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Vor 70 Jahren
Der Vertrag über die Montanunion tritt in Kraft

Am 23. Juli 1952 trat die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Kraft, die sogenannte Montanunion. Sechs europäische Länder gehörten dem Wirtschaftsverband zunächst an, der ihnen den zollfreien Zugang zu Kohle und Stahl ermöglichte. Es war der Grundstein für die Europäische Union.

Von Otto Langels | 23.07.2022
Unterzeichnung Montanunion-Vertrag am 18. April 1951: Die Außenminister der sechs Mitgliedsstaaten bei der Unterzeichnung im Außenministerium in Paris (v. l.n.r. Paul van Zeeland, Joseph Bech, Joseph Meurice, Graf Carlo Sforza, Robert Schuman, Konrad Adenauer, Dirk Stikker und Jan van Brink.
Unterzeichnung Montanunion-Vertrag am 18. April 1951: Die Außenminister der sechs Mitgliedsstaaten bei der Unterzeichnung im Außenministerium in Paris (v. l.n.r. Paul van Zeeland, Joseph Bech, Joseph Meurice, Graf Carlo Sforza, Robert Schuman, Konrad Adenauer, Dirk Stikker und Jan van Brink. (pa/AKG Berlin)
„Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Produktion von Kohle und Stahl einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer für die Beteiligung anderer europäischer Länder offenen Organisation.“

Eine Initiative Frankreichs

Im Mai 1950 machte der französische Außenminister Robert Schuman, ursprünglich ein in Luxemburg geborener Deutscher, den Vorschlag, eine europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu gründen, kurz EGKS. Mit der Montanunion sollte jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich werden, so Schuman. Noch am gleichen Tag kam aus Bonn eine positive Antwort von Bundeskanzler Konrad Adenauer.
„Dieser Beschluss enthält nicht allgemeine Redensarten, sondern er enthält ganz konkrete und ganz präzise Vorschläge über eine Zusammenfassung der Produktion von Kohle, Eisen und Stahl von Frankreich und Deutschland, unter ausdrücklicher Hervorhebung, dass alle anderen Staaten diesem Abkommen beitreten können.“
Der „Schuman-Plan“ war - fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - ein bemerkenswerter Schritt, die jahrhundertealte deutsch-französische „Erbfeindschaft“ – so ein häufig verwendetes Klischee - zu überwinden.

Vertrag zur Überwindung der "Erbfeindschaft"

Einen Monat später begannen in Paris die Verhandlungen über die Montanunion unter Vorsitz des Franzosen Jean Monnet. Beteiligt waren - neben Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland – Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg. In Deutschland kam Kritik vor allem von Seiten der SPD. Die Sozialdemokraten fürchteten, dass eine mit der Montanunion verbundene Westorientierung eine Wiedervereinigung mit der DDR erschwere. Zudem sei eine supranationale Gemeinschaft mit dem Verlust staatlicher Souveränität verbunden. Gleichwohl wurde der EGKS-Vertrag am 18. April 1951 in Paris unterzeichnet.
„Ich bin überzeugt, dass das, was wir heute getan haben, ein Segen sein wird.“ Erklärte Konrad Adenauer nach der Unterzeichnung. Er sah die Gelegenheit, dass die Bundesrepublik unter dem nach wie vor geltenden Besatzungsrecht der Alliierten ein Stück Souveränität zurückgewinnen und am europäischen Einigungsprozess gleichberechtigt mitwirken könne.
Der französische Außenminister Robert Schuman fügte hinzu: „Mit der Unterschrift unter den Vertrag zur Montanunion in einem Europa der 160 Millionen Einwohner haben die Vertragspartner ihre Absicht verwirklicht, zum ersten Mal eine wirklich supranationale Organisation zu schaffen und Europa damit einen institutionellen Rahmen zu verleihen. Dieses Europa steht allen freien Völkern offen.“

Verzicht der europäischen Länder auf einen Teil ihrer Souveränität

Organe der EGKS waren die „Hohe Behörde“ als Exekutive; der „Ministerrat“ mit den zuständigen Ministern der einzelnen Länder; die „Gemeinsame Versammlung“ als parlamentarisches Kontrollgremium sowie der „Gerichtshof“. 
Zum ersten Mal verzichteten sechs europäische Länder freiwillig auf einen Teil ihrer Souveränität. Am 23. Juli 1952 trat die Montanunion in Kraft.
„In zwei Jahren und drei Monaten wurde dieser Vertrag ausgearbeitet durch sechs Delegationen, unterschrieben durch sechs Regierungen, ratifiziert durch elf parlamentarische Versammlungen, in zwei Jahren und drei Monaten.“
Noch im selben Jahr passierte der erste Kohletransport die deutsch-französische Grenze ohne die bis dahin üblichen Zollformalitäten.
„Und nun setzt sich die mächtige Lokomotive in Bewegung: die Lokomotive, die den Güterzug 6572 zieht; mit 27 riesigen Großraumwaggons mit über 1000 Tonnen Kohle, die nun hinübergehen nach Frankreich.“

Grundstein für die Europäische Union

Die Montanunion war ein erster Schritt in Richtung eines vereinten Europas. Sie war ein Grundstein für die heutige Europäische Union und ihre Organe waren Vorläufer der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates und des EU-Parlaments.
50 Jahre nach der Gründung lief der Vertrag am 23. Juli 2002 aus. Die fortschreitende europäische Integration hatte die Montanunion überflüssig gemacht.