Die späten sechziger, frühen siebziger Jahre waren eine sehr aufregende Zeit. Da war der Vietnamkrieg, die Hippies, die Frauenbewegung. Eine ganze Generation stand unter dem Einfluss dieser sozialen Bewegungen und wollte gemeinsam die Gesellschaft verändern. Es war nichts außergewöhnliches, dass ich dazu gehören wollte. Natürlich befand ich mich in einer etwas anderen Situation, weil ich bereits verheiratet war und so weiter. Meine Beziehung zum "Dichter", von der ich im Buch spreche, meine ersten Schreibversuche, die Bohème Kreise, in denen ich verkehrte und auch die Kraft, die mir die gemeinsame Sache, die Revolution, gab - das alles half mir, mich über die Konventionen hinweg zusetzten. Ich musste über meinen eigenen Schatten springen, meine Angst überwinden. Weshalb sollte ich keinen Seitensprung riskieren, wo ich doch mein Leben riskierte? Ich glaube, dass die selbe Kraft, welche die gesellschaftliche Veränderung vorantrieb, auch mir half, die Fesseln meiner eigenen traditionell bürgerlichen Weiblichkeit abzustreifen.
Für Gioconda Belli wurde ihre Affäre als frisch gebackene Ehefrau und Mutter zum "persönlichen Urknall". Von der anständigen Gattin aus der Oberschicht blieb nur noch die Fassade. Hinter dem Rücken ihres Mannes wandelte sich die schöne Oligarchin zur Sozialistin, die Poesie, Revolution und die Liebe entdeckte. Während der Fernseher ihren Mann hypnotisiert hielt, purzelten aus ihr Gedichte, wie "Kaninchen aus einem Zylinderhut". Die Bourgeoisie, ihre eigene Familie voran, war über die "Vaginalpoesie" der 22-jährigen empört. Doch die Ablehnung und Entrüstung ihrer Klasse bekräftigten nur die rebellische, junge Frau: Sie trat der sandinistischen Freiheitsbewegung bei. Im Park studierte sie die Statuten und geheimen Dokumente der Frente, lernte Sicherheitsmaßnahmen für das Leben im Untergrund auswendig und legte hochschwanger den Eid der Sandinisten ab. Heimlich warb Belli um neue Mitglieder für die gemeinsame Sache, versteckte Flugblätter im ehelichen Badezimmer, wurde zur Verbindungsfrau und Botin für die Companeros im Untergrund. Obwohl sie zwei Monate lang von der Geheimpolizei Somozas beschattet wurde, verließ sie nie das Gefühl der Unverletzbarkeit. Selbstkritisch deutet die Autorin es als typisches Merkmal der lateinamerikanischen Oligarchie, aus der sie stammt. Die Überwindung der Angst brachte Gioconda Belli auch eine außergewöhnliche Erfahrung. Sie fand nicht nur Geborgenheit im Schoß einer Gemeinschaft von Glaubensbrüdern, sondern auch "im Kampf für das Glück aller, ihr eigenes Glück."
1974 wurde Gioconda aus Sicherheitsgründen zunächst nach Europa und dann ins mexikanische Exil geschickt. Hier, wo sich die Idealisten und Träumer eines ganzen Kontinents trafen, streifte Belli ihre bürgerliche Larve endgültig ab. Sie schrieb einen zweiten Gedichtband, während ihr Liebhaber Comandante Marcos den Sturz Somozas vorbereitete. Im Juli 1979, nach dem der Diktator sich in die USA abgesetzt hatte, zogen die sandinistischen Kräfte triumphierend in Managua ein. Belli wechselte jedoch schon vor dem Sieg der Revolution innerhalb der Frente das Lager. Ihre Kritik galt dem chamäleonartigen Wandel mancher Genossen vom idealistischen Guerillero zum skrupellosen Politiker, wie z.B. die Brüder Ortega, welche die Führung sowohl in der Regierung als auch in der Armee übernahmen. Auch unbeirrbare Revolutionäre, wie Giocondas Geliebter "Modesto", erlagen den Eitelkeiten der Macht .
Die Revolution geriet stark ins Wanken, denn sie wurde von den Kursschwankungen ihres Ansehens bestimmt. Von einigen erwartete man ein bestimmtes Maß an Opferbereitschaft, von anderen wiederum nicht. Es zeigten sich die ersten Risse. Wenn die Grundlage einer Revolution Opferbereitschaft und Mystik ist, muss die Mystik erhalten bleiben. In dem Augenblick, in dem die Mystik dem Vorteil geopfert wird, ist es sinnlos, für eine an sich schon schwer fassbare Idee zu sterben. Das hat den Weg der Revolution und die Hingabe an die Sache entscheidend bestimmt.
Gioconda Belli bleibt, trotz offener Kritik am Machismo und der Hierarchie innerhalb der Frente, den sandinistischen Idealen treu. Ihre Porträts von Fidel Castro und Omar Torrijos legen humorvoll die menschlichen Schwächen und Eitelkeiten charismatischer Führer bloß. Für das Scheitern der Freiheitsbewegung in Nicaragua jedoch macht Belli in erster Linie die Politik der Vereinigten Staaten unter Reagan verantwortlich. Finanziell wie militärisch stärkte sie die Contra und verhing gegen das Land ein Wirtschaftsembargo. Noch heute ist die engagierte Schriftstellerin über die drastischen Maßnahmen der USA fassungslos. Wie sollte ein kleines Land mit nur fünf Aufzügen, fragt sie, eine Bedrohung für die nationale Sicherheit einer Supermacht sein?
Auch wenn die einstige Rebellin inzwischen mit einem Amerikaner verheiratet ist, hat sie ideologisch nicht die Fronten gewechselt. Gerade weil sie in den USA lebt, wo man Geschichte am liebsten verdrängt, macht sich Gioconda Belli zur Chronistin.
Jetzt wo es modern ist, vom Scheitern der Linken zu sprechen, dürfen all die Revolutionen Lateinamerikas nicht in den Mülleimer wandern. Ich finde, die Großzügigkeit, die Solidarität, und die Freude, für eine große Sache zu kämpfen, müssen bewahrt werden. Von etwas zu träumen, das über das persönliche Glück hinausgeht, gibt dem Leben nicht nur Sinn, sondern auch ein Ziel und besondere Freude. Es ist gut, dass die autoritären Strukturen der Linken ausgemustert wurden. Aber warum sollte die Menschlichkeit, die diese Ideen belebte mitsamt dem Autoritären begraben werden?
Gioconda Belli hat mit ihren Memoiren nicht nur ein Kapitel lateinamerikanischer Revolutionsgeschichte festgehalten. Ihr Buch ist vor allem eine Aufforderung, sich das Glück nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Die selbsternannte Erbin Don Quijotes hält gegen intellektuellen Skeptizismus und politische Resignation am Traum von einer freieren, gerechteren Welt fest.