Christine Heuer: Der neue Seehofer gefällt längst nicht allen. In der Unions-Bundestagsfraktion soll es mächtig grummeln, Fraktionschef Ralph Brinkhaus distanziert sich heute in einem Interview von Seehofer. Am Telefon ist Armin Schuster, Unions-Obmann im Innenausschuss des Deutschen Bundestags, Christdemokrat – guten Tag, Herr Schuster!
Armin Schuster: Hallo, Frau Heuer!
Heuer: Auf wessen Seite stehen Sie in diesem Streit über die Seenotrettung, auf der von Horst Seehofer oder der von Ralph Brinkhaus?
Schuster: Also so lasse ich mich jetzt nicht verengen, Frau Heuer …
Heuer: Ein Versuch ist es wert.
Schuster: Mir geht’s um die Sache und nicht um die Personen. Übrigens sehe ich gar nicht den smarten Herrn Seehofer, ich sehe den konsequenten Herrn Seehofer. Frau Heuer, wir haben eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen definiert, die wir nicht überschreiten wollen. Die Prognose für dieses Jahr liegt etwa bei 160.000, wir liegen deutlich drunter.
Bei den Bootsflüchtlingen sprechen wir über eine Zahl von 230 Menschen, die in Deutschland angekommen sind in 15 Monaten, und das war ungefähr ein Viertel aller. Von daher muss man jetzt auch mal die Kirche im Dorf lassen.
Ich bin ein bisschen verärgert eigentlich über die eigene Fraktion, weil wir zwei Wege hatten bisher, über die wir seit Jahren diskutieren: Weg Nummer eins, da war ich großer Befürworter: intensivere Grenzmaßnahmen, intensivere Zurückweisungen, ein klareres Signal an unseren nationalen Grenzen, solange die Außengrenze nicht funktioniert. Dafür gab es und gibt es bis heute keine Mehrheit.
Weg Nummer zwei – und der wurde stattdessen von all den Kritikern von Grenzmaßnahmen dann eben gewählt: Wir müssen in eine bessere europäische Verteilung kommen. Wir müssen die Menschen, die in Europa ankommen, nach Möglichkeit auf 27 Länder verteilen. Jetzt geht Seehofer zum ersten Mal auf dieses Thema und kriegt überhaupt eine Chance – bisher gab es gar keine Chance, weil kein Europäer mit uns verhandeln wollte –, jetzt stimmt das plötzlich auch nicht. Das verstehe ich nicht.
Seehofers Vorstoß - ein echter Einstieg
Heuer: Herr Schuster, Ihrer Argumentation sind wir gefolgt und lernen, Sie stehen in diesem Streit eher auf der Seite von Horst Seehofer. Nun sagt aber Ralph Brinkhaus, wir dürfen Schlepper ja auch nicht ermutigen. Tun wir das nicht, wenn wir sagen, ein Viertel der Seenotflüchtlinge kann auf jeden Fall nach Deutschland kommen?
Schuster: Der Entwurf des Abkommens, der am Dienstag bei Justiz und Innenministerrat der Europäischen Union verhandelt wird, beinhaltet zwei wesentliche Klauseln – Seehofer ist ja ein Profi. Erstens steht in dem Vertrag keine Quote drin bisher, weil das davon abhängt, wie viel Länder mitmachen.
Heuer: Ja, aber bislang machen ja nur vier mit.
Schuster: Ja, aber es gibt drei, vier, fünf Länder, die schon signalisiert haben, dass sie sich das auch vorstellen könnten, und dann ... (Anm. d. Red.: Passage unverständlich) vielleicht einen echten Einstieg. Also 25 Prozent sind es ... (Anm. d. Red.: Passage unverständlich) nicht. Und vielleicht eine Information am Rande: Würden alle 27 mitmachen, dann würde Deutschland die Last tragen, die es immer tragen muss in der EU: 22,5 Prozent wären es sowieso.
Ausstieg aus dem Abkommen ist jederzeit möglich
Heuer: Herr Schuster, ich hab eine kurze Regieanweisung: Bitte jetzt genau so stehen bleiben und ins Handy reden, weil wir zwischendurch Aussetzer haben, wenn Sie sich bewegen, dann hören wir nicht, was Sie sagen.
Schuster: Punkt zwei: Seehofer hat in das Abkommen hineinverhandelt eine jederzeitige Ausstiegsklausel, wenn die Zahlen signifikant steigen, weil eventuell der Pull-Effekt doch zu groß ist. Ich sag’s jetzt mal ganz deutlich: Wenn Dritte versuchen sollten, dieses Abkommen, dieses aus meiner Sicht wertvolle Abkommen, dafür zu nutzen, den Transfer zu erhöhen, dann werden die Länder sofort aussteigen. Das steht in dem Vertrag drin.
Heuer: Ja, glauben Sie, das interessiert die Schlepper?
Schuster: Ja, weil wenn wir aussteigen, sind wir ja bei dem alten Problem. In dem Abkommen steht wörtlich drin: Sobald die Zahlen steigen, trifft man sich wieder und setzt sofort aus. Das ist auch ein wichtiges Signal, was nach draußen gehen muss. Wir kommen vielleicht in eine solidarische Verteilung erstmals in Europa, angestoßen durch Seehofer, Gott sei Dank mit den Franzosen. Das ist dringend notwendig, Frau Heuer, weil die neue italienische Regierung wird die Boote anlanden lassen. Dann wollen vier von vier nach Deutschland. Jetzt wollen eventuell nur einer von vier, weil drei woanders hin verteilt werden. So rum kann man es nämlich auch sehen. Die Überschrift "Jeder Vierte kommt nach Deutschland", die war natürlich sehr provozierend. Ich sag immer, drei von vier kommen dann nicht.
"Dass Macron eingelenkt hat, ist ein starkes Signal"
Heuer: Okay, Herr Schuster, wir hören, dass Sie sehr optimistisch sind, was diesen wichtigen Innenministerrat kommenden Dienstag angeht, wo all diese Dinge verhandelt werden. Was ist aber, wenn es – bleiben wir noch mal bei der Seenotrettung, das soll ja wohl so was sein wie die Blaupause für eine generelle Quotenverteilung in der EU –, wenn es bei den vier Staaten bleibt, bei dieser Seenotrettungsvereinbarung, was dann, geht das dann trotzdem für Sie klar, oder sagen Sie, dann muss Deutschland aussteigen?
Schuster: Nein, das geht für mich deshalb klar, weil eine Initiativstaatengruppe auch nur von vier, in denen aber Italien und Frankreich beteiligt sind, ist für mich ein derart starkes Signal, das würde ich gerne nutzen. Wir haben noch nie die Chance gehabt, mit einem anderen EU-Partner über Verteilung diskutieren zu können. Dass Macron jetzt eingelenkt hat, ist ein unglaublich starkes Signal. Und wie oft sagen wir, dass Paris und Berlin, wenn die funktionieren, dann geht vieles auf der Zeitachse. Diese Chance möchte ich gerne nutzen oder – dabei bleibe ich – wir intensivieren unsere Grenzkontrollen.
Nicht jeder vierte Flüchtling, sondern jeder vierte Bootsflüchtling
Heuer: Wie sehen das denn Ihre Abgeordneten-Kollegen in der Unions-Bundestagsfraktion, stimmt es, dass da viele grummeln?
Schuster: Das stimmt, das, glaube ich, liegt aber daran, dass anfangs in den Medien sehr stark herüberkam die Überschrift "Jeder Vierte kommt". Da fehlte schon, wie Sie es richtig gemacht haben in der Anmoderation, "jeder vierte Bootsflüchtling", und dass in 15 Monaten für Deutschland, wo 500 waren, von denen 200 kamen, das relativiert viel. Es fehlen in der Berichterstattung diese Ausstiegsklauseln.
Heuer: Das heißt aber, Ihre Kollegen haben das nicht richtig verstanden im Bundestag.
Schuster: Nein. Ich war selbst erstaunt, sag ich Ihnen ganz offen, weil ich das vorher nicht wusste, was Herr Seehofer macht. Ich las morgens meine "Rheinische Zeitung" und die Überschrift auf der ersten Seite war, "Jeder Vierte kommt". Bis ich mich dann informiert hatte, war ich auch kurz in dem Glauben, jeder vierte Flüchtling kommt et cetera, et cetera. Ich sag mal, es ist ein völlig falscher Eindruck auch in der Öffentlichkeit entstanden, und den versuchen wir jetzt mühsam wieder geradezurücken. Ich glaube, wenn wir uns nicht auf nationale Maßnahmen konzentrieren, wofür ich immer noch plädiere, dann ist das die erste substanzielle Chance, in eine solidarische europäische Verteilung zu kommen. Die normative Kraft des Faktischen ist vielleicht hier besser als jede ... (Anm. d. Red.: Passage unverständlich) oder was auch immer. Ich glaube, dass Seehofer sehr konsequent handelt, nicht smart oder weich.
"Mit Initiativgruppe die Asylaufnahme professionalisieren"
Heuer: Herr Schuster, dann machen wir das auch noch mal konkret, Ihre Hoffnung, dass dieses Seenotrettungsabkommen, dass das eine Blaupause sein kann für die generelle Flüchtlingsverteilung in Europa. Spüren Sie Bewegungen, zum Beispiel bei den östlichen EU-Staaten, dass die jetzt gesprächsbereiter sind, Flüchtlinge aufzunehmen?
Schuster: Nein, das ist mir an der Stelle auch nicht so wichtig, weil es da andere Maßnahmen gibt, die man ergreifen könnte. Mir sind Länder wichtig wie Portugal, Spanien, Griechenland, Frankreich, Italien, Deutschland, ein paar skandinavische, die Holländer, die Schweizer. Das wäre für mich wichtig, und deswegen glaube ich, der nächste große Schritt, der gemacht werden müsste, ist, mit einer solchen Initiativgruppe die Asylaufnahme an den Mittelmeerstaaten – Italien und Griechenland – zu professionalisieren, auch mit einer solchen solidarischen Aktion. So habe ich übrigens auch die Reise von Seehofer in die Türkei und nach Griechenland verstanden. Die Aufnahmeentscheidung, wenn die Leute vom Boot runterkommen, die muss postwendend fallen, und da würde ich mir wünschen, dass ein paar Holländer, ein paar Franzosen, ein paar Schweizer, Deutsche, Italiener und die Griechen unterstützen. Wenn das geht, dann kommen wir auch an der Außengrenze echt weiter.
Heuer: Und Sie glauben, da geht was, also Sie spüren da auch bei mehr Staaten als den vier beteiligten schon eine Gesprächsbereitschaft und eine Öffnung?
Schuster: Ich fand’s erstaunlich, dass diese vier – da saß ja dann auch die finnische Ratspräsidentschaft mit am Tisch und die Kommission –, jedenfalls durch ihre Verhandlungen in Malta das Interesse bei weiteren vier, fünf, sechs Staaten ausgelöst haben, die schon zu erkennen geben, sie könnten sich vorstellen, in das Abkommen miteinzusteigen. Ich mach das jetzt im fünften Jahr, Frau Heuer, so weit waren wir noch nie.
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