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Verunsicherte Medizin-Studierende

Wie der Stand der Privatisierung der Unikliniken Gießen-Marburg nun tatsächlich ist, darüber räseln die meisten Betroffenen: Klinik-Mitarbeiter, Fachschaft und allen voran die Medizin-Studenten. Denn die Landesregierung hält sich bedeckt, wenn es um die künftigen Betreiber geht. Dabei soll diese erste Privatisierung Vorbildfunktion für ganz Deutschland haben.

Von Gudula Geuther |
    Wenn die Uni-Klinik Gießen-Marburg verkauft wird, dann sind auch die Medizinstudenten unmittelbar betroffen: Sie bleiben eingeschrieben in ihrer Universität, also in Gießen oder Marburg. Aber ab dem fünften Semester verbringen sie den praktischen Teil ihrer Ausbildung in dem neuen, privaten Gebilde. Was das genau heißt, wissen sie allerdings noch nicht. Auch nicht der Gießener Fachbereichs- und Fachschaftsrat Ivo Löffler.

    "Es ist sehr schwierig im Moment, detaillierte Informationen zu kriegen und genaue Informationen über den Stand der Privatisierung, weil die Landesregierung ein sehr großes Geheimnis über den neuen oder zukünftigen Betreiber macht und die Verträge mit diesem."

    Die Studentinnen und Studenten sind nicht die einzigen mit diesem Problem: Nicht anders geht es den Klinik-Mitarbeitern oder auch dem Landtagsplenum, das noch vor Weihnachten über das zu Grunde liegende Gesetz entscheiden soll. Besonders schwierig ist das, weil wichtige Fragen bisher nicht im Gesetz, sondern in diesem Vertrag geregelt werden. Aber egal ob Gesetz oder Vertrag: Vieles scheint noch nicht abschließend geklärt. Dabei hat diese erste Privatisierung Vorbildfunktion für ganz Deutschland, wie kürzlich bei einer Anhörung in Wiesbaden auch der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Karl Max Einhäupl.

    "Unter diesem Gesichtspunkt ist sozusagen der erste Fall, in dem das passiert, natürlich mit besonderer Sorgfalt zu begleiten, weil wir die Freiheit von Forschung und Lehre aber auch die Effektivität von Forschung und Lehre auf jeden Fall bewahren müssen."

    Zum Teil lässt sich das durch klare Regeln lösen, glauben die Fachschaftsräte in Gießen. Das Gesetz müsste etwa vorschreiben, dass Änderungen in der Approbationsordnung auch vom neuen, privaten Träger, nachvollzogen werden. Oder dass das nötige Fächerspektrum und die Zahl der Studienplätze garantiert werden. Aber im Detail wird sich nicht alles abstrakt im Voraus regeln lassen, glaubt der Fachschaftsrat Nils Greipel, Student im zweiten klinischen Semester.

    "Von vornherein muss man sagen, dass die Zahl der Studienplätze, zumindest was den klinischen Teil des Studiums betrifft, sich nach der Bettenzahl richtet. Da gibt’s eine komplizierte Berechnungsformel. Und es kann zwar vorgeschrieben werden: Ihr habt 1000 Betten, die müsst Ihr beibehalten. Und dann so und so viel Studienplätze zur Verfügung stellen. Aber der Betreiber kann ja auch unwirtschaftlichen Abteilungen die Betten kürzen und anderen, wirtschaftlichen Abteilungen die Betten kürzen - somit bleibt die Bettenzahl immer gleich."

    Mit der Folge allerdings, dass dann in einer ausgedünnten Abteilung - etwa der Pädiatrie - Engpässe für die Studierenden entstünden. Weiteres Beispiel: Das praktische Jahr zwischen zweitem und drittem Staatsexamen. Wer gewährleistet, dass die angehenden Mediziner nicht als kostenlose Arbeitskräfte für Hilfsdienste eingesetzt, sondern sorgfältig ausgebildet werden, fragt Ivo Löffler, der selbst im kommenden Jahr mit dem praktischen Jahr beginnt.

    "Momentan ist es so: Es gibt natürlich auch Lehrkrankenhäuser, die von privaten Trägern betrieben werden. Aber man kann immer, wenn die PJ-Ausbildung in diesen Häusern nicht gut läuft, den Titel Lehrkrankenhaus entziehen. Das würde bedeuten, dass sie keine PJ-ler in Zukunft mehr kriegen würden. Was ist aber jetzt in Gießen und in Marburg, wenn ein Betreiber beide Universitätskliniken übernimmt? Man kann ja nicht einfach zu dem sagen: Wenn Ihr nicht die PJ-Ausbildung verbessert, entziehen wir Euch einfach die PJ-ler. Wo soll denn die Universität denn die 280 PJ-ler pro Halbjahr unterbringen? Das ist einfach ein Problem. Man hat da nicht den Einfluss, die man bei einem anderen hätte."

    Oder die Frage der Berufung von Professoren: Wer setzt sich durch, wenn die Klinik gern einen renommierten Fachmann für ein Spezialgebiet gewinnen würde, die Uni aber einen in der Lehre Erfahreneren?

    Einhäupl hatte für den Wissenschaftsrat vorgeschlagen, den Dekan mit Stimmrecht in der Geschäftsführung auszustatten. Was die Landesregierung nicht für möglich hält, unter anderem, weil das für den Dekan auch die Folge hätte, dass er haftbar gemacht werden könnte. Stattdessen soll es nun auf einen beratenden Sitz für den Dekan, die Rechtsaufsicht des Landes und eine Schlichtungskommission herauslaufen. Ivo Löffler ist skeptisch. Er wünscht sich stattdessen:

    "Qualitätsaufsicht und die Möglichkeit, schnell und direkt einzugreifen auch in den Ablauf. Es bringt nichts, wenn eine Lösung in einem Jahr erst steht - was machen die Leute während dieses Jahres?"

    Bis zur dritten Lesung Mitte Dezember soll das Gesetz noch einmal überarbeitet werden, nach den Wünschen und Forderungen des Wissenschaftsrates. Vieles wird aber auch danach noch nicht gänzlich geklärt sein. Trotzdem ist die Stimmung unter den zukünftigen Medizinern in Gießen und Marburg nicht schlecht, sagen Ivo Löffler und Nils Greipel. Schon, weil auch der Käufer des Klinikums Gießen/Marburg ein Interesse daran hätte, dass Lehre und Forschung funktionieren. Denn die Investition würde sich vor allem für einen Betreiber lohnen, der beweisen will, dass er auch das Zeug für die Wissenschaft hat. Ganz glücklich allerdings ist Ivo Löffler nicht mit diesem Argument.

    "Ja, hoffen kann man das immer, aber es ist ein privatwirtschaftlicher Betrieb. Und die werden kein Geld verschenken."