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Verwirrende Vorzeigegletscher

Klima.- Auf der Nordhalbkugel gehen die Gletscher immer mehr zurück. Das ist bekannt und belegbar. Für Gletscher auf der Südhalbkugel fehlen allerdings oft Daten aus der Vergangenheit. Forscher haben sich nun die Gletscher Neuseelands genauer angesehen - und Ungewöhnliches herausgefunden.

Von Monika Seynsche |
    Der Gletscherfluss schlängelt sich durch eine geröllbedeckte Ebene. An ihren Seiten steigen tiefgrüne urwaldbewachsene Hänge auf. Flussaufwärts kriecht die steile Zunge des Franz-Josef-Gletschers ins Tal. Gelbe Hinweisschilder warnen vor herabstürzenden Eisbrocken und Flutwellen. Davon hat sich Dorothea Stumm nicht abschrecken lassen. Die Schweizer Doktorandin ist die Eiszunge hinauf geklettert.

    "Das, was ich eigentlich messe, ist die Schmelze im unteren Bereich mit Stangen und im oberen Bereich graben wir Schneeschächte, wo wir die Schneedichte und -dicke messen. Und so können wir dann eine Bilanz ziehen. Also alles was vom Gletscher weggeht, das ist so wie beim Haushaltsbudget die Ausgaben. Und die Einnahmen, das ist dann eben der Schnee, der am Ende des sogenannten glaziologischen Jahres liegen bleibt und das ist nun die Massenbilanz."

    Bekommt der Gletscher mehr Masse hinzu als schmilzt, wächst er. Verliert er mehr Eis, dann schwindet er mit der Zeit. Bei den europäischen Alpengletschern ist diese Bilanz seit vielen Jahren negativ. Sie ziehen sich kontinuierlich zurück. Der Franz-Josef-Gletscher dagegen ändert sein Verhalten innerhalb kürzester Zeit. Mal zieht er sich zurück, dann stößt er wieder vor. Das gleiche Spiel treibt sein Nachbar, der Fox-Gletscher.

    "Von etwa 1999 glaub ich bis 2005 haben die sich auch zurückgezogen. Also es war eine Periode, wo sie sich sicher zurückgezogen haben, dann war wieder ein leichter Vorstoß. Und solche Änderungen, so schnelle Änderungen mit Vorstoß und Rückzug, sieht man bei sehr wenigen Gletschern."

    Es sei tückisch, dass man sie ausgerechnet bei den beiden berühmtesten neuseeländischen Gletschern sehe, sagt sie. Denn die meisten der mehr als 3100 Gletscher der beiden Inseln ziehen sich zurück.

    "Das sieht man jetzt auch an den Längenänderungen sehr deutlich. Da hat man sehr gute Dokumentation und auch von anderen Rekonstruktionen kann man sehen, dass seit der sogenannten kleinen Eiszeit oder seit 1860 der Rückgang massiv war, eigentlich massiver als in den Alpen."

    Die beiden Touristenattraktionen Fox- und Franz-Josef-Gletscher tanzen dabei aus der Reihe, weil sie an der Westküste Neuseelands liegen. Es sind maritime Gletscher, auf die, von der Tasmanischen See heranwehende Westwinde bis zu 15.000 Millimeter Niederschlag pro Jahr tragen. Dadurch können sie schnell wachsen. Gleichzeitig reichen ihre Zungen bis in sehr tiefe und relativ warme Lagen, so dass sie sich bei steigenden Temperaturen auch rasch zurückziehen.

    "Aber gerade in Neuseeland ist es auch sehr extrem, wie der Niederschlag gegen Osten massiv abnimmt. Also an manchen Orten sind eigentlich schon semiaride also fast halbwüstenartige Bedingungen, also das ist ganz extrem. Das heißt, diese massiven Niederschläge sind vor allem dort, wo das Gebirge am höchsten ist - bei Mount Cook, wo auch der Franz-Josef und Fox-Glacier sind. Und die allermeisten anderen Gletscher, deren Nährgebiet ist eigentlich auf tieferen Lagen ... also die erhalten nicht die selben massiven Mengen an Niederschlägen und die bleiben auch nicht so gut erhalten wie auf diesem Franz Josef und Fox Gletscher."

    Für ihre Doktorarbeit hat Dorothea Stumm die Massenbilanz von vier Gletschern auf der Südinsel Neuseelands untersucht. Auch wenn der Franz-Josef- und der Fox-Gletscher immer mal wieder vorstoßen - auf langen Zeitskalen betrachtet, ist der Trend bei allen neuseeländischen Gletschern der gleiche: Sie ziehen sich zurück - und zwar massiv.