Christoph Heinemann: Die Verteidigungsminister der Europäischen Union treffen sich heute in Sofia. Die deutsche Ressortchefin vertritt eine Bundeswehr, die viel kostet - 38,3 Milliarden Euro - , aber nicht viel kann. Nur jeder fünfte Transporthubschrauber fliegt, nicht einmal jeder dritte Tornado-Kampfjet ist start- und landefähig, und auch die sechs U-Boote der Bundesmarine dienen nur auf dem Papier der Abschreckung.
Die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme sei in vielen Bereichen dramatisch niedrig, klagt der Wehrbeauftragte. Und auch das ist Alltag in der Truppe: Die Beschaffung langer Unterhosen dauert so lange wie eine Schwangerschaft.
Ursula von der Leyen plant einen grundlegenden Umbau. Die Ministerin möchte die jahrelang vorherrschende Konzentration auf Auslandseinsätze beenden und sich künftig gleichrangig der Landes- und Bündnisverteidigung widmen. Das berichtet die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf den Entwurf eines Grundsatzpapiers mit dem Titel "Konzeption der Bundeswehr". Das kostet Geld. Ursula von der Leyen fordert bekanntlich zwölf Milliarden zusätzlich. Die Koalitionspartnerin SPD hält weniger als die Hälfte für ausreichend.
Am Telefon ist Rüdiger Lucassen, Obmann der AfD-Fraktion im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages, Wahlkreis Euskirchen/Rhein-Erft-Kreis II, ehemaliger Berufsoffizier im Rang eines Obersten im Generalstab. Oberst - das ist der höchste Rang unterhalb der Generalität. Und für Freunde der Schulterklappen-Ornamentik: Das sind drei Pickel mit Eichenlaub, das Ganze in Silber. Guten Morgen.
Rüdiger Lucassen: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Lucassen, wo steht der Feind?
Lucassen: Der Feind steht im Moment, wenn es um die Sanierung der Bundeswehr geht, in der Bundesregierung.
Heinemann: Das meinte ich aber jetzt nicht.
Lucassen: Der Feind steht 360 Grad um uns herum, wenn es überhaupt einen Feind gibt. Ich sehe im Moment keinen Feind, weder die Russische Föderation, noch woanders.
Fähig sein "im Bündnis Interessen zu schützen"
Heinemann: Dann brauchen wir die Bundeswehr nicht mehr!
Lucassen: Die Bundeswehr brauchen wir, um ein wehrhafter Staat zu sein, um zur Landesverteidigung befähigt zu sein. Und da so etwas nun mal nicht von heute auf morgen aufzustellen ist, muss es entsprechend vorbereitet sein.
Heinemann: Aber gegen welchen Feind?
Lucassen: Gegen einen potenziellen Feind von außen, wie jede Nation Streitkräfte aufstellt, um wehrhaft zu sein.
Heinemann: Also eher abstrakt?
Lucassen: Nein! Das ist nicht nur abstrakt; das ist auch konkret. Über diese Landesverteidigung hinaus müssen wir dann auch die Befähigung besitzen, im Bündnis, das heißt auch außerhalb unserer Nation, im Rahmen kollektiver Sicherheit oder im Rahmen der Vereinten Nationen, zum Beispiel Interessen zu schützen, die gegen die Menschlichkeit gehen würden, gegen die wir angehen müssen.
Heinemann: Können Sie ein Beispiel nennen?
Lucassen: Beispiele sind im Mittelmeer der Schutz gegen kriminelle Schleuser, die Menschen, die in Not sind, in andere Länder bringen wollen.
Heinemann: Sie sind schon für Auslandseinsätze oder Außeneinsätze der Bundeswehr?
Lucassen: Wenn sie den deutschen sicherheitspolitischen Interessen dienen, dann ja.
Humanitärer Einsatz "nicht die originäre Aufgabe"
Heinemann: Welche tun das nicht?
Lucassen: Zum Beispiel die drei großen wie Mali, wie Afghanistan oder aber auch wie der von der Bundesregierung beabsichtigte neue erweiterte Einsatz im Irak.
Heinemann: Wieso dient Mali nicht deutschen Interessen?
Lucassen: Wir sprechen ja über den Einsatz der Bundeswehr und die Bundeswehr sind nun mal Streitkräfte. Was von der Bundesregierung in Mali, in Afghanistan und im Irak aber beabsichtigt ist, ist eine Mischung zwischen einem humanitären Einsatz und einem Streitkräfteeinsatz, in dem durch Kombattanten, durch Soldaten ausgebildet wird, aber nicht die originäre Aufgabe geleistet wird, Räume freizukämpfen oder zu sichern zum Beispiel.
Heinemann: Herr Lucassen, wenn Mali terroristischen Gruppen anheimfiele, welche Folgen hätte das für die Bevölkerung? A: Die Menschen wären glücklich und würden sagen, jetzt fühlen wir uns richtig wohl und bleiben zuhause? Oder B: Sie würden sagen, nichts wie weg, ab nach Europa?
Lucassen: Das weiß ich nicht. Es kann ja auch die Möglichkeit bestehen, dass im Falle zwei, den Sie genannt haben, die Menschen sagen, jetzt erst recht müssen wir unser Land verteidigen, jetzt müssen wir zusammenstehen und unser Land wieder freikämpfen von solchen Gestalten, wie Sie sie gerade genannt haben.
Heinemann: Wo hat das bisher geklappt?
"Verantwortungslosigkeit kann Politik nicht ersetzen"
Lucassen: Das hat zum Beispiel in europäischen Staaten geklappt. Ob das jetzt auf dem afrikanischen Kontinent klappt, weiß ich nicht, kann ich im Moment nicht vorhersehen.
Heinemann: Frage an den AfD-Politiker. Kann Verantwortungslosigkeit Politik ersetzen?
Lucassen: Verantwortungslosigkeit kann Politik nicht ersetzen, nein.
Heinemann: Was heißt das jetzt bezogen auf Mali? Haben wir da nicht vielleicht doch Interessen?
Lucassen: Wenn wir Interessen hätten, dann würden wir sie auch national umsetzen. Das tun wir aber nicht. Wir haben aufgrund eines Anwuchses einer europäischen Nation, nämlich Frankreich ab 2013, dort unsere Flake hingebracht, und viel mehr als das, auch wenn mit Riesenaufwand, leisten wir dort nicht. Und eine wirkliche Migration aus Mali, die durch kriminelle Schleuser oder Terroristen begünstigt wäre, für Europa oder auch für Deutschland, bei den kleinen Zahlen, vermag ich nicht zu erkennen.
Heinemann: Würde nichts tun in Mali den Auswanderungsdruck nicht erhöhen?
Lucassen: Nein.
Heinemann: Da sind Sie sicher?
Lucassen: Da bin ich sicher, ja.
"Zwei-Prozent-Ziel ist realistisch"
Heinemann: Da sind Sie wahrscheinlich auch ziemlich allein auf weiter Flur. Beenden wir das Kapitel Mali an diesem Punkt.
Landes- und Bündnisverteidigung gleichrangig neben Auslandseinsätzen halten Sie diese geplante Ausrichtung der Bundeswehr für richtig?
Lucassen: Wenn die Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung erreicht wird, dann wären sicherlich Einsätze, die sowohl im Bündnis geleistet werden, durch die Kapazitäten, die dann vorhanden sind, auch zur Landesverteidigung einzusetzen. Wenn Sie auf die momentane Situation abheben, dann muss ich feststellen, dass bei den 13 Einsätzen, die die Bundeswehr leisten muss, sie klar überdehnt, sie klar überfordert ist und den Aufbau im Inneren, den dringend erforderlichen Aufbau im Inneren nicht leisten kann.
Heinemann: Bei der grundsätzlichen Ausrichtung unterstützen Sie allerdings die Bundesverteidigungsministerin. Das heißt, mehr für Landes- und Bündnisverteidigung?
Lucassen: Wir unterstützen die Verteidigungsministerin in dieser Forderung nicht, weil sie weit hinter dem Ziel, das die Bundesregierung selbst hier unterschrieben hat, nämlich den Vertrag von Wales, bis 2025 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, nicht erreicht.
Heinemann: Das Zwei-Prozent-Ziel halten Sie für wichtig?
Lucassen: Wenn man die Defizite sieht, die die Bundeswehr jetzt hat, und dass sie zur Landes- und Bündnisverteidigung in den nächsten Jahren befähigt werden soll, dann ist das Zwei-Prozent-Ziel realistisch.
Heinemann: Das hieße 28 Milliarden Euro mehr. Woher nehmen?
Lucassen: Nun, das muss letztendlich der Finanzminister und die Bundesregierung beantworten.
Heinemann: Sie haben keine Ahnung?
Lucassen: Ich weiß nur, dass die Bundesregierung auch in 2015/16 kurzfristig, ohne dass es in der Haushaltsplanung berücksichtigt war, Milliarden für Flüchtlinge ausgeben konnte, und insofern gehe ich davon aus, dass wir noch über eine solche Prosperität in unserer Wirtschaft verfügen, dass diese Ausgaben und diese Investitionen getätigt werden können.
Heinemann: Konkrete Finanzierungsvorschläge können Sie heute Früh im Deutschlandfunk nicht unterbreiten?
Lucassen: Wir warten darauf, dass uns in den nächsten Tagen der Haushaltsentwurf 2018 - ich betone, für dieses Jahr - vorgelegt wird, und dann werden wir zu konkreten Zahlen kommen. Wir haben die konkreten Zahlen durch die Bundesregierung noch nicht bekommen.
Heinemann: Herr Lucassen, sollten sich Soldaten ihre Unterwäsche in Zukunft selbst kaufen?
Lucassen: Wenn es um dienstliche Unterwäsche geht, die für den Einsatz benötigt werden, dann sicherlich nicht.
Heinemann: Okay. Rüdiger Lucassen, Obmann der AfD-Fraktion im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Lucassen: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.
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