Archiv

Very british (5/5)
Rudern als Lebenstraining

Mitglieder von Ruderclubs haben in der britischen High Society die besten Aufstiegschancen. Und so wird bereits in den Schulen hart trainiert. Teamwork, Führungsstärke, Beharrlichkeit – diese Fähigkeiten sollen die Nachwuchssportler durchs ganze Leben begleiten.

Von Kirsten Zesewitz |
    Rudersport: Zwei Achter unterwegs im Wasser
    "Rudern ist eine der körperlich schwersten Sportarten", sagt Trainer Colin Greenaway (Imago)
    Beuge, Drehung, Beuge. Mit hochroten Köpfen machen die Jungs ihr Warm-up.
    "Sehr hübsch Ben, aber hast du die Beugen auch bergauf gemacht? Oder wolltest du es dir etwas leichter machen?"
    Colin Greenaway, ein groß gewachsener Mann in Trainingshosen und T-Shirt, lässt die Teenager keinen Moment aus den Augen. Lässig läuft er neben den schwitzenden Jungs her, die Kordel seiner Stoppuhr um die Finger wickelnd. Colin Greenaway ist Vollzeittrainer an der Hampton School: Er ist nur fürs Rudern zuständig. Die Jungs trainieren jeden Tag, nur der Sonntag ist ruderfrei.
    "Rudern ist sicherlich eine der körperlich schwersten Sportarten, die Jungs gehen bis an die Grenze ihrer Kräfte. Beim Fußball oder Rugby kann man sich zwischendurch mal ausruhen, ein Ruderer dagegen muss all seine Kraft und Entschlossenheit aufbringen, um bis zum Ende durchzuhalten. Ich denke, beim Rudern bringen wir den Kindern viele Werte bei, die ihnen im Leben helfen werden: Teamwork, Führungsstärke, Beharrlichkeit – diese Fähigkeiten werden sie durchs ganze Leben begleiten."
    Wichtigstes Rennen der Saison: die Schulregatta
    Die Jungs dehnen sich nun gegenseitig: Einer liegt mit dem Rücken auf dem Pflaster, sein Partner drückt das Bein des Liegenden nach oben über den Kopf. Die Jungs in ihren dünnen T-Shirts und Radlerhosen grummeln bestenfalls ein wenig, aber wirklich etwas auszumachen scheint ihnen das Ganze nicht. Sie liegen wohl nicht zum ersten Mal auf dem harten Boden.
    Dann ist es soweit, die Boote werden zum Fluss getragen: Ben Evans schnappt sich zwei Ruder, der 16-Jährige wird heute im Vierer trainieren, als Schlagmann ganz vorn im Boot:
    "Wir haben gerade Schools Head hinter uns, ein Verfolgungsrennen. Der nächste große Wettkampf ist die nationale Schulregatta, sie ist das wichtigste Rennen der Saison. Hoffentlich schaffen wir es, den Ruf der Schule zu verteidigen."
    Hampton ist eine der besten Ruderschulen in Großbritannien – es gibt Eltern, die ihre Söhne extra deswegen auf die private Schule bei London schicken. Olympiasieger wie Greg Searle und Martin Cross begannen hier ihre Laufbahn.
    "Das Ganze ist schon ziemlich nervenaufreibend: Du trainierst das ganze Jahr für die National Schools Regatta, sie ist wirklich wichtig. Es ist ein großartiges Gefühl, wenn man gewinnt, ein bisschen enttäuschend wenn nicht, aber aufregend ist es in jedem Fall."
    Trödeln ist nicht drin
    Unten am Fluss machen die ersten Jungs ihre Boote klar: Ben legt das Ruder in die Dolle und schlüpft in seine Ruderschuhe. Ein kurzer Blick nach hinten, die anderen sind auch gleich soweit: Trödeln ist nicht drin, der Steg ist zu kurz für alle Boote – und niemand hier hat Lust auf eine weitere Ermahnung des Trainers.
    Ein Stück abwärts, wo der Fluss breiter wird, haben sich die Viererboote zum Sprint aufgereiht: 8 Minuten sollen die Jungs rudern, Minimumschlagzahl pro Minute: 26.
    Colin Greenaway begleitet die sprintenden Boote ein paar Meter, dann lässt er sie passieren und nähert sich einem Jungen im Einer: Sein Rhythmus stimmt nicht, ständig muss er den Griff der Hände wechseln.
    "Das Wasser ist tückisch, ich weiß" ruft Colin, "aber zieh die Hände nicht zu früh zurück, Tom." Der Junge bemüht sich, wischt kurz mit dem Handrücken über seine schweißnasse Stirn – die Ermahnung kommt prompt:
    "Beim Rennen kannst du das auch nicht machen!"
    Jeder kann in ein Boot steigen und ein Ruder ins Wasser stecken, aber um es mit der erforderlichen Präzision und Kraft zu tun, braucht man zwei bis drei Jahre. Für ein internationales Wettkampfniveau noch mal vier – allein, um das Ruder präzise durchs Wasser zu ziehen.
    Vom Schüler zum Trainer
    Colin Greenaway hat selbst als Schüler mit dem Rudern angefangen. Allerdings war er auf keinem teuren Ruderinternat: Colin ging auf eine staatliche Londoner Schule, wo ihn sein Sportlehrer eines Tages fragte, ob er nicht einmal beim Training im örtlichen Ruderclub vorbei schauen wolle.
    "Ich ging also zum Ruderclub, probierte es und verliebte mich ins Rudern! Das Tolle am Rudern ist, dass du immer besser wirst. Wenn du hart trainierst, wirst du schneller und stärker. Beim Fußball ist das anders. Rudern belohnt den Tüchtigen: Wenn du hart trainierst, wirst du gut."
    Mit 19 Jahren wurde Colin Greenaway für das Britische Nationalteam ausgewählt: Bei den U23 in Hamburg gewann er 1986 Gold im Vierer und durfte im selben Jahr zur Ruder-Weltmeisterschaft fahren. Zwölf Jahre lang saß Colin für das Team GB im Ruderboot, dann wurde er Trainer.
    "Nichts ist schöner, als wenn man sieht, wie sich die Kinder entwickeln, Erfolg haben: Eine meiner Schülerinnen, Sophie Hoskin, hat bei den Olympischen Spielen in London 2012 Gold geholt. Das war ein bewegender Augenblick für mich: Ich kannte sie, seit sie 14 war. Sicher, das spätere Training hat sie zur Olympiasiegerin gemacht – aber wir haben ihr die Liebe zum Rudern vermittelt und ihr die Grundlagen mit auf den Weg gegeben, um dieses herausragende Niveau zu erreichen."
    Dann fährt Colin zu ein paar anderen Jungs hinüber. Es gibt noch viel zu tun bis zur National Schools Regatta.