Martin Zagatta: Mitgehört hat der Migrationsforscher Professor Dietrich Thränhardt von der Universität in Osnabrück, guten Tag, Herr Thränhardt!
Dietrich Thränhardt: Guten Tag!
Zagatta: Herr Thränhardt, wir haben es eben gehört, selbst im Regierungslager ist man sich nicht so ganz einig. Wie bewerten Sie diese Ankündigung, schon in wenigen Wochen ein neues Gesetz mit Integrationspflichten vorzulegen? Besteht da so dringender Handlungsbedarf?
Thränhardt: Ich glaube, es besteht mehr Handlungsbedarf, dass das Innenministerium seine eigenen Aufgaben erfüllt. Wir haben immer noch 400.000 Menschen hier, die gekommen sind und die noch keinen Asylantrag stellen konnten, wir haben darüber hinaus 370.000 Menschen, die im Verfahren sind, wir haben einen enormen Verfahrensstau. Also, das Innenministerium, Herr de Maizière erfüllt seine eigenen Aufgaben nicht und er versucht jetzt, davon abzulenken, indem er problematisiert Asylverweigerung.
Wir haben auch nicht ausreichend Sprachkurse. Viele Asylbewerber dürfen auch in diese Sprachkurse gar nicht rein, zum Beispiel alle Afghanen dürfen nicht in die Sprachkurse rein. Wir haben zu wenig Sprachkurse, das ist das Hauptproblem. Und wenn wir darüber nachdenken, über Asylverweigerer nachdenken, können wir es eigentlich gar nicht messen, weil die Leute gar nicht in die Sprachkurse reinkönnen.
Sie leiden darunter, wenn ihre Initiative stillgelegt wird und wenn sie in den Lagern sitzen, ohne etwas tun zu können.
Wir sollten uns also weniger über Integrationsverweigerer unterhalten, wir sollten dafür sorgen, dass die Angebote des Staates ausreichend sind. Und wir sollten auch dafür sorgen, dass der Staat weiß, wer überhaupt zu uns gekommen ist.
Zagatta: Der Innenminister würde Ihnen jetzt sicher entgegenhalten, man muss an beidem arbeiten, wahrscheinlich anerkennen, dass da vieles noch unerledigt ist. Aber auf der anderen Seite, jetzt hinter diesem Vorstoß, auch die Integrationspflicht zu verschärfen, ist das völlig aus der Luft gegriffen? Da wird es doch sicher Gründe für geben?
Thränhardt: Also, Herr de Maizière hat ja vor Jahren schon mal bei den türkischen Einwanderern, bei den alten Einwanderern von 15 Prozent Integrationsverweigerern gesprochen. Er wurde dann gefragt, wie er das denn begründen könnte, und er konnte überhaupt keine Begründung nennen, das war völlig aus der Luft gegriffen.
Und das ist jetzt wieder eine ähnliche Phantomdiskussion. Ich denke, es ist das bestehende Recht, es gibt ja die Möglichkeit auch heute schon, also seit Empfang, wenn jemand nicht arbeiten will, die Leistungen zu kürzen. Das gilt natürlich für Inländer genauso wie für Ausländer, für Migranten genauso wie für Deutsche. Das ist völlig ausreichend, das kann angewandt werden. Das kann aber natürlich erst angewandt werden, wenn die Leute zum Beispiel die Möglichkeit bekommen haben, Deutsch zu lernen, denn vorher können sie ja faktisch nicht arbeiten.
"Es ist sicher klar, dass nicht alle in die Großstadt kommen können"
Zagatta: Herr Thränhardt, die Leitung wackelt, die ist schlecht geworden. Ich glaube, wir probieren es ganz schnell noch mal, Sie neu anzurufen! Wenn Sie auflegen, melden wir uns gleich noch mal bei Ihnen!
Und wir sind jetzt wieder verbunden mit dem Migrationsforscher Professor Dietrich Thränhardt von der Universität in Osnabrück. Herr Thränhardt, Sie haben uns gerade erläutert, man könne schwer überblicken oder es gebe eigentlich gar nicht genug Grundlagen für die Aussage, dass sich da Flüchtlinge der Integration verweigern. Wie ist das auf der anderen Seite? In dem Beitrag vorhin haben wir gehört, dass der Vorschlag, da die Niederlassungspflicht neu zu regeln oder die Niederlassungsfreiheit, dass Flüchtlinge eigentlich dorthin gehen können, nach drei Jahren, wo sie wollen, dass der ja von den Städten und Gemeinden kam, dass man da eingreifen müsse. Wie sehen Sie das?
Thränhardt: Ich sehe das eigentlich sehr kritisch. Es ist sicher klar, dass nicht alle in die Großstadt kommen können, aber das können die Städte glaube ich mit den bisherigen Rechtsgrundlagen auch lösen. Wenn man eine Sozialwohnung will in Frankfurt, kommt man ja auf eine Warteliste. Und man kann die Leute, die nicht in Frankfurt wohnen, da hintenan stellen, sodass sie faktisch keine Chance haben. Das ist auch geltende Praxis bisher, ich sehe das eigentlich nicht.
Was sicher gemacht werden sollte zunächst einmal, ist, den Menschen Wohnungen anzubieten, wo Häuser leer stehen.
Da gibt es eine ganze Reihe nicht nur im Osten, sondern auch zum Beispiel in Nordhessen oder selbst in Bayern in der Gegend von Hof, und sie da so ein bisschen zu beheimaten, ihnen Sprachkurse anzubieten. Dann haben diese schwächeren Kommunen auch eine Chance, diese Arbeitskräfte vielleicht zu halten.
Zagatta: Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, dann gibt es da aber schon einen Drang von Flüchtlingen, sich möglichst in Großstädten niederzulassen. Hat da die deutsche Politik nicht so ein bisschen auch eine Pflicht, Gettobildungen vorzubeugen, wie wir sie vielleicht als Fehler in Frankreich erlebt haben?
Thränhardt: Ich würde schon gut finden, wenn wir eine möglichste Gleichverteilung über Deutschland hinaus, ganz Deutschland, bekommen. Aber wir müssen natürlich auch den Arbeitsmarktaspekt ins Auge fassen. Es ist ja so, dass in den letzten Jahren auch große Wanderungen stattgefunden haben. Das ist jetzt so ein bisschen zum Stillstand gekommen, aus dem Osten in den Westen, aus dem Norden in den Süden. Und wir werden das nicht völlig ausschließen können. Also, jemand, ein Syrer, der IT-Erfahrung hat, als IT-Ingenieur arbeiten will, der wird natürlich in München leichter einen Arbeitsplatz bekommen als in Cottbus.
"Es wird eine enorme Aufgabe sein, diese Flüchtlinge zu integrieren"
Zagatta: Sie sprechen jetzt von einem IT-Ingenieur. Es soll ja eine Studie der Handelskammer in Bayern geben, die besagt, dass zwei Drittel der Flüchtlinge, die aus Syrien gekommen sind, aus dem Irak und aus Afghanistan – ich glaube, das rechnet man auf einen Zeitraum von zwei Jahren –, dass zwei Drittel von denen kaum lesen und schreiben können. Wie wollen Sie die vernünftig integrieren oder schnell integrieren?
Thränhardt: Das wird eine enorme Aufgabe sein. Wir haben eine Polarisierung, wir haben einerseits etwa 20 Prozent, würde ich schätzen, die gut qualifiziert sind und die einfach, wenn sie die Sprache lernen, relativ gut reinkommen; aber wir haben auch so viele ... Nicht zwei Drittel, aber ich würde mal schätzen, dass etwa ein Viertel der heutigen Migranten wenig Schulbildung oder keine Schulbildung hat, und es wird eine enorme Aufgabe sein, diese Flüchtlinge zu integrieren.
"Flüchtlingen die Möglichkeit geben, Deutsch zu lernen"
Zagatta: Wie kann man das überhaupt machen? Wir haben ja diese Diskussion gehabt, da müsste man Abstriche vom Mindestlohn machen, was sehr umstritten ist. Sehen Sie irgendeinen Weg, diese Menschen einzubinden?
Thränhardt: Man muss ihnen zunächst einmal die Möglichkeit geben, Deutsch zu lernen, sie müssen Deutsch lernen. Sie müssen Lesen und Schreiben lernen, wenn sei es nicht können. Da gibt es natürlich einen enormen Willen auch, was zu machen, auch Geld zu verdienen. Und man muss Bildung machen, man muss Ausbildung machen, man muss sie Schreiner oder Bäcker oder irgendwas werden lassen, man muss sie in die Berufe hineinbringen. Und es gibt ja gerade im Handwerksbereich da einen enormen Bedarf an Menschen, die diese Jobs machen.
Aber es wird wirklich eine große Aufgabe sein. Die große Geste der Bundeskanzlerin war ja sehr eindrucksvoll, aber bisher haben wir sehr wenig getan, um das auf der lokalen Ebene, auf der Arbeitsebene, auf der Sprachebene nachzuvollziehen und da wirklich die Integration voranzubringen.
Zagatta: Herr Thränhardt, bei dieser Debatte um die Integrationspflicht, da gibt es ja auch die Vorstellung, den Flüchtlingen ein Bekenntnis zu unseren Grundwerten abzuverlangen, also zum Grundgesetz oder die Gleichberechtigung von Frauen ausdrücklich anzuerkennen. Ist so etwas sinnvoll, soll das gemacht werden, ist es umsetzbar?
Thränhardt: Also, ich halte diese Sachen schon für sehr wichtig. Das brauchen Sie den Flüchtlingen aus Damaskus nicht zu sagen, da ist das nicht so ein Problem gewesen, aber sehr viele zum Beispiel Flüchtlinge aus Afghanistan, denen muss man sicher diese Grundwerte, vor allem die Gleichberechtigung der Frau sehr nahebringen. Das ist aber nicht damit getan, dass man sie sozusagen einen Eid schwören lässt, sondern das muss in Bildungsprogramme einfließen, das muss in den Deutschunterricht einfließen. Und das muss gelebte Praxis werden. Das ist auch ein langer Prozess.
"Gesinnungspolizei wäre das Schlimmste"
Zagatta: Das heißt, mit Bildungsangeboten, eine Art Gesinnungspolizei würde da ja auch nicht helfen, oder wie muss man sich das vorstellen?
Thränhardt: Also, Polizei, Gesinnungspolizei, das wäre das Schlimmste, weil das natürlich auch Abwehrreflexe erzeugt. Also, es gibt ja diese Erfahrung, dass zum Beispiel in Afghanistan es für einen Mann unverschämt ist, eine Frau direkt anzuschauen. Und so einen Habitus, den man gelernt hat, dass es sozusagen eine Aggression ist, eine Frau direkt anzuschauen, das abzulegen, das ist eine ganz lange Sache und da kann man auch nicht so mit der Brechstange reingehen. Denn das ist ja zunächst einmal eine gewisse Scheu auch, die kulturell ganz tief sitzt. Und da muss man mit umgehen und das lässt sich sicher erst mit der Zeit dann verändern.
Zagatta: Der Migrationsforscher Professor Dietrich Thränhardt heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Thränhardt, herzlichen Dank für das Gespräch!
Thränhardt: Ich danke auch!
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