Remme: Frau Ministerin, vielen Dank für den Besuch im Studio, hier bei uns im Deutschlandfunk.
Von der Leyen: Guten Morgen.
Remme: Das heutige Datum, der 08. März, steht seit vielen Jahren für den Weltfrauentag, für den Kampf um die Gleichberechtigung. Vorgestern hat der Bundestag die Frauenquote beschlossen – ein Meilenstein?
Von der Leyen: Ja, das ist ein wichtiger Schritt vorwärts, denn wir haben viele hoch qualifizierte Frauen in unserem Land. Wir brauchen dringend die Expertise. Und wir alle wissen aus unserer Erfahrung, dass diese fähigen Frauen aber viel zu selten in den Führungspositionen sind. Es geht dabei auch vor allem darum, dass die deutsche Wirtschaft den weiten Blick behält, den unterschiedliche Personen mit unterschiedlicher Lebenserfahrung – und Männer und Frauen sind verschieden, keiner ist besser oder schlechter, aber sie sind anders – mit in Wirtschaftsentscheidungen dann auch reinbringen können. Insofern ein wichtiger Schritt.
Remme: Sie haben ja den engsten Kreis Ihrer Mitarbeiter im Ministerium praktisch komplett ausgetauscht bei Amtseintritt. Haben Sie auf der Suche nach einer Rüstungsstaatssekretärin gezielt nach einer Frau gesucht, um einer neuen Führungskultur ein neues Gesicht zu geben?
Von der Leyen: Ich habe diese Rüstungsstaatssekretärin nicht genommen, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie außergewöhnliche Qualitäten hat – das wusste ich. Sie ist ausgebildete Physikerin, also hat richtig Lust zu Technik, hat viele, viele Jahre Erfahrung in der Wirtschaft, aber auch im Öffentlichen Dienst, also kennt Behördenstrukturen sehr gut. Eine hoch kompetente Frau. Und ich habe sie wegen ihrer Qualifikationen ausgewählt. Für mich war spannend zu erleben, dass die meiste Diskussion aber darum ging: "Das ist ja eine Frau! Wie kann das denn gut gehen?" Und die Skepsis war sehr stark da, weil sie eine Frau ist. Jetzt, einige Monate später, ist diese Skepsis völlig verflogen. Sie hat viel Anerkennung, und zwar sowohl aus der Politik als auch aus der Wirtschaft als auch aus dem Ministerium. Das spricht für sich, aber das zeigt eben auch noch, dass wir immer noch lernen müssen, dass wir tatsächlich die Qualifikationen, die ein Mensch hat betrachten und nicht die Frage stellen: "Kann die das?"
Remme: Wenn man Ihnen heute zuhört, dann merkt man schnell, wie vertraut Ihnen inzwischen die Bundeswehr-Lingo ist. Schulterstücke werden keine Hürde sein nach diesen Monaten und Sie kürzen Waffensysteme wie andere im Bendlerblock. Würden Sie nach gut einem Jahr sagen, Sie sind angekommen in diesem Amt?
Von der Leyen: Das sicherlich. Das war ein ausgesprochen anstrengendes, aber auch lehrreiches, spannendes Jahr. Und zwar nicht nur, weil die Veränderungen, der Modernisierungsprozess in der Bundeswehr und im Verteidigungsministerium so weit vorangetrieben werden musste, sondern weil um uns herum sich natürlich die sicherheitspolitische Lage verändert hat. Als ich ins Amt kam, da gab es ein Thema, das war Afghanistan und wir wissen heute, dass im letzten Jahr alleine das Thema Russland-Ukraine-Krise, Ebola und Nordirak uns in Atem gehalten hat und uns gezeigt haben, wie schnell sich eben auch die Lagen verändern können.
Von der Leyen: Es braucht eine ganze Weltgemeinschaft, um so barbarische Terrorganisationen wie den IS zu bekämpfen
Remme: Sie haben sehr früh im Amt gesagt: "Wir können nicht wegschauen, wenn Vergewaltigung und Mord an der Tagesordnung sind." Die entführten Mädchen von Boko Haram, sie gehören ja auch zum Weltfrauentag, das ist das große Bild. Hat Deutschland genug getan für diese entführten Mädchen?
Von der Leyen: Die ganze Welt ist gefordert in solchen Themen – Deutschland auch. Und eines ist wichtig: Deutschland geht nie alleine, sondern immer in den Bündnissen. Das ist, glaube ich, vor der Folie unserer Geschichte enorm wichtig. Zweitens, wichtig ist auch, dass das Land selber – Nigeria, das verzweifelt sich bemüht, die entführten Mädchen zu befreien – auch Hilfe einfordert, und in dem Maße kann dann die Weltgemeinschaft auch zur Seite stehen. Und in diesem Falle sind vielfältige Bemühungen im Hintergrund da, tatsächlich auch eine Lösung beziehungsweise eine Befreiung dieser Mädchen zu schaffen. Aber das ist eine Aufgabe, die uns alle fordert und die nicht sozusagen von heute auf morgen bewältigt ist. Es ist entsetzlich und beschämend und es quält uns, das zu sehen, aber das zeigt eben auch, wie schwierig diese Situationen sind und dass man sie nicht nach einem Schema F lösen kann.
Remme: Trügt der Eindruck oder geraten diese Schicksale in Vergessenheit?
Von der Leyen: Nein, das darf nicht. Unsere Aufgabe ist es ja immer wieder, sie auch wach zu halten. Und jeden Tag sehen wir ja auf der Welt Situationen, wo wir wissen, dass wir uns immer wieder einsetzen müssen für die Einhaltung der Menschenrechte, auch für das Recht der Menschen, frei zu entscheiden, wie sie leben wollen, den Schutz bedrohter Volksgruppen auch. Und da ist unsere Aufgabe vielfältig und deshalb bin ich eben auch dankbar und froh, dass wir die Vereinten Nationen haben, im Rahmen derer sich die vielen Länder auf der Welt, die sich den Kriterien auch der Vereinten Nationen verschrieben haben, ihre Kraft einsetzen und Deutschland selbstverständlich auch mit.
Remme: Im Falle IS liefert Deutschland immerhin Waffen. Ein Mann wie Volker Perthes, der sich auskennt, sagt: "Man darf IS nicht unterschätzen. Das wird ein Kampf sein, der wird lange dauern." Diese Lieferungen Deutschlands, sind die eigentlich open end?
Von der Leyen: Nun, zunächst einmal muss man auch das einbetten. Es ist richtig, der Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" wird lange dauern. Wir haben bewusst hier und wohl abgewogen in der Allianz gegen den Terror – 60 Staaten sind im Kampf gegen IS beteiligt – aus Deutschland gesagt, dass wir diejenigen, die die Flüchtlinge, nämlich die Jesiden, Christen und Moslems, die vor diesem barbarischen Abschlachten des IS geflohen sind, also diejenigen, die diese Flüchtlinge schützen, die Peschmerga, die Kurden im Nordirak, die wollen wir unterstützen. Das ist unsere Aufgabe, darauf konzentrieren wir uns, auch Ausbildung, übrigens, der Peschmerga. Und mitten in diesem Prozess sind wir. Andere Länder machen anderes im Irak und in Syrien, und das zeigt eben, dass es eine ganze Weltgemeinschaft braucht, um so eine barbarische Terrororganisation, wie den IS zu bekämpfen.
Remme: Aber noch einmal: Wie lange halten wir diese Lieferungen durch?
Von der Leyen: Die Frage muss man andersrum stellen: Wann gelingt es und wie gelingt es, ... IS soweit zurückzudrängen, dass der politische Prozess im Irak – und das ist ja das Wichtige –, dass Sunniten, Schiiten und Kurden gemeinsam ihren Staat wieder widerstandsfähig machen können gegen das, was der islamistische Terror von IS ist?
Remme: Und so lange, bis das erreicht ist, werden wir Waffen liefern?
Von der Leyen: Schritt für Schritt, immer wieder schauen, das ist Aufgabe. Ganz egal, ob wir über den Nordirak sprechen oder über andere Gegenden. Innerhalb der Bündnisse die Lage analysieren und dann das Richtige tun. Und so, wie wir am Anfang, weil es notwendig war, gleich Waffen geliefert haben, dann aber auch gesehen haben, jetzt ist es richtig, die Peschmerga auszubilden, gehen wir diese Schritte, aber immer wieder die Situation auch anschauen. Und ein Punkt ist mir wichtig: Das ist kein Selbstzweck, die Waffenlieferung, sondern das muss eingebettet sein in den diplomatischen Prozess, also den Aufbau des Staates Irak. Dass die Iraker selber in der Lage sind, für Sicherheit in ihrem Land zu sorgen, das muss ja das politische Ziel sein.
Von der Leyen: Es ist wichtig, Probleme und Risiken von Rüstungsprojekten aufzuzeigen
Remme: Zurück ins Ministerium. Sie haben sehr viel Zeit in den vergangenen Monaten darauf verwandt, das Beschaffungswesen zu reformieren. Ist die Verantwortung für milliardenschwere Rüstungsprojekte und deren Verlauf die größte politische Gefahr für eine Verteidigungsministerin?
Von der Leyen: Ach Gott, da will ich jetzt kein Ranking machen, was die größte politische Gefahr ist, aber es ist ein Bereich, in dem in den vergangenen Jahren große Schwierigkeiten aufgetreten sind. Und wenn ich "vergangene Jahre" meine, dann meine ich nicht die wenigen letzten, sondern ich spreche von zehn, zwanzig Jahren und deren Auswirkungen, die wir jetzt sehr stark spüren. Und deshalb ist es eben auch – das sage ich immer deutlich – nicht etwas, was man in wenigen Wochen oder Monaten an Problemen beheben kann, sondern wo man langen Atem haben muss. Das weiß ich auch und deshalb stelle ich mich dem auch.
Remme: Bei einem Rüstungsboard vor einem Jahre, haben Sie die 15 größten Rüstungsprojekte praktisch unter die Lupe gehalten. Ihr Befund damals: "Ich akzeptiere keinen einzigen dieser Rüstungsstatusberichte". In wenigen Tagen steht ein neues Rüstungsboard an – wie viele dieser Projekte werden Sie unterschreiben?
Von der Leyen: Nun, wir werden das in der Sitzung selber entscheiden. Aber was sich verändert hat, wir haben ein Jahr lang hart daran gearbeitet, in diesen großen Rüstungsprojekten, die zum Teil aus den 90er oder Anfang 2000er-Jahren stammen – das darf man nicht vergessen – Licht ins Dunkel zu bringen, zu ordnen nämlich. Und zu ordnen heißt: Wo stehen sie? Was sind die Risiken, die wir haben? Also deutlich auch zeigen, wo die Probleme sind. Wie planen wir, diese Risiken anzugehen? Und in diesen riesigen komplexen Rüstungsprojekten eben auch, die Verantwortlichkeiten klar darlegen, sodass ich weiß zum Schluss: 'Das, was ich hier heute unterschreibe, das hat Hand und Fuß, da sind die Risiken dargelegt, da stimmen die Zahlen.' Und dann kann ich eben auch guten Gewissens meine Unterschrift drunter setzen. Das wird nicht schön, weil Probleme und Risiken in diesen großen, komplexen Projekten immer auch mit drin sind. Aber wichtig ist eben, sie aufzuzeigen, damit man dann auch realistisch drangeht, wie man diese Probleme beziehungsweise Risiken dann auch entschärfen kann und lösen kann.
Remme: Wird es trotzdem dann in der kommenden Woche eher die Ausnahme sein, wenn Sie ein solches Projekt ablehnen?
Von der Leyen: Also meine Wahrnehmung ist, dass wir bei all dem, was wir in den letzten Wochen und Monaten getan haben, um die Dinge auch zu ordnen, dass ich ein sehr, sehr sicheres Gefühl habe und Vertrauen habe auch aus den Zahlen, die ich alle kenne inzwischen, die wir in der Tiefe auch durchforstet haben, dass wir auf sicherem Boden stehen. Und jetzt will ich nicht dem vorgreifen, was ich nächste Woche – das wird viele, viele Stunden dauern im Rüstungsboard – dann auch bespreche mit den Expertinnen und Experten, aber die Grundlage, von der aus wir diese Besprechung machen, die ist eine völlig andere, als vor einem Jahr.
Von der Leyen: Kritiker des Hubschrauber-Deals sollen "Kirche im Dorf lassen"
Remme: Der Haushaltsausschuss hat vor wenigen Tagen die Beschaffung neuer Hubschrauber bewilligt. Ein großer Vertrag. Auch da wieder ein milliardenschweres Projekt. In den Medien wird dies als "Ihr erster großer Rüstungsauftrag" beschrieben. Akzeptieren Sie das?
Von der Leyen: Na ja, wenn man die Vorgeschichte mit erzählt, ja. Denn das ist jetzt nicht aus dem Boden gestampft im letzten Jahr, sondern das ist ein Vertrag, der schon Ende der 90er Jahre geschlossen worden ist und wo klar war, dass wir – und zwar muss man wissen, das war noch zu Zeiten des Kalten Krieges – damals viel zu viele Hubschrauber bestellt haben, als wir heute eigentlich brauchen. Es gab eine zweite Komponente, dass wir dann gesagt haben: Es ist klug, die Hubschrauber zu reduzieren, so viele wie wir heute brauchen, aber die Kosten – bevor ich ins Amt kam – nicht klar dargelegt werden. Und diese beiden Schritte habe ich nachgeholt, nämlich realistisch planen für das, was wir heute brauchen und alle Kosten auch darlegen und den Mix auch richtig machen. Und wichtig ist, dass dieses Offenlegen, wie ist es tatsächlich und sich nicht am Anfang schlank lügen, anders ist, als es in der Vergangenheit war.
Remme: Es gibt Meldungen, gerade diesen Deal betreffend, die müssen Sie eigentlich hellhörig machen: Fähigkeitslücken, Korrosionsschäden, Triebwerkprobleme und – Sie sagten es gerade – Minderbestellungen, aber dafür – nach Meinung von Kritikern – nicht ausreichende Spareffekte. Können Sie diesen Auftrag verteidigen?
Von der Leyen: Ja, kann ich. Ich nehme mal die Themen, die Sie nennen, also erstens das Thema Triebwerkdefekte. Der Hubschrauber, von dem Sie sprechen, fliegt seit zehn Jahren, 13 Nationen haben ihn, fliegen ihn, er hat 70.000 Flugstunden hinter sich bereits – und ja, Triebwerkstagnation hat stattgefunden: 19-mal. Und wenn wir das gegen 70.000 Flugstunden setzen, dann weiß man auch: Ja, Stagnation – in den 19 Fällen –, das ist ein Problem, das behoben werden muss, aber in der Relation zu dem, was der Hubschrauber seit zehn Jahren leistet, müssen wir auch die Kirche im Dorf lassen. Das Gleiche beim Thema Korrosion. Die Holländer fliegen mit diesem Hubschrauber natürlich auch auf See, haben festgestellt, dass sie in bestimmten Punkten Korrosionsprobleme haben, haben das mit der Firma geklärt und haben jetzt nachbestellt. Und das zeigt eben auch: Ja, Probleme treten auf – das sind auch am Anfang Kinderkrankheiten, wie sie bei jeder neuen Autoserie zum Beispiel auch passieren –, die muss man ernst nehmen und beheben, aber sie bedeuten nicht, dass das ganze Gerät nicht in Ordnung ist.
Remme: Sie hören das Interview der Woche mit Bundesverteidigungsministerin Ursula Von der Leyen. Frau Von der Leyen, warum braucht es mehrere Tage, bis Ihr Ministerium mitteilen kann, wie viele moderne Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 zur Verfügung stehen? Steht das nicht in irgendeiner Excel-Tabelle?
Von der Leyen: Ja, auch das ein Beispiel, wo ich immer wieder sage: Wir müssen uns so modernisieren, dass wir mit den Instrumenten arbeiten, die man heute selbstverständlich in so einem riesigen Konzern, wie der Bundeswehr – 250.000 Beschäftigte, Material im Wert von 200 Milliarden – haben sollte. Und dazu gehört eben auch, dass wir eine Datenbasis haben und Kennzahlen haben, die schnell abrufbar sind. Genau das sind die Dinge, die wir im Modernisierungsprozess mit der Rüstungsstaatssekretärin auf den Weg gebracht haben. Und dieses eine Beispiel zeigt eben: Das ist noch zu langsam, wir müssen da schneller und besser werden.
Remme: Haben Sie die Zahl im Kopf?
Von der Leyen: Also wenn Sie wissen möchten, was wir im Augenblick im Bestand haben in der Panzertruppe – das ist wichtig –, dann sind das 273 Panzer. Da gehen noch einige Panzer, 28 nämlich, zu unserem NATO-Partner nach Polen, und dann kämen wir auf eine Größenordnung von 245 Panzer in der Truppe.
Remme: "Breite vor Tiefe" – dieses zentrale Schlagwort der Bundeswehrreform steht für den Ansatz, dass die Bundeswehr vor allem über ein breites Spektrum an Fähigkeiten verfügt. Sie wollen diesen Ansatz verändern – richtig?
Von der Leyen: Mir ist das zu starr, wenn wir sagen "Breite vor Tiefe". Denn das suggeriert erst mal: 'Wir können alles = Breite'. Das ist auch nicht richtig, wir haben zum Beispiel keinen Flugzeugträger – planen wir auch nicht, den zu bekommen. Also da muss man differenziert "eine angemessene Breite" sagen. Und zweitens, "vor Tiefe" bedeutet, wir würden nicht hoch spezialisiert auch lange etwas machen können, wo wir sehr gut sind. Und deshalb möchte ich eben auch die differenzierte Tiefe drin haben. Klar gibt es Fähigkeiten, zum Beispiel in der gesamten Sanität sind wir weltweit hervorragend aufgestellt und da müssen wir auch hoch spezialisiert lange durchhalten können, wenn der Einsatz notwendig ist. Deshalb ist es für mich wichtig, atmen zu können und eine angemessene Breite zu haben, gemeinsam mit multinationalen Partnern, und dann auch eine differenzierte Tiefe, wo wir in Spezialitäten das auch brauchen.
"Wir wissen, dass im Augenblick Russland nicht mehr unser Partner ist"
Remme: Wenn wir also in gezielten Bereichen in die Tiefe gehen, in anderen nicht, dann bedeutet das, dass wir in diesen anderen vermutlich auf Partner angewiesen sind. Multinationale Kooperation, dieses Stichwort erwähnen Sie häufig. Das gilt ja schon. Streitkräfte verschmelzen sich teilweise, niederländische Soldaten stehen dauerhaft unter deutschem Kommando – gewisse Einheiten. Wann geschieht dies anders herum, dass sich die Bundeswehrsoldaten jemandem unterstellen?
Von der Leyen: Ja, ich muss erst einmal sagen, es ist schon wegweisend und ein absoluter Vorreiter, dass die Niederländer bereit waren, uns eine Brigade zu unterstellen, das haben wir sonst so nicht. Und das ist genau der Weg, den man gehen muss. Ja, und ich denke, dass wir auch in der Bundeswehr bereit sind, in besonderen Fällen auch einer anderen Nation Truppenteile zu unterstellen. Das ist das Ziel, denn das zeigt eben auch, wenn zum Beispiel die Niederländer uns einen so großen Vertrauensvorschuss geben, dass der gerechtfertigt ist. Den auch zurückzugeben zeigt die gute Zusammenarbeit. Und ich glaube, das, was das Wichtigste ist, es zeigt eben in Europa, 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg – und vor 70 Jahren waren wir Todfeinde –, dass heute der Frieden innerhalb Europas, in der Europäischen Union auf festen Füßen steht und wir Schritt für Schritt immer fester auch unsere Bündnisse knüpfen, gerade in der Sicherheitspolitik. Dieses Verflechten von Armeen mit dem Blick, eines Tages eben eine europäische Armee auch zu haben, ist meines Erachtens die Zukunft.
Remme: Leider steht der Friede außerhalb der Europäischen Union nicht auf ganz so festen Füßen. Der Außenminister, die Kanzlerin, sie versuchen zu retten, was zu retten ist in der Ukraine-Krise. Es gibt politische Morde, es gibt Misstrauen, es gibt Blockade im Sicherheitsrat. Das Ganze erinnert sehr an Zustände wie vor Jahrzehnten. Sind wir mittendrin in einem zweiten Kalten Krieg?
Von der Leyen: Wir müssen alles tun, dass wir gerade in Europa unsere gemeinsamen, nach dem Weltkrieg und nach dem Kalten Krieg aufgebaute Sicherheitsordnung nicht zerstören lassen. Und deshalb ist eben auch Europa, deshalb ist Deutschland innerhalb Europas auch mit der Führung aus der Mitte heraus so daran interessiert zu sagen, dass wir diese Sicherheitsarchitektur, Verträge, die wir eingegangen sind nicht aufkündigen, wenn wir auch wissen, dass sie auf der anderen Seite zur Zeit nicht eingehalten werden. Aber langfristig sind wir mit der Ukraine und mit Russland Nachbarn und wir wollen in Frieden dieses große europäische Projekt auch weiter vorantreiben.
Remme: Ich will bei dem Begriff noch bleiben. Sie sind Jahrgang 1958, Sie sind im Kalten Krieg aufgewachsen, kennen dieses Klima – sind wir dort wieder?
Von der Leyen: Wir wissen, dass im Augenblick Russland nicht mehr unser Partner ist, aber wir müssen aufpassen, dass Russland eben nicht unser Gegner wird. Dazu gibt es immer zwei. Und ich finde wichtig, dass wir im Westen deutlich machen, dass wir immer wieder die offene Tür und die ausgestreckte Hand haben. Wir möchten unsere Probleme am Verhandlungstisch lösen, aber dass wir auch eine innere Stärke haben, dass internationales Recht verteidigt wird, dass die Menschenrechte verteidigt werden. Und dieser Dualismus, dass wir nicht zulassen und nicht akzeptieren, wenn Völkerrecht gebrochen wird, dass wir nicht akzeptieren, wenn Menschen und Länder nicht frei entscheiden können – wie die Ukraine –, wie sie leben wollen – das ist das Recht der ukrainischen Bevölkerung, das zu entscheiden –, dass wir nicht müde werden, das auch anzumahnen, aber uns wichtig ist, dass wir die Lösung eben am Verhandlungstisch finden und deshalb den Dialog aufrecht erhalten.
"Auch Russland fürchtet den IS und ist bereit, sich im Kampf dagegen zu stellen"
Remme: Kalter Krieg, das klingt vom Begriff her so hässlich – gibt es auch positive Lehren aus dieser Zeit, in der sich die beiden Blöcke feindlich gegenüber standen, aber dann doch eben nicht aufeinander schossen?
Von der Leyen: Ich mag immer nicht so diesen Blick zurück, denn es hat sich ja eben doch viel, viel verändert. Und man kann nicht einfach den Begriff aus der Vergangenheit nehmen und in die heutige, hochkomplexe, globalisierte Welt setzen. Es gibt andere Orte auf der Welt – wir haben vorhin den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat erwähnt, wo wir zum Beispiel mit Russland ähnliche Interessen haben. Auch Russland fürchtet den Islamischen Staat und ist bereit, sich im Kampf dagegen zu stellen. Deshalb ist es viel komplexer, als der Blick in die Vergangenheit. Aber was man überall auf der Welt auch sieht ist, dass es gut ist, aus einer Position der Stärke, der politischen, der wirtschaftlichen, aber auch der verteidigungspolitischen Stärke heraus zu argumentieren, damit eben auch deutlich ist: Wir sind so miteinander verwoben in einer globalisierten Welt und wir sprechen im Westen aus einer Position der Stärke heraus, dass es gut ist, miteinander eine Verhandlungslösung zu finden.
Remme: Stärke ist ein gutes Stichwort. Ist der Ruf nach mehr Geld für die Verteidigung bereits eine Antwort auf die Ukraine-Krise?
Von der Leyen: Wir haben in den vergangenen Jahren seit der Wiedervereinigung – und ich bin genauso mit in dieser Hoffnung und Überzeugung gewesen, dass der Frieden in Europa stabil ist und durch nichts zu erschüttern – einen Schrumpfungsprozess in der Bundeswehr erlebt, der inzwischen dazu führt, dass wir zum Teil hohle Strukturen haben und eine Mangelverwaltung. Und mir ist wichtig, dass wir eine Bundeswehr im Bündnis haben, die tatsächlich die Aufgaben, die sie leisten muss, auch leisten kann. Das heißt, nicht nur auf dem Papier gut ist, sondern auch im Grundbetrieb tatsächlich das erfüllt. Und deshalb, wenn man Sicherheit ernsthaft auch haben will, muss man darin investieren. Und deshalb sind diese Diskussionen über den Haushalt/Verteidigungshaushalt tatsächlich Diskussionen darüber, dass das, was wir haben wollen, auch mit Substanz unterlegt sein muss.
Remme: Nun werden diese Verhandlungen gerade geführt. Der Bundesfinanzminister hat mehr Mittel für das Jahr 2017 in Aussicht gestellt. Kommen Sie im Jahr 2016 ohne eine Erhöhung des Etats über die Runden?
Von der Leyen: Wir sind mitten in den Verhandlungen – wie Sie es eben sagten – und wir sind da auf gutem Weg. Und ich bin zuversichtlich, dass wir auch eine gute Lösung finden. Aber der Blick darf auch immer nicht zu kurzfristig sein. Und deshalb ist es richtig, dass wir sagen, man investiert ja nicht mal eben ein Jahr und dann sind Löcher gefüllt, sondern man muss die Substanz eines Unternehmens über viele Jahre erhalten. Und wir müssen wegkommen von den Schrumpfungsprozessen, von den fallenden Finanzlinien und hin wieder zu einer perspektivischen nachhaltigen Investition. Schlicht und einfach immer vor dem Hintergrund, dass wir das, was wir leisten wollen – ich sage auch so Dinge, wie im letzten Jahr der Ebola-Einsatz; kurzfristig mal eben –, dass wir die auch leisten können. Und mit Substanz zu unterlegen, wenn wir neue Aufgaben kriegen, das ist meine Arbeit, mein Ziel.
Remme: Aber noch mal, die Frage war: Brauchen Sie schon 2016 mehr Mittel?
Von der Leyen: Ich möchte den Verhandlungen nicht vorgreifen. Und noch mal, ich bin zuversichtlich, das geht alles auf gutem Wege, aber es gehört sich einfach auch nicht, vor Abschluss der Verhandlungen schon Forderungen in die Welt zu setzen öffentlich.
Von der Leyen: Ich stehe zu meiner Aussage 'Jede Generation hat einen Kanzler'
Remme: Ich will am Schluss des Interviews kurz über zwei Bücher sprechen – zumindest ansprechen –, die in diesen Tagen auf den Buchmarkt kommen. Es sind Bücher über Sie. Es wird darin untersucht, ob Sie möglicherweise gezielt die Öffentlichkeit suchen – das Wort Inszenierung fällt in beiden Büchern häufig. Sie suchen natürlich die Öffentlichkeit, Sie sind Politikerin, prominent. Macht Sie das Erscheinen solcher Bücher über Sie dennoch nervös?
Von der Leyen: Ich habe beide Bücher nicht gelesen und insofern kann ich über den Inhalt jetzt gar nicht urteilen. Ich bin jetzt seit fast zehn Jahren Bundesministerin und ich glaube, wenn man schaut, wenn ich mich zurück erinnere an das Elterngeld, an den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, an das Bildungspaket für Kinder in Harz IV – um nur einige Themen zu nennen –, dass es einfach auch viel Arbeit auf der Strecke gewesen ist, die man übrigens auch erklären muss, das ist unsere Aufgabe in der Politik. Und insofern ist das das Wichtige was bleibt und nicht ... die Fragen, die Sie eben intonierten.
Remme: Wenn Sie die Bücher schon nicht gelesen haben, die Titel sind ja schnell erwähnt: 'Operation Röschen' heißt das eine Buch und 'Kanzlerin der Reserve' das andere. Vom Bauchgefühl her, welcher Titel gefällt Ihnen besser?
Von der Leyen: Nein, ich werde jetzt nicht anfangen, hier solche Spekulationen, also vom Bauchgefühl her, abzugeben. Ich sollte diese Bücher – das werde ich auch im Sommer sicherlich tun – lesen, aber ich kann jetzt nicht über etwas urteilen, was ich tatsächlich noch nicht kenne.
Remme: Dann will ich Ihnen doch sagen, dass zwei Autoren mit einer These von Ihnen aufräumen, nämlich mit der Aussage, dass es pro Generation nur einen Kanzler gibt, und die Autoren erwähnen die Beispiele Schmidt/Brandt und Erhard/Kiesinger als Gegenbeispiel. Haben Sie sich damals, als Sie das sagten, geirrt oder wollten Sie etwas anderes sagen?
Von der Leyen: Ich habe jetzt zehn Jahre lang in der Regierung Merkel ein Amt ausüben dürfen und weiß, wie viel wir an unserer Bundeskanzlerin haben und weiß auch zu schätzen, dass sie mir diese Freiheiten in all diesen Jahren gegeben hat, auch die jeweiligen Ämter zu gestalten, und bin es einfach müde, dass ich darüber diskutieren sollte, was wäre wenn. Ich möchte es nicht, sondern ich bin froh, dass wir in diesen kritischen Zeiten diese Bundeskanzlerin haben und weiß, wie gut es tut, mit ihr gemeinsam hier auch die Themen zu gestalten.
Remme: Und ich will auch nicht spekulieren. Es geht hier um eine These, die Sie ausgesprochen haben: "Jede Generation hat einen Kanzler". These falsch oder These richtig?
Von der Leyen: Ich habe dieses Wort ausgesprochen und deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass sie richtig ist.
Remme: Ich bedanke mich sehr für das Gespräch.
Von der Leyen: Danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.