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Vertuschungsvorwürfe aus Russland
Beck spricht von Ablenkungsmanöver

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte der deutschen Polizei im Fall eines verschwundenen deutsch-russischen Mädchens Vertuschung vorgeworfen. Marieluise Beck (Grüne) nennt das den Versuch, von der schlechten Verfassung Russlands abzulenken. Der Fall werde stark von der russischen Propaganda ausgeschlachtet, auch um eine Destabilisierung der Europäischen Union zu erreichen, sagte die Osteuropaexpertin im DLF.

Marieluise Beck im Gespräch mit Peter Kapern |
    Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am 26.03.2015 im Bundestag.
    Marieluise Beck (Grüne) bei einer Rede im Bundestag. (dpa / picture alliance / Lukas Schulze)
    "Wir müssen einen klaren Kopf behalten. Es geht nicht um diesen Fall", sagte Beck. Äußerungen wie die von Lawrow seien "eigentlich Ablenkungsmanöver gegen eine dramatisch verschlechterte innenpolitische und vor allen Dingen wirtschaftliche Situation Russlands". In anti-westlichen Kampagnen versuche Russland darzustellen, dass im Westen "Sodom und Gomorrha" herrsche und dass die russische Regierungsform die Beste sei. Es geht laut Beck einerseits darum, die russische Bevölkerung "bei Stange zu halten". Denn die einstigen goldenen Jahre unter Putin seien vorbei.
    Des Weiteren sei das zweite Ziel solcher Propaganda, so Beck, eine "Destabilisierung der Europäischen Union". Es gehe um eine Unterminierung der Union, "damit sie zerbröselt". Das und auch die damit im Zusammenhang stehende Attacke Lawrows auf die deutsche Polizei seien ernst zu nehmen. Reagieren müsse man Deutschland darauf, in dem möglichst viel transparent gemacht werde. "Wir brauchen keine Angst zu haben, transparent zu machen, was bei uns im Land geschieht", sagte Beck.
    Im Fall eines vorübergehend verschwundenen deutsch-russischen Mädchens in Berlin hatte die Regierung in Moskau Aufklärung von den deutschen Behörden verlangt. Außenminister Sergei Lawrow hatte am Dienstag gesagt, dass Informationen verschwiegen worden seien. Lawrow betonte, Migrationsprobleme in Deutschland sollten nicht zu dem Versuch führen, die Wirklichkeit - so wörtlich - politisch korrekt zu übermalen. Das Mädchen hatte Medienberichten zufolge angegeben, es sei von "südländisch" aussehenden Männern verschleppt und vergewaltigt worden. Die Berliner Polizei hat jedoch nach eigenen Angaben keine Hinweise auf eine Entführung oder eine Vergewaltigung.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Um es klar und deutlich zu sagen: Wir wissen nicht, was genau da geschehen ist. Aber die Berliner Polizei sagt, was definitiv nicht passiert ist. Das Mädchen Namens Lisa, ein 13jähriges Kind russischstämmiger Einwanderer, ist nicht von Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden.
    Knapp 2000 Kilometer weiter östlich, da sieht man das aber anders. Die deutsche Polizei vertusche und verheimliche, sagte Russlands Außenminister Sergei Lawrow vorgestern.
    Am Telefon Marieluise Beck von den Grünen, Osteuropa-Expertin ihrer Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
    Marieluise Beck: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Frau Beck, wie bewerten Sie die Einlassung des russischen Außenministers?
    Beck: Man sollte sich einmal den umgekehrten Fall vorstellen, dass der deutsche Außenminister in einen Ermittlungsfall, der offen ist und läuft und in einem Rechtsstaat läuft, sich auf einer außenpolitischen Pressekonferenz in dieser Weise auslassen würde und dann auch noch tatkräftig mit Propaganda nachhelfen würde, dass in diesem betroffenen Land dann die Menschen mithilfe einer rechtsradikalen Partei auf die Straße gehen. Das würde doch hier einige Fragen aufwerfen, würde ich sagen. Ich glaube, wir müssen einen klaren Kopf haben. Es geht nicht um diesen Fall, sondern es geht um eine Russische Föderation, die in überaus schlechter Verfassung ist. Die Bevölkerung beginnt, das zu merken, und deswegen werden solche Attacken geritten, die eigentlich Ablenkungsmanöver gegen eine dramatisch verschlechterte innenpolitische, vor allen Dingen wirtschaftliche Situation sind.
    "Es wird sehr stark in der russischen Propaganda ausgeschlachtet"
    Kapern: Aber das ist doch ein Ablenkungsmanöver, das vor allem hier wahrgenommen wird, von Tausenden Russlanddeutschen, die tatsächlich auf die Straße gehen und im Sinne Lawrows demonstrieren. Das legt doch den Verdacht nahe, dass die russische Regierung da auch ein Kalkül an den Tag legt, das auch die Situation in Deutschland im Blick hat.
    Beck: Es wird nicht vor allen Dingen hier wahrgenommen, sondern es wird sehr stark in der russischen Propaganda ausgeschlachtet, die ja überhaupt in Russland versucht, bei der Bevölkerung (und das mit Erfolg) den Eindruck zu erwecken, im Westen herrscht Sodom und Gomorra. Die ganzen antiwestlichen Kampagnen sollen ja die Botschaft an die Bevölkerung vermitteln, unsere autoritären Regierungsstrukturen sind gut für euch.
    Inzwischen muss Putin sagen, selbst wenn es euch dabei schlechter geht, selbst wenn der Rubel fällt, selbst wenn ihr eure Wohnungen nicht mehr abbezahlen könnt, selbst wenn ihr beim Lebensmittelkauf merkt, dass sie dramatisch teurer geworden sind, ertragt das, denn unsere Regierungsform ist die bessere als die im Westen. Es geht sehr wohl um Russland und dessen Innenpolitik.
    Wenn Sie jetzt darauf anspielen, dass das auch hier in Deutschland Wirkung entfaltet bei russlanddeutschen Einwanderern, ist das ein kleiner Teil von den vielen Millionen Menschen, die zu uns gekommen sind. Es gibt sie, es ist richtig. Besonders unappetitlich ist, dass die NPD, "Compact" und andere Verschwörungstheoretiker und rechtsradikale Parteien sich hineinmischen in diesen Kampf und zum willigen Helfer machen. Aber es geht auch darum, ein Netzwerk zu schmieden, was tatsächlich im Westen sagt, dieses Europa, dieses westliche Leben ist falsch, und sich dagegen auflehnt.
    Wir wissen, dass in Frankreich Le Pen finanziell und auch politisch unterstützt wird von der Duma und von Russland. Dieses Netzwerk wird auch bedient und man versucht jetzt offensichtlich, das in Deutschland aufzubauen.
    "Tatsächlich geht es um eine Unterminierung der Europäischen Union"
    Kapern: Noch mal nachgefragt. Wenn die russische Regierung tatsächlich versucht, rechtsextreme Parteien in ganz Europa zu fördern, dann tun sie dies nicht, um die politische Situation hier im Westen zu destabilisieren, sondern um der eigenen Bevölkerung vorzuführen, seht mal, was da im Westen los ist, seid froh, dass es hier so ruhig ist.
    Beck: Es geht um beides. Es geht darum, einerseits die Menschen in Russland bei der Stange zu halten, denn die Belastungen inzwischen sind groß, die die Bevölkerung auszuhalten hat. Die goldenen Jahre, die Putin zugeschrieben wurden, weil er das große Glück hatte, dass der Ölpreis in unermessliche Höhen gestiegen war, dieses Glück ist vorbei. Er muss jetzt sich was einfallen lassen, um den Menschen trotzdem den Eindruck zu erwecken, es läuft alles gut, ihr seid gut bei mir aufgehoben, auch unter diesen autoritären Strukturen. Dazu dienen ja auch die außenpolitischen Krisen, die er vom Zaun gebrochen hat.
    Das zweite Ziel ist in der Tat eine Destabilisierung der Europäischen Union von westlichen Ländern heraus. Wir wissen, dass das Netzwerk sehr eng ist, was geknüpft wird, zur griechischen Morgenröte, zur UKIP nach England, zu Le Pen nach Frankreich, zu Jobbik nach Ungarn. Die alle zum Beispiel waren bei dem international nicht anerkannten und skandalösen sogenannten Referendum auf der Krim.
    Tatsächlich geht es um eine Unterminierung der Europäischen Union, damit sie zerbröselt, und das alles ist ernst zu nehmen bei uns. Ich glaube, dass wir auch solche Attacken von Lawrow nicht als Spintisiererei abtun sollten, sondern uns endlich ernsthaft mit diesen Netzwerken, die in beiden extremen politischen Bereichen zu finden sind, auseinandersetzen sollten.
    "Wir brauchen keine Angst zu haben, transparent zu machen, was in unserem Land geschieht"
    Kapern: Aber wie politisch damit umgehen, Frau Beck? Denn das ist ja die alles entscheidende Frage. Wie politisch damit umgehen?
    Beck: Politisch haben wir als Demokratie nur die Möglichkeit, möglichst viel Transparenz herzustellen. Ich glaube, es sind sich alle einig, dass es gut gewesen wäre, wenn die Ereignisse in Köln schneller auf den Tisch gekommen wären.
    Wir brauchen keine Angst zu haben, transparent zu machen, was in unserem Land geschieht, es zu diskutieren. Wir sind ein freies Land. Wir haben eine wirklich belastbare Demokratie und einen Rechtsstaat. Wir stehen vor Herausforderungen, das ist keine Frage. Diese Flüchtlinge in der Größenordnung stellen große Herausforderungen an unsere Gesellschaft. Aber vieles, vieles wird auch gut gemacht und das ist unsere Kraft.
    Kapern: ... sagt Marieluise Beck, die Osteuropa-Expertin der Grünen-Bundestagsfraktion. Frau Beck, danke, dass Sie heute Morgen Zeit für uns und unsere Hörer hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Beck: Danke schön, Herr Kapern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.