland unterscheidet.
Christian Küppers: Ja, gerne. Ein Kugelhaufen-Reaktor besteht aus einem Haufen von im Falle des AVR 100.000 Brennelement-Kugeln. Die werden unten abgezogen und können oben wieder zugespeist werden und das ganze wird mit Gas gekühlt. Bei einem normalen Leichtwasser-Reaktor, dem verbreitetsten Typ, von dem auch die heute in Deutschland noch betriebenen Kernkraftwerke sind, da sind diese Brennelemente als Stäbe zusammengebündelt zu Brennelementen, können also nur als komplette Elemente herausgenommen werden. Dazu Muss ein Deckel geöffnet werden und sie werden mit Wasser gekühlt.
Fecke: Bei den Störfällen, die Sie jetzt nachweisen konnten, auch noch nach dieser Zeit, kam es aber zur Verunreinigung von Kühlwasser bei diesem Versuchsreaktor. Wie gehört das zusammen?
Küppers: Es war so, dass das Wasser aus einem Dampferzeuger-Leck in den Reaktorkern eingedrungen ist, also Wasser an eine Stelle gekommen ist, wo normalerweise kein Wasser hätte sein sollen, und dort ist dieses Wasser dann mit radioaktiven Stoffen in Kontakt gekommen und ist dann auch stark kontaminiert worden.
Fecke: Wo ist dieses kontaminierte Wasser dann gelandet?
Küppers: Das Wasser wurde abgepumpt, wurde aufgefangen und es ist dann entsorgt worden. Es ist aber durch eine Leckage ein Teil über eine Fuge im Reaktorgebäude weiter unten in Wasserkammern eingedrungen, und diese Wasserkammern standen mit dem Grundwasser außen in Kontakt, sodass es auf dem Wege dann auch zu einer Kontamination von Grundwasser und Boden an der Anlage gekommen ist.
Fecke: Für wie gefährlich halten Sie die?
Küppers: Man hat diese Kontamination erst 20 Jahre später entdeckt und wir haben uns bemüht, zu einer Schlussfolgerung zu kommen, wie groß denn die maximalen Belastungen in den 20 Jahren, wo sie unbekannt waren und wo niemand gemessen hat, gewesen sein können, und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass auch unter ganz extrem ungünstigen Annahmen und Interpretationen von Messungen, die man aus anderen Gründen in der Umgebung gemacht hat, ein relevantes gesundheitliches Risiko für die Bevölkerung dadurch nicht bestanden hat.
Fecke: Dennoch ist es ja verwunderlich, dass es so lange unentdeckt geblieben ist beziehungsweise dass es gar nicht richtig gemeldet wurde, oder?
Küppers: Das nicht richtig gemeldet bezieht sich darauf, dass wir sagen, es ist in einer zu niedrigen Kategorie gemeldet worden. Man hat das Ereignis in der niedrigsten Schwerekraft oder Dringlichkeitsstufe gemeldet und wir meinen, dass es hätte höher eingestuft werden sollen, weil es doch ein relativ gravierender Störfall gewesen ist. Das hat allerdings damals auch die Aufsichtsbehörde nicht moniert, und sie hätte immer die Gelegenheit gehabt, das Ereignis auch anders einzuordnen.
Fecke: Das heißt, der Fehler lag auf beiden Seiten, beim Betreiber und bei der Aufsichtsbehörde?
Küppers: Ja, zumindest nicht nur beim Betreiber.
Fecke: Welche Störfälle konnten Sie noch nachweisen, von dem kontaminierten Wasser mal abgesehen?
Küppers: Wir haben uns nur mit ausgewählten Themen beschäftigt, und dazu zählte der Dampferzeuger-Störfall. Wir haben uns dann auch noch mit der Frage beschäftigt, wie denn das Meldeverhalten insgesamt zu beurteilen ist bei der Anlage, und sind da zum Ergebnis gekommen, dass doch einige Störfälle wohl gar nicht gemeldet worden sind, denn es gibt offizielle Listen, wo alle Ereignisse von den Reaktoren in Deutschland geführt werden, und es wird in manchen Unterlagen, die wir hatten, von Ereignissen berichtet, die im AVR stattgefunden haben, die aus unserer Sicht auch gravierende Störfälle gewesen sind, die man hätte melden müssen nach den Meldekriterien, die aber in diesen gemeldeten Ereignissen nicht auftauchen. Insofern gehen wir davon aus, dass das Meldeverhalten am AVR unterentwickelt gewesen ist.
Fecke: Gibt es denn jetzt noch Auswirkungen auf den Rückbau des Reaktors?
Küppers: Der Austritt von dem Wasser aus dem Reaktorgebäude in Boden und Grundwasser hat Auswirkungen auf den Rückbau dadurch, dass dieses Gelände saniert werden muss. Man hatte ursprünglich die Idee, den Reaktor erst mal in einen sicheren Einschluss zu überführen und später abzureißen. Man reißt ihn jetzt direkt ab, weil man ansonsten auch die Sanierung des Geländes nicht durchführen kann, und man Muss ja verhindern, dass sich diese Radioaktivität über Jahrzehnte weiterverbreitet. Da Muss dann Boden beseitigt werden, beispielsweise durch Deponierung. Das heißt jetzt nicht, dass der in ein Endlager Muss, aber er darf jedenfalls nicht an dieser Stelle liegen bleiben. Das ist ein Fall, wo Dinge jetzt den Rückbau erschwert haben. Man kann auch sagen, dass die hohe Aktivität, die im Reaktorbehälter, im Primärkreis freigesetzt worden ist und sich angesammelt hat und auch nicht entfernt werden konnte, auch zu einer gewissen Erschwernis führt, denn dieser ganze Reaktorbehälter müsste mit Beton verfüllt werden aus Sicherheitsgründen für den Ausbau, wird dann komplett aus dem Reaktorgebäude herausgehoben und in ein neues Zwischenlager gebracht, was in der Nähe errichtet worden ist. Das ist auch etwas Neuartiges in Deutschland. So etwas ist bei bisherigen Reaktoren nie nötig gewesen.
Fecke: Vielen Dank! – Christian Küppers war das vom Bereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit des Öko-Instituts zu den Störfällen im Versuchsreaktor Jülich.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der
Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//
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