Was ist das für eine Revolution, die zuerst durch Tunesien und dann durch Ägypten gerollt ist? Eine politische Revolution, natürlich. Aber sie ist mehr, meint der algerisch-französische Historiker Benjamin Stora. Sie ist auch eine kulturelle Revolution, in dem Sinn, dass hier auch Traditionen kippen – Traditionen eines politischen Totalitarismus, die bislang niemand infrage zu stellen, geschweige zu kippen wagte. Aber das ist nicht alles. Die Wucht dieser Revolution wird auch das Verhältnis Europas zur arabischen Welt neu bestimmen:
"Es sind Gesellschaften in Bewegung. Sie beziehen sich weder auf das Militär noch auf den Islamismus. Sie wollen ihre Freiheit. Was wir sehen, sind zuallererst Jugendrevolten. Die jungen Menschen wollen ein ganz normales Leben führen, und darum werfen sie die etablierten Verhaltensmuster um. Und das ist ein Verhalten, dessen Auswirkungen man noch gar nicht abschätzen kann. Man hat es mit dem Fall der Berliner Mauer verglichen. Tatsächlich ist hier ja eine Mauer der Angst gefallen. Und das heißt auch, dass diese jungen Leute glauben, sie könnten nun Europa Ratschläge geben – und diese nicht nur immer nehmen. Ihr seht nun, was wir machen, rufen sie den Europäern zu. Und das ist etwas grundlegend Neues."
Und so färben diese Revolutionen auch auf die westliche Welt ab. Hier wird man umdenken müssen. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die seit Jahren geführten "Islamdebatten" ihre große Zeit hinter sich haben. Denn sie gingen von Voraussetzungen aus, die nur bedingt zutrafen, meint Stora. Dabei hätte man es wirklich besser wissen können.
"In Europa hat man immer gesagt, man müsse zuerst den Islam reformieren. Aber so geht es nicht. Und das sind ja auch die europäischen Erfahrungen. Die Französische Revolution begann mit dem Verlangen nach Demokratie – und nicht mit Forderungen nach religiösen Reformen. Es ging um die Forderungen des dritten Standes. Die französischen Enzyklopädisten – Diderot, Rousseau, Voltaire: Sie alle haben zuerst das Problem der Gewaltenteilung angesprochen, der politischen Gleichheit – und nicht die Frage der Religion."
Die Revolutionen im Norden Afrikas zeigen zudem, wie sehr man im Westen die konkrete Wirklichkeit der Region übersehen hat. In einer Art weltvergessenem Idealismus hat man auf den Islam geschaut – und darüber völlig übersehen, dass die Welt aus viel mehr besteht als nur aus Religion.
"Das ist keine Revolution der 70er-Jahre. Wir sind heute in einer ganz anderen Situation. Die Welt hat sich verändert seitdem. Die Berliner Mauer ist gefallen, der Ostblock existiert nicht mehr, die Gesellschaften sind städtischer, teils auch bürgerlicher geworden; die Individualisierung ist fortgeschritten, es hat eine demografische Revolution gegeben, soziale Netzwerke haben sich gebildet. All dies fördert eine größere persönliche und bürgerliche Freiheit. Das ist eine kaum zu überschätzende Entwicklung. Und ich glaube, wir haben das noch gar nicht angemessen verstanden."
Tragisch ist, dass die europäischen Islamdebatten nicht nur im Feuilleton und auf den Talkshowsofas stattfanden, sondern auch die Außenpolitik bestimmten. Denn die kulturellen Annahmen über die arabische Welt, meint Benjamin Stora, haben erst die Wirklichkeiten geschaffen, die man eigentlich doch nur zu beschreiben glaubte.
"Im Maghreb und der arabischen Welt geht es heute um politische und soziale Fragen. Es ist ein politischer Rahmen geschaffen worden, und innerhalb dieses Rahmens kann man durchaus über Religion sprechen. Aber nicht umgekehrt. Aber das hat man in Europa so nicht gesehen und darum auf autoritäre Regimes gesetzt. Man hatte Angst, die Islamisten würden die Macht übernehmen. Jetzt hat man bemerkt, dass die autoritären Regimes keine Schutzwälle gegen den Islamismus bildeten, sondern ihn im Gegenteil erst gefördert und zugleich die Entstehung einer demokratischen Bewegung behindert haben. Jetzt denkt man im Westen um. Und das ist eine echte intellektuelle Revolution."
"Es sind Gesellschaften in Bewegung. Sie beziehen sich weder auf das Militär noch auf den Islamismus. Sie wollen ihre Freiheit. Was wir sehen, sind zuallererst Jugendrevolten. Die jungen Menschen wollen ein ganz normales Leben führen, und darum werfen sie die etablierten Verhaltensmuster um. Und das ist ein Verhalten, dessen Auswirkungen man noch gar nicht abschätzen kann. Man hat es mit dem Fall der Berliner Mauer verglichen. Tatsächlich ist hier ja eine Mauer der Angst gefallen. Und das heißt auch, dass diese jungen Leute glauben, sie könnten nun Europa Ratschläge geben – und diese nicht nur immer nehmen. Ihr seht nun, was wir machen, rufen sie den Europäern zu. Und das ist etwas grundlegend Neues."
Und so färben diese Revolutionen auch auf die westliche Welt ab. Hier wird man umdenken müssen. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die seit Jahren geführten "Islamdebatten" ihre große Zeit hinter sich haben. Denn sie gingen von Voraussetzungen aus, die nur bedingt zutrafen, meint Stora. Dabei hätte man es wirklich besser wissen können.
"In Europa hat man immer gesagt, man müsse zuerst den Islam reformieren. Aber so geht es nicht. Und das sind ja auch die europäischen Erfahrungen. Die Französische Revolution begann mit dem Verlangen nach Demokratie – und nicht mit Forderungen nach religiösen Reformen. Es ging um die Forderungen des dritten Standes. Die französischen Enzyklopädisten – Diderot, Rousseau, Voltaire: Sie alle haben zuerst das Problem der Gewaltenteilung angesprochen, der politischen Gleichheit – und nicht die Frage der Religion."
Die Revolutionen im Norden Afrikas zeigen zudem, wie sehr man im Westen die konkrete Wirklichkeit der Region übersehen hat. In einer Art weltvergessenem Idealismus hat man auf den Islam geschaut – und darüber völlig übersehen, dass die Welt aus viel mehr besteht als nur aus Religion.
"Das ist keine Revolution der 70er-Jahre. Wir sind heute in einer ganz anderen Situation. Die Welt hat sich verändert seitdem. Die Berliner Mauer ist gefallen, der Ostblock existiert nicht mehr, die Gesellschaften sind städtischer, teils auch bürgerlicher geworden; die Individualisierung ist fortgeschritten, es hat eine demografische Revolution gegeben, soziale Netzwerke haben sich gebildet. All dies fördert eine größere persönliche und bürgerliche Freiheit. Das ist eine kaum zu überschätzende Entwicklung. Und ich glaube, wir haben das noch gar nicht angemessen verstanden."
Tragisch ist, dass die europäischen Islamdebatten nicht nur im Feuilleton und auf den Talkshowsofas stattfanden, sondern auch die Außenpolitik bestimmten. Denn die kulturellen Annahmen über die arabische Welt, meint Benjamin Stora, haben erst die Wirklichkeiten geschaffen, die man eigentlich doch nur zu beschreiben glaubte.
"Im Maghreb und der arabischen Welt geht es heute um politische und soziale Fragen. Es ist ein politischer Rahmen geschaffen worden, und innerhalb dieses Rahmens kann man durchaus über Religion sprechen. Aber nicht umgekehrt. Aber das hat man in Europa so nicht gesehen und darum auf autoritäre Regimes gesetzt. Man hatte Angst, die Islamisten würden die Macht übernehmen. Jetzt hat man bemerkt, dass die autoritären Regimes keine Schutzwälle gegen den Islamismus bildeten, sondern ihn im Gegenteil erst gefördert und zugleich die Entstehung einer demokratischen Bewegung behindert haben. Jetzt denkt man im Westen um. Und das ist eine echte intellektuelle Revolution."