Bevor Mohammed zum islamischen Propheten wurde, hat er als Kaufmann gearbeitet. Auch im Koran wird das Thema Handel und Verträge oft thematisiert, erläutert Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist an der Universität Erlangen-Nürnberg.
"Das zeigt sich schon daran, dass ein typischer Vertrag, nämlich der Kaufvertrag, im Koran ausdrücklich erwähnt wird."
"O die ihr glaubt, wenn ihr voneinander ein Darlehen nehmt auf eine bestimmte Frist, dann schreibt es nieder. Ein Schreiber soll in eurer Gegenwart getreulich aufschreiben; und kein Schreiber soll sich weigern zu schreiben, hat ihn doch Allah gelehrt; also soll er schreiben und der Schuldner soll diktieren, und er soll Allah, seinen Herrn, fürchten und nichts davon unterschlagen. (...) Und verschmäht nicht, es niederzuschreiben, es sei klein oder groß, zusammen mit der festgesetzten (Zahlungs-) Frist. Das ist gerechter vor Allah und bindender für das Zeugnis und geeigneter, dass ihr nicht zweifelt."
So heißt es in der Sure "Die Kuh".
Ein schriftlicher Vertrag gibt Sicherheit
Aber nicht nur Verträge bei Darlehen oder beim Handel spielen im Islam eine bedeutende Rolle. Auch andere Bereiche des Lebens reguliert der Islam mit Verträgen. So ist beispielsweise die islamische Ehe eigentlich ein Vertragsschluss. Enes Curuk ist ein junger Muslim aus dem Rheinland. Er hat bis vor Kurzem in deutschen Moscheegemeinden als Imam gearbeitet. Für ihn spielt der historische Kontext des Korans, eine zeitgemäße Herangehensweise, aber keinesfalls willkürliche Auslegung der darin enthaltenen Inhalte eine wichtige Rolle.
"Ich glaube, man muss da auch ganz klar sagen, dass wir Regelungen, die wir aus dem Koran entnehmen, so lesen sollten, dass wir uns das Beste herausnehmen und zwar nicht in dem Sinne urteilen, das gefällt mir, das gefällt mir nicht, sondern beachten, warum irgendeine Regelung zu der Zeit im Hinblick auf die Situation im 7. Jahrhundert natürlich getroffen wurde. Und die Art und Weise, warum eine Regelung zu der Zeit getroffen wurde, kann uns auch Aufschluss darüber geben, was wir aus dem Koran für unsere Zeit, in unserer individuellen Situation projizieren."
Für den jungen Theologen erfüllt das deutsche Vertragsrecht die Anforderungen, die der Islam an die Muslime stellt.
"Ich glaube, dass unsere rechtlich verträglichen beziehungsweise rechtlich-vertraglichen Gepflogenheiten in unseren Breitengraden schon sehr fortgeschritten sind und dass wir dem koranischen Geiste da schon entsprechen. Das heißt, Verträge können auch mündlich abgeschlossen werden, ja. Das gilt für heute in unserem Recht immer noch so. Aber die Sicherheit, die ein schriftlicher Vertrag gibt, ist natürlich anders als eine mündliche Vereinbarung, und ich glaube, genau darauf will auch der Koran in dem Sinne hinaus."
"Die Preise liegen in Gottes Hand"
Mohammed war vom Beruf her Kaufmann in Mekka. Als er aus seiner Heimatstadt vertrieben wurde, ging er nach Medina und gründete dort einen Marktplatz, beschreibt der britische Wirtschaftshistoriker Benedikt Koehler in seinem Buch "Der frühe Islam und die Geburt des Kapitalismus". Dieser Markt war steuerfrei, schützte den Verbraucher, setzte Regeln für einen fairen Wettbewerb fest und lehnte die Festlegung von Höchstpreisen ab: "Die Preise liegen in Gottes Hand", zitiert Benedikt Koehler Mohammed. Enes Curuk sagt:
"Wir wissen aus einigen Überlieferungen, aus prophetischen Überlieferungen, in denen der Prophet durch den Markt gegangen ist und mit Marktleuten zum Teil gestritten hat, weil, die guten Produkte waren dann etwas mehr oben, also mehr präsent für das Auge. Wenn dann aber etwas sozusagen, ja, bestellt worden ist, dann wurde das entweder von hinten, also hinter dem Tresen eingefüllt, oder abgefüllt, und diese Praxis ist ganz scharf kritisiert durch den Propheten."
Die Zinsfrage ist umstritten
Wie Enes Curuk bestätigt auch der Islamwissenschaftler Mathias Rohe, dass Geschäfte im Islam eine wichtige Rolle spielen.
"Der Islam steht Handel und Wandel positiv gegenüber. Und der Vertrag ist die Grundlage für Austauschgeschäft. Also im Prinzip ist das erlaubt, ist es wünschenswert, dass man Verträge abschließt, allerdings müssen die Verträge einen legalen Inhalt haben. Das Spekulationsverbot wäre eine solche Grenze, eine andere äußere Grenze besteht im Verbot des sogenannten 'Riba'."
Die Riba, auf Deutsch: Der Zins. Doch hier gehen die Auslegungen weit auseinander. Es sei unklar...
"...ob jegliche Zinsnahme verboten sein soll oder nur Wucherzinsen. Diese Diskussion hält bis heute an. Diejenigen, die das streng verstehen, also jede Art von Zinsnahme ist verboten, versuchen andere Formen des Wirtschaftens zu entwickeln."
"Die alten Gelehrten wussten nichts vom Zeitwert des Kapitals"
Eine Alternative bieten sogenannte islamische Banken, die mit zinsfreiem Handel werben. Hier beteiligen sich die Banken mit Geldinvestitionen an aktiven Geschäften und Unternehmungen und verdienen mit dem Kunden mit.
"Das heißt, wenn es denen gut geht, bekommt man einen Gewinnanteil, aber wenn es ihnen nicht gut geht, dann hat man halt gewisse Verluste. Die Idee, Gewinnchancen, Verlustrisiken sollen parallelisiert werden – übrigens eine sehr liberale Idee."
Andere Muslime legen das Zinsverbot weniger streng aus, erklärt Mathias Rohe:
"Nur Wucherzinsen sollen eigentlich verboten sein, und die alten Gelehrten, die da strenger waren, die wussten schlicht noch nichts vom Zeitwert vom Kapital, also der Möglichkeit, dass man mit Kapital wirtschaften kann, ist ein ökonomischer Wert und der, der einem das Kapital gibt, der hat das Recht mit diesem Kapital ein paar Zinsen dafür zu verlangen."
Nicht jeder Muslim vertritt auch islamische Werte
Während das Thema Zinsen weiterhin lebhaft diskutiert wird, vermittelt der Islam klare Regeln bei Verträgen. Doch gerade in diesen Punkten scheint es in der Praxis Probleme zu geben. Mahmud Keçecigil ist 28 Jahre alt und Deutsch-Türke. Er arbeitet im Bereich Online-Marketing. Mit einem Kunden hatte er zuletzt große Probleme:
"Ich habe einen Kunden im Suchmaschinenmarketing betreut, der auch Türke war und Muslim ist. Dort habe ich Kosten im Wert von 500 Euro, hat der Kunde ausgegeben im Monat, und mein Lohn war da 100 Euro. Aber er hat es nicht geschafft, mir meinen Lohn auszuzahlen und das hat sich bis zu sechs Monaten verzögert, obwohl ich ihn auch öfters daran erinnert habe. Also kann ich sagen, im Monat hatte er die 500 Euro für die Werbekosten da, aber die 100 Euro für den, der die Arbeit macht, nicht. Und das ist auf jeden Fall nicht die Perspektive oder die Sicht des Islams."
Für sich habe Mahmud hieraus gelernt, in Zukunft alle seine Geschäfte schriftlich festzuhalten.
"Jeder Mensch ist halt anders und nur weil das jetzt ein Muslim ist, heißt das nicht, dass er auch die Werte des Islams vertritt, was ich auch leider feststellen musste. Obwohl es so ein naher Bekannter ist, gleichzeitig dieselbe Religion teilt. Das spielt alles keine Rolle."
"Ich würde nie für einen Türken arbeiten"
Serap Güler ist Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen und Muslimin. Sie kennt solche Diskussionen innerhalb der Community.
"Ich kenne ganz, ganz viele Leute, die sagen, ich würde niemals für einen Türken arbeiten, die selbst sogar türkischstämmig sind; nie für Araber arbeiten, die vielleicht selbst arabischstämmig sind. Weil man da das Gefühl hat, der hat eine sehr flexible Art und Weise, mit der Arbeit umzugehen. Und das ist, hoffe ich, weniger eine kulturelle Eigenschaft, als dass sich der eine oder andere damit tatsächlich einen schlechten Ruf gemacht hat und viele andere damit in Sippenhaft genommen werden. Aber ich glaube, sehr viele sind tatsächlich damit aufgefallen - ich will nicht sagen vertragsuntreu, sondern ein unterschiedliches Verständnis von dem abgeschlossenen Vertrag zu haben."
Enes Curuk attestiert solchen Personen ein grundsätzliches Problem mit den Lehren des Islams. Denn diese Leute würden sagen...
"...ich mache und tue das, was ich kann, was ich will und dann, wenn ich dann etwas älter bin, dann bete ich zu Gott, dass er mir alle meine Sünden vergibt. Ich glaube, dass das eine sehr einfache und sehr primitive Lösung und Herangehensweise an das Verständnis meines Daseins und unseres gesellschaftlichen Daseins darstellt, weil man sich quasi seinen praktischen und seinen realen Verantwortungen und Gepflogenheiten entzieht, sich in seine Ecke verkrümelt und sich denkt, wenn ich mit Gott im Reinen bin, dann bin ich im Reinen mit allen anderen Menschen."
"Der Islam verbietet Lug und Trug"
Doch der Islam beachte nicht nur die Erfüllung der Pflichten gegenüber Gott.
"Nein, wenn du ein frommer Mensch bist und fünfmal am Tag betest und deine Wallfahrten machst und schön fastest, aber wenn du kein guter Ehemann bist, oder wenn du kein guter Vater bist, wenn du kein verantwortungsvoller Arbeitnehmer bist, wenn du kein gewissenhafter Steuerzahler bist, dann ist es schon durchaus zu bezweifeln, ob man mit der Herangehensweise eine Lösung im Jenseits finden kann, wenn man Rechenschaft ablegen muss."
Deshalb legt der Islam einen großen Wert auf weltliche Verträge. Um die zwischenmenschlichen Konflikte im Diesseits und im Jenseits zu regulieren. Doch in der Realität sehe es trotzdem oft ganz anders aus, meint der Islamwissenschaftler und Jurist Mathias Rohe.
"Der Islam verbietet Lug und Trug, dafür gibt es sehr deutliche Aussagen. Wir wissen aber auch, dass es nicht wenige Muslime gibt, wie im Rest der Bevölkerung, die sich einen Dreck darum scheren - wenn ich das so prosaisch sagen darf -, die andere anlügen, die andere betrügen. Das ist bedauerlich. Allerdings, leider muss man sagen, nichts Besonderes."