Eine Gruppe von Jungen im Grundschulalter spielt mit bunten Glasmurmeln. Sie lachen und zanken sich; kleine Momente kindlicher Sorglosigkeit in einem Lager, das alles andere als kinderfreundlich ist. Um die Jungen herum stapeln sich leere Plastikflaschen und Mülltüten. Viele der Kinder tragen kaputte oder viel zu große Schuhe, andere nur Flipflops. Tagsüber versuche er irgendwie seine Zeit tot zu schlagen und nachts sei ihm einfach nur kalt, sagt der 14-jährige Ehsan:
"Ich habe noch einen jüngeren Bruder, er ist 12. Ich möchte zur Schule gehen, möchte Arzt werden, aber wie? Wir wollen ein normales Leben, dieser Ort hier macht mir Angst. Wenn es regnet, warten wir in unserem Zelt, bis der Regen aufhört. Alle wollen weiter, hier ist es nicht gut."
Körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt
So wie Ehsan leben die meisten der 7.000 Kinder im Camp in Plastikzelten oder selbstgebauten Holzhütten mit ihren Eltern oder anderen Familienmitgliedern. Über tausend aber sind komplett auf sich allein gestellt. Sie sind so genannte "unbegleitete Minderjährige", Minderjährige, die ohne enge Verwandte nach Lesbos gekommen sind.
Trotzdem versuchen weiterhin viele Kinder von der Türkei aus Griechenland zu erreichen, nachdem die türkische Regierung gesagt hat, man könne die Grenze nicht mehr schützen. Im überfüllten Camp von Moria sind aber die Kinder, die jetzt schon da sind, vor körperlicher und sexueller Gewalt nicht sicher. Eine geschützte Umgebung gibt es nur für die, die einen Platz in der Abteilung für Minderjährige bekommen, sagt Christos Liakopoulos. Er betreut seit drei Jahren unbegleitete Minderjährige im Lager Moria.
"Viele dieser Kinder haben schreckliche Dinge erlebt: In ihrer Heimat, in der Türkei oder auch hier. Wenn ein Platz für sie frei wird, bekommen sie zum ersten Mal das Gefühl, dass sich jemand um sie kümmert. Einen Platz zu bekommen grenzt an ein Wunder, denn wir können nur 360 Kinder aufnehmen von über 1.000. Viele umarmen uns, wenn sie rein kommen und weinen. Sie haben wirklich das Gefühl, dass sie gerettet werden."
Liakopoulos zeigt auf weiße Wohnkontainer hinter dem Zaun. Hier sei die Abteilung für minderjährige Jungen, sein Arbeitsplatz. Liakopoulos und seine Kollegen wecken sie morgens auf, kümmern sich um ihren Gesundheitszustand, begleiten sie zur Schule einer Nichtregierungsorganisation oder zum Arzt. Viele wollen zu ihren Familien, im Rahmen der Familienzusammenführung, sagt Liakopoulos, doch das dauert.
"Sie müssen lange warten; zehn, zwölf Monate oder auch länger, bis sie aufs Festland können oder nach Europa, um zu ihren Familien zu gelangen. Viele Kinder verlieren ihre Lebenslust, wollen Selbstmord begehen..."
"Da müsste die EU eine Lösung finden."
Marco Sandrone von den Ärzten ohne Grenzen bestätigt das. In Campnähe befindet sich die mobile Kinderklinik der Hilfsorganisation, in der die Kinder von Moria auch psychologisch betreut werden, aber die Warteliste ist lang. Die EU müsste sich einen Ruck geben und diese Kinder aus Moria so schnell wie möglich rausholen, sagt Sandrone. Sei es im Rahmen der Familienzusammenführung oder aus humanitären Gründen:
"Wenn Griechenland nicht in der Lage ist oder nicht den Willen hat, diesen Kindern geeignete Unterkünfte auf dem Festland zur Verfügung zu stellen, sollte man ihnen die Möglichkeit geben, in ein anderes Land zu gehen. Da müsste die EU eine Lösung finden. Denn welcher europäische Politiker würde den Gedanken gut finden, wenn seine Tochter oder sein Sohn auch nur einen Tag lang in Moria verbringen müsste? Ich bin mir sicher: Niemand."
Dennoch wäre so ein Lager für die Flüchtlinge, die aktuell vor der griechischen Grenze ausharren, ein erster Anlaufpunkt. Auch für die Kinder.
Und wieder steht Griechenland mit der Situation allein. Denn eine gemeinsame Flüchtlingspolitik gibt es immer noch nicht. Die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus den griechischen Flüchtlingscamps passiert nach wie vor freiwillig und Länder wie Polen oder Ungarn schauen weg.