Wer arm ist, bleibt mit hoher Wahrscheinlichkeit arm. Wer reich ist, bleibt reich. Und das dauerhaft. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts, WSI, der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Trotz positiver konjunktureller Entwicklungen, sagte die Autorin der Studie, Dorothee Sparnnagel, würden sich die Ränder verfestigen. Das lasse sich daran ablesen, dass mehr Haushalte über mindestens fünf Jahre hinweg einkommensarm oder einkommensreich seien. Sparnnagel warnte daher, "dass damit die Gefahr gegeben ist, dass sich Lebenswelten auseinander bewegen. Und ich halte das für eine große Gefahr für die Demokratie. Dass eine gut integrierte Mitte verloren geht und das alles auseinander bricht."
Anstieg vor allem durch Zuwanderung
Armut in Deutschland wird der Studie zufolge für immer mehr Menschen zu einer Art Dauerzustand: Lebten Anfang der Neunzigerjahre noch 3,1 Prozent der Bevölkerung in dauerhafter Armut, sind es laut Studie aktuell schon 5,4 Prozent - eine Steigerung um 74 Prozent. Gleichzeitig sei seit 2005 der Anteil der dauerhaft Reichen wieder gestiegen, der Anteil der Haushalte mit mittleren Einkommen aber gesunken. Dem Verteilungsbericht nach lebten 1991 gut elf Prozent aller Personen hierzulande in armen Haushalten, 2015 seien es knapp 17 Prozent gewesen. Zurückzuführen sei der Anstieg vor allem auf die Zuwanderung, sagt Anke Hassel, wissenschaftliche Direktorin des WSI. Die Gefahr sei dabei, "dass wir auf eine segmentierte Gesellschaft hinauslaufen, wo die in Deutschland geborenen sich durchaus auch gute auf dem Arbeitsmarkt zurecht finden.
Aber für die Zuwanderer, die wir in immer größeren Zahlen in unserer Gesellschaft auch haben, für die wirklich ein Platz im Niedriglohnsektor bereitgehalten wird, der mit Armut behaftet ist. Und es macht Integration umso schwieriger, wenn Menschen die hier ankommen, erstmal über lange Zeit unter Armutsverhältnissen leben müssen."
Erhebliche Unterschiede zeigen sich dem Bericht zufolge auch in der Betrachtung nach Geschlecht und Region: Demnach haben westdeutsche Männer am häufigsten ein dauerhaft hohes Einkommen. Und: Generell seien etwa zwei Drittel der Wohlhabenden männlich. Insgesamt kommt dauerhafte Armut in Ostdeutschland etwa sechs Mal so häufig vor wie in den alten Bundesländern, dauerhafter Reichtum liegt zu 95 Prozent in Westdeutschland. Dazu Studienautorin Sparnnagel: "Das ist 30 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch ein erschreckendes Ergebnis."
Bildungschancen für Kinder benachteiligter Familien verbessern
Um die soziale Kluft in Deutschland nicht größer werden zu lassen, empfiehlt Sparnnagel, die Kinderbetreuung deutlich zu verbessern und flexible Arbeitszeitmodelle für Eltern auszuweiten. Das würde vor allem Alleinerziehenden eine ausreichend entlohnte Erwerbsarbeit ermöglichen und auch den Anteil von Mehrverdiener-Haushalten insgesamt erhöhen. Am wichtigsten sei es aber, die Bildungschancen gerade für Kinder aus benachteiligten Familien zu verbessern und Langzeitarbeitslosigkeit durch bessere individuelle Förderung und Beratung zu reduzieren:"Bildung ist eben da tatsächlich der Schlüssel, um das nachhaltig zu machen."
Grundlage für die Studie sind die Daten des sogenannten sozio-ökonomischen Panels, der seit 1984 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung durchgeführt wird. Dafür werden derzeit 30.000 Personen in 11.000 Haushalten regelmäßig befragt. Als dauerhaft arm gelten dem Verteilungsbericht nach Haushalte, die fünf Jahre lang durchgehend ein verfügbares Netto-Einkommen inklusive aller Transferzahlungen unterhalb der Armutsgrenze hatten. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Für einen Ein-Personen-Haushalt waren das 2015 etwas mehr als 12 000 Euro im Jahr. Als reich werden Haushalte bezeichnet, die mindestens das doppelte des mittleren Einkommens erzielen.