Mario Dobovisek: Das erste U-Boot-Geschwader in Eckernförde, oder besser das einzige U-Boot-Geschwader der Bundeswehr – ohnehin hat es nur noch sechs Boote und keines von ihnen ist einsatzbereit. Geschichten wie diese hören wir aus der Bundeswehr in den vergangenen Tagen reichlich – auch jene, dass Piloten ihre Lizenzen verlieren, weil sie nicht ausreichend Trainingsstunden absolvieren können. Es ist Haushaltszeit im Bundestag; da werden solche Stimmen erfahrungsgemäß besonders laut und besonders dramatisch. Da will jedes Ressort für sich das Meiste herausschlagen. Auf der anderen Seite steht der knausernde Finanzminister, der nur widerwillig seine Schatulle öffnet und lieber an der schwarzen Null festhält. Das war bei Wolfgang Schäuble so und ist auch bei Olaf Scholz nicht grundlegend anders. In Berlin begrüße ich Thomas Wiegold. Er beobachtet die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium und betreibt den Internet-Blog augengeradeaus.net. Als Blogger ist er gerade unterwegs auf der re:publica. Von dort ist er uns auch zugeschaltet. Guten Tag, Herr Wiegold!
Thomas Wiegold: Ja! Guten Tag aus Berlin.
Dobovisek: Es ist ein desolates Bild von der Bundeswehr, das da in den vergangenen Wochen wieder einmal gezeichnet wird. Da wird die Verantwortung – das haben wir gerade gehört – gerne auch hin- und hergeschoben. Das wollen wir mit Ihnen einordnen. Wie ernst ist die Lage für die Truppe aus Ihrer Sicht?
Wiegold: Ich glaube, die Lage ist schon ziemlich ernst. Es kommt jetzt einiges hoch im Zusammenhang mit den Haushaltsgesprächen, mit den Haushaltsforderungen. Aber es hat ja auch vorher schon die Berichte gegeben. Sie haben erwähnt die U-Boot-Flottille, wo kein einziges U-Boot einsatzbereit ist. Das ist ja schon der Fall seit dem vergangenen Jahr. Es ist also nicht so, dass auf einmal alles bekannt würde. Die Bundeswehr schleppt einen Modernisierungsstau und teilweise auch einfach einen schlichten Instandsetzungsstau mit sich herum, wo Ersatzteile fehlen, wo Gerät nicht flugfähig, fahrfähig gemacht werden kann.
Dobovisek: Warum ist das so? Warum wird das so verschleppt?
Wiegold: Das hat zum einen den schlichten Grund: Über die vergangenen Jahre ist gespart worden und es ist teilweise da gespart worden, wo es zunächst gar nicht auffiel. Wenn man ein paar hundert Millionen einsparen kann, weil man keine Ersatzteile bestellt, dann merkt man das zunächst vielleicht nicht, aber irgendwann fällt es auf. Und selbst wenn man dann auf einmal das Geld hat, diese Ersatzteile neu zu bestellen, dauert es bei diesen sehr speziellen Teilen manchmal zwei oder drei Jahre, bis sie dann auch geliefert werden.
Das führt dann dazu, zum Beispiel bei Kampfflugzeugen wie dem Eurofighter: Da wird ein funktionierendes Teil aus einem Flugzeug ausgebaut, in ein anderes Flugzeug eingebaut. Das fliegt dann ein paar Stunden und dann wird wieder zurückgebaut. Das tut dem Ersatzteil nicht gut und das treibt die Kosten in die Höhe, und unterm Strich erhöht es nicht die Zahl der funktionsfähigen Flugzeuge.
Bündnisfähigkeit der Bundeswehr in Gefahr?
Dobovisek: Auf die Struktur gucken wir gleich im weiteren Verlauf des Gesprächs. Bleiben wir noch einmal bei der Fähigkeit der Bundeswehr. Die Bundeswehr muss ja bestimmte Kontingente zum Beispiel für die NATO bereithalten. Auch das sei inzwischen schwierig, heißt es. Ist die Bündnisfähigkeit der Bundeswehr in Gefahr?
Wiegold: Sie ist noch nicht in Gefahr, aber es droht, dass sie in Gefahr gerät. Es wird ja politisch immer über diese zwei Prozent debattiert. Die sind längst nicht so wichtig wie diese sogenannte Fähigkeitsfrage. Sie haben es erwähnt: Was ist der NATO zugesagt worden? – Zum Beispiel hat Deutschland für das Heer der NATO zugesagt, drei einsatzbereite Divisionen zu stellen. Davon ist die Bundeswehr weit entfernt. Im Moment wird Material zusammengesammelt, um eine Brigade fit zu machen für die Schnelle Eingreiftruppe der NATO, wo Deutschland im kommenden Jahr in der Pflicht ist, und es sieht einfach so aus, dass jetzt in diesem Jahr der Verband, der dann in diese Bereitschaft geht, dass der sich überall im Heer seine Ausrüstung zusammenleihen muss.
Dobovisek: Ist es aus Ihrer Sicht nicht unbedingt eine Frage der Menge, der Quantität, sondern eher der Qualität, wie das Geld verteilt wird?
Wiegold: Es ist beides. Man muss zum einen Sagen: Weil über die Jahre Mangelwirtschaft betrieben wurde, war zu wenig Geld da. Da hat man sich trickreich irgendwie mit angepasst, herumgeschlagen. Es wurde ja quasi eine Zeit lang zum Standard erklärt, dass ein Verband nur 70 Prozent seines Geräts überhaupt hat, also nur zwei Drittel der Panzer, wenn überhaupt. Und wenn die dann auf eine Übung gingen, dann haben die sich die Panzer beim Nachbarverband geliehen. Das war Programm und das umzusteuern, wie es die inzwischen ausgeschiedene Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder angegangen ist, das dauert einfach.
Dobovisek: Die Union, allen voran Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, ruft nach mehr Geld, während die SPD ihr entgegenhält, sie solle die Strukturen im Ministerium doch erst einmal verbessern und das vorhandene Geld ausgeben. Hören wir noch mal Johannes Kahrs, den wir vorhin schon mal anklingen ließen, von der SPD, was er heute Morgen gesagt hat:
O-Ton Johannes Kahrs: "Frau von der Leyen hat in den letzten Jahren fast jedes Jahr eine Milliarde nicht ausgegeben und aus dem Investitionstitel zurückgegeben an den Finanzminister. Da fliegen die Flugzeuge nicht, die Panzer fahren nicht und die Schiffe fahren nicht. Und wenn man selbst bei Munition und bei Treibstoff Probleme hat, das zu besorgen, dann ist das eine Frage, wie man dieses Haus führt."
"Nicht nur die Bundeswehr ist verkleinert worden in den letzten 20, 25 Jahren"
Dobovisek: Selbst Probleme beim Besorgen von Treibstoff, sagt er. – Was läuft da schief im Verteidigungsministerium?
Wiegold: Na ja, man muss zum einen sehen, was Johannes Kahrs als Haushälter da sagt: Er weiß eigentlich, dass diese Horrorzahl von einer Milliarde nicht ausgegeben, dass die deutlich reduziert wurde in den vergangenen Jahren. Das ist wirklich auf ein deutlich geringeres Maß runtergegangen. Es gibt Sachen, da kann man bestellen, aber man kriegt es nicht. Das ist ganz simpel, weil es gibt begrenzte Lieferkapazitäten. Man muss ja auch sehen: Nicht nur die Bundeswehr ist verkleinert worden in den letzten 20, 25 Jahren, sondern auch die Industrie hat sich darauf eingestellt. Die beliefert nicht mehr das große Massenheer des Kalten Krieges, sondern die beliefert eine deutlich kleinere Freiwilligenarmee. Und dann sagt so ein Unternehmen auch schon mal: Na ja, diese Produktionsstraße oder diesen Aufwand oder diese Produktionseinrichtung, die haben wir jetzt nicht mehr in dem Umfang. Und wenn dann jemand kommt, wenn die Bundeswehr kommt und sagt, wir bestellen, dann sagen die, okay, ihr bestellt, aber Lieferzeit ist ein Jahr oder ein halbes Jahr. Das sind einfach Gegebenheiten, mit denen die Truppe fertig werden muss.
Dobovisek: Oder es werden nicht funktionsfähige Einsatzmittel geliefert wie das Transportflugzeug A400M, und das gibt keine Konsequenzen. Lässt sich die Politik da ein Stück weit auch von der Industrie unter Druck setzen, erpressen?
Wiegold: Ja, das lässt sie auf jeden Fall. Aber das ist dann weniger eine Frage an die Bundeswehr, noch nicht mal nur an das Verteidigungsministerium, sondern an die Politik insgesamt. Es werden ja gerade bei Rüstungsbeschaffungen immer wieder Entscheidungen getroffen, die haben wenig mit der Bundeswehr zu tun, die haben wenig mit Rüstung zu tun. Die haben sehr viel damit zu tun, wo ein Politiker seinen Wahlkreis hat, und da geht es dann um Arbeitsplätze. Dass Politiker übrigens in allen Parteien dann sagen, na ja, wenn ihr ein Schiff bestellt, ein Flugzeug bestellt oder einen Panzer bestellt, falls es da mehrere Möglichkeiten gibt, dann bitte bei dem Unternehmen in meinem Wahlkreis, oder bei der Menge dann sagen, guckt doch mal, bei mir im Wahlkreis wird das gebaut. Da kann sich, glaube ich, kein Politiker von freisprechen – übrigens, und das muss man sagen, auch Herr Kahrs nicht. Denn der eine oder andere mag sich erinnern: Vor gut einem Jahr oder anderthalb Jahren kam er zusammen mit einem CDU-Kollegen auf die Idee, die Bundeswehr braucht neue Korvetten. Das wusste die Bundeswehr noch gar nicht, aber von politischer Seite wurden die dann auf einmal in den Plan eingespielt.
"Da muss an der Bürokratie einiges besser werden"
Dobovisek: Kommen wir zurück zum Verteidigungsministerium. Da lautet auch immer wieder der Vorwurf, zu groß, zu langsam, zu bürokratisch, wenn die Technik ankommt, ist sie schon längst hoffnungslos veraltet, wenn sie denn funktioniert. Was muss da konkret besser werden?
Wiegold: Da muss an der Bürokratie einiges besser werden. Das Problem ist, glaube ich, eine unglaubliche Verrechtlichung, die ein bisschen auch zusammenhängt mit den Beschaffungsprozessen, wo das Verteidigungsministerium sagt, na ja, wir schreiben in der Regel europaweit aus. Das bedeutet nicht nur, dass dieser Ausschreibungsprozess langwieriger wird; es bedeutet auch, dass dieses ganze Vergabeverfahren wie auch im zivilen Bereich sehr aufwendig wird und unterlegene Wettbewerber die Chance bekommen, gegen eine Entscheidung zu klagen. Das hatten wir in den vergangenen Monaten extrem oft oder viel öfter als früher, dass eine Firma sagt, ihr habt nicht mein Produkt genommen, sondern das vom Konkurrenten, ich gehe jetzt zur Vergabekammer beim Bundeskartellamt oder ich klage auch noch vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, weil ich habe doch eigentlich das bessere Produkt. So kann es dann passieren, dass ein vergleichsweise einfaches oder technisch simples Produkt wie Nachtsichtbrillen, was die Bundeswehr dringend braucht, in der Beschaffung vier, fünf Jahre dauert, bis alle diese Verfahren erledigt sind.
Dobovisek: Wie kommt das bei den Soldaten und den Offizieren in der Bundeswehr an, dieses Gezerre, das ja im Prinzip über ihren Köpfen auf der politischen Ebene stattfindet?
Wiegold: Das kommt extrem schlecht an. Das ist ein bisschen der Eindruck: Na ja, der Politik geht es um alles, aber nicht um uns und schon gar nicht um eine einsatzbereite Bundeswehr. Die sehen natürlich auch politisches Gezerre um Lieferungen, um Ausschreibungen, um Beschaffungen. Die sehen natürlich bürokratische Prozesse, die sie lähmen. Da gab es dann in den vergangenen Wochen einige auch hochrangige Offiziere, die das beklagt haben und die gesagt haben, man könnte fast den Eindruck haben, dieser ganze Apparat, der hat nicht mehr eine einsatzbereite Bundeswehr im Auge, sondern der will nur dafür sorgen, dass die bürokratischen Prozesse regelgerecht, ordnungsgemäß und möglichst wenig angreifbar ablaufen. - Wenn man sich anguckt, wie einige Prozesse ablaufen, dann ist da durchaus etwas dran, und das sorgt einfach dafür, dass Unzufriedenheit steigt.
Dobovisek: Der Blogger und Bundeswehrkenner Thomas Wiegold. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wiegold!
Wiegold: Gerne!
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