Im Oktober 2010 wollen Tim Focken und andere Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan eine Ortschaft einnehmen, aus der die Taliban Anschläge verüben. Sie geraten in ein Feuergefecht, sind umzingelt. Bei einem Stellungswechsel wird Tim Focken angeschossen. Der erste Rettungshubschrauber muss abdrehen, zu gefährlich, beim zweiten hat er fünfzig Sekunden Zeit für den Einstieg. Seine Operation im Krankenhaus dauert 17 Stunden.
Tim Focken wirkt nachdenklich, als er im Dlf-Sportgespräch über seine Laufbahn in der Bundeswehr spricht. Er hatte meist Spaß an seinem Beruf gehabt, er war durchtrainiert, ging gern laufen, verbrachte viel Zeit im Kraftraum. Der Einsatz in Afghanistan 2010 veränderte fast alles: "Meine ersten Gedanken waren zerstörerisch. Ich hatte Schuldgefühle gegenüber meinen Kameraden. Ich dachte, dass ich sie im Stich gelassen habe."
Tim Focken muss seither mit einer Oberarmplexuslähmung leben. Er kann seinen linken Arm nicht heben, hat oft Schmerzen im Rücken. In den ersten Monaten nach Afghanistan fühlte er sich nicht mehr als Soldat. Ein junger Mann von 26 Jahren ohne berufliche Zukunft, das glaubte er zumindest. Doch da täuschte er sich.
Individuelle Pläne für traumatisierte Soldaten
Am 24. August beginnen in Tokio die Paralympics. Rund 4400 Athleten werden in 22 Sportarten unter Beweis stellen, zu welchen Leistungen und Rekorden Menschen mit Behinderung fähig sind. Deutschland ist mit 134 Sportlern vertreten.
Mit dabei: der Sportschütze Tim Focken, als erster Bundeswehr-Soldat, der im Auslandseinsatz verwundet wurde. "Ich habe einen Eid geleistet", sagt Tim Focken. "Und jetzt vertrete ich Deutschland eben auf einer anderen Ebene. Durch den Sport habe ich wieder berufliche Zufriedenheit erlangt." Tim Focken hat sich diese Zufriedenheit hart erarbeitet.
Mit dabei: der Sportschütze Tim Focken, als erster Bundeswehr-Soldat, der im Auslandseinsatz verwundet wurde. "Ich habe einen Eid geleistet", sagt Tim Focken. "Und jetzt vertrete ich Deutschland eben auf einer anderen Ebene. Durch den Sport habe ich wieder berufliche Zufriedenheit erlangt." Tim Focken hat sich diese Zufriedenheit hart erarbeitet.
Unter dem damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière etablierte die Bundeswehr 2011 ein neues Projekt: "Sporttherapie nach Einsatzschädigung". An ihrer Sportschule in Warendorf bei Münster erhalten verwundete oder traumatisierte Soldaten einen individuellen Plan für Training, Physiotherapie und Psychologie. Die meisten Teilnehmenden nutzen die Bewegung für ihre Reha, ihren schweren Weg zurück in den Alltag. "Auch ich habe mich in einer ausweglosen Situation gesehen", sagt Tim Focken, der 2011 nach Warendorf kam. "Aber durch den Sport habe ich meinen Körper wieder neu kennengelernt. Ich habe erfahren, wozu ich noch in der Lage bin."
Damit folgt Tim Focken im Grunde einer Tradition. Die Paralympische Bewegung fußt auf den Errungenschaften von Ludwig Guttmann. 1948 organisierte der deutsche Neurologe in der Nähe von London Wettkämpfe für Kriegsversehrte.
Die Spiele von Stoke Mandeville begannen Ende Juli 1948 am selben Tag wie die Olympischen Spiele in London. Sie brachten fortan ehemalige Soldaten zusammen, die seit dem Zweiten Weltkrieg auf einen Rollstuhl angewiesen waren. 1960 mündete Guttmanns Idee in den ersten Paralympischen Spiele in Rom.
Entsetzen nach Machtübernahme in Kabul
Wenn man mit dem Bundeswehr-Mitglied Tim Focken über diese Geschichte redet, dann wirkt er fast ein bisschen ehrfürchtig. Vor seinem lebensgefährlichen Afghanistan-Einsatz hatte er wenig über die Paralympics gewusst, inzwischen umso mehr. Der Sport war für ihn lange ein Fixpunkt in der Rehabilitation, doch an Medaillen dachte er kaum. Das änderte sich mit seinen Leistungen, die von Jahr zu Jahr besser wurden.
Tim Focken hatte sich als Soldat nicht für das Sportschießen interessiert, doch nun arbeitet er an jedem Detail. "Man muss jeden negativen Gedanken ausblenden", sagt er. Bei der Weltmeisterschaft 2019 belegte Focken den vierten Platz. Eine Medaille in Tokio? Unrealistisch ist das nicht.
Eine Verehrung von Kriegsveteranen ist mit der deutschen Geschichte nicht vereinbar. Tim Focken wählt keine pathetischen Worte für das große Ganze, er bleibt bei seiner Biografie. Er hat die schnelle Machtübernahme der Taliban in Afghanistan mit Entsetzen wahrgenommen. Waren die Einsätze und Opfer umsonst?
Nein, das kommt ihm nicht über die Lippen. Tim Focken möchte die negativen Nachrichten nicht zu sehr an sich heranlassen. Er hat fast zehn Jahre trainiert, er hat dafür Geburtstage seiner Kinder verpasst. Nun kann er mit einer Medaille in Japan auch die Bundeswehr in ein positiveres Licht rücken. Und er kann zeigen, wie man den Krieg auch auf sportliche Art verarbeiten kann.