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Verweigert sich die katholische Kirche einer öffentlichen Debatte?

Heuer: In den letzten Wochen und Monaten haben wir häufiger Anlass gehabt, über die katholische Kirche zu berichten als sonst. Immer mehr Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern durch katholische Priester werden bekannt. Anfang dieser Woche beschäftigte die Öffentlichkeit zudem, dass sieben Frauen, die sich zu Priesterinnen hatten weihen lassen, vom Vatikan exkommuniziert worden sind. Zwei aktuelle Themen, die in der Öffentlichkeit debattiert werden, allerdings unter weitgehendem Ausschluss der deutschen kirchlichen Würdenträger selbst, sagen zumindest ihre Kritiker. Verweigert sich die katholische Kirche in für sie kritischen Fragen der öffentlichen Debatte? Eine Antwort erhoffe ich mir von Peter Eicher. Er ist Professor für katholische Theologie an der Universität Paderborn. Herr Eicher, ist das ein falscher Eindruck, oder stimmt es, dass die katholische Kirche sich weigert, Auskunft zu geben, wenn es für sie kritisch wird?

    Eicher: Es ist sicher ein richtiger Eindruck, und er geht auf eine unzureichende Form der Regierung, wenn Sie so wollen, der Hierarchie zurück, das heißt die deutschen Bischöfe erhalten von Rom Weisungen oder oft nur ganz kurze Erklärungen, die sie dann durchführen müssen. Das so genannte Kirchenvolk wird nicht beteiligt. Insofern ist der Gesamteindruck natürlich richtig, dass eine Art Geheimpolitik betrieben wird, oder eine unzureichende Einbeziehung der Öffentlichkeit, sowohl in der Anhörung als auch in der Beratung und Entscheidung. Aber wenn man etwas genauer zuguckt, ist es etwas dramatischer, als es der Öffentlichkeitseindruck wiedergibt, denn das eigentlich Dramatische besteht ja darin, dass ein Kirchenmitglied gar keine rechtliche Möglichkeit hat, angehört zu werden, sich zu beklagen, Recht zu finden, wenn über es entschieden wird, ohne dass es angehört wurde. Das heißt wir haben keine Verwaltungsgerichtsbarkeit in der katholischen Kirchen, die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, also vor 40 Jahren eingefordert wurde, und eigentlich auch von der Synode, vom jetzigen Kardinal Lehmann gefordert wurde. Das alles haben wir nicht, sondern wir haben eine Öffentlichkeitsstruktur, die für die Öffentlichkeit gar nicht vorstellbar ist.

    Heuer: Sind die kirchlichen Strukturen undemokratisch? Würden Sie so weit gehen?

    Eicher: Da muss man differenzieren. Die Demokratie ist auch eine Frucht des Christentums. Es gab im Christentum immer synodale Gremien. Es gab bekanntlich die Konzilien. Es gab im Mittelalter den Konziliarismus, das heißt eine Bewegung, die meinte, die Wahrheit Gottes, die Offenbarung würde sich zeigen durch Deliberation, durch Überlegung. Da gibt es demokratische Ansätze. Das Tragische ist, dass nach der Französischen Revolution die katholische Kirche sich aus der Moderne zurückgezogen hat und eine Art Sonderwelt errichtet hat. In dieser Sonderwelt fallen die Beschlüsse ganz einfach entweder durch den monarchischen Vatikan, also durch den Papst, der selbst entscheidet, durch die Unfehlbarkeit des Papstes sogar ohne jede Rücksichtsnahme auf die Überlegung. Es wurde auch in Bezug auf die Bischöfe eine Art Geheimniskrämerei herausgefordert, das heißt eine einsame Beratungsstruktur von alten, sogar greisen Männern, die dann auch ihre Entscheidungen gar nicht begründet mitteilen mussten, weil sie annahmen, dass aus dem Innersten des Glaubens, aus der Würde ihrer Weihe durch die Gabe des Heiligen Geistes sie besonders befähigt werden, Einsicht zu haben in sehr komplizierte Sachverhalte. Dies ist in sich undemokratisch, und es ist auch in sich - wenn ich das mal sagen darf - unmoralisch. Die Unfehlbarkeit des Papstes ist letztlich der Grund dieses unstimmigen, nicht mehr zeitgemäßen Verhältnisses zur Öffentlichkeit. Ich will es noch kurz begründen. Es ist nicht ethisch zu rechtfertigen, dass ein Mensch alleine die Wahrheit verkünden kann, sondern Wahrheit ist ein Prozess des Konsenses, der sorgfältigen Überlegung und Beschlussfassung, immer in der Gewissheit, dass man sich auch irren kann. Nun haben wir immer noch diese Unfehlbarkeit in der katholischen Kirche, auch für die Beschlüsse der Bischöfe, im Raum stehen. Und es waren die deutschen Bischöfe, vor allem ein deutscher Gelehrter, der vor 100 Jahren auch gezeigt hat, dass eben gegen die Unfehlbarkeit die Öffentlichkeit gestellt werden muss.

    Heuer: Kommen wir nochmals zu den konkreten Fällen. Was hätte - Beispiel Kindesmissbrauch - zum Beispiel Kardinal Lehman, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, anders machen müssen?

    Eicher: Er hätte seit langem, seit mindestens 30 Jahren die Betroffenen anhören müssen. Er hätte von allen deutschen Bischöfen fordern müssen, dass Kirchen die Menschen aus dem Kirchenvolksbegehren, die das seit langem reklamiert haben, die vielen Theologen, die Eltern usw. wirklich pflichtgemäß angehört hätten. Ich darf darauf hinweisen, dass der eben verstorbene Kardinal Degenhardt aus Paderborn Zeit seines ganzes Lebens, seines ganzen Amtes, nicht bereit war, auch nur ein einziges Mal die Vertreter des Kirchenvolksbegehrens überhaupt nur anzuhören. Da hätte Bischof Lehmann seit langem freie Luft schaffen sollen. Es ist so eine Art Mief, der da eingetreten ist, mit einer Art Heiligkeit, die alles Mögliche gestattet. Er hätte offene Verhältnisse schaffen sollen, wie das bei seinen Vorgängern oft auch der Fall war. Es ist eine ungute Atmosphäre eingetreten, und in dieser Frage des Missbrauchs zeigt es sich, dass dabei auch Straftatbestände eingetreten sind. Ich habe immer gesagt, dass die Bischöfe die Pflicht haben, die Täter anzuzeigen. Stattdessen haben sie sie verschoben, und niemand wusste etwas darüber, und niemand - und das ist der Hauptpunkt, der heute diskutiert wurde - hatte das Recht, Einspruch vor einem Gericht zu erheben. Die Kirche muss sich dem Stand des heutigen Rechtswesens anpassen und eine Verwaltungsgerichtsbarkeit einziehen.

    Heuer: Spricht die Kirche denn noch mit Ihnen, mit den kritischen katholischen Theologen?

    Eicher: Die Kirche besteht nicht aus Hierarchen und alten Männern, sondern die Kirche besteht aus einer Öffentlichkeit, die das Leben zu verstehen sucht, die den Sinn des Lebens im Anschluss an die große Erinnerung der Religion sucht. Natürlich sprechen wir alle miteinander, und das geschieht vor allem über die Medien. Es geschieht eben auch dadurch, dass Sie mich fragen, und dass ich auch das Wort in der Kirche haben. Von der Bischofskonferenz oder von Rom her werden wir alle ausgeschlossen.

    Heuer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio