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Vertraute Gerüche und liebes Federvieh

Im Westerwald leben in einem Dorf 16 hochbetagte Menschen in einem behindertengerecht umgebauten Bauernhaus. Für die Senioren, die früher selbst Bauern waren, sind im Hühnerstall oder auf der Gänseweide die Handgriffe und der Umgang mit den den Tieren vertraut - und das tröstet mitunter.

Von Ludger Fittkau |
    "Hallo, hast Du noch ein Ei? Du hast doch noch ein Ei! - Ja, die haben nicht immer Eier. Ein Ei hast du ja noch, du kleener Spatz, du bist aber fleißig."

    Mit routiniertem Griff unter das Huhn packt Agnes Herbert das frische Ei und legt es in den Korb. Die 80 Jahre alte Saarländerin lässt sich auch nicht beirren, als das Huhn etwas unwillig mit dem Schnabel ihre Hand traktiert:

    "Nein, nein, das darf man nicht! Man darf nicht bös sein. Ich streichele Dich trotzdem."

    Seit anderthalb Jahren lebt Agnes Herbert mit 15 anderen hochbetagten Menschen in dem Bauernhof mitten im Westerwald-Ort Marienrachdorf. Im Hühnerstall oder auf der Gänseweide ist ihr jeder Handgriff vertraut – Agnes Herbert war selbst einmal Bäuerin.

    Wie die 74 Jahre alte Gertrud Horstdörfer, die unter Demenz leidet. Sie sitzt im Sessel im Gemeinschaftsraum neben der Küche des behindertengerecht umgebauten Bauernhauses:

    "Ich komme auch von einem Bauernhof, bin aber nicht von hier, ich komme von Buchheim, wenn ihnen das was sagt."

    Gertrud Horstdörfer behauptet, dass sie regelmäßig lieber in ihrem alten Heimatdorf im Stall hilft als im landwirtschaftlichen Bereich der Alten-WG. Guido Pusch, der das Wohn-Projekt im alten Bauernhaus seiner Familie realisierte, rückt das später zu recht:

    "Wir haben eben mit der Gertrud gesprochen, sie sagt, sie hilft daheim immer noch auf dem Bauernhof. Den Bauernhof gibt es schon lang nicht mehr und die Gertrud ist auch schon länger hier. Manchmal will sie auch heim und dann geht man in den Stall und dann ist Mittagessen oder Abendessen und dann ist das auch alles wieder direkt vergessen."

    Gerade den Alten, die ihre Kindheit auf einem Bauernhof verbracht haben, ist hier vieles vertraut: die Gerüche, das Gegacker der Hühner, die Glocke der Dorfkirche gegenüber.

    Für die Gänse allerdings ist das Glockengeläut nicht so toll.

    "Die Gänse dürfen hier nicht raus bei den Glocken. Die hauen ab, die können das nicht hören."

    Agnes Herbert spricht gerne mit den Gänsen. Manchmal singt sie ihnen auch ein Lied vor.

    "Die hören auch gut zu!"

    Der 39 Jahre alte Guido Pusch ist Inhaber eines kleinen Maschinenbaubetriebes im Westerwald. Die Landwirtschaft betreibt er seit jeher nebenbei. Nun hat er rund 700.000 Euro in den Umbau des alten Familien-Bauernhofes investiert. Ursprünglich wollte Guido Pusch eine Behinderten-WG hier einrichten, doch dann wurde seine Oma pflegebedürftig:

    "Im Laufe des Umbaus kam dann halt die Idee, weil die Oma auch nicht mehr konnte, dann halt eine Seniorenwohngemeinschaft zu machen."

    Eine ziemlich gute Idee war das, findet auch die rheinland-pfälzische Landesregierung. Sie empfiehlt die Alten-WG auf dem Westerwald-Bauernhof zur Nachahmung. Am besten in jedem Dorf des Landes. Guido Pusch, der sein Projekt ohne öffentliche Mittel umgesetzt hat, hält dieses ehrgeizige Ziel durchaus für realistisch:

    "Das funktioniert! Wenn die jüngere Generation das in die Hand nimmt und die Gebäude wieder herrichtet und barrierefrei macht und nicht den Wert auf den Profit legt, sondern den Wert auf das Gemeingut Leben und man kann nicht nur den Schwerpunkt auf Kindergärten legen, was auch wichtig ist. Man muss auch an die Senioren denken und man darf halt, wenn man so was macht nicht so sehr auf den Profit gehen, sondern auf das soziale Engagement. Dass man was Gutes tut und damit Menschen hilft."

    Alten-WGs in Bauernhöfen haben noch einen kleinen, aber nicht unwichtigen Vorteil, verrät Guido Pusch. Sie sind attraktive Ausflugsziele für die Familien, die ihre pflegebedürftigen Angehörigen besuchen. Vor allem Enkel und Urenkel sind begeistert:

    "Was hier sehr, sehr schön ist: Die Senioren werden von den Angehörigen, von den Kindern, Enkelkindern, Urenkel so gar so oft besucht und dann ist der Besuch ein Event auf dem Bauernhof. Sie besuchen die Großmutter oder den Großvater und gegen in den Stall zu den Hasen und den Hühnern und das ist ein Event, das hier das Besondere ausmacht."

    Gut zehn Eier hat Agnes Herbert in wenigen Minuten unter den Hühnern hervorgeholt. Am Ende beruhigt sie noch einige Tiere, die sich etwas ängstlich in einer Ecke des Stalls zusammengedrängt haben. Dann schließt sie die Stalltür hinter sich ab und bringt die Eier in die WG-Küche. Diese Arbeit gehört zu ihrem Alltag auf dem Bauernhof, sie fällt der 80-Jährigen auch heute nicht schwer:

    "Man tut, was man kann."

    Ihre Mitbewohnerin Else Stein, die selbst nicht im Stall arbeitet, freut sich in der Küche über die Produkte, die aus der eigenen Landwirtschaft in den Kochtopf wandern:

    "Man ist ja hier groß geworden. Nicht im Dorf, aber fast. Man kann es aushalten. Sehr gute Küche!"